Innenminister Schily verbietet Kritik an Scharon und Bush

Ein für Anfang Oktober in Berlin geplanter "Erster arabischer und islamischer Kongress in Europa" ist auf erheblichen Druck von Innenminister Otto Schily (SPD) vom Berliner Senat verboten worden.

Offizielles Hauptanliegen des Kongresses war "die Sendung einer Botschaft der Solidarität an die vergessenen Menschen unter der Besatzung in Palästina und Irak". In einer "freiheitlich demokratischen Grundordnung" nichts Besonderes, so sollte man meinen. Selbst Polizei und Verfassungsschutz gaben zunächst zu, dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass dort terroristische Akte vorbereitet würden. "Ich habe keine Erkenntnisse darüber, dass dieser Kongress ein Sammelbecken für Terroristen wäre", sagte Innensenator Erhart Körting (SPD) noch letzte Woche im Rundfunk Berlin-Brandenburg. Er fügte hinzu: "Mir sind solche Erkenntnisse auch vom Bund nicht bekannt."

Trotzdem entfesselten Politik und Medien, kaum war die Veranstaltung offiziell angekündigt, eine maßlose Hetze gegen den Kongress. Ohne auch nur zu wissen, wer überhaupt teilnehmen würde, war für Fernsehen und Boulevardblätter klar, es seien "Hunderte militante Islamisten im Anmarsch".

An der Spitze der Kampagne stand Bundesinnenminister Otto Schily (SPD). Er hatte angekündigt, er wolle "alles daransetzen, dass dieser Kongress nicht stattfindet". Auch Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) setzte sich wie die CDU und die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus für ein Verbot ein. "Ein solcher Kongress auf deutschem Boden ist schlicht unerwünscht", erklärte Beckstein in München.

Innerhalb von wenigen Tagen vollzog dann auch der Berliner Innensenator eine abrupte Kehrtwende. "Ich will solche Hetze hier nicht haben", rief Körting erregt auf einer Pressekonferenz, auf der er das Verbot rechtfertigte. Er betonte, die politische Verantwortung für das Verbot liege beim Berliner Senat, der von SPD und PDS gestellt wird. Zudem wies Körting darauf hin, dass seine Haltung auch von Bundesaußenminister Joseph Fischer (Grüne) geteilt wird. Fischer hatte den deutschen Vertretungen im Ausland Anweisung gegeben, Besuchern der Konferenz Visa zu verweigern.

Das Verbot ist ein grundlegender Angriff auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

Innenminister Schily hatte behauptet, die Konferenz sei "antisemitisch, antiisraelisch", und damit Antisemitismus und Kritik am israelischen Staat in einen Topf geworfen. Diese Behauptung wurde von den meisten Medien kritiklos übernommen, und Körting rechtfertigte damit das Verbot. Zur Begründung wurde lediglich angeführt, dass im Konferenzaufruf zur Solidarität mit dem "Widerstand gegen den amerikanischen und zionistischen Terror" im Irak und Palästina aufgefordert werde, ein Anliegen, dass durch die Meinungsfreiheit gedeckt ist.

Generalbundesanwalt Kay Nehm hat sogar Ermittlungen wegen der Unterstützung terroristischer Vereinigungen aufgenommen. Bisher haben die Behörden aber keine Erkenntnisse bekannt gegeben, ob, wie und zu welchen "terroristischen" Organisationen oder Akten der geplante Kongress oder seine Organisatoren in Beziehung stehen.

Auf der Internetseite, mit deren englischer Version Körting das Kongressverbot begründete, wurde ebenfalls nur der "amerikanisch-zionistische Terror" in den besetzten Gebieten gegeißelt und ganz allgemein zur Unterstützung des "Widerstands", bzw. der "patriotischen und islamischen Befreiungsbewegung" dagegen aufgerufen. Diese, heißt es, habe das Recht auf alle "legitimen" Mittel des Kampfes. Dennoch verbot der Berliner Senat unter Bezugnahme auf diesen Text nicht nur den Kongress, sondern entzog dessen "Generalkoordinator" Fadi Madi auch die Aufenthaltsgenehmigung und schob ihn ohne Vorwarnung in sein Herkunftsland Libanon ab.

Die WSWS lehnt die Perspektiven arabischer Nationalisten und Islamisten ebenso ab, wie ihre oft reaktionären Methoden. Das ändert aber nichts daran, dass die Besetzung des Irak und nicht der Widerstand dagegen völkerrechtswidrig ist. Sogar UNO-Generalsekretär Kofi Annan hat erst jüngst wieder darauf hingewiesen, dass die Invasion des Irak illegal war.

Israel verstößt mit der Besetzung palästinensischen Landes seit Jahrzehnten gegen unzählige UNO-Resolutionen. Scharon selbst wurde in Israel noch vor zwei Jahrzehnten von seinem damaligen Posten als Verteidigungsminister enthoben, weil eine Regierungskommission zum Urteil gelangt war, er trage "persönliche Verantwortung" für die Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila, die nach der israelischen Invasion im Libanon von christlichen Milizen begangen wurden.

Praktisch zeitgleich mit dem Konferenzverbot wurde in der UNO von deren Generalsekretär wieder einmal das Vorgehen der israelischen Armee gegen die Palästinenser beklagt.

Innenminister Schily solidarisierte sich dagegen in einem Interview, das er kurz vor dem Konferenzverbot dem Deutschlandfunk gab, ausdrücklich mit dem illegalen Vorgehen der israelischen Regierung. Er verteidigte den von Israel in den Palästinensergebieten gebauten Sperrwall, der erst vor zwei Monaten vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag für völkerrechtswidrig erklärt wurde: "Wer dort einen Vergleich mit der Berliner Mauer zieht, irrt sich, denn hier geht es nicht darum, Menschen einzusperren, sie ihrer Freiheit zu berauben, sondern Israel geht es darum, sich vor Terroristen zu schützen.... Dass dann Israel versucht, hier einen Schutzzaun zu errichten, der übrigens seine Wirkung tut, ist verständlich und ich glaube, die Kritik ist etwas fern der Realität."

Eine illegale Besatzung mit völkerrechtswidrigen Maßnahmen zu verteidigen ist für Schily "verständlich", wer sie verurteilt und sich mit dem Widerstand dagegen solidarisch erklärt, muss dagegen mit Verbot und Abschiebung rechnen.

Es ist kein Zufall, dass diese Kampagne in denselben Zeitraum fällt wie die Demonstrationen gegen Hartz IV und die Wahlen in Brandenburg und Sachsen. Kurz nach seinen Ausfällen gegen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit beschimpfte Schily wegen der erwarteten Wahlerfolge der rechtsextremen NPD das Bundesverfassungsgericht, das ein von ihm angestrengtes Verfahren zum Verbot dieser Partei eingestellt hatte. Er sagte, der Einzug der NPD in den sächsischen Landtag sei "das Ergebnis einer sehr problematischen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts".

Die Botschaft ist eindeutig. Auf alles, was sich gegen die herrschende Politik richtet, gleich wie unsozial, undemokratisch oder illegal sie ist, kennt der Innenminister nur eine Antwort: staatliche Repression.

Siehe auch:
Otto Schily plant eine massive Einschränkung der Versammlungsfreiheit
(7. Juli 2004)
Der "Fall Metin Kaplan": Ein Lehrstück in deutscher "Rechtsstaatlichkeit"
( 5. Juni 2004)
Ausweitung des politischen Strafrechts in Deutschland und Europa
( 2. Oktober 2001)
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