Kraft zum Leben?

Werbekampagne religiöser Fanatiker

Vor einigen Monaten sorgte in Deutschland eine millionenschwere Werbekampagne für ein plattes Büchlein mit heiligen Sprüchen für Aufsehen. Mit großem Aufwand wurde das Buch Kraft zum Leben von der Arthur S. DeMoss-Stiftung wie zuvor bereits 60millionenmal in 15 anderen Ländern und 10 Sprachen kostenlos verteilt.

Als Mitstreiter der multimedialen Kampagne, die angeblich niemandem finanziell etwas einbringen sollte, gelten u. a. der brasilianische Fußballspieler Paulo Sergio (Bayern München), der Golf-Profi Bernhard Langer, die frühere DDR-Kunstspringerin Brita Baldus, Philip-Prinz von Preußen (Theologiestudent und Ururenkel des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II.), der Sänger Cliff Richard sowie die aus dem Axel Springer Verlag kommende Bild der Frau -Chefin Andrea Zangemeister ("Ich dachte, dass ich mit den Dingen allein fertig werden könnte."). Sie war die erste, die sich nach einer beginnenden Diskussion um die DeMoss-Stiftung von ihrem Engagement für das Buch zurückgezogen hatte.

Die Reichen und Erfolgreichen warben dafür, dass das Christentum ausschließlich eine individuelle Sache sei und keiner Kirche oder Glaubensgemeinschaft bedürfe. All diese Personen behaupteten, Kraft zum Leben bedeute für sie, dass die Beziehung zu Gott ihnen wichtiger sei als Erfolg, Adelsstand, Karriere, Geld, Familie, Siege und Ruhm.

Der Ursprung von Kraft zum Leben liegt in der evangelikalen Bewegung, der weltweit rund 200 Millionen Menschen angehören, ein Zehntel davon in Europa. Im Mittelpunkt, dieser "Erweckungsbewegung", die aus dem 18. Jahrhundert stammt, stehen die persönliche Bekehrung, die mehr oder weniger wörtlich genommene Bibel und die Verpflichtung zur Missionierung.

Etwa zu Beginn der 40er Jahre kam es in den USA innerhalb des Protestantismus zu einer Spaltung zwischen "Evangelikalen" und "Fundamentalisten". Wobei der Begriff "fundamentalistisch" für den rechten Flügel und der Begriff "evangelikal" für den gemäßigten Teil gebräuchlich wurde. Pietistische Strömungen, die charismatische Bewegung und die Freikirchen verstehen sich als evangelikal.

Inzwischen dürften aber nur noch ausgebildete Theologen die Unterschiede zwischen beiden Strömungen ersichtlich sein. Ideologisch, personell und geschäftlich sind zumindest die "evangelikale" DeMoss-Stiftung und die christlichen Fundamentalisten eng miteinander verbunden.

Das Buch selbst ist zum Großteil 1983 von einem amerikanischen Prediger namens James William Buckingham verfasst worden. Es will ohne konkreten Hinweis auf den Urheber dazu anleiten, durch eine Bekehrung zu Jesus Christus, "Freundschaft mit Gott zu schließen". Empfohlen wird, nach der Bekehrung täglich zu beten sowie Anschluss an eine "bibelgläubige Gemeinde" zu suchen. "Die Sünde", so heißt es in dem Buch, "trennt uns von Gott und hält uns davon ab, so erfolgreich zu sein, wie Gott es eigentlich für uns vorgesehen hat."

Wer sein Leben selbstsüchtig führe, manövriere sich "direkt in die Hölle". "Wem dagegen eine vorbehaltlose Unterwerfung unter den Willen Gottes gelingt, in den strömt der heilige Geist und setzt dabei unglaubliche Energien frei". Sobald man eine persönliche Beziehung zu Gott gewonnen habe, könne man von sich sagen: "Ich wurde auserwählt. Ich nehme einen Platz in der Geschichte ein."

Es ist, nebenbei bemerkt, höchst merkwürdig, wieso wochenlang die Fernsehspots der Stiftung zu sehen waren, obwohl laut Rundfunkstaatsvertrag Werbung politischer, weltanschaulicher oder religiöser Art verboten ist.

Die DeMoss Stiftung, die hinter der Verbreitung des Buches steht, ist alles andere als das, was sie vorgibt. Hinter der selbsternannten philanthropischen privaten Organisation mit Sitz in den USA verbirgt sich eine stockkonservative reaktionäre Bewegung des christlichen Fundamentalismus, die enge Beziehungen zu Regierungskreisen hat. Sie unterstützt finanziell christliche Organisationen, die Schwule und Lesben ebenso radikal bekämpfen wie das Recht auf Abtreibung und die Evolutionstheorie für Gotteslästerung halten. Außerdem möchten die von der DeMoss-Stiftung unterstützten Kreise das Wahlrecht für "Ungläubige" abschaffen.

