Nach den Wahlen in Oberösterreich

Schwarz-Grün wird Realität

Nur drei Wochen nach den Landtagswahlen in Oberösterreich haben sich die Österreichische Volkspartei (ÖVP) und die Grünen auf eine Regierungsbildung geeinigt. Diese Entscheidung der Grünen wird auch auf Bundesebene ein Zusammenrücken beider Parteien beschleunigen.

Bei den Wahlen im drittgrößten Bundesland Österreichs hatten die Volkspartei und die rechtskonservative Freiheitliche Partei FPÖ, die auf Bundesebene die Regierungskoalition bilden, beide deutliche Verluste hinnehmen müssen und damit die Quittung für ständige Kürzungen im Sozialbereich erhalten. Die Sozialdemokraten der SPÖ und die Grünen konnten von der Unzufriedenheit der Wähler mit der Politik der Wiener Regierung profitieren.

Die Grünen überholten zum ersten Mal die FPÖ und wurden hinter SPÖ und ÖVP drittstärkste politische Kraft. Ihre Stimmenzuwächse resultierten zu einem nicht geringen Anteil aus der Hoffnung vieler Wähler auf ein Gegengewicht zur rücksichtslosen Politik der Regierung unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP). Dass nun die Grünen das Mandat der Wähler ignorieren und einen konservativen Ministerpräsidenten in den Sattel heben, zeigt ihren wahren politischen Charakter. Ähnlich wie ihre Schwesterpartei im Nachbarland Deutschland bieten sich auch die österreichischen Grünen als zuverlässige Stütze der bürgerlichen Herrschaft an.

Der Landesvorstand der Grünen einigte sich auffallend schnell mit der ÖVP. Um Proteste von Teilen der Parteibasis zu verhindern, wurde die Mitgliedschaft bis zum Abschluss der Verhandlungen über den Stand der Gespräche völlig im Unklaren gelassen. Grünen-Parteichef Alexander van der Bellen sprach sich ausdrücklich für ein schwarz-grünes Regierungsbündnis aus. Er gratulierte dem Landesvorsitzenden der Grünen in Oberösterreich, Rudi Anschober, zur Regierungskoalition mit den Konservativen und sprach ihm sein "vollstes Vertrauen" aus.

Der 42jährige Anschober, der bereits seit längerem als Befürworter einer Annäherung an die ÖVP gilt, ist charakteristisch für die Entwicklung der Grünen, nicht nur in Österreich. Der Sohn eines oberösterreichischen ÖVP-Stadtrats begann seine politische Laufbahn als Mitglied einer Bürgerinitiative gegen Atomkraft. Kurz nach der Katastrophe von Tschernobyl 1986 fühlten sich die späteren Grünen der Bürgerinitiativen insbesondere durch der Bau des Atomkraftwerks im benachbarten tschechischen Temelin bedroht.

Anschober trat den Grünen bei und schrieb unter anderem auch für die deutsche Tageszeitung taz. Sein Engagement begründete er damals mit einer "oft uninteressierten Politik, die die Interessen der Bürgerinnen und Bürger nicht ernst nimmt". Aufgrund seiner Jahre langen Aktivitäten in der Anti-AKW-Bewegung wurde Anschober 1990 für die Grünen in den Nationalrat gewählt und fungierte dort als deren atom- und sicherheitspolitischer Sprecher. 1997 zog er sich in die Landespolitik zurück, brachte die dortige Partei auf einen konservativen Kurs und zog erstmals in den Landtag ein.

Als Anschober Mitte Oktober gemeinsam mit Josef Pühringer, dem ÖVP-Ministerpräsidenten in Oberösterreich das erste Regierungsprogramm von Schwarz-Grün vorstellte, gab es zwischen den beiden kaum Differenzen. Zentraler Punkt sei eine "nachhaltige Finanzpolitik mit ausgeglichenem Haushalt", erklärten beide und ließen keinen Zweifel an ihrer Auffassung, dass es nur ein Mittel gebe den Haushalt zu sanieren: rigoroser Sozialabbau. Unter dem Schlagwort Schuldenfreiheit hat bereits Bundesfinanzminister Karl-Heinz Grasser (ehemals FPÖ, nun parteilos) die bisher schärfsten Angriffe auf das soziale Netz geführt. Anschober erweckte den Eindruck, dass er sich uneingeschränkt mit dem Kurs der ÖVP identifiziere. Als einzige Bedingung hatte er in den Koalitionsverhandlungen ein etwas ausgeweitetes Umweltressort für seine Partei gefordert.

Alle Bemühungen von Vertretern der ÖVP und Grünen, die Bedeutung dieser Koalition herunterzuspielen und sie als Entscheidung darzustellen, die durch spezifische Umstände auf Landesebene bedingt sei, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die schwarz-grüne Regierungskoalition auch in Wien als Alternative gehandelt wird.

