Antiglobalisierungstreffen auf dem Larzac wirft französische Linke in die Krise

Die enorm hohe Beteiligung an der Versammlung der Altermondialisten im August auf dem Larzac, wo sich bis zu 300.000 Menschen trafen, unterstreicht die Isolation der französischen Regierung von Premier Jean-Pierre Raffarin. Das rechte Regime, bei den Wahlen im Juni letzten Jahres mit einer komfortablen Mehrheit ausgestattet, sieht sich gleich an mehreren Fronten mit der wachsenden Opposition der Bevölkerung konfrontiert.

Die große Beteiligung hat auch die Krise der offiziellen französischen Linken zum Siedepunkt gebracht. Das Treffen machte deutlich, was für ein großes politisches Vakuum links von der französischen Sozialistischen Partei (PS) existiert. Seine Organisatoren gaben ihre ursprünglichen Positionen aber schnell auf und signalisierten ihre Bereitschaft zu einer Rechtswende.

Das Larzac-Treffen war in erster Linie von zwei linken Organisationen initiiert worden, von Attac und der Confédération Paysanne (Bauerngewerkschaft) unter Führung des Aktivisten José Bové, der durch die Demontage eines McDonald-Restaurants im südfranzösischen Millau Berühmtheit erlangt hatte. Die Versammlung zog Hunderttausende Teilnehmer nach Larzac im Süden des Zentralmassivs und deckte so den Abgrund auf, der zwischen der französischen Regierung und der Bevölkerung existiert. Ein Organisator erklärte: "Die Leute haben sichtbar Lust, zusammenzukommen, um die Bilanz des Vergangenen zu ziehen und die Zeit nach den Ferien vorzubereiten."

Diese Stimmung wurde durch die jüngsten Ereignissen in Frankreich verstärkt - durch die sträfliche Gleichgültigkeit und die Pfennigfuchserei, mit der die Regierung auf die Hitzewelle reagierte, die über 10.000 Todesopfer forderte, und die Vorenthaltung eines Teils des Gehalts für die Lehrer, die am Ende des vergangenen Schuljahrs gestreikt hatten. Die gemäßigt linke Tageszeitung Le Monde schrieb: "Die sozialen Spannungen vom Frühjahr haben nicht abgenommen - weit davon entfernt."

Die Themen des Larzac-Treffens und seine regierungsfeindliche Atmosphäre stellen nicht nur für die französische Rechte eine Bedrohung dar, sondern auch für die Sozialistische Partei, die in der Zeit von 1997-2002 unter Premierminister Lionel Jospin ebenfalls ein reaktionäres Privatisierungs- und Sparprogramm durchsetzte. Während der Streiks und Demonstrationen vom Mai-Juni 2003 gegen Raffarins Rentenpläne hatte sich die PS selten blicken lassen, und wo immer PS-Abgeordnete auftauchten, wurden sie laut ausgebuht. Auf dem Larzac-Treffen äußerte sich diese Stimmung im Abbau eines Infostandes und Büchertischs der PS durch eine Gruppe von Konferenzteilnehmern.

Diese Entwicklungen verstärkten die Befürchtungen der PS-Führung, dass eine organisierte Bewegung oder "radikale Kraft" links von ihr entstehen könnte. Am 11. August rühmte der PS-Vorsitzende, François Hollande, die Larzac-Konferenz für ihren "Beitrag zur Erneuerung der Linken", kritisierte jedoch gleichzeitig die Confédération Paysanne wegen "gefährlichen populistischen oder poujadistischen Auswüchsen" - eine Anspielung auf den rechts-populistischen Demagogen Pierre Poujade, dessen Bauern- und Ladenbesitzer-Bewegung in den fünfziger Jahren zu gewaltsamen Protestaktionen neigte. Hollandes Kommentar wurde allgemein als Angriff auf Bové und seine Taktik des "öffentlichen Ungehorsams" aufgefasst.

