Die britische Socialist Workers Party und die Verteidigung des Nationalreformismus

Alex Callinicos "Ein antikapitalistisches Manifest" VSA-Verlag Hamburg 2004

Alex Callinicos ist der Haupttheoretiker der britischen Socialist Workers Party, die in mehreren Ländern Ableger unterhält. Sein Buch ist von Interesse, weil die Positionen, die er vertritt, von der Mehrheit der ehemaligen linksradikalen Gruppierungen geteilt werden. Mit diesen Positionen will er die Ausrichtung seiner Partei auf das politisch korrupte Milieu des Weltsozialforums und seiner Filiale, des Europäischen Sozialforums, rechtfertigen.

In seinem vorgeblich antikapitalistischen Manifest rechtfertigt Callinicos den Verzicht auf eine revolutionäre Politik, die sich auf die Arbeiterklasse stützt. Stattdessen argumentiert er, der Nationalstaat bleibe die Grundlage für die Verwirklichung eines reformistischen Programms. Die SWP werde zu diesem Zweck versuchen, eine politische Bewegung auf die Beine zu stellen, die sich nicht auf die Arbeiterklasse stützt, sondern auf Bündnisse mit diversen Protestgruppen, Denkfabriken und weiteren mehr oder weniger links orientierten Gruppierungen.

Mittels dieser Bündnisse sucht die SWP einen Platz in den höchsten Kreisen des bürgerlichen politischen Establishments zu ergattern.

Callinicos beansprucht mit großer Geste, das Kommunistische Manifest, das Marx und Engels 1848 verfassten, auf den neuesten Stand zu bringen. Sein Schlusssatz lautet: "Mehr denn je haben wir eine Welt zu gewinnen" - eine Anspielung auf den abschließenden Satz des Werkes von Marx und Engels.

Allerdings könnte die Diskrepanz zwischen den beiden Manifesten nicht krasser sein. Marx und Engels schrieben ihr Manifest mit dem Ziel, die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse von allen Vertretern und Verteidigern der Bourgeoisie und ihres Profitsystems zu erreichen und die Perspektive des revolutionären sozialistischen Internationalismus zu verbreiten. Die Schlussworte des Kommunistischen Manifests appellieren an die fortgeschrittensten Teile der Arbeiterklasse und der Intelligenz.

Marx erklärt: "Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung. Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren, als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder vereinigt euch."

Callinicos' Buch dagegen will die Arbeiterklasse einer Perspektive unterordnen, die der Aufrechterhaltung des bürgerlichen Staats sowie der Führungen verschiedener Gruppen dient, die das Profitsystem politisch verteidigen. Daher kann er seine Absichten nicht offen darlegen, sondern muss zu Spitzfindigkeiten, Halbwahrheiten und Lügen Zuflucht nehmen.

Ein wirklich antikapitalistisches Manifest müsste zuallererst die fortgeschrittenen Arbeiter und Jugendlichen warnend auf die grundlegenden Merkmale des heutigen Kapitalismus hinweisen und davon ausgehend eine Perspektive aufzeigen, die als Grundlage des Kampfs für eine sozialistische Welt dient.

Eine zentrale Aufgabe eines derartigen Manifests wäre es, die objektive Bedeutung der Globalisierung der Produktion zu erklären, die sich in den letzten 25 Jahren entwickelt hat, sowie die Schlussfolgerungen, die sich daraus für den Klassenkampf ergeben.

Die beispiellose Integration und Verflechtung der Weltwirtschaft verträgt sich nicht mit dem System der Nationalstaaten, auf dem der Kapitalismus beruht. Dies hat tiefgreifende Auswirkungen auf alle gesellschaftlichen und politischen Beziehungen weltweit.

In jedem Land ist die soziale Stellung der Arbeiterklasse stark unterhöhlt worden. Nationale Regierungen jeglicher politischer Couleur wetteifern darum, Investitionen von transnationalen Konzernen ins Land zu holen, die auf der Suche nach billigen Rohstoffen und Niedriglöhnen weltweit agieren.

Die Beziehung zwischen der Arbeiterklasse und ihren alten Parteien und Gewerkschaftsorganisationen hat sich dadurch von Grund auf geändert. Diese Organisationen stützten sich auf eine nationale Perspektive. Sie wollten den Staatsapparat benutzen, um ein begrenztes Programm sozialer Reformen durchzuführen.

Die althergebrachte politische Ausrichtung der sozialdemokratischen und stalinistischen Parteien beruhte auf der Annahme, dass der Schutz und die Entwicklung der nationalen Industrie die Möglichkeiten schaffe, höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu gewährleisten - sowohl durch Zusammenarbeit mit als auch durch Druckausüben auf die Unternehmer, wie auch durch die Verabschiedung von sozialen Reformen durch das Parlament.

Diese Möglichkeit ist durch die globale Integration der Produktion und die daraus resultierende beispiellose Mobilität des Kapitals dramatisch beschnitten worden. Überall auf der Welt reagieren die alten Arbeiterorganisationen darauf, indem sie ihre reformistischen Programme aufgeben und sich unzweideutig für das kapitalistische System aussprechen.

Nur ein ständig schrumpfender Rest der Arbeiterbürokratien gibt noch vor, reformistische Politik zu vertreten. Sie halten jedoch weiterhin an einem national ausgerichteten Programm fest, das keinen Ausweg aus der Sackgasse bietet, in die die Arbeiterklasse geführt worden ist, und auch keine Möglichkeit bietet, die Angriffe ihrer alten Parteien auf bestehende soziale und politische Errungenschaften zurückzuschlagen. Die "linken" Flügel der alten Organisationen und die Parteien, die von ihnen gespalten haben, fungieren als ein Hindernis für die politische Neuorientierung der Arbeiterklasse anhand eines sozialistischen und internationalistischen Programm, das der Wirklichkeit des heutigen Klassenkampfes entspricht.

Unter der Herrschaft des Imperialismus führt der Konflikt zwischen globaler Produktion und der Aufteilung der Welt in Nationalstaaten mit gegensätzlichen Interessen nicht nur zum Klassenkrieg im Inneren, sondern auch zu einem rücksichtslosen Kampf um die Kontrolle über die Märkte und Ressourcen der Welt. Der Ausbruch des amerikanischen Militarismus, der zur blutigen Eroberung und Besetzung des Irak geführt hat, stellt einen Versuch dar, die amerikanische Vorherrschaft über die Märkte und Rohstoffe der Welt durch Gewalt herzustellen.

