Über 12.000 Menschen haben Anfang September in der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz gegen Pläne der Regierung protestiert, das größte österreichische Industrieunternehmen, den Stahlkonzern Voest-Alpine, zu privatisieren. Beschäftigte, Familienangehörige und Freunde bildeten eine "Menschenkette gegen den Ausverkauf". Auch in der Bundeshauptstadt Wien demonstrierten mehrere hundert Voest-Alpine-Beschäftigte, als die Staatsholding ÖIAG den Verkauf ihres Betriebes absegnete.
Die Reden von Sozialdemokraten, Gewerkschaftern und Betriebsräten auf den Protestversammlungen klangen allerdings ausgesprochen hohl. Denn erstens ist bekannt, dass die erste Phase der Privatisierung des Unternehmens von sozialdemokratisch geführten Regierungen eingeleitet wurde und die Betriebsräte zustimmten. Zweitens war es offensichtlich, dass die verbalen Anklagen der Sozialdemokraten und Gewerkschafter einzig und allein den Landtagswahlen geschuldet waren, die am 28. September im stark industrialisierten Oberösterreich und in Tirol stattfanden.
Während an der Wiener Börse nach der Ankündigung der Privatisierung die Sektkorken knallten und der Verkauf als "Meilenstein für den österreichischen Kapitalmarkt" gefeiert wurde, löste die Entscheidung unter den 14.500 Voest-Alpine-Beschäftigten Angst und Proteste aus. Sie befürchten eine deutliche Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen oder gar ihre Entlassung.
Insbesondere die Erinnerung an die Privatisierung des Reifenherstellers Semperit im Jahre 1985 wurde wieder wach. Der traditionsreiche öffentliche Betrieb wurde damals vom deutschen Continental-Konzern aufgekauft. Seither wurde die Produktion schrittweise verlagert und Arbeitsplätze abgebaut. Im vergangenen Jahr schloss das letzte Werk. Über 4.000 Beschäftigte wurden in diesen Jahren entlassen.
Noch lässt sich nicht genau sagen, wie viele Arbeitsplätze die Privatisierung von Voest-Alpine kosten wird. Doch die Art und Weise, wie sie bisher betrieben wurde, wirft ein deutliches Licht auf die enge Verflechtung und Zusammenarbeit zwischen Teilen der Wirtschaft und der rechts-konservativen Regierung.
Nachdem der ehemalige Staatsbetrieb bereits früher schrittweise privatisiert wurde, hielt die Staatsholding ÖIAG in den vergangenen Jahren noch 34,7 Prozent der Aktien in ihrem Besitz. Dieses Aktienpaket kommt nun auf den Markt. Die Regierung will sich zwar durch sogenannte Wandelanleihen weiterhin den Einfluss auf 15 Prozent der Aktien sichern, gibt aber die für eine Sperrminorität notwendigen 25 Prozent auf. Es wird davon ausgegangen, dass nach dem Börsengang europäische Großkonzerne, allen voran der deutsche Thyssen-Konzern, die Anteile erstehen und das Unternehmen ausschlachten werden, indem sie ausschließlich die profitablen Teile herauspicken.
Die Eile, mit der die rechts-konservative Regierung bei der Privatisierung vorging, kommt nicht überraschend. Regierung und Großaktionäre des Unternehmens fürchten die starke Konkurrenz osteuropäischer Stahlwerke, wenn im nächsten Jahr nach der EU-Erweiterung die Schranken für den Handel fallen. Im Börsenprospekt, der zum Verkaufstag der Aktien erschien, machte die ÖIAG darauf aufmerksam, dass die Konkurrenz aus Polen und Tschechien aufgrund niedrigerer Arbeitskosten das Linzer Unternehmen stark unter Druck setzen werde. Schon jetzt steht fest, dass die Unternehmensleitung die Löhne senken und die Arbeitsbedingungen verschärfen wird.
