Martin Jacques: Ein verbitterter Stalinist verkündet den Tod der "Linken"

Teil zwei

Hier der abschließende Teil einer Auseinandersetzung mit Martin Jacques, dem ehemaligen Herausgeber von Marxism Today, einem theoretischen Organ der Kommunistischen Partei Großbritanniens.

Im Mittelpunkt der Propaganda von Marxism Today stand das Argument, wir lebten in einer "Post-Fordistischen Gesellschaft", in der der Niedergang der Schwerindustrie jeglicher klassenorientierten Politik den Boden entzogen habe.

Die Marxism Today -Ausgabe vom September 1988 trug die Überschrift "Der Zukunft ins Auge schauen". Sie behauptete, der "Thatcherismus" mit seinem "dynamischen und gewissermaßen radikalen" Individualismus stütze sich "nicht nur auf eine Klasse; er hat ein Bündnis verschiedener sozialer Kräfte geschaffen".

Und weiter: "Die Klasse ist im modernen Kapitalismus nicht das Ergebnis einer einfachen Polarisierung zwischen einer herrschenden Klasse, die die Produktionsmittel besitzt, und einer Arbeiterklasse, bestehend aus Lohnabhängigen. (...) Die Entwicklung des Nachkriegskapitalismus hat eine Vielfalt von Lohnabhängigen und Selbstständigen hervorgebracht, die gewisse Produktionsmittel kontrollieren - Fähigkeiten, Kenntnisse, organisatorischen Einfluss auf die Produktion. Sie sind sowohl Ausgebeutete als auch Ausbeuter. (...) Die Bedeutung dieser Widersprüche zwischen den Beschäftigten liegt darin, dass die Klasse nicht direkt die Grundlage für ein kollektives Interesse am modernen Sozialismus bilden kann."

Dagegen stütze sich die Politik jetzt auf "ein Gefühl von Geschlechts- und ethnischer Zugehörigkeit, sowie auf regionale und religiöse Bindungen". Labour könne nur an die Macht kommen, wenn sie die gleichen sozialen Schichten wie Thatcher anspreche und glaubhaft machen könne, dass ihre Politik noch erfolgreicher zu Wohlstand und Besitz führe.

Die Führung der Labour-Partei war von der Arbeit von Marxism Today derart angetan, dass sie Hobsbawm zum Ratgeber Kinnocks erkor und ihn auch auf dem Labour-Parteitag 1983 auftreten ließ. [Der Historiker Eric Hobsbawm war Eurokommunist und Urheber der hier von Marxism Today vertretenen Thesen - siehe Teil eins.] Brian Gould, Kinnocks wichtigster Berater, setzte sich dafür ein, dass Labour die Parole "Der Zukunft ins Auge schauen" übernahm und dass die Eurokommunisten in der Partei in Scharen aufgenommen wurden.

1988 spaltete sich die CPGB, und 1991 gaben sich die Eurokommunisten um Jacques den Namen Democratic Left (Demokratische Linke).

In den folgenden achtzehn Jahren konservativer Regierungen vertieften die führenden Köpfe in Jacques’ Führungsgruppe ihre Beziehungen mit der ständig weiter nach rechts rückenden Labour Party. Das schlug sich auch in ihrem guten Verhältnis zu Anthony Charles Lynton Blair nieder, mit dem sie sich von Anfang an gut verstanden.

Bezeichnenderweise legte Blair die Ausrichtung seines New Labour Projekts erstmalig in Marxism Today dar. Wie einem Artikel über den Zusammenbruch des Stalinismus von Paul Richards im Guardian zu entnehmen ist, schrieb Blair im Jahr 1990: " Im gegenwärtigen Jahrhundert bewegte sich Politik stets zwischen den Ideologien des uneingeschränkten Individualismus und des Kollektivismus, in der modernen Welt von heute ist jedoch eine Neudefinition der Beziehung von Bürger und Gemeinschaft nötig und es ist notwendig, dass die Labour Party und die Linke dieser Beziehung einen glaubwürdigen Ausdruck verleihen."

Jacques, Charles Leadbetter und Geoff Mulgan von Marxism Today gründeten im Jahr 1993 Demos, einen der einflussreichsten New Labour Think Tanks, und Mulgan avancierte eine Zeitlang zum Leiter von Blairs Politikabteilung in der Downing Street Nummer zehn.