ÖVP-Staatssekretär Helmut Kuckaka beispielsweise hält Schwarz-Grün ausdrücklich für eine "Möglichkeit auch auf Bundesebene". Immer mehr führende ÖVP-Politiker denken sogar über einen "fliegenden Wechsel" des Koalitionspartners in Wien nach, d. h., über einen Austausch der FPÖ durch die Grünen noch vor den nächsten Wahlen. In Wirtschaftskreisen herrscht bereits seit langem Unzufriedenheit mit der jetzigen Koalition, insbesondere mit dem kleineren Partner FPÖ.

Schon im Frühjahr hatten die Grünen deutlich gemacht, dass sie nicht prinzipiell gegen eine Zusammenarbeit mit der Volkspartei auf Bundesebene sind, als sie sich Kanzler Schüssel als Partner anboten. Auch jetzt haben hochrangige Grüne wie Vize-Chefin Eva Glawischning ihre Zustimmung zu Schwarz-Grün geäußert.

Wie weit die Überlegungen einer grünen Regierungsbeteiligung auf Bundesebene bereits gediehen sind, vermag die Aussage des Bundessprechers van der Bellen verdeutlichen. Er hat bereits begonnen Posten und Ämter zu verteilen und erklärte, dass es für Schwarz-Grün zwar einige "Stolpersteine" gebe, er aber den Posten des grünen Klubobmanns (Fraktionsvorsitzenden) übernehmen würde.

Für große Teile des politischen und wirtschaftlichen Establishments ist die FPÖ angesichts ihrer ständigen internen Konflikte und Skandale nicht länger tragbar und zu instabil. Die Haider-Partei hat - zumindest gegenwärtig - ihre Schuldigkeit getan und das gesamte offizielle politische Spektrum weit nach rechts gerückt. Aufgrund der schwindenden Unterstützung der Wirtschaft und der Medien sowie durch die katastrophalen Wahlniederlagen steckt die FPÖ in einer heftigen innerparteilichen Krise. Herbert Haupt musste seinen Platz als Vizekanzler an Hubert Gorbach abtreten, und den Job des Parteichefs übernahm die Schwester Jörg Haiders Ursula Haubner.

Dennoch besteht für Kanzler Schüssel stets die Gefahr, dass die Krise und die inneren Machtkämpfe der FPÖ schnell zu einem Zusammenbruch der Regierung, ähnlich wie im letzten Jahr, führen können.

Die Grünen sehen in dieser Krise der FPÖ ihre Chance und beabsichtigen den Platz der Haider-Partei an der Seite der Konservativen einzunehmen. Es stört sie dabei nicht, dass die Volkspartei bereits in weiten Teilen die Politik der FPÖ übernommen hat. So verabschiedete das Parlament vergangene Woche eine neue Asylgesetzgebung, welche die Rechte von Flüchtlingen weiter dramatisch einschränkt. Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen kritisierten das Gesetz berechtigterweise sehr scharf als Verletzung der Europäischen Menschenrechts- und der Genfer Flüchtlingskonvention. Sie streben eine Klage dagegen vor dem österreichischen Verfassungsgericht an.

Durch das neue Gesetz soll die Entscheidungsfrist über Asylanträge auf 72 Stunden reduziert werden. Und bei einem negativen Entscheid besteht kein Abschiebeschutz mehr, was zur Folge hat, dass selbst bei laufendem Berufungsverfahren abgeschoben werden kann. Auch können nach Ablauf der 72 Stunden keine neuen Fluchtgründe mehr angegeben werden. Die zweite und bisher entscheidende Instanz, der Bundesasylsenat, soll künftig nur noch in wenigen Fällen in Anspruch genommen werden können. Bisher wurde immerhin über jeden fünften vorliegenden Berufungsantrag positiv entschieden.

Anstatt gegen dieses Gesetz vorzugehen, legte Grünenchef van der Bellen eigene Vorschläge zur Asylgesetzgebung vor, die faktisch eine weitere Verschärfung darstellen. Er forderte eine fixe Zuwanderungsquote und zugleich die Festlegung von weiteren Kriterien, "damit jeder weiß, ob er eine Chance hat, aufgenommen zu werden". Diese Forderung zielt vor allem darauf ab, billigen und gut ausgebildeten Arbeitskräften im Interesse der Wirtschaft die Einreise zu ermöglichen.

Diese Entscheidung im klassischen grünen Politik-Bereich macht deutlich, wie weit diese Partei nach rechts gerückt ist. Auch in der Finanz- und Steuerpolitik bietet sie sich als verlässlicher Partner an. Kanzler Schüssel drängt seit geraumer Zeit auf eine Steuersenkung für Unternehmen und die Bezieher hoher Einkommen. Obwohl eine kürzlich veröffentlichte Studie über die Besteuerung von Vermögen nachgewiesen hat, dass Österreich in Europa die niedrigsten Steuern erhebt, strebt Schüssel weitere Erleichterungen für Reiche an. Die FPÖ versucht aus populistischen Gründen diese zumindest zu erschweren. Die Grünen dagegen haben bereits deutlich gemacht, dass sie weiteren Steuersenkungen auf Vermögen nicht im Wege stehen.

Siehe auch:
Landtagswahlen in Oberösterreich und Tirol. Eine klare Absage an die unsoziale Politik der Wiener Regierung
(15. Oktober 2003)
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