"Erstdiagnose Ertrinken"

Afrikaner erleidet Tod nach Brechmitteleinsatz der Bremer Polizei

Erneut ist in Deutschland ein Afrikaner gestorben, nachdem ihm auf Anordnung der Polizei ein Brechmittel zwangsweise verabreicht worden war. Obwohl diese unmenschliche, medizinisch höchst bedenkliche und als Mittel zur Beweissicherung unnötige Praxis des Brechmitteleinsatzes bei mutmaßlichen Drogenhändlern nunmehr bereits zwei Todesopfer gefordert hat, kündigte die verantwortliche Bremer Behörde an, die Methode beizubehalten.

Das jüngste Opfer, ein 35jähriger Mann aus Sierra Leone, war am 27. Dezember 2004 von einer Zivilstreife der Bremer Polizei verdächtigt worden, mit Drogen zu handeln und bei der Kontrolle Kokain-Kügelchen heruntergeschluckt zu haben. Er wurde daraufhin ins Polizeipräsidium gebracht, wo ihm vom diensthabenden Arzt ein Brechsirup verabreicht werden sollte. Da sich der Afrikaner gegen die Behandlung zur Wehr setzte, wurde er gefesselt und bekam das Brechmittel und Wasser mit einem Schlauch durch die Nase in den Magen eingeflößt.

Über das, was hiernach geschah, existieren äußerst unterschiedliche Darstellungen, wobei die Erklärungen von Seiten der Polizei und des Innensenators schon allein deshalb am wenigsten glaubwürdig sind, weil die Behörden den Vorgang über Tage hinweg verschwiegen und erst Stellung nahmen, als in der vergangenen Woche die ersten Informationen über den Fall an die Öffentlichkeit drangen.

Nach einer Pressemitteilung der Polizei soll der Afrikaner "eine Bewusstlosigkeit vorgetäuscht" haben, nichtsdestotrotz habe man einen Notarzt angefordert, als sich der Mann "plötzlich nicht mehr ansprechen ließ". Der Notarzt habe bei seiner Untersuchung allerdings normale Werte und Vitalfunktionen festgestellt. Als das Brechmittel Wirkung zeigte, habe der Verdächtige einige der hochgewürgten Kügelchen zerbissen und wieder geschluckt.

Erst nach diesem Zerbeißen und Herunterschlucken der erbrochenen Drogenkügelchen, so die Polizei, habe sich der Zustand des Mannes "tatsächlich verschlechtert" und der Notarzt eine Reanimation vornehmen müssen. Der zum Zeitpunkt der Pressemitteilung im Koma liegende, mittlerweile hirntote Mann wurde mithin von der Polizei selbst für seinen Zustand verantwortlich gemacht, da er sich selbst vergiftet, das Bewusstsein genommen und letztlich getötet habe.

Der Leiter des Bremer Rechtsmedizinischen Instituts, Michael Birkholz, dessen Mitarbeiter im Polizeiauftrag das Brechmittel verabreicht hatte, widersprach allerdings bereits in ersten Presseberichten dieser offiziellen Darstellung und erklärte, er habe gehört, dass der Patient Erbrochenes eingeatmet habe.

Schließlich erhob der Notarzt, der bei der Zwangseinflößung des Brechmittels hinzugezogen worden war, schwere Vorwürfe gegen die Beamten und den beteiligten Mediziner. Ihm zufolge ist der Verdächtige praktisch ertränkt worden, als ihm der Auftragsarzt der Polizei Brechmittel und Wasser durch den Schlauch in den Magen pumpte. "Erstdiagnose Ertrinken" heißt es dementsprechend im Einsatzprotokoll des Notarztes.

An die Staatsanwaltschaft schrieb er, "dass der Patient einen erheblichen, wahrscheinlich zum Tode führenden Hirnschaden erlitten hat aufgrund eines Sauerstoffmangels, der entstanden ist durch das in die Lunge eingedrungene Wasser bei einer ‚Magenspülung’ zur Sicherung von Beweismitteln". Literweise sei dem gefesselten, sich wehrenden Verdächtigen Wasser eingeflößt worden, berichtete der Notarzt und fügte hinzu: "Sowohl der Kollege wie auch die beiden Polizeibeamten vermittelten den Eindruck, als sei dies ein absolut übliches Standardvorgehen."

Nach jedem Erbrechen sei der Magenschlauch wieder neu gelegt und erneut Wasser eingefüllt worden. Nach etwa 20 Minuten habe der Mann fast nicht mehr geatmet. Die künstliche Beatmung sei erst "nach relativ langer Zeit" gelungen, da "Unmengen von Wasser" aus Speise- und Luftröhre austraten und den Rachen füllten.

Nach der Reanimation lag der Afrikaner im Koma, bis am vergangenen Samstag die Bremer Staatsanwaltschaft seinen Tod bekannt gab.

Der Bericht des Notarztes lässt darauf schließen, dass der Verdächtige in diesem Fall aufgrund der grausamen, medizinisch völlig abwegigen Zwangseinflößung von Brechsirup und mehreren Litern Wasser starb. Der Anwalt des Notarztes bezeichnete die "außergewöhnlich brutale Methode" als "eine Art von Bestrafung oder Folter".

Doch auch ohne eine vorsätzlich brutale Verabreichung kann der Brechsaft aus der mexikanischen Ipecacuanha-Wurzel schwere körperliche Schäden bis hin zum Tod verursachen. Und weder die beteiligten Mediziner noch die verantwortlichen Behörden können behaupten, von dieser Gefahr nichts gewusst zu haben.

