Urteil im Frankfurter Folterprozess: Polizeivizepräsident Daschner wird nur verwarnt

Im Prozess gegen den Vizepräsidenten der Frankfurter Polizei Wolfgang Daschner ist am 20. Dezember das Urteil gefallen. Das Gericht befand den Angeklagten zwar der schweren Nötigung für schuldig, verurteilte ihn aber trotzdem nicht, sondern sprach lediglich eine Verwarnung mit Strafvorbehalt aus.

Daschner muss 10.800 € zahlen, falls er sich innerhalb einer Bewährungszeit von einem Jahr erneut etwas zu schulden kommen lässt. Bewährungsauflagen gibt es keine. Er gilt damit nicht als vorbestraft, wie die Vorsitzende Richterin ausdrücklich betonte. Der gesetzlich vorgesehene Strafrahmen für schwere Nötigung liegt zwischen sechs Monaten und 5 Jahren Freiheitsstrafe. Angeklagter und Staatsanwaltschaft nahmen das Urteil an, es ist damit rechtskräftig.

Das Gericht blieb noch deutlich unter dem Antrag des Staatsanwalts, der zwar auch auf schwere Nötigung plädiert, aber 27.000 € Strafe, zwei Jahre Bewährungszeit und 10.000 € Bewährungsauflage gefordert hatte - was immer noch weit unter der Mindeststrafe von sechs Monaten liegt.

Daschner hatte im Oktober 2002 Magnus Gäfgen, dem Entführer des elfjährigen Bankierssohns Jakob von Metzler, schwere Schmerzen androhen lassen, wenn er nicht das Versteck des Kindes verrate. Daraufhin gab Gäfgen zu, dass der Junge bereits tot sei. Gäfgen wurde später wegen Mordes mit besonderer Schwere der Schuld zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Wie schon beim Plädoyer der Staatsanwaltschaft war das Strafmaß mit dessen Begründung eigentlich nicht in Einklang zu bringen. Keiner der Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe, die von Daschners Verteidigern vorgebracht worden waren - Notstand, Nothilfe, letztes Mittel zur Gefahrenabwehr - traf zu, es gab weder Regelungs- noch Wertungslücken.

Der Gesetzgeber habe die möglichen Zwangslagen gesehen und seine Abwägung getroffen, sagte die Richterin. Es sei daher unzulässig, die Menschenwürde von Beschuldigten und Verdächtigten mit Leben und Menschenwürde von Verbrechensopfern "abzuwägen", wie die Verteidigung gefordert hatte. Kein Mensch dürfe zum Objekt gemacht werden, zu einem "Bündel der Angst".

In diesem Zusammenhang ging sie auf die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes ein. Dessen Artikel 1, Absatz I lautet: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt". Dieser Artikel sei in bewusster Abgrenzung zum Nationalsozialismus entstanden, erläuterte die Richterin.

Das Gericht machte deutlich, dass es sich der grundsätzlichen Bedeutung des Falles durchaus bewusst war. Es erklärte, die Entführung sei "kein singulärer Einzelfall, leider auch nicht untypisch" gewesen. "Es geht um die Funktionstüchtigkeit des Rechtsstaats, nicht bloß um den Gäfgen."

Aus diesen Ausführungen müsste eigentlich eine besonders harte Strafe folgen, die das Strafmaß weitgehend ausschöpft, so sollte man meinen. Stattdessen tat das Gericht das Gegenteil und berief sich auf § 59 Absatz I Nr. 3 Strafgesetzbuch, wonach im Ausnahmefall dann eine Verwarnung mit Strafvorbehalt ausreicht, wenn "die Verteidigung der Rechtsordnung die Verurteilung zu Strafe nicht gebietet".

Warum sollte die "Funktionstüchtigkeit des Rechtsstaats" also doch nicht so wichtig sein?

Im Grunde genommen hielt das Gericht Daschner und seinen Mitangeklagten offenbar doch für tragische Helden. Es bescheinigte ihnen eine "ehrenwerte Gesinnung" und erklärte: "Es ging beiden ausschließlich darum, das Leben des Kindes zu retten." Sie hätten unter enormem Erfolgsdruck gestanden. Gäfgen habe hartnäckig geleugnet.

Schlicht falsch war die Feststellung, Daschner habe zum frühest möglichen Zeitpunkt ein "Geständnis" abgelegt. Damit bezog sich das Gericht auf eine Aktennotiz Daschners, in der es hieß: "Zur Rettung des entführten Kindes habe ich angeordnet, dass Gäfgen nach vorheriger Androhung unter ärztlicher Aufsicht durch Zufügung von Schmerzen (keine Verletzungen) erneut zu befragen ist."

In einem Zeitungsinterview hatte Daschner detailliert geschildert, wie dies ablaufen sollte. Ein Kampfsportexperte der Polizei, "jemand, der eine Übungsleiterlizenz des Deutschen Sportbundes hat", wurde per Hubschrauber aus dem Urlaub geholt.

Daschner weiter: "Es gibt die Möglichkeit, durch einfache körperliche Einwirkung, zum Beispiel durch Überdehnen eines Handgelenkes, Schmerzen zuzufügen. Es gibt am Ohr bestimmte Stellen - jeder Kampfsportler weiß das - wo man draufdrückt und es tut weh, es tut sehr weh, ohne dass irgendeine Verletzung entsteht. (...) Irgendwann hätte er nicht mehr geschwiegen. Innerhalb sehr kurzer Zeit."

Weiter behauptete die Richterin, die Polizisten hätten "Reue und Einsicht" gezeigt, ohne dies zu belegen. Tatsächlich war für Daschner von Anfang an jede Kritik an seinem Vorgehen eine "Kampagne". Er blieb bis zum Schluss dabei, er habe in einem "Notstand" das einzig Richtige getan, sei dazu sogar verpflichtet gewesen. Über seinen Verteidiger ließ er denn auch nach dem Ende der Verhandlung erklären, er sei "anderer Rechtsauffassung" als das Gericht.

Er wird darin gestützt von mehreren Juraprofessoren, dem Bund der Deutschen Kriminalbeamten und verschiedenen Politikern, zuletzt dem rechtspolitischen Sprecher und stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU-Bundestagsfraktion Wolfgang Bosbach und dem ehemaligen SPD-Vorsitzenden und Finanzminister Oskar Lafontaine.

Die Einsicht und Reue Daschners existierte nicht, außer zur Rechtfertigung des Absehens von Strafe. Die Botschaft des Urteils ist eindeutig: Wer aus "ehrenvoller Gesinnung" heraus foltert, macht sich strafbar. Bestraft wird er aber nicht.

Siehe auch:
Daschner-Prozess: Staatsanwaltschaft fordert Beinahe-Freispruch
(14. Dezember 2004)
Wird Folter in Deutschland wieder hoffähig?
( 26. November 2004)
Im Notstand Folter? Vizepräsident der Frankfurter Polizei wegen Folterandrohung vor Gericht
( 3. Juli 2004)
Der angeblich linke Sozialdemokrat Lafontaine verteidigt Folter
( 25. Mai 2004)
Rechtsstaat oder Polizeistaat? Zur Debatte über die Zulässigkeit von Folter
( 28. Februar 2003)
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