Eine entscheidende Rolle beim Verkauf spielte Finanzminister Karl-Heinz Grasser, ursprünglich Mitglied von Haiders FPÖ und nun parteilos. Er verkörpert jenen Typ des neoliberalen Politikers, der jedwede Art öffentlichen Eigentums, sei es auch in noch so beschränkter Form, als Beschneidung privater Bereicherung ansieht. Bei der Verfolgung seiner Ziele im Auftrag der Führungsetagen großer Unternehmen schreckt er vor nichts zurück, auch wenn er dabei über den Rahmen der Legalität hinausgeht.
Während seiner dreijährigen Amtszeit in der rechts-konservativen Regierung wurde Grasser mehrmals der Steuerhinterziehung, unerlaubter Geschenkannahme und des Amtsmissbrauchs beschuldigt. So hatte er die Ausschreibung für den Ankauf von Abfangjägern für die österreichische Luftwaffe zu Gunsten eines Konzerns manipuliert, in dem er ehemals als Manager tätig war. Dasselbe Unternehmen gilt übrigens auch als potenzieller Käufer der Voest-Aktien.
Ein "Verein zur Förderung der New Economy", in dem mehrere Kabinettsmitglieder sitzen, dient offenbar als Transmissionsriemen für Korruption und Vetternwirtschaft. So betreibt dieser Verein auch die private Homepage des Finanzministers, für deren Finanzierung allein die Industriellenvereinigung dem Verein nach eigenen Angaben 175.000 Euro hat zukommen lassen.
Laut einem Bericht des österreichischen Bundesrechnungshofes kam es auch bei der Vergabe von Vorstands- und Managementposten der ÖIAG zu massiven Verstößen rechtlicher Bestimmungen durch die Bundesregierung. Dem Bericht zufolge versuchten Grasser und die ÖVP-FPÖ-Regierung in unzulässiger Weise auf die Entscheidungen der ÖIAG Einfluss zu nehmen, um die rücksichtslose "Entstaatlichung" von Voest-Alpine schneller voranzutreiben.
Unter den zehn Kapitalvertretern im Aufsichtsrat der ÖIAG befinden sich auch Vorstandsmitglieder deutscher Firmen, u.a. von Allianz, Daimler-Chrysler und Rewe. Ihnen sitzen fünf Arbeitnehmervertreter gegenüber, die der Privatisierung nicht ernsthaft entgegentreten.
Die lautstarke Verurteilung der Verkaufspläne von Seiten der Sozialdemokraten und Gewerkschaften kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie selbst nicht anders handeln würden, wenn sie an der Regierung wären. Der ehemalige SPÖ-Finanzminister und Großindustrielle Hannes Androsch galt sogar lange Zeit als Kaufinteressent der Voest-Alpine-Aktien. Androsch zog sich dann zurück, als beschlossen wurde, dass nicht sofort die gesamten ÖIAG-Anteile verkauft werden.
Androsch ist die Personifizierung der Wirtschaftspolitik der SPÖ. Sozialdemokratisch geführte Regierungen haben in der Vergangenheit mit Unterstützung der Gewerkschaften die wirtschaftliche Deregulierung vorangetrieben. Sie tragen die Verantwortung dafür, dass eine rechte Regierung jetzt auf Kosten der Bevölkerung die letzten Reste staatlicher Unternehmen verschleudert.
Das Ende einer Ära
In kaum einem anderen kapitalistischen Land war die Wirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten in so hohem Maße verstaatlicht, wie in Österreich. Die drei großen Parteien - die konservative Volkspartei, die Sozialdemokraten und die Kommunistische Partei - überführten 1946 und 1947 mit zwei Verstaatlichungsgesetzen fast die gesamte österreichische Wirtschaft in Staatsbesitz. Gründe dafür waren zum einen, dass man der Beschlagnahmung von deutschem Eigentum durch die Besatzungsmächte zuvorkommen wollte, besonders in der sowjetisch besetzten Zone. Zum anderen sahen sich die regierenden Parteien gezwungen, der Arbeiterklasse im Interesse des sozialen Friedens Zugeständnisse zu machen, die Arbeitslosigkeit zu lindern und die schlechten sozialen Bedingungen zu verbessern.