Andere prominente PS-Führer aus allen Lagern der Partei - die rechten Marktwirtschaftler Henri Weber und Gaëtan Gorce, Jean-Christophe Cambadélis aus der Parteimitte und der etwas "linkere" Vincent Peillon, um nur einige zu nennen - machten Erklärungen oder gaben den großen Zeitungen Interviews, in denen sie politische Gruppen links der PS attackierten. Le Monde kommentierte: "Das politische Ziel der Sozialisten ist jetzt klar: sie wollen sich in der ‚sozialen Bewegung’ [der Proteste gegen die Sparpolitik der Raffarin-Regierung] verankern, aber gleichzeitig jede Radikalisierung von links außen unterbinden."

Die PS ist zwar gar nicht in der Lage, in der sozialen Bewegung Fuß zu fassen, die Ausdruck der Feindschaft der Bevölkerung gegen die Sparpolitik sowohl der Rechten als auch der PS ist, doch macht sie sich seit einiger Zeit ernstlich Sorgen über das Entstehen einer Massenpartei links von ihr.

Ein Artikel in der rechten Tageszeitung Le Figaro vom 2. August enthielt den folgenden denkwürdigen Kommentar bezüglich der Haltung der PS-Führung zur Kommunistischen Partei (PCF): "Das Überleben der KPF ist für die sozialistische Führung die beste Verteidigung gegen das Auftauchen einer ‚radikalen Gruppe’ um die äußerste Linke herum. ‚Durch ihre Existenz verhindert die KPF das Entstehen einer strukturierten, der PS dauerhaft feindlichen Gruppe’, sinnierte Jean-Christophe Cambadélis. Daraus folgert Cambadélis, der Schöpfer des Konzepts der Mehrheitslinken [der PS-KPF-Grünen-Koalition, die unter Jospin die Regierung stellte], wie wichtig es sei, ‚die KPF niemals zu verlieren’."

Der Niedergang der französischen Stalinisten, von denen in der Nationalversammlung nur noch ein Rumpf übrig ist, erfüllt das gesamte politische Establishment mit Sorge. Die herrschende Elite Frankreich und ihre politischen Handlanger brauchen dringend eine neue "linke" Barriere gegen eine unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse.

Die verschiedenen radikalen Gruppen, die von der PS als Bedrohung angesehen werden - Attac, die Confédération Paysanne und die pseudo-trotzkistische Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) - reagierten mit versöhnlichen Signalen gegenüber den rechten Sozialdemokraten. Dazu gehört die Distanzierung von Bové in der Führung der Confédération Paysanne und Attac, obwohl seine Popularität massiv dazu beigetragen hat, dass diese Organisationen Kapital aus der Opposition gegen die Raffarin-Regierung schlagen konnten.

Am 10. August, dem letzten Tag des Larzac-Treffens, kündigte Bové an, 2004 seinen Posten als Sprecher der Bauerngewerkschaft räumen zu wollen. Neben einem durchsichtigen Hinweis auf Amtsmüdigkeit begründete Le Monde Bovés Rücktritt mit der "Feindschaft" der Confédération Paysanne "gegen den Personenkult und eine entsprechende Konzentration auf die Meiden, der sie misstraut". Es ist schwer, diese Erklärung mit der Realität in Einklang zu bringen, verdankt doch die Bauerngewerkschaft ihre Publizität vorwiegend Bovés medienwirksamen Angriffen auf McDonald’s und genmanipuliertes Saatgut sowie der Kultivierung von Bovés Image als Verteidiger des kleinen Mannes in der Presse.

Niemand hat eine glaubwürdige Erklärung dafür, warum die Confédération Paysanne auf einmal auf ihren prominentesten politischen Vertreter verzichtet, aber ein Zusammenhang damit, dass die PS ihn zunehmend als unerwünscht betrachtet, ist nicht zu übersehen.