Der christliche Fundamentalismus erfreut sich in den USA großer Unterstützung durch die Regierung. US-Präsident Georg W. Bush fördert ganz offen fundamentalistische Haltungen und wirbt um Stimmen aus diesem Lager. Bush selbst hat sich in den vergangenen Jahren dafür eingesetzt, dass der Kreationismus, also die wörtlich genommene biblische Schöpfungslehre, in Schulbüchern wieder gleichwertig neben die wissenschaftlich fundierte Evolutionstheorie gestellt wird.

Fundamentalistische Kreise waren auch unmittelbar daran beteiligt, den früheren Präsidenten Clinton durch ein Amtsenthebungsverfahren zu stürzen. Auch die extremistische Rassistenbewegung Ku Klux Klan ist ein Produkt des protestantischen Fundamentalismus. Die militanten Abtreibungsgegner, die in den letzten Jahren mehrere Ärzte ermordeten, die Abtreibungen vorgenommen hatten, stammen ebenfalls aus diesem Spektrum.

Informationen des deutschen Fernsehmagazins Report Mainz zufolge ist die milliardenschwere DeMoss-Stiftung äußerst medienscheu. Auch Report war nicht in der Lage, einen ihrer Vertreter vor die Kamera zu bekommen. Von politischen Hintergründen der Kampagne will die US-amerikanische Stiftung nichts wissen.

Doch die Fakten über einige Mitglieder des Führungsgremiums und deren Tätigkeiten sprechen für sich. Sie machen deutlich, warum die DeMoss Stiftung ihre Urheberschaft für die Kampagne Kraft zum Leben nicht gerade an die große Glocke hängt, sondern eher im Hintergrund agiert.

Nancy DeMoss ist die Vorstandsvorsitzende der Stiftung mit Sitz in Palm Beach, Florida. Sie spendete zwischen 1985 und 1993 70.000 Dollar für Newt Gingrichs GOPAC, eine Stiftung, die für die "Grand Old Party", die Republikaner, arbeitet. Gingrich war der Rechtsaußen der Republikanischen Partei und Sprecher des Repräsentantenhauses unter der Präsidentschaft Clintons und gehört immer noch zu den führenden Köpfen dieser Partei.

Lyn Nofziger, ebenfalls ein Führungsmitglied der DeMoss-Stiftung, ist ein ehemaliger Berater von Ronald Reagan und hat bereits für Richard Nixon gearbeitet. Theodore DeMoss ist Sekretär und Schatzmeister, und war Mitglied des Leitungskomitees der Reconstruction Coalition on Revival. Das ist eine "militante" Organisation von Fundamentalisten, die für eine Umgestaltung des Staates nach religiösen Kriterien des alten Testaments eintreten.

Es handelt sich dabei um Theokraten, die explizit für die Aufhebung der Trennung zwischen Kirche und Staat eintreten. Die Rekonstruktionisten fordern z. B. die Todesstrafe für Ehebrecher, aber auch für Hexerei und Blasphemie. Die Arten der Todesstrafe können verschieden sein: Das Verbrennen auf dem Scheiterhaufen unterstützen sie ebenso wie Steinigungen. Für geringere Vergehen soll es auch die Peitsche tun. Unter den Christlichen Fundamentalisten könnte man sie als das passendste Äquivalent zu den Taliban bezeichnen.

Mark DeMoss ist Direktor der Stiftung und ein Sohn des Gründers. Er hatte sechs bis acht Jahre für den rechtskonservativen Prediger Jerry Falwell aus Lynchberg im US-Bundesstaat Virginia als Verwaltungsassistent und Öffentlichkeitsreferent gearbeitet, bevor er 1991 seine Medienagentur The DeMoss Group Inc. gründete.

Deborah DeMoss ist Mitglied im Stiftungsdirektorium und Schwester von Mark DeMoss. Sie fungierte etwa zehn Jahre lang als Lateinamerika-Beauftragte des erzkonservativen Senators Jesse Helms und half mit dabei, den Vorwand für den Sturz des Panama-Diktators Manuel Noriega durch die US-Regierung zu schaffen. "Sie hatte praktisch ihren eigenen Geheimdienst", sagt Randy Scheunemann, der mit ihr zusammengearbeitet hatte und anschließend für Senator Bob Dole arbeitete. Deborah DeMoss war außerdem im Kampf gegen die Sandinistas in Nicaragua und den Präsidenten Jean-Bertrand Aristide in Haiti aktiv. Sie heiratete einen hohen Militär aus Honduras namens Fonseca.

Zu den Klienten der Public-Relations-Firma The DeMoss Group zählen viele, die in der fundamentalistischen christlichen Szene Rang und Namen haben - so der bereits genannte Jerry Falwell, der als der ideologische Kopf der Stiftung gilt, und nach dem 11. September mit der Äußerung Schlagzeilen machte: "Die Terroranschläge in New York sind die Strafe Gottes für das Treiben von Frauenrechtlern, Homosexuellen und Abtreibungsbefürwortern!"