Die Arbeiterklasse kann gegen diese Entwicklung nicht auf nationaler Ebene ankämpfen. Die globale Produktion muss zum Ausgangspunkt werden für eine neue revolutionäre und internationalistische Orientierung der Arbeiterbewegung. Die Globalisierung schafft nicht nur die Möglichkeit, die Produktivkräfte der ganzen Welt rational zu integrieren und auszuweiten, um Armut abzuschaffen und den Lebensstandard aller zu erhöhen. Sie stellt auch die objektive Grundlage her, die Arbeiterklasse in einem internationalen politischen Kampf zu vereinen.

Es geht also nicht darum, die Globalisierung abzulehnen, sondern die Produktivkräfte der Welt unter Kontrolle zu bekommen, sie vom Profitstreben zu befreien und die Produktion mit dem Ziel zu organisieren, gesellschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen. In diesem Kampf kommt es entscheidend darauf an, dass die Arbeiterklasse alle Formen des wirtschaftlichen Nationalismus und Protektionismus zurückweist, mit denen ihre Interessen denen der Unternehmer untergeordnet werden.

Es gilt also dem Apparat des Nationalstaates mit wachsamer Feindseligkeit gegenüber zu treten. Dieser dient der Bourgeoisie als Instrument, die Arbeiterklasse im Inneren zu unterdrücken, sie von ihren Klassenbrüdern weltweit zu isolieren, sowie als Mechanismus, das Recht der Bourgeoisie auf einen Anteil an der Ausbeutung der Völker und Ressourcen der Welt zu sichern.

Verteidigung des Nationalstaates und des Reformismus

Callinicos' Position ist völlig konträr zu dieser Auffassung.

Er plädiert für ein Programm, das als seinen Ausgangspunkt die weitere Lebensfähigkeit des Nationalstaates hervorhebt, sowie die Interessen der Arbeiterklasse mit dem Erhalt und der Stärkung der Macht des Staates gleichsetzt.

Über seinen eigenen Forderungenkatalog sagt er:

"Erstens richten sich die oben ausgeführten Forderungen im Allgemeinen an Staaten, die entweder einzeln oder miteinander abgestimmt vorgehen. Darin kommt zum Ausdruck, dass (welche Auswirkungen die Globalisierung auch immer haben mag) in der Welt, so wie sie heute organisiert ist, Staaten die effektivste Institution darstellen, um die notwendigen Mittel zur Erreichung kollektiv ausgehandelter Ziele aufzubringen. Damit will ich keineswegs meine Feststellung in Frage stellen, dass jede Strategie, die im Nationalstaat das Hauptgegengewicht zum globalen Kapitalismus sieht, beschränkt ist. Staaten sind Teil des globalen Kapitalismus, keine Gegenmacht. Aber weil Staaten zumindest teilweise von der Zustimmung ihrer Untertanen abhängen, sind sie anfällig für Druck von unten." (S. 147)

Ähnlich entlarvend ist sein Eintreten für Kapitalverkehrskontrollen, die er so rechtfertigt:

"Das nach dem Völkerrecht immer noch gültige Bretton-Woods-Abkommen, unter dem der IWF und die Weltbank gegründet wurden, räumt Staaten nach wie vor das Recht ein, Kapitalverkehrskontrollen einzuführen... Ihre Wiedereinführung würde es Regierungen ermöglichen, eine gewisse Kontrolle über Ein- und Ausfuhren von Kapital, die ja die treibende Kraft hinter den Finanzkrisen etwa des vergangenen Jahre waren, einzuführen... Wie die Tobinsteuer [eine Steuer auf Devisentransaktionen, wie sie einige radikale Gruppen fordern] wären aber auch Kapitalverkehrskontrollen ein erster Schritt zur Wiederherstellung eines gewissen Ausmaßes an politischer Kontrolle über die Finanzmärkte, allerdings nur auf nationaler Ebene." (S. 142)

Callinicos beschränkt sich darauf, zugunsten von Reformen Druck auf Staaten auszuüben; er will nicht die Arbeiterklasse mobilisieren, um das Nationalstaatensystem abzuschaffen und weltweit sozialistische Planung einzuführen. Er sagt ausdrücklich: "Die Zwiespältigkeit des Reformismus als politischer Strategie liegt darin, dass er das System heraufordert, dieser Herausforderung aber zugleich Fesseln anlegt. Man kann dieses Problem nicht einfach umgehen." (S. 148)

Politisch orientiert sich Callinicos auf die Überreste der sozialdemokratischen und stalinistischen Bürokratien. Von seinen Forderungen sagt er sogar, sie hätten allesamt den Vorzug, von "bestehenden Bewegungen" bereits erhoben worden zu sein. Sein Buch stellt den Versuch dar, ein pseudolinkes Programm zusammenzuflicken, konstruiert aus den Forderungen verschiedener bürgerlicher und kleinbürgerlicher Gruppierungen. Diese Forderungen zielen in erster Linie darauf ab, deren eigene Privilegien zu sichern, und zweitens darauf, zu verhindern, dass sich ein revolutionärer Kampf gegen den Kapitalismus entwickelt, indem sie den Erhalt einiger minimaler sozialer Zugeständnisse einfordern, um den Beutezügen des global organisierten Kapitals entgegenzutreten.

Unter Bedingungen, wo die alten Parteien wegen ihrer Rechtsentwicklung viel von ihrer Unterstützung in der Arbeiterklasse verloren haben, agieren vorgeblich linke Formierungen des Typs, wie sie die Rifondazione Communista in Italien darstellt, als unverzichtbarer Schutzschild für die gesamte Arbeiterbürokratie. Diese Zielsetzung ändert sich auch dadurch nicht um ein Haar, dass sie neue Parteien gegründet haben oder über deren Gründung sprechen; schließlich sollen diese neuen Parteien lediglich das Instrument sein, mit dem die Arbeiterklasse wieder auf ihre alten Parteien hin orientiert wird. Zu ihnen gesellen sich ein Schwarm von sogenannten Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs), wohltätige Organisationen und Denkfabriken, die die großen Parteien und Regierungen davon überzeugen wollen, dass ein begrenztes Programm von Reformen und Beschränkungen der schlimmsten Exzesse des Kapitalismus immer noch entscheidend ist, um zu gewährleisten, dass der Klassenkampf keine revolutionären Formen annimmt. Diese Gruppen - wie Attac in Frankreich - sind nichts weiter als Berater der sozialdemokratischen und Gewerkschaftsbürokratie und der Bourgeoisie selbst.

