DNA-Analysen sollen Standard werden

Schritt zur genetischen Registrierung der gesamten Bevölkerung

Auf den ersten Blick hat es etwas von klassischer Konditionierung. Wie die Hunde des Wissenschaftlers Pawlow anfingen zu sabbern, sobald ein Hinweisreiz eine anstehende Fütterung anzeigte, so geifert auch die politische Elite in Deutschland bei jederöffentlichkeitswirksamen Straftat los, um schärfere Gesetze, härtere Strafen und mehr Überwachung der Bevölkerung zu fordern. Nach der schnellen Aufklärung des Mordes an dem Münchener Edelboutiquebesitzer Rudolph Mooshammer mit Hilfe eines DNA-Tests sollen nun die Anwendungsmöglichkeiten der DNA-Analyse für die Ermittlungsbehörden drastisch ausgeweitet werden.

An vorderster Front stehen dabei nicht nur die notorischen Law-and-Order-Apologeten aus der Union - wie die Innenminister aus Bayern und Brandenburg, Günter Beckstein (CSU) und Jörg Schönbohm (CDU) - sondern vor allem die Führungsriege der SPD. Neben Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) sind es dabei vor allem die sozialdemokratischen Innenminister Fritz Behrens und Klaus Buß aus Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, die eine möglichst grenzenlose Anwendung der genetischen Registrierung der Bevölkerung propagieren.

Das Bundesverfassungsgericht hatte in zwei Urteilen in den Jahren 2000 und 2001 der allgemeinen Speicherung des sogenannten "genetischen Fingerabdrucks" von Verdächtigen noch Grenzen gesetzt. Diese Hürden sollen nun fallen, denn insbesondere der bislang geltende Richtervorbehalt und die Begrenzung auf Straftaten von erheblicher Bedeutung sind den Innenpolitikern aus SPD und Union ein Dorn im Auge.

Nach dem Willen Otto Schilys soll "die DNA-Analyse zum Standard bei erkennungsdienstlichen Behandlungen" gemacht werden. Der DNA-Test würde damit dem "klassischen" Fingerabdruck und dem Foto gleichgestellt werden. Erhebung und Speicherung des genetischen Fingerabdrucks würden dann schon bei Bagatelldelikten durchgeführt werden. "Ich rede über jede denkbare Straftat, möglicherweise auch Ladendiebstahl, wenn tatsächlich Wiederholungsgefahr diagnostiziert würde", bestätigte Behrens diese Pläne gegenüber dem Deutschlandfunk.

Den Richtervorbehalt hält Behrens ebenso wie Schily und der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, für komplett "überflüssig". Wiefelspütz erklärte dazu gegenüber der Rheinischen Post, "das Bundeskriminalamt, das die Dateien führt, ist keine Filiale der Mafia, sondern eine Veranstaltung des demokratischen Rechtsstaates".

Dabei zeigt gerade der Fall Mooshammer, dass es die Ermittlungsbehörden schon mit den bestehenden Vorschriften nicht so genau nehmen. Der nun des Mordes an R. Mooshammer beschuldigte Herisch H. hatte vor Jahren als Tatverdächtiger freiwillig seine Speichelprobe bei der Polizei abgegeben, er wurde jedoch nicht verurteilt. Seine DNA-Analyse hätte daraufhin vernichtet werden müssen und nicht ans BKA übermittelt werden dürfen. Der Münchener Staatsanwalt Peter Boje rechtfertigt nun die Speicherung nachträglich damit, dass ein "Restverdacht" bestehen blieb - eine Kategorie, die es juristisch überhaupt nicht gibt.

Polizeiliche Willkür, wer eine Speichelprobe zwecks DNA-Analyse abgeben muss, kann bei der geplanten Neuregelung keineswegs mehr ausgeschlossen werden. Denn nicht nur jeder Ladendieb kann sich wegen bestehender Wiederholungsgefahr plötzlich in der DNA-Analyse-Datei des Bundeskriminalamtes wiederfinden, sondern auch jeder Teilnehmer einer Demonstration, der von der Polizei in Gewahrsam genommen wurde. Und das theoretisch für immer, denn Löschfristen sind rechtlich nicht vorgesehen. Bislang gilt nur eine interne Richtlinie des BKA, dass nach zehn Jahren ohne neuerliche Auffälligkeit der persönliche Datensatz gelöscht wird. Bei Gefängnisinsassen gilt dies erst ab dem Tage der Entlassung aus dem Strafvollzug.

Die große Koalition von Law-and-Order

Ungeachtet der Tatsache, dass die unionsgeführten Landesregierungen von Bayern, Hessen und Hamburg eine eigene Gesetzesinitiative zur Ausweitung der DNA-Analyse in den Bundesrat einbringen wollen, verhallen deren Stimmen in dem lauten Chor des Regierungslagers, der nach mehr "Sicherheit" ruft.

