Österreich

Trotz Massenprotesten beschließt Regierung Rentenkürzungen

Ungeachtet der Streiks und Protestaktionen - die größten der letzten 50 Jahre - setzte die rechts-konservative Regierung unter Kanzler Wolfgang Schüssel am Mittwoch letzter Woche im Parlament massive Einschnitte im Rentensystem durch.

Bereits Anfang Mai protestierten über eine halbe Million gegen die geplanten Rentenkürzungen und Dienstag vergangener Woche beteiligten sich sogar über eine Millionen Menschen. Dazu aufgerufen hatte der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB).

Gestreikt wurde am 3. Juni in ganz Österreich in über 18.000 Betrieben. Mehr als eine Viertel Millionen Menschen im Öffentlichen Dienst legten die Arbeit nieder. In Wien blieben alle 367 Kindergärten geschlossen, ebenso ein Großteil der Schulen und Universitäten.

In den Kliniken wurde nur eine Notversorgung geleistet und die Ärzte, die dort Dienst taten, zeigten sich durch das Tragen von Aufklebern und das Aufstellen von Schildern solidarisch mit den Streikenden und Demonstranten. Wie bereits im Mai kam der öffentliche Verkehr in den Großstädten weitgehend zum erliegen. Auch in allen großen Industriebetrieben beteiligten sich erneut viele Arbeiter an flächendeckenden Protesten.

Nach dem Streik Anfang Mai hatten sich Regierung, Opposition und die Sozialpartner (Gewerkschaften und Arbeitgebervertreter) an einem "Runden Tisch" getroffen um über einen Kompromiss zu beraten. Dabei konnten die Vertreter von Opposition und Gewerkschaften der Regierung allerdings nichts konkretes abringen. Die Reform ist noch genauso unsozial wie vorher und belastet jüngere Arbeiter und geringe Einkommen.

Die zentralen Punkte sind die generelle Abschaffung der Frührente, die Absenkung des sogenannten Steigerungsbetrags - ein Versicherungsjahr ist damit für die Rentenberechnung weniger wert - und eine Ausdehnung des Berechnungszeitraums. In Zukunft werden nicht die besten 15 Jahre der Beitragszahlung als Grundlage für die Rentenberechnung herangezogen, sondern die letzten 40 Arbeitsjahre, wodurch die Jahre mit geringerem Einkommen stärker ins Gewicht fallen.

Alle Änderungen die nach den Verhandlungen als Abfederung und Zugeständnis an die Bevölkerung verkauft wurden sind rein kosmetischer Natur und kommen kaum zum tragen. So sollen die Verluste, die durch die Kürzungen entstehen auf "nur" 10 Prozent beschränkt werden. Allerdings gilt dies nur für die über 35-jährigen. Alle Jüngeren müssen weiterhin mit Kürzungen bis zu 20 Prozent und mehr rechnen. Für Schwerarbeiter sollen die Kürzungen weniger gravierend sein, allerdings sind diese Ausnahmen an Bedingungen geknüpft, die nur von sehr wenigen erfüllt werden.

Die Armutskonferenz, ein Bündnis von verschiedenen Wohlfahrtverbänden, kirchlichen und gewerkschaftlichen Organisationen und Bürgerinitiativen, kritisierte die Rentenkürzungen der Regierung mit scharfen Worten. Ohne eine garantierte Mindestrente führten die Rentenkürzungen zu Altersarmut. Sozialexperten warnten davor, dass sich die Anzahl von derzeit 98.000 Rentnern, die in akuter Armut leben durch die Entscheidungen der Regierung weiter ansteigen werde.

Nach Berechnungen der Armutskonferenz würden bereits 1 Milliarde Euro ausreichen, um die gröbsten Lücken im sozialen Netz zu schließen. Im Vergleich dazu belaufen sich die Kosten für die Anschaffung von 18 Eurofightern, die parallel zu den Rentenkürzungen beschlossen wurde, auf fast 2 Milliarden Euro.

Der Vorschlag, dass Renten unter 1.000 Euro generell von Kürzungen verschont werden, wurde von der Regierung abgelehnt. Statt dessen wurde ein sogenannter Härtefond für niedrige Pensionen eingerichtet. Bezieher von Niedrigrenten sollen dadurch die Möglichkeit erhalten, über ein Ansuchen an das Bundessozialhilfeministerium eine Einmalzahlung als Ausgleich zu erwirken. Auf diese Bezüge besteht allerdings kein Rechtsanspruch. Sie sind ein reiner Gnadenakt der zuständigen Ministerien und an sehr hohe Voraussetzungen gebunden. Beispielsweise müssen 30 Beitrags- oder 40 Versicherungsjahre nachgewiesen werden, was Frauen mit langen Erziehungszeiten in der Regel ausschließt.