Callinicos, die SWP und ihresgleichen sind auf dem äußersten linken Rand dieses Milieus angesiedelt. Sie benutzen gelegentlich marxistische Rhetorik, um diese Bewegungen, die sich um das Weltsozialforum und das Europäische Sozialforum gruppieren, als Kern einer neuen, angeblich antikapitalistischen Führung der Arbeiterklasse darzustellen. So haben sich die kleinbürgerlichen Radikalen einen Platz ganz oben am Tisch derer gesichert, die als letzte Verteidigungslinie für die kapitalistische Ordnung fungieren.

Im Vorwort seines Buches erklärt Callinicos: "Die endgültige Gliederung legte ich in der Wartehalle des Flughafens von Porto Alegre nach dem zweiten Weltsozialforum fest, und geschrieben habe ich dieses Buch inmitten der Vorbereitungen für das erste Europäische Sozialforum in Florenz." (S. 10)

Seine Zielgruppe sind eben die Gruppen im Umkreis des Europäischen und des Weltsozialforums. Er weiß ganz genau, dass er es nicht mit politischen Anfängern oder jungfräulichen Organisationen zu tun hat. Sie blicken alle auf eine lange Geschichte innerhalb verschiedener sozialdemokratischer, stalinistischer und/oder kleinbürgerlich-radikaler Gruppen zurück. Doch Callinicos spricht über sie, als seien sie Neulinge auf der politischen Bühne, indem er darauf beharrt, dass es keine Rolle spiele, welche Ideen sie vertreten. Was zähle, sei "die Bewegung", die, so sagt er, verschiedene Namen erhalte - Antiglobalisierungsbewegung, Bewegung für eine andere Welt, und so weiter.

Er betont: "Nach meinem Dafürhalten passt die Bezeichnung ‚antikapitalistisch' am besten zu der Bewegung." (S. 24)

Dies ist die erste große Lüge, auf die sich Callinicos' Buch gründet.

Er behauptet steif und fest, dass die unzähligen sozialen und politischen Proteste, die sich seit der Demonstration von 40.000 Menschen gegen das Treffen der Welthandelsorganisation in Seattle 1999 entwickelt haben, eine einheitliche Bewegung gegen den Kapitalismus darstellen würden. Zu dieser Einschätzung gelangt er, indem er den Kapitalismus als System mit der neoliberalen reinen Lehre des freien Marktes gleichsetzt, die seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Zurückweisung reformistischer Politik durch Tony Blairs New Labour Party und andere sozialdemokratische Organisationen die vorherrschende Politik ist.

Auf diesem Wege kann er jeden, der auch nur die geringste Kontrolle über die Aktivitäten der globalen Märkte und transnationalen Unternehmen befürwortet, als "antikapitalistisch" verkaufen. Entscheidend im Sinne seiner eigenen Absichten dabei ist, dass er alle Proteste und sozialen Bewegungen seit 1999 mit eben den politischen Tendenzen gleichsetzen kann, die deren Entwicklung in eine bewusst antikapitalistische und sozialistische Richtung zu verhindern suchen.

Entsprechend fällt seine Bewertung der Ereignisse aus, angefangen mit den Protesten in Seattle 1999 bis ins Jahr 2002, als sich, nach seinen Worten, "eine neue Linke" um die französische Monatszeitung Le Monde diplomatique "und die Bewegung gegen internationale Finanzspekulation Attac" entwickelte (S. 19). Er beschreibt dies als Beginn eines Prozesses, der in der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen dazu führte, dass zwei radikale Gruppen, die sich auf den Trotzkismus berufen (Ligue Communiste Révolutionnaire und Lutte Ouvrière) 10 Prozent der Stimmen erhielten. In diesen Zusammenhang stellt er auch die Entwicklung von Jose Bové zum internationalen "Symbol für den Widerstand" gegen genmanipuliertes Saatgut und die weltweite Präsenz von Attac sowie dessen Schlüsselrolle im Weltsozialforum.

Callinicos betont: "Wenn wir von einer weltweiten Bewegung sprechen können, liegt das unter anderem daran, dass sie ihren ideologischen Ausdruck in einer Masse kritischer Schriften aus der Feder unterschiedlicher Intellektueller erhalten hat." (S. 19)

Er führt jeden an, der irgendeine, wenn auch verwirrte Kritik am "Neoliberalismus" geäußert hat - Pierre Bourdieu, Noam Chomsky, Michael Albert, Walden Bello, Susan George, Naomi Klein und Michael Hardt. Von diesen Personen und von der "Bewegung", die sie anführen, behauptet er, sie hätten "sowohl auf theoretischer Ebene als auch in der Praxis" Marx' Kritik des Kapitalismus "wiederaufgegriffen", "auch wenn die meisten ihrer Aktivisten die Bezeichnung ‚Marxist' ablehnte." (S. 29)

Callinicos' Bemühungen, Leute, die oft ihre Gegnerschaft zum Sozialismus bekunden, als "antikapitalistisch" - und sogar unbewusst marxistisch - zu bezeichnen, sind wirklich schamlos.

Nach Callinicos gibt es vielfältige Formen von "Antikapitalismus":

"Reaktionärer Antikapitalismus" - im wesentlichen rechtsgerichteter wirtschaftlicher Protektionismus und sogar Faschismus.

"Lokalistischer Antikapitalismus" - verschiedene Grüne und Befürworter eines fairen Handels.

Schließlich "bürgerlicher Antikapitalismus" - über den er schreibt: "Dies mag als eine leere Kategorie erscheinen, ja als ein Widerspruch in sich." (S. 79)

Doch dann beeilt sich Callinicos, diese leere Kategorie beizubehalten, indem er einfach behauptet: "Ideologien gehorchen aber nicht dem Gesetz der Widerspruchsfreiheit." (ebd.)

Im Folgenden zitiert er eine bürgerliche Antikapitalistin, Noreena Hertz, die zumindest mit einer gewissen Aufrichtigkeit schreibt, zu der sich Callinicos nicht bequemt: "Mein Argument ist nicht als antikapitalistisch zu verstehen. Der Kapitalismus ist eindeutig das beste System für die Schaffung von Wohlstand, und Freihandel und offene Kapitalmärkte haben den meisten, wenn nicht allen Ländern ein Wirtschaftswachstum ohnegleichen beschert." (S. 80)

Nach Callinicos können Hertz und ihresgleichen dennoch zur antikapitalistischen Bewegung gezählt werden, weil sie mehr Befugnisse für nationale Regierungen fordert, internationale Märkte zu regulieren - womit sie Callinicos' nationalreformistische Kriterien erfüllt.