Auch der Sohn des Predigers Billy Graham, Franklin Graham, die Studentenorganisation Campus Crusade for Christ International sowie eine Jugendhilfeorganisation namens Teen Challenge World Wide Network, die dem Gedanken sexueller Keuschheit verpflichtet ist, die Männergemeinschaft Promis Keepers (gegründet von Bill McCartney, dem früheren Football-Trainer der University of Colorado), die Heilsarmee und Chuk Colson, ein Gefängnisprediger, lassen sich von dieser Firma vertreten.

Das Spendenaufkommen der Zeit von 1992 bis 1997 in Höhe von 40 bis 60 Millionen Dollar wurde vor allem für die Anti-Abtreibungskampagne verwendet. Aber auch die National Coalition Against Pornography und der Campus Crusade For Christ wurden aus dem Spendentopf bedient.

Der Berater der DeMoss-Stiftung Philip Dusenberry, Chef einer Werbeagentur (BBDO), hat 1984 auch für Reagans "Morning in America" gearbeitet. Als die Stiftung 1992 in einer ähnlichen Kampagne wie jetzt in Deutschland für Kraft zum Leben warb, enthüllte das Magazin Forbes, dass das Werberteam der Stiftung aus ehemaligen Reagan-Beratern bestand. Nancy Reagan lud DeMoss und die Reichen und Mächtigen der Region gelegentlich in ihr Domizil bei Palm Beach ein. Gastredner sei jeweils ein Redner des christlichen Fundamentalismus gewesen.

Bob Boston von der amerikanischen Bürgerrechtsorganisation sagt in Bezug auf die DeMoss-Stiftung, "dass sie einige besonders extreme Gruppen unterstützt habe, z. B. die sogenannte Plymouth Rock Foundation. Diese Organisation zeichnet sich dadurch aus, dass sie eine Art von alttestamentarischem Recht in den USA verankern will. Nach ihrem Willen müssen Frauen sich den Männern unterordnen und sollen ihnen in ihrer Arbeit für Staat, Wirtschaft und Politik dienend zur Seite stehen. "Diese Organisation ist im Großen und Ganzen eine christlich fundamentalistische Ausgabe der Taliban für Amerika."

Zu den bevorzugten Nutznießern von DeMoss-Geld zählt auch das "Amerikanische Zentrum für Ordnung und Recht", das ebenfalls gegen Schwulen- und Lesbenehen kämpft, Abtreibungsgegner verteidigt und Schulprediger fördert. Die Stiftung verteilt im Jahr rund 100 Millionen Euro, und sie spendierte etwa neun Millionen Dollar für eine Kampagne, die Jugendliche von vorehelichen Sex abhalten soll ("You're worth waiting for").

Wie verhängnisvoll derartige "Lehren" sind, wurde auf tragische Weise an der texanischen Mutter Andrea Yates deutlich, die ihre fünf Kinder ertränkte, gerade weil sie derartige "Familienwerte" bewusst gelebt und verinnerlicht hatte, wie sie die christliche Rechte fordert.

Andrea Yates und ihr Ehemann waren Anhänger einer äußerst fundamentalistischen Sekte. Die Sektenführer Michael und Rachel Woroniecki hatten die psychisch kranke Frau in Briefen mit ihrer reaktionären Botschaft geradezu bombardiert und ihr im wahrsten Sinne des Wortes die Hölle heiß gemacht. "Sie glaubte, dass die Kinder im Höllenfeuer gefoltert und vernichtet werden würden, wenn sie sie nicht töten würde", erklärte eine Ärztin, die sie behandelt hatte.

Andreas Ehemann, ein bei der Weltraumbehörde beschäftigter Ingenieur, erklärt sich ihre Tat so: "Der Teufel schleicht herum und sucht jemanden zu vernichten... Andrea war schwach, da hat er sie angegriffen." Der Prozess erinnerte in weiten Teilen einem Hexentribunal. Die Tatsache, dass alle Argumente der Verteidigung und der psychiatrischen Gutachter auf taube Ohren stießen und Andreas Yates wie eine gesunde voll zurechnungsfähige Person verurteilt wurde, wirft ein grelles Licht auf das gesellschaftliche Klima, in dem solche Hirngespinste gedeihen und Personen mit diesen für zurechnungsfähig erklärt werden.

Die extrem reaktionäre Politik der Bush-Administration und die Verunsicherung vieler Menschen nach den Terroranschlägen des 11. September letzten Jahres haben offensichtlich die Urheber der Kampagne für die Verbreitung des Buches Kraft zum Leben dazu ermutigt, ihre Aktivitäten auf Europa auszudehnen.

Siehe auch:
Texanische Mutter ertränkt ihre Kinder: Andrea Yates und die "Familienwerte"
(11. Juli 2001)
Jesse Helms' Rücktritt aus dem US-Senat
( 5. September 2001)