Großbritannien

Blair will Rebellion gegen Studiengebühren niederschlagen

Wenige Tagen vor der Abstimmung über die Einführung erhöhter Studiengebühren im britischen Parlament bemüht sich der Kreis um Premierminister Tony Blair intensiv, abtrünnige Labour-Abgeordnete auf Linie zu bringen.

Die neuen Gebühren sind heftig umstritten. Die Regierung hat vor, die derzeitigen Studiengebühren von jährlich 1.000 Pfund (ca. 1.450 Euro), die bei der Einschreibung zu entrichten sind, durch eine nachträgliche Abgabe von bis zu 3.000 Pfund pro Jahr zu ersetzen, die vom Einkommen der Hochschulabsolventen abgezogen wird. Zusammen mit den Darlehen für den Lebensunterhalt und anderen Belastungen werden Hochschulabsolventen nach diesem Plan am Ende ihres Studiums mit Schulden in Höhe von annähernd 35.000 Pfund belastet sein, doch Hochschulrektoren haben bereits durchblicken lassen, dass die Gebühren noch weiter steigen werden.

Angesichts der Tatsache, dass heute ungefähr 43 Prozent aller jungen Menschen in Großbritannien eine Hochschule besuchen, trifft der Vorschlag viele Familien und hat einen Aufschrei provoziert. In einem Zeitraum von nur sieben Jahren hat die Blair-Regierung das Recht auf freie Bildung in Großbritannien vollständig gekippt. Die Aussicht, einen großen Schuldenberg anzuhäufen, wird nicht nur viele junge Menschen von einer höheren Bildung abhalten, sondern auch den Unterschied zwischen den einzelnen Hochschulen und Studiengängen vergrößern. Eliteuniversitäten wie Oxford und Cambridge werden sich durch die Erhöhung der Studiengebühren noch weiter von jenen Hochschulen abgrenzen, die vor allem ärmere Studenten aufnehmen, und bestimmte, besonders prestigeträchtige Studiengänge werden von den Universitäten mit höheren Gebühren belegt werden als andere.

Die Abstimmung im Parlament sollte bereits im vergangenen Dezember stattfinden, wurde aber auf den 27. Januar verschoben, um zu einer Übereinkunft mit jenen 150 Labour-Abgeordneten zu gelangen, die gedroht hatten, gegen die Maßnahme zu stimmen. Würden alle Oppositionsparteien plus 82 Labour-Abgeordnete dagegen stimmen, wäre das Gesetz gescheitert.

Selbst unter normalen Umständen wäre eine solche Rebellion von Bedeutung, ist doch die Regierung zum ersten Mal in ihren zwei Amtszeiten damit konfrontiert, dass sie eine Abstimmung verlieren könnte. Doch die Situation hat dramatisch an Schärfe gewonnen durch die Ankündigung von Lord Hutton, am Tag nach der Abstimmung, dem 28. Januar, die Ergebnisse der Untersuchung zum Tod von Dr. David Kelly vorzustellen - dem Waffenexperten, der Journalisten der BBC gesteckt hatte, die Regierung habe Geheimdienstberichte "aufgepeppt", um den Krieg gegen den Irak zu rechtfertigen.

Die Bedingungen, unter denen der Untersuchungsausschuss unter Lord Hutton arbeiten durfte, waren extrem begrenzt. Die Ermittlungen mussten sich auf die unmittelbaren Ereignisse beschränken, die zum Tod von Dr. Kelly führten, und der Lordrichter hatte seine Mühe zu betonen, dass die Hintergründe für den Entschluss der Regierung, sich dem Angriff auf den Irak unter amerikanischer Führung anzuschließen, nicht Gegenstand der Untersuchung seien. Wenn Blair jedoch irgendeine Verantwortung dafür zugeschrieben wird, dass Kellys Name an die Presse weitergeben wurde, so wäre seine Position trotzdem in Gefahr. Käme ein solches Urteil unter Bedingungen, wo seine Regierung eine Parlamentsabstimmung und verloren hat und sich einem Vertrauensvotum stellen muss, könnte es sich fatal auswirken.

Regierungsmitglieder verweisen dreist auf diese Möglichkeit, um die Kritiker höherer Studiengebühren zum einlenken zu bringen. Gleichzeitig hat Bildungsminister Charles Clarke in der vergangenen Woche angekündigt, dass ärmere Studenten zusätzliche 1.200 Pfund als Hilfe zum Lebensunterhalt oder als Nachlass am Ende des Studiums erhalten würden.

Dieses offensichtliche Zugeständnis ist ein zynisches Manöver, um den Abgeordneten das Umfallen leichter zu machen, indem es ihnen hilft ihr Gesicht zu wahren. Das so genannte "Extrageld" ist gar keines - denn es soll durch eine Senkung der Darlehen für ärmere Studenten finanziert werden. Darüber hinaus bleibt es dabei, dass Absolventen ab einem Jahreseinkommen von 15.000 Pfund mit der Rückzahlung ihrer Schulden beginnen müssen und dass Universitäten prinzipiell verschiedene Gebührensätze erheben können.