Darüber hinaus müssen sich alle Anspruchsberechtigten ein Budget von maximal 18 Millionen Euro teilen. Würden alle Betroffenen sich melden und einen Entschädigungsantrag stellen, würde nach Schätzungen der Arbeiterkammer jeder Einzelne eine Einmalzahlung von etwa 500 Euro erhalten, was nicht einmal die Pensionseinbußen im ersten Jahr ausgleichen würde. Bei einer Pensionsdauer von 20 Jahren bedeutet das umgerechnet einen Ausgleich von 2 Euro pro Monat.

Hinzu kommt, dass diese massiven Einschnitte, die jetzt so hektisch verabschiedet werden, erst der Anfang sind. Nach Regierungsplänen sollen die Renten in diesem Jahr auch noch "harmonisiert" werden. Darunter ist das Angleichen aller Renten auf dem niedrigsten Niveau zu verstehen. Dazu gehört die Anhebung des Rentenalters für Beamte auf das der Arbeiter, sowie die Kürzung ihrer Renten auf das ebenfalls niedrigere Niveau der Arbeiter-Renten. Längerfristig ist sogar vorgesehen für Männer und Frauen ein einheitliches, höheres Pensionsalter festzulegen.

Diese "Harmonisierung der Renten" ist eine alte Idee der Freiheitlichen, die nicht nur von der Regierung, sondern auch von Sozialdemokraten aufgegriffen wurde. SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer erklärte gegenüber dem Sender ORF : "Pensionssicherung ist von einer Harmonisierung der Pensionssysteme nicht zu trennen. Beschließen wir am selben Tag im Nationalrat die Pensionssicherung und die Harmonisierung, das wäre eine glaubwürdige Reform."

Unter den österreichischen Arbeitern nimmt die Wut und Empörung über die Angriffe auf die Renten deutlich zu. Das Nachrichtenmagazin profil zitierte einen Betriebsratsvorsitzenden der Elin-Werke in der Steiermark. Er bezeichnete die Lage unter den 2.000 Arbeitern als "kritisch", da die gesamte Belegschaft zum Streik bereit sei. Der Vorsitzende der Postbus-Gewerkschaft, Robert Wurm, sprach in Bezug auf die Pläne der Regierung sogar von der Möglichkeit eines Generalstreiks.

Die Gewerkschaften dagegen versuchen zu lavieren und wollen die Proteste auf symbolische Aktionen in den Betrieben beschränken. Gleichzeitig lassen die Spitzenfunktionäre der Gewerkschaften, die eng mit der Sozialdemokratischen Partei verflochten sind, keine Gelegenheit aus, um ihren Willen zur Zusammenarbeit mit der Regierung zu bekunden und ihre eigenen Vorschläge für Rentenkürzungen anzubieten.

ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch betonte erneut, dass sich der Streik nicht gegen die Regierung richte, sondern nur gegen einzelne Maßnahmen von ÖVP und FPÖ. Lieber heute als morgen würden die Gewerkschaftsführer ihren Widerstand als beendet erklären.

Verzetnitsch deutete bereits nach dem letzten Streik ein Ende des Widerstands an. Er erklärte, dass der ÖGB eine demokratische Entscheidung des Parlaments respektieren werde. Der Chef der konservativen Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes (GÖD) Fritz Neugebauer, der auch ÖGB-Vize ist, sprach sich sogar für die Reform aus.

Wie die sozialdemokratische Opposition haben auch die Gewerkschaften sich vor allem auf die Konflikte in der Regierungskoalition verlassen. Sie hatten darauf gehofft, dass der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider (FPÖ) aus populistischen Gründen gegen die Reform Stimmung machen werde. Doch kurz vor der Abstimmung hat Haider die Reformvorschläge als "in der Summe gut" befunden und seine bisherige Opposition gegen die Kürzungen eingestellt.

Die politischen Folgen liegen auf der Hand. Vieles spricht dafür, dass Jörg Haider seine Zustimmung an die Bedingung geknüpft hatte, den Vorsitz der Freiheitlichen wieder zu übernehmen, was schon in den nächsten Wochen stattfinden könnte. Ob er auch ein Regierungsamt oder gar den Posten des Vize-Kanzlers anstrebt, den der gegenwärtige FPÖ-Vorsitzende Herbert Haupt inne hat, lies Haider offen.

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