NRW und Berlin planen Teil-Privatisierung des Strafvollzugs

Abschiebehaftanstalten als Testfall

In zunehmendem Maße suchen Bund, Länder und Kommunen nach Möglichkeiten kurzfristig Kosten einzusparen, indem staatliche Aufgaben privatisiert, d. h. an privatwirtschaftliche Unternehmen vergeben werden, die damit Profite erwirtschaften können. Dabei macht die Privatisierung auch vor sogenannten sicherheitsrelevanten und "hoheitlichen" Aufgaben nicht Halt. Nach angelsächsischem Vorbild soll jetzt auch die Gefängnisverwaltung privatisiert werden. Als "Testfall" gelten dabei offensichtlich die Abschiebehaftanstalten. Nach Nordrhein-Westfalen, wo es bereits praktische Erfahrungen gibt, gibt es jetzt auch im Berliner Senat derartige Pläne.

In den Abschiebehaftanstalten werden Menschen eingesperrt, die nicht freiwillig das Land verlassen wollen, in dem sie Zuflucht vor Verfolgung oder unerträglichen Lebensbedingungen in ihrer Heimat gesucht haben. Abschiebehaft in großem Ausmaß wurde im Zusammenhang mit der faktischen Beinahe-Abschaffung des Asylrechts 1993 eingeführt. Jährlich werden ungefähr 50.000 Menschen aus Deutschland abgeschoben, weil ihr Asylantrag abgelehnt wurde, weil ihre Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist oder sie ohne gültiges Visum ins Land gekommen sind.

Im Mai berichtete der Berliner Tagesspiegel, dass der Berliner Senat aus SPD und PDS den Einsatz privater Sicherheitsdienste für die Abschiebehaftanstalt Grünau prüfe und bereits nach geeigneten Sicherheitsdiensten suche. Diese sollten nicht nur den Außenbereich und den Einlass kontrollieren, sondern auch Aufgaben im Innenbereich des Abschiebegefängnisses übernehmen. Ziel sei es, das bisher eingesetzte Personal der Wachpolizei zu reduzieren und damit Personalkosten einzusparen.

"Hoheitliche Aufgaben" wie körperliche Zwangsmaßnahmen, Zellendurchsuchungen und Abschiebungen sollten allerdings weiterhin von der Polizei durchgeführt werden, erklärte der Innenstaatssekretär Ulrich Freise in Berlin. Es liegt auf der Hand, dass in der Praxis eine saubere Trennung kaum möglich sein wird.

Vorbild für die Pläne des Berliner Innensenators ist Nordrhein-Westfalen (NRW), das von einer rot-grünen Koalition regiert wird. Dort gibt es in der größten Abschiebehaftanstalt des Landes in Büren bereits seit mehreren Jahren eine Arbeitsteilung zwischen privaten Sicherheitsunternehmen und Justizvollzugsbeamten. In NRW ist die Abschiebehaft dem Justizministerium unterstellt.

Nach den letzten Hungerstreikaktionen von Berliner Abschiebehäftlingen Anfang des Jahres, die sowohl gegen die Existenz der Abschiebehaft als solche, als auch gegen die lange Dauer der Abschiebehaft und die Haftbedingungen protestierten, hatte sich der Berliner Polizeipräsident Glietsch in Büren über die dortigen Erfahrungen mit privaten Sicherheitsdiensten informiert. Jetzt sollen offenbar private Sicherheitsdienste verstärkt für den Objektschutz - die Bewachung von Gebäuden - eingesetzt werden. Allein dadurch will der Senat 14 Millionen Euro im Jahr einsparen.

Bemerkungen des Innenstaatssekretärs Freise deuten darauf hin, dass im Berliner Senat außer über die Teilprivatisierung der Abschiebehaft auch schon über weitergehende Maßnahmen wie den Einstieg in die Privatisierung der Berliner Gefängnisse nachgedacht wird. Freise wollte sich aber gegenüber dem Tagesspiegel dazu nicht eindeutig äußern, da für die Justizvollzugsanstalten die Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) zuständig sei.

Das ARD-Magazin monitor berichtete in seiner Sendung vom 28. August, dass im Landtag von Nordrhein-Westfalen die Privatisierung des allgemeinen Strafvollzugs längst beschlossene Sache sei. Im Oktober würden die Pläne den Landtag passieren. Schon 2004 soll es flächendeckend losgehen. Man wolle sparen an Beamten, Sozialarbeitern und Drogentherapeuten. Und: "Indem man beispielsweise in vielen Bereichen private Sicherheitsdienste, statt der Vollzugsbeamten, im Gefängnis einsetzt."