Jacques, der für Blairs Aufstieg so wichtig gewesen war, konnte seine Unzufriedenheit nicht lange verhehlen. Nur ein Jahr nach dem Machtantritt von New Labour gab er eine Sonderausgabe von Marxism Today heraus. Darin warf er Blair vor, er habe versäumt, ein radikales politisches Programm durchzuführen, und setze ausschließlich auf eine Politik, die Jacques als bloße Fortführung des viel dynamischeren Vermächtnisses Thatchers betrachtete.

Die Zeitschrift hatte wenig Inhalt zu bieten. Bemerkenswert war höchstens, wie Mulgan die Kritik seiner ehemaligen Freunde als Gejammer "sozial abgesicherter kleinbürgerlicher Linker aus Oxbridge mit ihrem Insider Slang" bezeichnete und darauf bestand, dass man "in einer Marktwirtschaft, wo die meisten Arbeitsplätze durch private Investitionen geschaffen werden, (...) nur entweder für Arbeitsplätze oder gegen die Wirtschaft sein kann. Beides gleichzeitig zu sein, ist unmöglich."

Auch seine Botschaft lautete: "Blair ist das Einzige, was zählt."

Jacques und New Labour

Seither gibt Jacques den wohlmeinenden Kritiker New Labours. In einem Interview in der Tribune im Oktober 1998 erklärte er: "Ich habe versucht, New Labour in ein vorteilhaftes Licht zu rücken, weil ich Sympathie für Blair empfinde, den ich Anfang der neunziger Jahre ganz gut gekannt habe. Ich fand, dass die traditionelle Labour-Kultur sich erschöpft hatte, dass man darüber hinausgehen musste, und ich erkannte in Blair jemanden, der das verstand. Ich glaubte, er werde die Tories in vielerlei Hinsicht desorganisieren, weil sie nicht begriffen, woher er eigentlich kam."

Er beklagte, das "Blair-Projekt" sei "mehr Rhetorik als Substanz. Ich fühle mich enttäuscht. New Labour hatte 1997 die große historische Chance, eine wirklich radikale Alternative vorzuschlagen, weil die Tories implodiert waren und Labour einen Erdrutschsieg erzielt hatte. Aber anstatt diese Chance zu nutzen, übernahm Blair mehr oder weniger den thatcheristischen Rahmen. Er selbst würde das natürlich nicht so nennen, aber im Großen und Ganzen war es das."

Er tritt in der Öffentlichkeit inzwischen nicht nur deswegen kritischer auf, weil er glaubt, Blair habe eine Chance vertan - welche, sagt er nicht -, sondern auch weil seine empfindlichen politischen Antennen auf die wachsende Gefahr einer politischen Bewegung gegen Blair reagieren.

Jacques kritisiert Blair wegen seiner Unterstützung für den Irakkrieg und seine zu enge Beziehung zur Bush-Regierung, sowie wegen seiner Gleichgültigkeit gegenüber den immer tieferen gesellschaftlichen und politischen Gegensätzen in Großbritannien.

Am 20. Juli warnte er im Guardian zum zehnten Jahrestag Blairs als Parteichef, dieser sei "drauf und dran, seine Partei in die Sackgasse zu führen".

Er schrieb: "Früher oder später wird das Wahlglück wieder wechseln: vielleicht hat es das schon getan. Und Labour könnte in ein ebenso tiefes Loch fallen, wie die Tories gefallen sind. Blair hat genau wie Thatcher seine Partei von ihren traditionellen und historischen Wurzeln getrennt. Als der Thatcherismus unpopulär wurde, hatte die Partei keinen Ausweg und hat dafür einen hohen Preis gezahlt. Das gleiche Schicksal könnte der Labour-Partei blühen. Der Weg zurück zur traditionellen Labour-Perspektive ist definitiv verwehrt, die Mitgliedschaft schwindet und die Bindung an die Gewerkschaften wird schwächer. Früher oder später droht die Wahlkatastrophe, vielleicht für lange Zeit. Der Preis für New Labour - und für Blairs Führung - könnte sich als sehr hoch erweisen."

Jacques äußert seine Warnung nicht aus Sorge um das Schicksal der Arbeiterklasse, sondern weil er fürchtet, der Zusammenbruch von New Labour könnte dem britischen Kapitalismus gefährlich werden.