Zahlreiche Nebenwirkungen und häufig auftretende Komplikationen sind beim Einsatz von Ipecacuanha beschrieben worden, von Rissen in Magen und Speiseröhre, über unstillbares Erbrechen bis hin zum Herztod. In dem medizinischen Fachbuch Martindale - The Extra Pharmacopeia heißt es, eine Aufnahme des Brechmittels in größeren Dosen könne "die Herzfunktion beeinträchtigen, dabei können Leistungsstörungen oder Herzinfarkte auftreten. Diese Nebenwirkungen können in Verbindung mit einer erbrechensbedingten Entwässerung einen ... Kollaps mit nachfolgendem Tod bewirken".

Bei der Zwangsverabreichung von Brechmitteln durch eine Magensonde besteht die zusätzliche Gefahr innerer Verletzungen durch die Einführung der Sonde selbst, die einem sich wehrenden Menschen durch die Nase gestoßen wird und statt der Speise- die Luftröhre treffen oder auch die Speiseröhre verletzen kann. Ebenso besteht die Gefahr, dass Erbrochenes eingeatmet wird.

Erst vor drei Jahren hatte in Hamburg der 19jährige Achidi John aus Kamerun einen Herzstillstand erlitten, nachdem ihm gegen seinen Willen Ipecacuanha-Sirup verabreicht worden war. John litt unter einem Herzfehler und hatte sich mit dem Ausruf "Ich werde sterben" verzweifelt gegen die Zwangsmedikation gewehrt.

Die Auftragsärztin der Hamburger Polizei hatte auf eine Voruntersuchung nichtsdestotrotz verzichtet. Begründet wurde dies später ausgerechnet mit der Gegenwehr des jungen Mannes. John brach nach der Verabreichung des Brechmittels zusammen, wurde aber nicht sofort behandelt, weil die Medizinerin und die Beamten zunächst davon ausgingen, dass er sich lediglich "tot stellen" würde. Die Reanimation begann erst, als schon wertvolle Minuten verstrichen waren und der Herzstillstand bei John bereits den Hirntod ausgelöst hatte.

Der Tod des jungen Afrikaners sorgte für Aufsehen und harsche Kritik an der Zwangsverabreichung von Brechmitteln und wurde vom Berliner Senat zum Anlass genommen, diese Praxis fallen zu lassen. Doch weder Bremen, das 1991 als erstes Bundesland Brechmittel gegen mutmaßliche Drogenhändler zum Einsatz brachte und diese Methode deutschlandweit am häufigsten anwendet, noch die Hamburger Innenbehörde sahen sich durch den Tod von Achidi John veranlasst, diese Politik in Frage zu stellen.

Den Strafverfolgungsbehörden bieten sich dabei durchaus andere, ungefährliche Möglichkeiten, um den Mageninhalt von mutmaßlichen Dealern zu überprüfen und mögliche Beweismittel in Form von Kokain-Kügelchen sicherzustellen. In zahlreichen Bundesländern wartet die Polizei ab, bis der Mageninhalt auf natürliche Weise ausgeschieden wird, oder es werden konventionelle Abführmittel eingesetzt.

Aus medizinischer Sicht scheint dies möglich, da es sich bei den auf der Straße aufgegriffenen Verdächtigen um Kleindealer handelt und die verhältnismäßig geringen geschluckten Drogenmengen keine weitreichende Gefährdung für das Leben des Dealers darstellen, selbst wenn sich Verpackungen im Darm öffnen würden.

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt hatte bereits im Jahre 1996 die zwangsweise Vergabe von Brechmitteln zum Zweck der Beweissicherung als unzulässig erklärt, da sie nicht durch die Strafprozessordnung gedeckt ist und "gegen die Verpflichtung zum Schutz der Menschenwürde und gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angeklagten" verstoße. Die OLGs Bremen und Düsseldorf konnten dagegen keine verfassungsrechtlichen Bedenken erkennen und sanktionierten die Praxis. Das Bundesverfassungsgericht lehnte 1999 eine Beschwerde formal ab, stellte aber fest, dass "im Hinblick auf das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ... verfassungsrechtlich relevante, insbesondere medizinische Fragen zu klären" seien.

Der Bremer Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) verteidigte auch nach dem jüngsten tödlichen Brechmitteleinsatz die erniedrigende und grausame Behandlung mutmaßlicher Straßendealer. Die Zwangsbehandlung sei "unverzichtbar" und habe sich bewährt, erklärte er zynisch. Für das Opfer hatte Röwekamp nur Hohn und Verachtung über und zeigte nicht eine Spur des Bedauerns oder Mitleids: Der Brechmitteleinsatz sei gerechtfertigt, der mutmaßliche Drogendealer hätte die Kapseln ja nicht schlucken müssen, sagte der Innensenator im Regionalmagazin Buten un binnen von Radio Bremen.

Der Law-and-Order-Politiker Röwekamp setzt zudem offensichtlich auf eine vermutete abschreckende Wirkung des Brechmitteleinsatzes und verteidigt offensiv - und rechtswidrig - nicht nur die Erniedrigung, sondern auch die Qualen und Verletzungen, die den Verdächtigen im Zuge der Zwangsvergabe widerfahren können. "Schwerstkriminelle", sagte Röwekamp in einer Fernsehsendung von Radio Bremen, müssten eben "mit körperlichen Nachteilen" rechnen. In den Reihen der Folter-Befürworter, die sich seit einiger Zeit in Deutschland und anderswo vehement zu Wort melden, wird er mit dieser Aussage herzlich willkommen sein.

Siehe auch:
Hamburg: Afrikaner nach Zwangsverabreichung von Brechmittel ohne Überlebenschance
(13. Dezember 2001)
Wird Folter in Deutschland wieder hoffähig?
( 26. November 2004)
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