Die reaktionärsten Kräfte in der Politik wie Beckstein, Schönbohm oder der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) müssen die SPD schon gar nicht mehr nach rechts drücken, sie ist schon da. Fritz Behrens und Klaus Buß stehen im Wahlkampf für anstehende Landtagswahlen, da kommt ihnen eine Debatte um die "innere Sicherheit" gerade recht, um mit populistischem Getöse der Union den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch auch der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering und Bundeskanzler Gerhard Schröder haben inzwischen ihre Zustimmung für die Ausweitung der DNA-Analysen verkündet.

Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) gab daraufhin ihren anfänglichen Widerstand auf, erklärte sich mit einer Ausweitung grundsätzlich einverstanden und kündigte einen eigenen Gesetzesentwurf an. Zypries strebt dabei nach Berichten der ARD-Tagesschau "eine größtmögliche, sinnvolle Nutzung des genetischen Fingerabdrucks" an und verlangt nur eine "Verknüpfung mit einer etwaig künftig aufzuklärenden Straftat". Dadurch könnte die Polizei geradezu beliebig DNA-Tests durchführen, da sie sich immer darauf berufen könnte, dass die betreffende Person möglicherweise in der Zukunft eine Straftat begehen könnte.

Die von Zypries bekundeten Bedenken richteten sich allerdings auch nicht gegen die Einschränkung demokratischer Rechte, sondern basierten auf der Furcht, dass das Bundesverfassungsgericht eine Verschärfung des "DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes" für null und nichtig erklären könnte.

Auch die anfänglichen Bedenken der Grünen gegen den geplanten massiven Eingriff in persönliche Freiheitsrechte waren kaum mehr als das Rauschen im Blätterwald. Während die Grünen zunächst noch keinerlei Regelungsbedarf attestierten, haben sie sich nun zur Ausweitung der DNA-Tests weitgehend bereit erklärt. Deren Bundessprecher Reinhard Bütikofer erklärte, dass die Grünen grundsätzlich einverstanden seien, sowohl den Straftatenkatalog auszuweiten als auch den Richtervorbehalt zu kippen, wenn ein Beschuldigter "freiwillig" einem DNA-Test zustimme.

Noch 1998 hatten die Grünen als Oppositionspartei vehement gegen die Einführung der Gen-Datei protestiert. Bereits damals war ein Einzelfall - der Mord an Christina Nytsch und die Durchführung eines Massengentests - zum Anlass für die Einrichtung der DNA-Analyse-Datei beim BKA geworden.

Einwände von Datenschützern werden beiseite gewischt

Die Einwände von Datenschützern gegen eine Ausweitung der DNA-Dateien werden dabei einfach vom Tisch gewischt. Selbst vor Falschdarstellungen schrecken die Hardliner an der Spitzte des Staates nicht zurück.

So wird behauptet, die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Grenzen würden die Ermittlungsbehörden einengen und eine effektive Straftatenaufklärung verhindern. Besonders aufs Korn genommen wird dabei der Richtervorbehalt. Dabei werden die richterlichen Genehmigungen in der Regel innerhalb weniger Stunden im Schnellverfahren durchgeführt.

Der Richtervorbehalt gilt zudem nur für die Speicherung. In laufenden Ermittlungsverfahren ist der DNA-Test von Verdächtigen dem klassischen Fingerabdruck bereits jetzt gleich gestellt und eine richterliche Genehmigung nicht erforderlich. In einigen Bundesländern wurden sogar schon bei Ladendiebstählen Speichelproben für eine DNA-Analyse genommen. Eine tatsächliche rechtliche Einschränkung gibt es hier nicht.

Schily, Behrens, Beckstein und Co. erklären darüber hinaus, der genetische Fingerabdruck gehe inhaltlich nicht weiter als andere erkennungsdienstliche Methoden und würde daher keine Einschränkung persönlicher Rechte darstellen. Sie verweisen dabei darauf, dass nur die nicht-codierenden Teile der Erbsubstanz zur Identitätsfeststellung herangezogen werden und daher keine Rückschlüsse auf persönliche Merkmale möglich seien.

Aber selbst das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass die "Feststellung, Speicherung und (künftige) Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters" in das "Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung" eingreifen. Mit anderen Worten: Der DNA-Test geht qualitativ weit über den klassischen Fingerabdruck hinaus.

Darauf verweisen auch die Datenschutzbeauftragtren von Bund und Ländern, denn auch mit den nicht-codierenden Teilen der DNA lassen sich Merkmale wie Geschlecht, ungefähres Alter, ethnische Herkunft und einige Erbkrankheiten feststellen. Die Datenschutzbeauftragte Nordrhein-Westfalens, Bettina Sokol, warnte daher gegenüber der tageszeitung auch vor einer weiteren Aufweichung der Beschränkungen für DNA-Analysen. "Eine DNA-Analyse ist wie eine Wohnungsdurchsuchung oder die Telefon-Überwachung ein Eingriff in die Grundrechte."

Völlig an der Realität vorbei geht auch das Argument Schilys, "die Zahl der mit einer DNA-Analyse erfassten Bürgerinnen und Bürger" würde "auch nach einer Gesetzesänderung im Promillebereich liegen".