Dies hielt jedoch einige Labour-Abgeordnete nicht davon ab zu erklären, dass sie nunmehr mit dem Vorschlag zufrieden seien. Das ehemalige Kabinettsmitglied Chris Smith und zwei weitere bekanntere Labour-Abgeordnete, Peter Bradley und Alan Whitehead, die zunächst als Kritiker der Abgabe aufgetreten waren, erklärten, dass sie mit der Regierung stimmen würden. Die Hinterbänklerin Diana Organ schloss sich an und sagte: "Ich war anfangs eine unversöhnliche Gegnerin und nun unterstütze ich dies mit beinahe missionarischem Eifer."

Der ehemalige Sportminister Tony Banks, der auch ursprünglich das Regierungsvorhaben abgelehnt hatte, verkündete seine Rückkehr in den Schoß der Familie, indem er seine ehemaligen Verbündeten angriff. Es sei geschmacklos, dass frühere treue Anhänger des Premierministers sich nun gegen diesen stellten, sagte Banks und warf den Kritikern vor, Teil einer politischen Verschwörung zur Unterminierung Blairs zu sein.

Die Medien beeilten sich, Blair zu verteidigen, und alle großen Zeitungen erklärten, dass die Absolventensteuer vollkommen in Ordnung und das einzig Richtige sei. Die Zeitung The Mirror, die sich in der Frage des Irakkriegs demonstrativ gegen Blair gestellt hatte, gab die Richtung vor und denunzierte die Gegner als Verräter. In einem Kommentar mit dem Titel "Bringt Tony nicht über Zusatzgebühren zu Fall" argumentierte sie, dass im Falle einer Abstimmungsniederlage Blairs Tage gezählt seien:

"Das ist allerdings das, was einige der Rebellen wollen. Ihnen geht es nicht in erster Linie um höhere Bildung sondern darum, den Premierminister loszuwerden. [...] Wenn sich irgendein Abgeordneter am kommenden Dienstag aus diesem Grund entscheidet, so ist er eine Schande für seine Partei und sein Land."

Ungeachtet ihrer Differenzen mit der Regierung steht für Blairs Kritiker und die Medien weitaus mehr auf dem Spiel als das persönliche Schicksal des Premierministers. Ein Scheitern der Gebührenerhöhung wäre an sich schon ein herber Rückschlag für weitere Pläne, sämtliche Bereiche des öffentlichen Diensts dem "Markt" zu unterwerfen, und damit eine Niederlage für eine Politik, die vom gesamten politischen Establishment wie auch der Wirtschaft unterstützt wird. Zusammen mit einem nachteiligen Bericht von Lord Hutton könnten sich politische Konsequenzen ergeben, die die ganze rechte Agenda ins Chaos stürzen und der arbeitenden Bevölkerung die Möglichkeit eröffnen, einen Kampf gegen die zunehmende Absenkung ihres Lebensstandards und die Zerschlagung ihrer demokratischen Recht zu beginnen.

In der Financial Times erklärte Autor Philip Stephens: "Wird gegen die Hochschulgebühren gestimmt, ist Blair fraglos schwer angeschlagen. Aber der Schaden ginge weit darüber hinaus. Der Schiffbruch wäre ein Zeichen dafür, dass die Labour Party zum Urbild zurückgekehrt ist und Reformen zu Gunsten der alten Art des Besteuerns und Geldausgebens aufgegeben hat."

In Wahrheit ist die Chance, dass die Labour Party eine solche Kehrtwendung und Rückkehr vollzieht, etwa ebenso wahrscheinlich wie die Entdeckung, dass der Mond aus Käse besteht. Selbst Kanzler Gordon Brown, der als möglicher Nachfolger persönlich noch am meisten von einem Rücktritt Blairs profitieren würde, hat sich in der Frage der Studiengebührenerhöhungen gänzlich hinter den Premierminister gestellt und sein Gewicht in die Waagschale geworfen.

Der Kommentar von Stephens unterstreicht jedoch, welche grundlegenden politischen Imperative auf dem Spiel stehen. Die Regierung hat die Gebührenerhöhung als einziges "faires" Mittel zur Finanzierung der höheren Bildung dargestellt. Die Wahl bestehe darin, dass entweder "der Müllmann den Doktor finanziert" (indem die Bildungsausgaben über eine allgemeine Steuererhöhung bestritten werden) oder dass die Studenten nach dem Abschluss einen Teil der Kosten ihrer Bildung tragen, weil sie schließlich, so die Annahme, auch ein höheres Einkommen zu erwarten hätten.