Die Führungspositionen der staatlichen Betriebe wurden von den regierenden Parteien proporzmäßig besetzt. Bis in die 70er Jahre hinein entwickelte sich Österreich gerade auch durch die öffentliche Industrie zu einem der reichsten Länder in Europa mit einem relativ guten System sozialer Sicherung und einer geringen Arbeitslosigkeit. Die Sozialdemokratische Partei und die mit ihr eng verbundenen Gewerkschaften hatten in der öffentlichen Industrie ihre Hochburgen.
Dies änderte sich, als die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Widersprüche in den 70er und 80er Jahren zunahmen. Bereits Anfang und Mitte der 80er Jahre entließen die staatlichen Betriebe, besonders im Stahlbereich, mehr Personal als die Privatwirtschaft. Bei Voest-Alpine ging von 1980 bis 1985 die Zahl der Beschäftigten von 41.900 auf 38.100 zurück, während der Umsatz von 32,9 auf 46,9 Milliarden Schilling anstieg. Dies entspräche heute etwa einem Anstieg von 2,4 auf 3,4 Mrd. Euro. 1985 war nur noch etwa ein Fünftel der österreichischen Industrie öffentliches Eigentum. Davon gehörte ein Drittel zum Stahlsektor.
1987 war es dann die SPÖ, die den Weg für eine groß angelegte Privatisierung der verbleibenden Staatsbetriebe freimachte. Gemeinsam mit der ÖVP, mit der sie eine Koalitionsregierung bildete, arbeitete sie einen Privatisierungsplan aus. Noch im selben Jahr erfolgten dann die ersten Teilprivatisierungen. Betroffen waren u.a. der Erdölkonzern ÖMV, die Austrian Airlines und die Creditanstalt. Insgesamt haben durch die Privatisierung ehemals verstaatlichter Betriebe seit den 80er Jahren etwa 70.000 Menschen ihren Arbeitsplatz verloren.
Parallel zur Entstaatlichung nahm die Arbeitslosigkeit in der Alpenrepublik rasant zu. Die Arbeitslosenquote stieg von 1,9 Prozent im Jahr 1980 auf 7,1 Prozent 1997. Im letzten Jahr lag sie immer noch bei 6,9 Prozent, obwohl die Statistik durch Änderung der Zählweise mehrfach frisiert wurde. Vor allem Jugendliche sind immer stärker von Arbeitslosigkeit betroffen. 2002 stieg die Jugendarbeitslosigkeit um 12,8 Prozent.
Gleichzeitig entlastete die große Koalition von SPÖ und ÖVP ab Ende der 80er Jahre die privaten Unternehmen durch Steuervergünstigungen. Den Höhepunkt bildete die Steuerreform 1993, die faktisch die Gewerbe-, die Erbschafts- und die Spezialbankensteuer abschaffte. Österreich hat nun Vermögenssteuern, die weit unter dem EU-Durchschnitt liegen.
Um diese Steuergeschenke zu finanzieren, wurden Einschnitte im Renten-, Gesundheits- und Bildungssystem vorgenommen. Dies alles geschah mit voller Unterstützung der Gewerkschaften, die ihre Lohnforderungen an den Wünschen der Wirtschaft ausrichteten und jeden Protest gegen die Regierungspolitik aktiv unterdrückten.
Nachdem die Privatisierung der Voest-Alpine unter Dach und Fach ist, macht sich die ÖVP-FPÖ-Regierung - wie im Koalitionsvertrag angekündigt - daran, weitere Staatsunternehmen zu verschleudern. Das nächste Opfer der Privatisierungswelle wird voraussichtlich die Österreichische Bundesbahn werden. Finanzminister Grasser versucht derzeit mit fragwürdigen Zahlen über die staatlichen Subventionen der Bundesbahn Unterstützung für eine "Totalreform" des Unternehmens zu bekommen. Sein Ziel ist es, das österreichische Bahnsystem nach britischem Vorbild zu privatisieren.