Urteil des Heidelberger Landgerichts:

Angebliches "Terrorpaar" plante keine Anschläge

Das Heidelberger Landgericht hat das vermeintliche "Terrorpaar" vom Vorwurf freigesprochen, Bombenanschläge auf US-Einrichtungen und die dortige Innenstadt geplant zu haben. Die Strafkammer verurteilte die beiden Angeklagten dennoch wegen anderer Delikte.

Kurz vor dem 11. September 2002, dem ersten Jahrestag der Terroranschläge in New York, hatte die Polizei den 25-jährigen Osman P. und seine damals 22-jährige deutsch-amerikanische Freundin Astrid E. festgenommen. Der Fall sorgte für internationale Schlagzeilen. Der baden-württembergische Innenminister Thomas Schäuble (CDU), ein Bruder des früheren Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble (ebenfalls CDU), verkündete, beide hätten schwere Sprengstoffanschläge in der Heidelberger Innenstadt und gegen amerikanische Militäreinrichtungen geplant. Ihr Motiv sei islamisch-fundamentalistisch begründeter Anti-Amerikanismus und Antisemitismus gewesen.

Weil der angebliche religiöse Hintergrund für alle, die Osman P. kannten, mehr als überraschend kam - Besucher der örtlichen Moschee kannten ihn nicht und Arbeitskollegen beschrieben ihn als allgemein "westlich orientiert", auch in seinem Essverhalten - wurde dies als perfide Tarnung der "Terroristen" dargestellt. Ein in der Wohnung des Paares gefundenes Bild von Osama Bin Laden rundete das Gesamtbild ab.

Die Washington Post schrieb damals, islamische Terroristen hätten den "schwersten Anschlag auf eine US-Auslandseinrichtung seit dem 11. September" geplant. Der bayerische Innenminister Günther Beckstein und der damalige Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (beide CSU) nahmen dies zum Anlass, ihre Forderungen nach einer weiteren Verschärfung der Ausländer- und Sicherheitsgesetze zu unterstreichen.

Die angeblichen Beweise lösten sich allerdings bereits wenige Wochen nach der Festnahme in Luft auf. Aus diesem Grund lehnte der für Terrorismus zuständige Generalbundesanwalt Kay Nehm die Übernahme des Falles ab. Aus den "130 Kilogramm Sprengstoff" (Thomas Schäuble) wurden schließlich knapp 400 Gramm Schwarzpulver, mit denen Osman P. "Böller" bauen wollte. Mit den anderen gefundenen "Bombenbauteilen" - einigen Rohren und Verschlussklappen - hätte laut Expertenmeinung ein kleines Loch in einer Wiese gesprengt werden können.

Obwohl die Beweislage gegen das junge Paar mehr als dürftig war, wurden sie acht Monate lang im berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis in Stuttgart-Stammheim inhaftiert. Demokratische Grundsätze wie die Unschuldsvermutung und die Verhältnismäßigkeit der Mittel wurden außer Kraft gesetzt. Die Verteidigerin des türkischen jungen Mannes erhob deshalb in ihrem Plädoyer schwere Vorwürfe gegen Innenminister Thomas Schäuble. Der 25-Jährige und seine Freundin seien behandelt worden wie "Top-Terroristen". "Von höchster politischer Ebene hat es eine Vorverurteilung gegeben." Schäuble wies diese Kritik zurück. Das Beweismaterial sei damals eindeutig gewesen, behauptete er wider besseren Wissens.

In seinem Urteil erklärte der leitende Richter Edgar Gramlich letzte Woche, Verbindungen zu Al Qaida hätten nicht nachgewiesen werden können. Ein Bild des Al Qaida-Führers Bin Laden oder selbst Sympathien für diesen bedeuteten nicht, dass man auch Terrorakte plane. Staatsanwalt Jörg Richter hatte diesen ursprünglichen Anklagepunkt bereits in seinem Plädoyer fallen gelassen, nachdem in der Woche zuvor die Hauptbelastungszeugin ihre Aussage in wesentlichen Punkten zurückgenommen hatte. Das Landgericht setzte daraufhin den Haftbefehl gegen Astrid E. außer Vollzug.