Dieses Argumentationsschema weist mehrere Fehler auf, aber die falsche Grundannahme besteht darin, dass es keine anderen Optionen gibt. Dem Bildungssystem sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten unverzichtbare Geldmittel entzogen worden, nachdem die verschiedenen Regierung die öffentlichen Ausgaben drastisch gekürzt haben, um Steuergeschenke für die Superreichen und die Großunternehmen zu finanzieren.

Würde man beispielsweise den Spitzensteuersatz für alle jene erhöhen, die mehr als 100.000 Pfund im Jahr verdienen, ständen mit einem Schlag die notwendigen Mittel zur Verfügung. Darüber hinaus würden Kürzungen bei den steigenden Militärausgaben in Verbund mit einem sofortigen Abzug der britischen Truppen aus dem Irak Dutzende Millionen Pfund für grundlegende soziale Leistungen frei machen.

Doch solche Maßnahmen, die in Hinblick auf das Leben und Wohlergehen von Millionen arbeitender Menschen in Großbritannien die einzig richtigen wären, stehen nach den Regeln der offiziellen Politik nicht zur Diskussion.

Als Tony Blair sich bei einem Auftritt in der BBC-Sendung Newsnight am 19. Januar einem kritischen Publikum stellte, wurde ein solcher Vorschlag umgehend vom Tisch gewischt.

Nachdem Blair darauf beharrt hatte, man käme um die Erhöhung der Abgaben nicht herum, schlug ein Vater aus dem Publikum eine Alternative vor. Er machte darauf aufmerksam, dass die Regierung seit ihrem Antritt den Großkonzernen elf Milliarden Pfund an Steuern erspart und gleichzeitig den Spitzensteuersatz gesenkt hat. Anstatt die Reichen zu beschenken, sollte man die Reichen dazu bringen, ihren Anteil zu bezahlen, sagt er. Eine viel fairere Lösung.

Es war, als ob jemand in der Kirche einen Furz gelassen hätte. Während Blair einfach geradeaus starrte, bestand der Newsnight -Moderator Jeremy Paxman darauf, dass "dies Bestandteil einer anderen Diskussion" sei und ging schnell zur nächsten Frage über.

Dass das große Unsagbare, eine Besteuerung der Reichen, in einer bekannten Fernsehsendung ausgesprochen wurde, konnte allerdings nicht einfach übergangen werden. Am nächsten Tag bekannte der Mirror, dass "es fairer wäre, Geld frei zu machen, indem man die Steuern der Reichen erhöht", um sogleich diese Option zu verwerfen, weil es schließlich keine Grund zu der Annahme gäbe, dass Studenten die Hauptnutznießer einer solchen Maßnahme wären.

Blair selbst sah sich gezwungen, in einem am 21. Januar veröffentlichten Interview mit der Zeitung Guardian zu der Frage Stellung zu nehmen, und erklärte, dass man die Reichen deshalb nicht mit höheren Steuern belasten könnte, weil sie diese eh nicht bezahlen würden! Die Wohlhabenden "würden einfach eine Reihe neuer Buchhalter anheuern und dies und das tun. Und schließlich wäre das Steueraufkommen um etliches geringer", stellte er fest.

Wenn man bedenkt, dass die jetzige Regierung ein enormes Maß an Zeit und Geld investiert, um "Sozialhilfeschnorrern" auf die Spur zu kommen und Autofahrer in Haft zu nehmen, weil sie lächerlich geringe Strafzettel nicht bezahlt haben, so ist Blairs Argumentation zwar einerseits extrem zynisch, andererseits aber enthüllt sie auch, wer die wahren Kriminellen in der Gesellschaft sind.

Für Labour steht fest, dass die Reichen um jeden Preis geschont und geschützt werden müssen. Wenn Blair zuversichtlich ist, die Parlamentsabstimmung zu gewinnen, so gründet sich dies auf seine Überzeugung, dass auch seine Kritiker diese Maxime teilen. Angesichts der Kehrtwendung, die viele seiner innerparteilichen Kritiker vollzogen haben, und der Haltung von Teilen der Konservativen Partei, die in dieser Frage mit der Regierung stimmen wollen, ist seine Zuversicht nicht unangebracht. Doch dies unterstreicht nur um so deutlicher, warum eine Opposition gegen die unternehmerfreundliche Politik der Labour Party nur auf der Basis einer unabhängigen politischen Bewegung der Arbeiterklasse entwickelt werden kann, die sich auf den Kampf für soziale Gleichheit stützt.

Siehe auch:
Labour-Parteitag wirft sich Blair zu Füßen
(8. Oktober 2003)
Lehren aus dem Hutton-Ausschuss
( 25. September 2003)
Der Tod des Informanten Kelly erschüttert die Blair-Regierung
( 30. Juli 2003)
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