"Reformistischer Antikapitalismus" lautet eine weitere Überschrift, worunter Attac zu verstehen ist. Und Callinicos bringt es fertig, eine Vertreterin von Attac zu zitieren, nämlich Susan George, die seine Behauptung, es gebe eine antikapitalistische Orientierung in dieser Organisation, ausdrücklich zurückweist.

Sie schreibt: "Ich muss leider gestehen, dass ich nicht die leiseste Ahnung habe, was in diesem beginnenden 21. Jahrhundert mit ‚Sturz des Kapitalismus' gemeint sein könnte. Vielleicht erleben wir eines Tages das, was der Philosoph Paul Virilio den ‚globalen Unfall' genannt hat. Wenn es dazu kommt, wird er sicherlich von unermesslichem menschlichen Leid begleitet. Wenn alle Finanz- und Aktienmärkte plötzlich und gleichzeitig zusammenbrächen, würden Millionen Menschen im Zuge von Firmenpleiten, großer wie kleinerer, auf die Straße geworfen, Bankenzusammenbrüche würden die Mittel der Regierungen, eine Katastrophe abzuwenden, bei weitem übertreffen, Unsicherheit und Verbrechen würden sich breit machen und wir befänden uns in der Hobbesschen Hölle eines Krieges aller gegen alle. Nennt mich eine ‚Reformistin' - wenn ihr es wollt -, eine solche Zukunft ebenso wie eine vorprogrammierte neoliberale Zukunft möchte ich vermeiden." (S. 88-89)

Eine weitere seiner antikapitalistischen Strömungen ist der "autonomistische Antikapitalismus" - ein Mischmasch aus anarchistischen und Protestgruppen, die den Ideen von Negri und Klein nahe stehen. Callinicos zitiert den Liebling dieser Schichten, die zapatistische Bauernbewegung für Landreform in Mexiko, und beruft sich dann auf deren Führer, Subkommandante Marcos, dessen antikapitalistischer Schlachtruf sich so anhört:

"Vielleicht wird beispielsweise die neue politische Moral in einem neuen Raum konstruiert werden, der weder der Machtergreifung noch des Machterhalts bedarf, sondern des Gegengewichts und der Opposition, die die Macht eindämmen und sie zum ‚Herrschen durch Gehorchen' zwingen." (S. 90-91)

Etwas weiter unten zitiert er: "Die Zapatisten sind der Meinung, dass in Mexiko die Wiederbelebung und die Verteidigung der nationalen Souveränität Teil der antiliberalen Revolution sind... es ist notwendig, den Staat vor der Globalisierung zu schützen." (S. 91)

Ein ziemlich vernichtendes Bild, das Callinicos hier zeichnet. Wenn es nach ihm geht, kann eine Bewegung antikapitalistisch sein - sofern sie den Standpunkt bezieht, dass der Kapitalismus die Welt und ihre Ressourcen optimal organisieren kann, und ihr Hauptziel in der Verteidigung des Nationalstaates sieht!

Als letzten Bestandteil seiner antikapitalistischen Bewegung nennt Callinicos den "sozialistischen Antikapitalismus". Dazu gehören die Socialist Workers Party und die ihr angeschlossenen Organisationen, die französische Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) sowie andere Gruppen des pablistischen Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale.

Die LCR erhält ein Lob von Callinicos, weil sie auf die "Entstehung der antikapitalistischen Bewegung" nicht, wie Callinicos es verächtlich nennt, "dogmatisch und sektiererisch" reagiert habe. Damit meint er die Bereitwilligkeit der LCR, wie auch der SWP, antisozialistische Tendenzen unkritisch zu unterstützen. Aktivisten der LRC "spielten von Anfang an eine wichtige Rolle in Attac", und andere im Vereinigten Sekretariat waren "stark in den Sozialforen in Porto Alegre vertreten". (S. 93)

Auch hier zeigt Callinicos, dass er ohne Hemmungen vor einem Teil der alten stalinistischen Bürokratie buckelt. Er weist darauf hin, dass in Italien "die sozialistische Spielart des Antikapitalismus von einer wesentlich bedeutenderen Organisation vertreten" werde, der Partido della Rifondazione Communista (PRC). Er lobt Rifondazione, weil es ihr gelungen sei, "das Herabsinken auf einen stalinistischen Rumpf zu vermeiden und sich als Massenpartei mit einer parlamentarischen Vertretung und einer bedeutenden Anhängerschaft in den Gewerkschaften zu etablieren." (S. 94)

Callinicos sagt natürlich nichts über das reformistische und nationalistische Programm und die Bilanz der PRC: wie sie ihre "parlamentarische Vertretung" und die "bedeutende Anhängerschaft in den Gewerkschaften" benutzte, um Mitte-Links-Regierungen zu stützen, die heftige Angriffe auf die italienische Arbeiterklasse durchsetzten, und wie Rifondazione international führend bei dem Versuch ist, die alten stalinistischen Parteien zu rehabilitieren.

Die PRC hat sich die Loyalität der SWP und einer Reihe sich trotzkistisch nennender linker Gruppen verdient, weil sie ihnen ihre Türen geöffnet hat. Livio Maitan, italienischer Gesinnungsgenosse der LCR, war jahrelang Mitglied des Zentralkomitees des PRC und berät dessen Führer Fausto Bertinotti. Dadurch können die radikalen Gruppen die PRC als Beweis dafür präsentieren, dass vermeintlich linke Teile der alten Arbeiterbürokratie immer noch eine Alternative zum rechten Flügel bilden können.

In Wirklichkeit hat Rifondazione mehr als ein Jahrzehnt lang als wichtigste politische Stütze der italienischen Sozialdemokraten fungiert. Es gab in den 1990er Jahren zahlreiche Situationen, in denen die Mitte-Links-Regierung der Olivenbaum-Koalition nur dank der parlamentarischen Unterstützung der PRC überlebte. Und es waren die Angriffe des Olivenbaums auf die Arbeiterklasse, ausgeführt mit stillschweigender Unterstützung der PRC, die Silvio Berlusconis rechter Forza Italia den Weg zum Sieg ebneten.

Für Callinicos aber ist die PCR der große Fisch im Becken, mit einem natürlichen Recht auf Führung, das die SWP nur zu erreichen hoffen kann, wenn sie sich einen ähnlichen Status innerhalb des politischen Establishments sichert.

Ein Flügel bürgerlicher Politik

Die zweite große Lüge Callinicos' hat damit zu tun, dass er die wirkliche Beziehung zwischen dem Welt- und Europäischen Sozialforum und seinen maßgeblichen Gruppierungen sowie der herrschenden Klasse und ihren Institutionen zu vertuschen sucht.