Die eigens aus den USA angereiste Zeugin Cristie A. hatte den Fall im Juli 2002 ins Rollen gebracht. Sie hatte sich per E-Mail beim amerikanischen FBI mit der Botschaft gemeldet: "Ich habe Informationen über eine moslemische Person, die eine Bombe bauen will." Vor dem Landgericht widerrief die Hauptbelastungszeugin jedoch ihre frühere Aussage, wonach es konkrete Vorhaben für Anschläge gegeben habe.

Sie hatte damals behauptet, das Paar plane Terrorakte in Heidelberg. Als Ziele nannte sie den Ermittlern die Innenstadt und zwei US-amerikanische Einrichtungen. Als Zeugin vor dem Heidelberger Landgericht äußerte sich die 21-jährige Studentin anders. Ihre "enge Freundin" Astrid E. habe zwar erzählt, ihr Verlobter Osman P. horte Chemikalien, um eine Bombe zu bauen. Für welchen Zweck habe sie jedoch nicht gesagt. Die Freundin habe nur "Andeutungen" über mögliche Anschläge in Heidelberg gemacht und gesagt, ein amerikanisches Geschäft wäre ein "guter Ort für eine Bombe". Zudem habe Astrid E. Osama bin Laden als "von Gott gesandten Engel" bezeichnet und den Anschlag vom 11. September gut geheißen, behauptete die Studentin. "Ich habe es so verstanden, dass es beide machen", verteidigte sie sich.

Die Verteidigerin von Osman P., Andrea Combé, nannte die abenteuerlichen Schlüsse der Zeugin ein "Gedankenkonstrukt", das sie sich "zusammengesponnen" habe. Man muss hinzufügen, dass dieses "Gedankenkonstrukt" durch die teilweise hysterischen Kampagnen gegen den internationalen Terrorismus ermutigt wurden, mit denen die Regierungen überall auf der Welt den Abbau demokratischer Rechte und weltweite militärische Raubzüge rechtfertigten.

Staatsanwalt Jörg Richter gestand "deutliche Widersprüche" zu den früheren Aussagen der Kronzeugin ein. Deren Aussagen vor Gericht machten deutlich, dass sowohl die Anklage als auch die achtmonatige Inhaftierung der beiden Beschuldigten nicht gerechtfertigt war. Richter Gramlich versuchte diese für die Ermittlungsbehörden peinliche Situation mit folgender Einschätzung zu retten: "Die Zeugin war subjektiv davon überzeugt, dass etwas Böses geplant war." Das sei aber eine Fehlinterpretation gewesen.

Der Schluss liegt nahe, dass Richter Gramlich die beiden Angeklagten schließlich wegen geringer Delikte zu Haftstrafen verurteilte, um die unverhältnismäßig lange Untersuchungshaft nachträglich zu rechtfertigen.

Er befand den Hauptangeklagten für schuldig, gegen das Sprengstoffgesetz verstoßen zu haben. Zudem wurde er wegen Diebstahls von Chemikalien bei seinem Arbeitgeber und wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Gesamthaftstrafe von 18 Monaten verurteilt. Die Höhe der Strafe erklärte der Richter mit dem umfangreichen Vorstrafenregister des 25-Jährigen. Dies hat für Osman P. fatale Folgen. Da er bei seiner Festnahme eine Bewährungsstrafe verbüßte, droht ihm nun die Ausweisung in die Türkei, die der in Deutschland Geborene nur aus dem Urlaub kennt.

Seiner inzwischen 23-jährigen Freundin Astrid E. konnte überhaupt kein Vergehen nachgewiesen werden. Dennoch wurde sie zu einer Haftstrafe von sechs Monaten verurteilt, weil sie vorhatte (!) Cannabis anzubauen. In ihrer Wohnung waren zehn Hanf-Samen gefunden worden, mit denen sie nach eigener Aussage eine Cannabis-Plantage anlegen wollte, um einen geplanten Umzug in die Vereinigten Staaten zu finanzieren. Die von der Verteidigung geforderte Entschädigung für die Zeit in Untersuchungshaft, die über die verhängte Strafe hinausging, wurde vom Gericht nicht gewährt.

Siehe auch:
Geplanter Terroranschlag von Heidelberg entpuppt sich als Hirngespinst
(18. Oktober 2002)
Der Staat rüstet auf
( 21. September 2002)
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