Am 18. August veröffentlichte Jacques Nikonoff, Attac-Präsident und ehemaliges KPF-Mitglied, einen Artikel in der Tageszeitung Libération, in der er "die Großsprecherei, die Gewalt, das Gehabe und das Sektierertum, die für die extreme Linke charakteristisch sind," kritisierte. Die Erklärung wurde von Attac-Mitgliedern als Kritik an Bové aufgefasst sowie an Attac-Leuten, die auch der LCR angehören. Kurz danach kündigte Attac an, dass Bové, ein Gründungsmitglied der Organisation, nicht an ihrer Sommerschule teilnehmen werde, zu der er früher immer eingeladen worden war.

Nikonoffs Erklärung vom 18. August in Libération ist ebenso wie ein Interview, das er am 22. August Le Monde gab, Teil eines Manövers, das Attac näher an die PS rücken und generell jede ernsthafte Opposition gegen die kapitalistische Sparpolitik der Rechten und der bürgerlichen Linken diskreditieren soll.

Nikonoff machte deutlich, dass Attac seiner Meinung nach dafür sorgen muss, dass die PS in der Wählergunst nicht zu tief sinkt. Deshalb dürfe Attac nicht zu viele soziale Forderungen aufstellen, die unvermeidlich die Sozialisten diskreditieren würden, weil sie nicht fähig wären, sie zu erfüllen. Im Interview mit Le Monde sagte er: "Es ist paradox, aber durch unsere Aktivitäten bestärken wir die Erwartungen, die die Öffentlichkeit in die politische Klasse setzt, auch in die Linken. Diese Erwartungen werden dann systematisch nicht erfüllt. [Der rechte Präsident] Jacques Chirac, der Sympathie für die Anti-Globalisierungs-Bewegung zeigt, versucht damit in Wirklichkeit die PS langfristig zu schwächen. [...] Dies ist ebenfalls eine politische Realität, der wir Rechnung tragen müssen."

Nikonoff sagte Le Monde, er wolle, dass "Attac unabhängig bleibt und ein übermäßig linkslastiges Erscheinungsbild ablegt, das überhaupt nicht zu dem passt, was wir wirklich sind". In seinem Artikel in Libération greift Nikonoff jene an, die den Bücherstand der PS im Larzac demontierten, und rief Attac ominös dazu auf, "ein internes Schutzsystem aufzubauen, um kleine Gruppen davon abzuhalten", Attac-Mitglieder oder Sympathisanten zu manipulieren.

Als Le Monde Nikonoff nach seiner Ansicht über die Streiks gegen die Renten-"Reform" der letzten Monate fragte, wiederholte der Attac-Führer die rechte Linie, laut der die Arbeitsniederlegungen gescheitert seien, weil die Streikenden den Forderungen der Regierung nicht sofort nachgegeben hätten. Er schrieb ihr Scheitern zum Teil dem schlechten Bild in der Öffentlichkeit zu, das durch die "Drohung" der Lehrer, "das Abitur nicht abzunehmen" entstanden sei. In Wirklichkeit hatte die Lehrergewerkschaft mit der Entscheidung, die Abiturprüfungen durchzuführen, die wichtigste Waffe aus der Hand gegeben, die die Lehrer im Kampf gegen die Regierung hatten. Die Entscheidung war ein Wendepunkt, an dem die Bewegung zu bröckeln begann.

Eine weitere Äußerung Nikonoffs weist darauf hin, dass führende Kreise von Attac langsam selbst merken, dass die zentrale Grundlage ihres Programms hoffnungslos utopisch ist - die Erweiterung des Spielraums nationaler Regierungen für Reformen, indem internationale Finanztransaktionen besteuert werden (Tobin-Steuer). Er sagte Le Monde : "Wir müssen uns selbst fragen, ob eine Regierung heute, selbst wenn sie von den besten Absichten bewegt wäre und unsere Vorschläge übernähme, wirklich die Freiheit hätte, sie in die Praxis umzusetzen." Er führte Beispiele von Regierungen an - die Sozialisten unter François Mitterrand in Frankreich 1981-83 und Lulas Arbeiterpartei im heutigen Brasilien - die mit einem Programm nationaler Reformen zur Wahl angetreten waren und sich dann als unfähig erwiesen, dieses umzusetzen.