Er spricht davon, dass die Bourgeoisie auf zweierlei Weise auf "zentrale Herausforderungen von unten" reagiere: mit Repression oder dem Angebot, auf ihre Seite zu wechseln - d. h., die Bewegung "durch begrenzte Zugeständnisse zu schwächen, vor allem durch solche, die geeignet sind, die gemäßigteren Elemente abzuwerben und die radikaleren zu isolieren und so eine Spaltung hervorzurufen." (S. 95)

Er bezieht sich auf die Versuche des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, "in einen Dialog mit ihren Kritikern einzutreten", über die Aufgeschlossenheit für diesen Dialog seitens "der respektableren NGOs", über deren Vertrauen in westliche Regierungen und Staaten, sowie über besondere Anstrengungen der französischen und deutschen Regierung, einige der Forderungen der Bewegung zu übernehmen, um sie "in einen zahnlosen Tiger" zu verwandeln. (S. 99)

Insgesamt aber fallen diese Warnungen sehr verhalten aus. Über Schritte des IWF und der Weltbank, einen Dialog aufzunehmen, sagt Callinicos, diese hätten "die Bewegung nur in ihrem Gefühl bestärkt, dass ihre Gegner moralisch und intellektuell bankrott sind." (S. 95-96)

Callinicos weiß sehr genau, dass die Mehrzahl der Führer "der Bewegung", die er zu verherrlichen sucht, weit davon entfernt, solche Annäherungsversuche zurückzuweisen, gekauft wurden und gut bezahlt werden - und dass "moralischer" und "intellektueller" Bankrott nicht sonderlich ins Gewicht fällt, wenn der, der bezahlt, auch weiterhin das Sagen hat.

Das Weltsozialforum ist weitgehend das Ergebnis eines Bündnisses der brasilianischen Arbeiterpartei von Luiz Inacio "Lula" da Silva mit Attac aus dem Jahr 2000; es sollte eine Alternative zum Weltwirtschaftsforum sein.

Erst war Lula mit antiimperialistischer und sozialistischer Demagogie an die Macht gekommen. Dann wurde seine Regierung vom IWF und der Weltbank für Maßnahmen gelobt, mit denen Brasilien 260 Mrd. Dollar Schulden zurückzahlen will, und für ihre drastischen Sparmaßnahmen auf Kosten der brasilianischen Arbeiterklasse.

2003 sprach sich Anne Krüger, erste stellvertretende Leiterin des IWF, lobend über die Wirtschaftspolitik der Lula-Regierung aus, und wie sie "sehr gut mit Erwartungen umgeht und die Probleme verantwortungsvoll angeht".

Attac ist eine halb-offizielle Denkfabrik der französischen Sozialistischen Partei, im Dunstkreis der Zeitung Le Monde diplomatique. Attacs einzige radikale Forderung ist die nach der "Tobin-Steuer" auf Devisentransaktionen, um Sozialprogramme zu finanzieren und die Fähigkeit von Regierungen zu stärken, das Wirtschaftsleben zu regulieren.

In dem gut recherchierten Artikel, "Wer hat das Sagen im Europäischen Sozialforum?", führt Paul Treanor an, dass zu den Sponsoren des Weltsozialforums direkt oder indirekt wichtige bürgerliche Institutionen gehören: die Europäische Kommission und die Vereinten Nationen sowie die Ford Foundation, Droits et Démocratie (eine Stiftung unter Leitung des kanadischen Außenministeriums), die Heinrich-Böll-Stiftung, die den deutschen Grünen nahe steht, ICCO (eine konfessionsübergreifende Organisation, die von der niederländischen Regierung und der EU finanziell unterstützt wird), Le Monde diplomatique, Oxfam, Organisationen unter der Leitung der kanadischen, dänischen, deutschen, italienischen, norwegischen und schwedischen Regierung, die Gruppe der 77 unterentwickelten Länder, die Internationale Arbeitsorganisation ILO, der Europäische Rat und viele andere.

Das Europäische Sozialforum 2002 wurde großenteils von den beiden Flügeln des italienischen Stalinismus, der Demokratischen Linken und der PRC, in Höhe von einigen hunderttausend Euros finanziert.

Das dritte Weltsozialforum stand ganz im Zeichen der Kommunistischen Partei Indiens (Marxisten) und der Kommunistischen Partei Indiens; es handelt sich um die Maoisten und die frühere pro-russische Partei. Es wurde mit 2,5 Millionen Dollar unterstützt; zu den Teilnehmern gehörte der Generalsekretär der Internationalen Konföderation Freier Gewerkschaften (ICFTU), die eine Brutstätte des CIA ist.

Das "Projekt Weltsozialforum 2004" schätzt die Gesamtausgaben für die Veranstaltung in Indien auf 29,7 Millionen Dollar, von denen der Löwenanteil (26,2 Millionen) auf die Kosten für die Teilnahme der Delegierten entfällt und vor allem von NGOs zur Verfügung gestellt wird.

Der Begriff Nicht-Regierungsorganisation (NGO) ist eine zweckdienliche unzutreffende Bezeichnung, weil sie die Rolle vieler dieser Organisationen als politische Instrumente der Regierungen und großen Unternehmen verdunkelt, von deren finanzieller Unterstützung sie abhängen.

Treanor, der sich auf das Weltbank-Dokument "Report on Development: 2000-2001" stützt, stellt fest, dass in diesem Jahr "bei mehr als 70 Prozent aller von der Weltbank 1999 gebilligten Projekte NGOs und Vertreter der ‚Zivilgesellschaft'" beteiligt waren. Weiter berichtet er, ein einzelnes Projekt zur Förderung von NGOs in sieben Ländern habe 900 Millionen Dollar gekostet. Die Bank betraute zwei ihrer Vertreter mit den Beziehungen zu NGOs und Vertretern der ‚Zivilgesellschaft'; heute sind 80 Personen mit dieser Aufgabe befasst".

Treanor führt noch einen weiteren Bericht an, wonach die finanzielle Unterstützung für NGOs seitens der fortgeschritten industrialisierten Länder, ohne die USA, 1995 2,3 Milliarden Dollar betrug; die USA inbegriffen wäre die Summe deutlich höher. Treanor: "Wie einer der Autoren schreibt: 'Diese gigantischen Summen entlarven es als Schwindel, wenn das rasante Wachstum der NGOs als ‚soziales Phänomen' dargestellt wird."

Diesen Schwindel versucht auch Callinicos zu verkaufen. Man sollte zur Kenntnis nehmen, dass schätzungsweise 60 Prozent der finanziellen Unterstützung für das Weltsozialforum von NGOs beigesteuert wurden.