Er hat sich zu einem respektierten und begehrten Berater führender Vertreter der Bourgeoisie gemausert. Er schreibt nicht nur regelmäßig für den Guardian, den Observer, die Sunday Times, die Times und den inzwischen eingegangenen European, eine Zeitlang war er sogar stellvertretender Herausgeber des Independent. Außerdem beriet er den Chef von BBC News und organisierte Seminare für deren leitende Herausgeber und Manager.

In seiner freien Zeit arbeitete er für Shell International, Tesco, BT und Boots. Außerdem hielt er Vorträge vor dem Top Management Seminar der Regierung, dem Büro für Management im Öffentlichen Dienst, dem College des Öffentlichen Dienstes, dem Institut für Personalführung und vielen anderen.

Im Interesse solcher Kräfte kritisiert Jacques bestimmte Aspekte von Blairs Politik, betont aber, diese Kritik werde nicht - und dürfe nicht - zur Entwicklung einer linken oder sozialistischen Opposition führen.

Jacques ist ein alter Hund und lernt keine neuen Tricks mehr. Er beobachtet den Zusammenbruch und den Niedergang des Einflusses der alten sozialdemokratischen Bürokratie und prophezeit, dass die Reaktion davon profitieren wird. Aber er ist kein unparteiischer Weiser, sondern handelt selbst im Dienste der Reaktion, indem er eine nationalistische und kommunalistische Perspektive propagiert.

Damit setzt er seine langjährige Verteidigung des Nationalstaats fort. So schrieb er am 23. Oktober in einem Artikel im Guardian : "Trotz der Globalisierung zeigen die Nationalstaaten keine Zeichen des Niedergangs."

Er behauptet: "Seit einer Generation ist es zumindest in Europa ein Glaubenssatz, dass der Nationalstaat sich in rapidem Niedergang befinde. Die Entwicklung der Globalisierung, zunehmende gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit, die Ausbreitung neuer internationaler Organisationen und die Macht der Multis, von der Europäischen Union selbst ganz zu schweigen, haben glauben gemacht, dass die Zukunft in neuen globalen oder regionalen Regierungsformen liege. Das war eine Täuschung. Das Gegenteil passiert. Nationalstaaten werden in den internationalen Entwicklungen in den nächsten Jahrzehnten die entscheidende Rolle spielen."

Jacques ergänzt diese unbegründete Behauptung mit der Bemerkung, die stärkeren Länder würden besser abschneiden als die schwächeren, was gut für die Vereinigten Staaten und schlecht für Europa sei. Eine mögliche Herausforderung der Vorherrschaft der USA sieht er nicht von Europa ausgehen, sondern höchstens von China und dem übrigen Asien - und von den wiedererwachten antikolonialen Kämpfen in unterdrückten Ländern wie dem Irak.

Jacques drückt sich nicht sehr eindeutig aus, und die politischen Schlussfolgerungen aus seiner Analyse deutet er nur an. Aber seine Befürwortung von ethnischen und nationalen Bewegungen hat eine eigene Logik, die nicht einfach als Unterstützung für die Selbstbestimmung unterdrückter Völker missverstanden werden sollte.

Er betont, dass der Wettbewerb zwischen Nationalstaaten und die Verteidigung nationaler Interessen und nicht der Kampf der Arbeiterklasse für Sozialismus und Internationalismus das politische Leben der nächsten hundert Jahre bestimmen werde. Und außerdem, dass der Kapitalismus als Weltsystem durch den Aufstieg Chinas und Indiens eine neue Stärke erlangen werde. Er erklärt: "Das Auftreten der USA als unilaterale Supermacht war eine unsanfte Erinnerung, wo die Macht wirklich liegt.... Der Aufstieg Chinas zur Supermacht, und wahrscheinlich Indiens in absehbarer Zeit, unterstreicht die Bedeutung des Nationalstaats. Nationalstaaten, und nicht multinationale Organisationen, werden die entscheidenden Player des 21. Jahrhunderts sein."