Weisen Nikonoffs Erklärungen darauf hin, dass führende Attac-Mitglieder bewusst auf eine Kapitulation vor der PS hinarbeiten, so zeigt die Reaktion führender LCR-Mitglieder auf Nikonoffs Erklärung und die allgemeine Offensive gegen die "extreme Linke", dass sie völlig unernsthaft und politisch bankrott sind.

Christophe Aguitton, ein Mitglied von Attacs internationaler Kommission und der LCR, machte im Figaro die entlarvende Bemerkung, Nikonoffs Libération -Artikel sei "politisch schlecht begründet". Seine rechte Tirade mache nicht deutlich, "welche prinzipiellen Meinungsverschiedenheiten er mit der radikalen Linken" habe. Die "radikale Linke" besteht aus drei pseudo-trotzkistischen Parteien - der LCR, Lutte Ouvrière (LO) und dem Parti des Travailleurs (PT). LO und PT haben sich bis jetzt von Attac ferngehalten.

Führende Mitglieder der LCR reagierten auf die verbale Offensive der PS mit Beschwichtigungsversuchen. Olivier Besancenot, der Präsidentschaftskandidat der LCR bei den Wahlen 2002, erklärte Le Monde : "Wir wollen nicht der Albtraum der Linken sein. [...] Heute müssen wir der PS sagen: Euer Problem ist nicht die radikale Linke, sondern eine machtvolle Rechte, die in der Offensive ist." Alain Krivine, der politische Führer der LCR, gab der PS Ratschläge, wie sie die radikale Linke daran hindern könne, populärer zu werden: "Die PS hat nur sich selbst die Schuld zuzuschreiben, wenn die radikale Linke populärer wird; alles, was sie tun muss, ist, ihre Politik zu ändern."

Diese Erklärungen zeigen, wie sehr die LCR und überhaupt die französische "radikale Linke", bereit ist, die politische Initiative aus der Hand zu geben und eine Übereinkunft mit der PS zu suchen. Sie bringen außerdem eine vereinfachte und verdrehte Ansicht der französischen Politik zum Ausdruck. Besancenots Behauptung, die diskreditierte Raffarin-Regierung, die sich auf die zutiefst zerstrittene Mehrheitspartei UMP stützt, sei eine "machtvolle Rechte", ignoriert völlig den wahren Zustand der öffentlichen Meinung in Frankreich. Die Rechte erscheint nur deshalb als mächtig, weil niemand in den Gewerkschaften, der politischen "Linken" oder der "radikalen Linken" in der Lage ist, ihr systematisch die Stirn zu bieten.

Die Reaktion der verschiedenen "linken" Gruppen auf die eindrucksvolle Resonanz, die Larzac in der Bevölkerung fand, hat eine objektive Bedeutung. Sie bewegen sich auf einem ganz anderen Kurs als die Masse der arbeitenden Bevölkerung Frankreichs. Trotz der wachsenden Abneigung gegen die PS, die sich in ihrer Wahlniederlage vom April und Juni 2002 und in ihrer Entfremdung von der sozialen Bewegung zeigt, strebt die "radikale Linke" in erster Linie danach, gute Beziehungen zu dieser diskreditierten Partei aufrecht zu erhalten. Gleichzeitig wird es für die "extreme Linke" immer schwieriger, diese Haltung mit einem "linken" Auftreten in der sozialen Bewegung in Übereinstimmung zu bringen. Die Reaktionen auf Larzac sind eine ernste Warnung an die französische Arbeiterklasse: die radikale Linke hat ihre Wahl zwischen dem diskreditierten "linken" Establishment und der unzufriedenen Bevölkerung, die Raffarin davon jagen will, getroffen.

Siehe auch:
Über eine Viertelmillion auf dem südfranzösischen Larzac: José Bovés Weg - eine Sackgasse
(22. August 2003)
Wie weiter in Frankreich?
( 5. Juli 2003)
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