Was das Weltsozialforum und das Europäische Sozialforum weiterhin als Agenturen der Bourgeoisie ausweist, ist die Tatsache, dass das Europäische Sozialforum in Paris im November 2003 von der Stadtverwaltung und dem ehemaligen Wirtschaftsminister der Sozialistischen Partei und möglichen Kandidaten für die Präsidentenwahl 2007, Laurent Fabius, kostenfrei Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt bekam. Am Eröffnungstag frühstückte Fabius mit dem Bauernführer Jose Bové.

Die Veranstaltung erhielt sogar die Unterstützung von Frankreichs gaullistischem Präsidenten Jacques Chirac, der dem Europäischen Sozialforum 500.000 Euro zur Verfügung stellte. Er schickte auch seinen Sonderbeauftragten, Jérôme Bonnafont, um an den Sitzungen teilzunehmen.

Dieses Jahr wird das Europäische Sozialforum in London stattfinden, und die SWP spielt bei der Organisation die führende Rolle. Diese besteht weitgehend darin, die notwendigen Unterstützungs-Millionen einzutreiben, indem man sich an Londons Bürgermeister Ken Livingstone wendet, der kürzlich wieder der Labour Party beigetreten und zum Liebling der Londoner Finanzwelt avanciert ist, sowie an den Dachverband der Gewerkschaften, den Trades Union Congress (TUC).

Anti-Marxismus-Experten

Den endgültigen Beweis für den politischen Charakter des Weltsozialforums und des Europäischen Sozialforums liefert ihre Charta selbst.

Die Proteste gegen die Welthandelsorganisation (WTO), beginnend in Seattle 1999, nahmen gewiss die Entwicklung einer sehr viel breiteren sozialen und politischen Opposition gegen den Kapitalismus vorweg; davon wird später noch die Rede sein. Die Führer des Weltsozialforums und des Europäischen Sozialforums reagierten darauf jedoch mit dem Versuch, diese sozialen Bewegungen unter Kontrolle zu bekommen und sie daran zu hindern, zu einer politischen Herausforderung der alten Parteien und Regierungen zu werden.

Zu diesem Zweck haben die Führer des Weltsozialforums oppositionelle Stimmen einer Zensur unterworfen, die sich nur wenige Regierungen auf der Welt leisten könnten - und derentwegen man sie als autoritär und diktatorisch verurteilen würde.

Dem ersten Weltsozialforum, das 2001 in der südbrasilianischen Stadt Porto Alegre stattfand, war von seiner nicht gewählten Führung eine so genannte "Charta der Prinzipien" übergestülpt worden. Sie sollte die Wut auf die etablierten Parteien manipulieren, um sie gegen jeden zu wenden, der diesen alten Organisationen Widerstand entgegensetzt. Punkt 5 der Charta betont: "Das Weltsozialforum bringt Organisationen und Bewegungen der Zivilgesellschaft aus allen Ländern in der Welt nur zusammen und verbindet sie, aber beabsichtigt nicht, eine Institution zu sein, welche die Weltzivilgesellschaft repräsentiert." (siehe http://www.weltsozialforum.org/prinzipien/index.html) Der Begriff Zivilgesellschaft wird an keiner Stelle erklärt; die Charta beschränkt sich in Punkt 9 auf die negative Definition: "Weder Repräsentanten von Parteien noch militärische Organisationen können am Forum teilnehmen."

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, welche Parteien das Weltsozialforum hier ablehnt, erklärt die Charta gleich im Anschluss: "Regierungsmitglieder und Staatsbeamte, die die Verpflichtungen dieser Charta annehmen, können als Einzelpersönlichkeiten eingeladen werden." (ebd.)

Punkt 10 der Charta hebt noch einmal hervor, welche Absicht man verfolgt. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass sich das Weltsozialforum allen "reduktionistischen Ansichten der Wirtschaft, der Entwicklung und der Geschichte" widersetzt. Damit ist der Marxismus gemeint, den seine Gegner als eine Spielart des "ökonomischen Reduktionismus" verdammen.

Dieser Versuch, das Weltsozialforum und das Europäische Sozialforum darzustellen, als stünden sie "über der Politik" und würden die "Zivilgesellschaft" vertreten, wird damit gerechtfertigt, dass auf diese Weise die "sozialen Aktivisten" das Sagen hätten. In Wahrheit wird dadurch nur die Macht der nicht gewählten und nicht rechenschaftspflichtigen Führer des Weltsozialforums und des Europäischen Sozialforums gesichert, die selbst kaum verhüllte Repräsentanten der alten diskreditierten Parteien - der Sozialdemokratie, des Stalinismus und zahlreicher Spielarten des bürgerlichen Nationalismus - sind.

Diejenigen, die das politische Credo des Weltsozialforums akzeptieren, wie die SWP und die LCR, können ungehindert innerhalb seiner Reihen als loyale Opposition tätig sein. Mit der Aussperrung politischer Parteien wird bezweckt, alle, die sich zu "der Bewegung" hingezogen fühlen, von der Berührung mit wirklich sozialistischer Politik fernzuhalten.

Callinicos' "Übergangsforderungen" und der politische Charakter der SWP

Den "vielfältigen antikapitalistischen Tendenzen", die er auflistet, bietet Callinicos etwas an, das er als neues Übergangsprogramm ausgibt - ein Bezug auf das von Trotzki verfasste Übergangsprogramm, das die Vierte Internationale 1938 verabschiedete.

Wie schon beim Kommunistischen Manifest, ist Callinicos' Programm das genaue Gegenteil des Originals.

Das Übergangsprogramm nahm gegenüber den stalinistischen und sozialdemokratischen Organisationen und ihren Apologeten die Haltung unversöhnlicher politischer Feindschaft ein. Es verfocht die Perspektive der sozialistischen Weltrevolution gegen alle Varianten des Nationalreformismus und beharrte darauf, dass die Verwirklichung dieses historischen Ziels vom Aufbau der Vierten Internationale abhing.

In Übereinstimmung mit dieser strategischen Aufgabe schlug Trotzki eine Reihe von Übergangsforderungen vor, um "den Widerspruch zwischen der Reife der objektiven Voraussetzungen für die Revolution und der Unreife des Proletariats und seiner Vorhut (Ratlosigkeit und Entmutigung der alten Generation, Unerfahrenheit der jungen) zu überwinden. Man muss den Massen im Verlauf ihres täglichen Kampfes helfen, die Brücke zwischen ihren augenblicklichen Forderungen und dem sozialistischen Programm der Revolution zu finden. Diese Brücke muss aus einem System von Übergangsforderungen bestehen, die von den heutigen Bedingungen und dem heutigen Bewusstsein breiter Schichten der Arbeiterklasse ausgehen und stets zu ein und demselben Schluss führen: zur Machtergreifung des Proletariats." (Leo Trotzki, Das Übergangsprogramm, Arbeiterpresse Verlag, Essen 1997, S. 86).