Der Justizminister von NRW, Wolfgang Gerhards (SPD), verspricht sich viel von der teilweisen Privatisierung des allgemeinen Strafvollzugs: Vor allem erhebliche Einsparungen öffentlicher Mittel. Auf kritische Nachfragen seitens der Redakteure von monitor berief sich der Justizminister auf die Erfahrungen mit privaten Sicherheitsdiensten in den Abschiebehaftanstalten in Nordrhein-Westfalen. Er sagte: "Es gibt sie schon, es gibt sie in unseren Abschiebehaftanstalten, insbesondere in der großen in Büren, in großem Umfang sogar, und wir sind dabei zu prüfen, nicht ob, sondern in welchem Umfang wir das auch im allgemeinen Strafvollzug machen können." Gerhards betonte, dass die Privatisierung des Strafvollzugs wirtschaftlich vernünftig sei. Die Angestellten von privaten Sicherheitsdiensten seien nicht nur billiger, sondern auch flexibler im Schichtdienst einsetzbar.

Werden diese Pläne der rot-grünen Landesregierung von NRW umgesetzt - und Justizminister Gerhards ist sich einer Mehrheit bei der Abstimmung im Landtag ganz sicher - bedeutet dies unter anderem die völlige Aufgabe des Ziels der Resozialisierung von Strafgefangenen. Das Ziel der Resozialisierung - eine der wenigen erfolgversprechenden Maßnahmen zur Eindämmung der Rückfallquote - ist in der Bundesrepublik laut Verfassung vorgeschrieben. Sie erfordert allerdings den Einsatz von qualifiziertem Personal in den Haftanstalten, wie Sozialarbeitern, Therapeuten, Ausbildern, um Gefangene für ein Leben nach dem Strafvollzug zu befähigen.

Praktisch wurde von diesem Ziel bereits in den letzten Jahren immer mehr abgerückt, da schon jetzt viel zu wenig Personal dafür zur Verfügung steht. Die Zustände in den Haftanstalten sind vielerorts katastrophal. Die Gebäude und sanitären Einrichtungen sind heruntergekommen. Viele Gefängnisse sind überbelegt. So gibt es in NRW zur Zeit 18.500 Untersuchungshäftlinge und Strafgefangene, obwohl landesweit nur 17.000 Plätze vorhanden sind. In den 37 Justizvollzugsanstalten und Nebenstellen sind etwa 6000 Beamte und 2200 Angestellte tätig. Sie schieben aufgrund der angespannten Personalsituation etwa 600.000 Überstunden vor sich her.

Die oftmals verzweifelte und scheinbar aussichtslose Situation drückt sich u.a. in der hohen Zahl von Selbstmorden von Gefangenen und Untersuchungshäftlingen aus. Seit 1995 hat es über 170 Selbstmorde in den Gefängnissen Nordrhein-Westfalens gegeben. Diese angespannte Situation wird sich durch die weitere Einsparung von qualifiziertem Personal und dem Einsatz von privaten Sicherheitsdiensten noch verschärfen. Viele Kritiker warnen daher vor "amerikanischen Verhältnissen" in deutschen Gefängnissen.

Die Reaktion der deutschen Behörden und Politiker, ob in Berlin oder anderswo, ist nicht die Abschaffung der Abschiebehaft und die Garantie rechtlicher Sicherheit für alle in Deutschland lebenden Menschen, sondern die Verschärfung ihrer Abschreckungspolitik. Das Bemühen, verstärkt private Sicherheitsdienste für die Drecksarbeit in Abschiebehaftanstalten, bei der Abschiebung und in Gefängnissen allgemein einzusetzen, um die Länderhaushalte zu entlasten, stellt erneut unter Beweis, dass die Politiker von SPD, PDS und Grünen genauso wie CDU/CSU und FDP keine andere Antwort auf soziale und politische Probleme haben außer verstärkter Repression.

Ein privates Sicherheitsunternehmen, das bereits die Verantwortung für mehrere Flüchtlingsunterkünfte und Abschiebehaftanstalten in Nordrhein-Westfalen übernommen hat, ist European Homecare mit Sitz in Essen. Seit Anfang des Jahres ist es in der Abschiebehaftanstalt in Büren tätig. Verträge mit dem Deutschen Roten Kreuz, das in der Vergangenheit mit der psycho-sozialen Betreuung der Abschiebehäftlinge betraut war, wurden von der NRW-Landesregierung gekündigt.

European Homecare ist auch verantwortlich für das größte Flüchtlingslager in Österreich in Traiskirchen. Dort kam es Anfang August zu einer Schlägerei zwischen Moldawiern und Tschetschenen, bei der ein 24 Jahre alter tschetschenischer Flüchtling ums Leben kam. European Homecare hatte im Juli das Lager übernommen. Ein Konsortium aus Rotem Kreuz, Caritas und Diakonie war vom Innenministerium in Wien aus Kostengründen abgelehnt worden. Eine Betreuung für kriegstraumatisierte Menschen fehlt im Lager Traiskirchen seither völlig.

Siehe auch:
Die Folgen der rotgrünen Flüchtlingspolitik
(2. August 2003)
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