Das internationale Anwachsen der Arbeiterklasse

Die politische Linie der Eurokommunisten war nur eine Äußerung des allgemeinen politischen Phänomens des Zurückweisertums. Als Reaktion auf die Entwicklung der Globalisierung und auf ihre zunehmende Unfähigkeit, durch ökonomische Regulierung in den Grenzen des Nationalstaats soziale Zugeständnisse für die Arbeiterklasse zu organisieren und dadurch ihre Unterstützung zu erhalten, ließen die stalinistischen und sozialdemokratischen Bürokratien ihre alten reformistischen Programme fahren und wurden zu Propagandisten der freien Marktwirtschaft.

Zeitweilig waren die Parteien, die aus den Trümmern der alten Arbeiterbewegungen entstanden, in der Lage, von der Verwirrung zu profitieren, die sie früher selbst durch ihre Verrätereien geschaffen hatten, sowie von dem Hass vieler Arbeiter auf die konservativen Regierungen der achtziger und frühen neunziger Jahre. So konnten sie eine gewisse Basis halten und gleichzeitig neue soziale Stützen unter wohlhabenderen Schichten gewinnen.

Aber nichtsdestoweniger hatte sich ihre Beziehung zur Arbeiterklasse grundlegend und unumkehrbar gewandelt.

New Labour unter Blair zeigt vielleicht zum klarsten, wie sich die alten sozialdemokratischen Parteien in direkte Vertreter einer internationalen Finanzoligarchie verwandelt haben. Die Partei widmet sich der Bereicherung dieser Schicht auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung. Der Regierung droht nicht deshalb ein Wahldesaster, weil Blair nicht radikal genug vorgegangen wäre, wie Jacques behauptet. Vielmehr können auch noch so clevere politische Einflüsterer und halboffizielle Berater von der Art eines Jacques einer Regierung keine Unterstützung mehr in der Bevölkerung verschaffen, die einzig im Interesse der Superreichen handelt.

Den ideologischen Rezepten der Eurokommunisten der achtziger und neunziger Jahre war nur ein kurzes Leben beschieden. Daher Jacques Bestreben, einen neuen politischen Mechanismus für die Unterdrückung der Arbeiterklasse zu entwickeln.

Entgegen seinen Behauptungen gibt es jedoch machtvolle objektive Faktoren, die nicht auf eine Wiederbelebung der alten Arbeiterbewegung hinweisen, sondern auf ihre Erneuerung auf sozialistischen und internationalistischen Grundlagen.

Die Arbeiterklasse ist nicht geschrumpft. Sie hat zahlenmäßig enorm zugenommen und ihr internationaler Charakter ist noch viel deutlicher geworden, wie dieser "Asienexperte" sehr wohl weiß. Die Arbeitsplätze vieler Arbeiter mögen sich gewandelt haben, aber der grundlegende Gegensatz zwischen den Interessen von Milliarden arbeitender Menschen auf der ganzen Welt und der schmalen Elite, deren Interessen Wirtschaft und Politik dienen, ist augenfälliger denn je.

Jacques mag die Auswirkungen der Globalisierung auf den Nationalstaat als "Illusion" abtun. Aber die schmerzlich offensichtliche Krise des alten Nationalstaatensystems kann er nicht so leicht abtun, und auch nicht die Tatsache, dass die Spaltung der Welt in antagonistische Nationalstaaten ein absolutes Hemmnis für die rationale Entwicklung der Produktion und eine Bedrohung für das Überleben der Menschheit insgesamt geworden ist.

Der Irakkrieg ist der Vorbote für einen erneuten Kampf der Großmächte, vor allem der Vereinigten Staaten, um die Neuaufteilung der Welt. Das hat weltweit schon eine machtvolle antiimperialistische und Antikriegsstimmung angefacht. Gerade diese Bedingungen erzeugen den objektiven Impuls für den Aufbau einer marxistischen Weltpartei, gegen die Jacques sein Leben lang gekämpft hat. Und gerade das Phänomen, das ihn so umtreibt, und von dem er seine Behauptung ableitet, dass es keine Alternative zu Mr. Blair oder dem Kapitalismus als System gäbe, - nämlich das Wegbrechen der Unterstützung für die alte bürokratische und nationalistische "Linke" - ist ein Beleg dafür, dass die Bedingungen für eine solche Entwicklung des politischen Bewusstseins der Arbeiterklasse heranreifen.

Schluss

Siehe auch:
Martin Jacques: Ein verbitterter Stalinist verkündet den Tod der "Linken" - Teil 1
(29. Dezember 2004)
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