Im Gegensatz dazu verfolgt Callinicos' Programm von Übergangsforderungen nicht das Ziel, das politische Bewusstsein der Arbeiterklasse zu heben, sondern die Führer des Weltsozialforums und des Europäischen Sozialforums für ein Bündnis zu gewinnen. Daher wählt er als Ausgangspunkt etwas, das für alle akzeptabel ist, und stellt Forderungen wie zum Beispiel die Einführung der Tobin-Steuer.

Solche Forderungen widerspiegeln die Interessen kleinbürgerlicher Schichten der Gesellschaft, die befürchten, dass der Bereicherungsdrang der Bourgeoisie das soziale Gefüge zerstört und explosive Klassenkonflikte auslöst. Dadurch geriete ihre relativ privilegierte Existenz im akademischen Bereich, in der Gewerkschaftsbürokratie, in der Sozialdemokratie oder den UN nahestehenden Denkfabriken sowie auf der administrativen und der Leitungsebene zahlreicher NGOs in Gefahr.

Auch die Mitgliedschaft der SWP gehört diesem Milieu an, obwohl sie historisch gesehen die unteren Ränge einnahm und daher in ihrer Rhetorik und in ihren sozialen Forderungen radikaler war. Callinicos und Co. sehen nun neue Möglichkeiten, als linke Berater den sozial höher Stehenden dabei zu assistieren, den alten bürokratischen Arbeiterorganisationen neues Leben einzuhauchen.

Callinicos' Programm in der Praxis

Callinicos' Buch erschien vor dem Hintergrund des US-geführten Kriegs gegen den Irak und der Entstehung einer politischen Massenopposition, die zur historisch einmaligen weltweiten Demonstration von 11 Millionen Menschen im Februar 2003 führte.

Diese Massenbewegung entwickelte sich großenteils als politische Rebellion gegen die alten sozialdemokratischen und stalinistischen Organisationen - insbesondere in den Ländern, deren Regierungen den Krieg unterstützten, wie etwa Großbritannien.

Die politisch reaktionären Konsequenzen der Perspektive Callinicos' traten hier offen zutage. Die SWP konnte, vor allem durch das politische Vakuum, das die Rechtsentwicklung der offiziellen Arbeiterbewegung hinterließ, eine führende Position in den Antikriegsdemonstrationen erlangen. Die Labour-Regierung trat für den Krieg ein; es gab nur eine Handvoll Labour-Abgeordnete, die sich offen zur Antikriegs-Bewegung bekannten; die Gewerkschaften glänzten auf den Demonstrationen vorwiegend durch Abwesenheit, während der Gewerkschaftsdachverband TUC sich öffentlich von ihnen distanzierte.

Die Organisation der Proteste fiel deshalb dem SWP-geführten Komitee Stoppt den Krieg im Golf (Committee to Stop War in the Gulf) in den Schoß. Doch statt die Gelegenheit zu nutzen, die Arbeiterklasse gegen den Krieg und zum Kampf gegen die Regierung im Sinne einer sozialistischen Perspektive zu mobilisieren, tat die SWP alles, um eine Koalition mit vermeintlich progressiven bürgerlichen und kleinbürgerlichen Gruppierungen zusammenzuflicken.

Ihre führenden Vertreter sprachen schließlich auf Kundgebungen gemeinsam mit einer Handvoll von Labour-Abweichlern, UN-Leuten, Reverend Jesse Jackson, dem ehemaligen algerischen Führer Ben Bella und Charles Kennedy, dem Führer der Liberaldemokraten Großbritanniens. Die Koalition Stoppt den Krieg bestand aus der SWP, der Moslem-Vereinigung Großbritanniens (MAB) und der Bewegung für Nukleare Abrüstung (CND).

Die MAB ist eine rechte fundamentalistische Tendenz, die der ägyptischen Moslem-Bruderschaft nahe steht und die Einführung der Scharia-Gesetze unterstützt; der SWP dient sie jedoch als Sprachrohr, um in opportunistischer Weise an viele junge Moslems appellieren zu können, die den Irakkrieg ablehnten. Die CND ist weitgehend inaktiv und bildet einen Ruhesitz für alternde Stalinisten, Christen und einige Pazifisten in der Mittelklasse.

Dieses Bündnis war für die SWP das geeignete Mittel, um in einer sozialen Bewegung, die den alten Parteien und Organisationen feindlich gegenüber steht, gegen jede unabhängige politische Initiative seitens der Arbeiterklasse aufzutreten. Die SWP beharrte darauf, dass der Verzicht auf die Diskussion politischer Differenzen entscheidend sei, um die heterogene Bewegung gegen den Krieg zusammenzuhalten, um alles auf das Niveau allgemeiner Opposition gegen den Krieg zu beschränken, damit niemand sich abgestoßen fühle.

In Wirklichkeit wurde wieder einmal nur sozialistische Politik ausgeschlossen, wodurch diejenigen die Antikriegs-Bewegung dominieren konnten, die die europäischen Mächte und die UN als die einzig realistische Möglichkeit anpriesen, der Kriegstreiberei der USA entgegenzutreten.

Diese falsche Perspektive verhinderte, dass die Antikriegsbewegung zu einer politischen Bedrohung für den britischen und amerikanischen Imperialismus wurde.

Doch auch noch nach dem Krieg initiierte die SWP ein politisches Projekt, bei dem sie wiederum darauf bestand, dass die Grundlage für den Aufbau einer neuen Partei darin bestehe, das offene Eintreten für eine sozialistische Politik abzulehnen und sich auf minimale demokratische Forderungen zu konzentrieren, die alle Klassen ansprächen.

Die im Allgemeinen zutiefst pessimistischen Kader der SWP waren wie aufgeputscht durch die neue Akzeptanz seitens Teilen der Labour- und Gewerkschaftsbürokratie. Und sie waren entschlossen, dies auszunutzen, indem sie sozialistischen Ballast abwarfen und Allianzen schmiedeten mit frustrierten Labour-Leuten und Stalinisten und auch jedem anderen, der sie haben wollte.

Die stolzeste Errungenschaft der von der SWP inspirierten Respect-Unity-Koalition besteht in der Unterstützung des von der Labour Party ausgeschlossenen Parlamentariers und Kriegsgegners George Galloway - ein bekannter Name, berüchtigt für seine opportunistischen Beziehungen mit der arabischen Bourgeoisie, und einer, der öffentlich seine Feindseligkeit gegenüber dem Marxismus bekundet hat. Als die Organisation Kandidaten für die Europawahlen im Juni aufstellte, traten sie sogar unter der offiziellen Bezeichnung "Respect-Unity Coalition (George Galloway)" an.

Die SWP hofft darauf, Galloway möge der erste von vielen Abtrünnigen der Labour Party und der Gewerkschaften sein; das Programm von Respect ist auch so gehalten, dass es deren Unterstützung sicher sein kann. Um bei den Wahlen Furore zu machen, hat sich die SWP islamischen religiösen Vorurteilen angepasst, um sich in asiatisch dominierten Wahlkreisen Stimmen zu sichern. Ihr Opportunismus ist aber so zügellos, dass sie bereitwillig alle möglichen Kräfte unterstützen wird, von denen sie eine Unterstützung für ihre Pläne erwartet, ein nicht-sozialistisches Wahlbündnis aufzubauen.

Auf internationaler Ebene tauscht die SWP ihren Einfluss in England ein gegen einen Platz innerhalb der sogenannten europäischen antikapitalistischen Linken.

Diese vereinigt die gleichen linken Elemente, die um das Europäische Sozialforum (ESF) angesiedelt sind. Dazu gehören die SWP, die Respect-Unity-Koalition sowie die Scottish Socialist Party aus Großbritannien, die LCR aus Frankreich und ähnliche radikale Gruppen aus Portugal, Dänemark, Griechenland, Luxemburg, Spanien und Katalonien.

Ihre Bemühungen, die italienische PRC in ihre Reihen aufzunehmen, zerschlugen sich, als sich Rifondazione einem rivalisierenden Block stalinistischer Parteien anschloss.

Das Manifest der Europäischen Antikapitalistischen Linken zur Europawahlen im Juni 2004 beansprucht abermals, das politische Erbe der Massenbewegung gegen den Krieg anzutreten. Dann aber übergibt es diese Rolle dem ESF mit der Behauptung:

"Die Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2004 sind eine Gelegenheit, für Forderungen und Vorschläge einzutreten, für die die Bewegung gegen die neoliberale Globalisierung wieder und wieder auf die Straße gegangen ist." (http://www.die-welt-ist-keine-ware.de/isl/pdf/manifest.pdf)

Erneut stellen die SWP und ihre Gesinnungsgenossen der Europäischen Union eine nationalreformistische Alternative gegenüber.

Unter der Überschrift, "Ein Europa des Friedens statt der Großmacht Europa" gesteht das Manifest der europäischen Bourgeoisie Legitimität zu und richtet seine Forderungen an einen von Callinicos' berühmten Staaten, die "gemeinsam" handeln: die EU.

Im Manifest heißt es: "Und zum ersten Mal haben die mit dem Aufbau der EU am meisten identifizierten herrschenden Klassen Europas in der Bevölkerung eine gewisse Legitimität errungen, indem sie sich der herrschenden Klasse in den USA widersetzten, wobei ihnen die auf Recht und Gesetz pfeifende Politik Bushs behilflich war. Wir machen uns keinerlei Illusionen über die Pläne der EU. Wir sagen:

Nein zum Krieg! Die EU muss den Krieg als Mittel zur Lösung internationaler Konflikte verwerfen." (ebd.)

Wenn sich das Manifest gegen die EU ausspricht, dann auf der Grundlage, die Spaltung der europäischen Bevölkerung in Nationalstaaten und die Rechte von Nationalstaaten zu verteidigen. In dem Abschnitt, der die EU kritisiert, heißt es: "Für uns muss die Regierungsgewalt vom Volk als dem Souverän ausgehen. Wir erkennen das demokratische Recht der »staatenlosen Nationen« an, ihre Zukunft selbst zu bestimmen und sind mit allen linken Kräften solidarisch, die in diesem Sinne kämpfen, ohne ein politisches Urteil zu fällen." (ebd.)

Durch die Gleichsetzung demokratischer Rechte mit dem Erhalt der nationalen Souveränität unterstützt das Manifest einmal mehr den Nationalstaat als Garanten der Freiheit der Arbeiterklasse, entgegen der Auffassung, dass er das wichtigste Werkzeug ist, das Diktat der herrschenden Klasse durchzusetzen. Der Bezug auf "staatenlose Nationen" stellt eine Unterstützung verschiedener Bewegungen wie der baskischen und katalanischen Separatisten in Spanien und, natürlich, dem Nationalismus der Scottish Socialist Party dar. Solche Bewegungen als links oder progressiv zu bezeichnen, heißt, ihre wahre Rolle zu verbergen: Sie spalten die Arbeiterklasse und nutzen damit regionalen Eliten, die ihre eigenen Beziehungen zu globalen Unternehmen anknüpfen und Subventionen von der EU ergattern wollen.

Hervorzuheben ist, dass die SWP und ihre Verbündeten kein einziges Mal zur Schaffung von Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa aufrufen, sondern nur eine nicht-klassenspezifische Forderung nach einem Europa von "unten" erheben.

Dieses Europa von unten gebe es dank "einer Vielfalt von Bewegungen und von Aktiven: der Gewerkschaften, der Bauernverbände, der im Umweltschutz engagierten Gruppen, der »-losen«-Bewegungen (Erwerbslose, Obdachlose, Ausweislose, Rechtlose), der antirassistischen Komitees, der Flüchtlingsbewegungen, derjenigen, die sich an den Universitäten wehren, der Nichtregierungsorganisationen, die sich für die »Dritte Welt« einsetzen, usf." (ebd.)

Kurz gesagt, geht es nur um ein Europa, das den Patentrezepten und Interessen des Europäischen Sozialforums entspricht. Letzteres wird überschwänglich gelobt, weil es "einen europäischen demokratischen und einheitlichen Rahmen für eine neue Emanzipationsbewegung auf europäischer Ebene" geschaffen habe, die sich nun unter der Führung der antikapitalistischen Linken "auf der politischen Ebene noch durchsetzen muss".

Auch hier drückt die Perspektive von Callinicos und der SWP die Interessen einer Schicht kleinbürgerlicher Karrieristen aus, die eine Möglichkeit sehen, ihren bisherigen Ausschluss von Machtpositionen zu überwinden, indem sie ihre Dienste als linkstönende Experten zur Verteidigung des Status quo und als eingefleischte Gegner des Sozialismus anbieten.

Loading