Tatsächlich umfasst die DNA-Analyse-Datei beim BKA bereits heute knapp 400.000 Datensätze, davon beziehen sich 85 Prozent auf bekannte Personen, 15 Prozent sind anonyme Tatortspuren. Jeden Monat kommen rund 4.000 weitere hinzu. Die Fingerabdrucksdatei der Polizei umfasst hingegen über 3 Mio. Einträge. Eine Gleichstellung der DNA-Analyse mit den bisher üblichen erkennungsdienstlichen Methoden führt dazu, dass 4 Prozent der Gesamtbevölkerung genetisch erfasst würden.

Der bayerische Datenschutzbeauftragte Reinhard Vetter warnte daher in der tageszeitung vor einer "willkürlichen Ausweitung der Analysedatei". Diese sei nur ein erster Schritt zur Registrierung der ganzen Bevölkerung. Und selbst diese Forderung gibt es bereits. Der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) schlug vor einigen Jahren bereits die Speicherung des genetischen Fingerabdrucks aller Männer in Deutschland vor.

Der Bevölkerung soll auch weisgemacht werden, dass der DNA-Test eine präventive Wirkung hätte und die Strafverfolgung vereinfachen würde. In der ARD-Sendung "Sabine Christiansen" behauptete Günter Beckstein, dass zehntausend Verbrechen aufgeklärt und Hunderte von Sexualverbrechen verhindert werden könnten. Unterstützt werden solche Aussagen von rechten Kriminologen wie Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen.

Aber die präventive Wirkung des genetischen Fingerabdrucks ist nichts als ein Hirngespinst. Der klassische Fingerabdruck und Überwachungskameras können durch Handschuhe und Gesichtsmasken umgangen werden, die DNA-Spuren können durch Verstreuen von Hautschuppen und Haaren Dritter am Tatort unbrauchbar gemacht werden. Auch mit der DNA-Analyse lassen sich keine Straftaten verhindern, sie ist kein präventives sondern nur ein reaktives Instrument. Zudem eines, das polizeilicher Willkür Tür und Tor öffnet. Gefälligkeitsgutachten von DNA-Analysen zuungunsten von Angeklagten hat es in den USA bereits gegeben.

Doch nicht nur die möglichen Falschverdächtigungen machen den genetischen Fingerabdruck zu einem gefährlichen Instrument im Arsenal der Ermittlungsbehörden, sondern auch die Umkehrung der Unschuldsvermutung. Unbeteiligte Passanten, die sich zufällig am Tatort aufgehalten haben, können durch die von ihnen hinterlassenen DNA-Spuren plötzlich in das Visier der Sicherheitskräfte geraten. Die DNA-Analyse gilt aber als schlagkräftiger Beweis. Ein zu Unrecht Verdächtiger sieht sich dadurch plötzlich der Situation ausgesetzt, seine Unschuld beweisen zu müssen - im Widerspruch zu elementaren Rechtsgrundsätzen.

Schließlich wird die Ausweitung der DNA-Tests auf Bagatelldelikte damit begründet, dass "neuere" kriminologische Forschung gezeigt hätte, dass Sexual- und Gewalttäter vorher bereits mit minder schweren Delikten auffällig geworden seien.

Aber auch eine Ausweitung der DNA-Dateien würde daran nichts ändern oder zur Eindämmung von Gewaltkriminalität führen. Zudem sind diese Erkenntnisse seit Jahrzehnten bekannt, nur die Erklärungsmuster haben sich geändert.

Bis Anfang der 1970-er Jahre galten die sozialen Verhältnisse - materielle Notlagen, mangelhafte Bildungssysteme, fehlende soziale Infrastruktur und düstere Zukunftsaussichten - als auslösende Faktoren für kriminelle Karrieren, die durch die Strafverfolgungsbehörden noch verstärkt wurden, da eine strafrechtliche Auffälligkeit und entsprechende Einträge in das Strafregister die Resozialisierung in einen nicht-delinquenten Alltag erschwerten. Auf dieser Grundlage wurde in den siebziger Jahren der Resozialisierungsgedanke bei der Behandlung von Straftätern stärker in den Vordergrund gerückt. Aus dieser Zeit stammt auch der Spruch, dass eine umfassende Sozialpolitik die beste Kriminalprävention sei.

Das hat sich vollständig umgekehrt. Statt gesellschaftlicher Ursachen werden nun persönliche Eigenschaften für die Ausbildung von kriminellen Karrieren verantwortlich gemacht. Das reicht bis zu einem biologistischen Menschenbild, nach dem bestimmte Gene soziale Probleme wie Armut, mangelhafte Bildung, Alkoholismus und eben auch Kriminalität hervorrufen.

Die Forderung nach einer umfassenden DNA-Datei entspringt nicht nur diesem Menschenbild, sondern soll es auch der Bevölkerung nahe bringen, um von den wahren sozialen Missständen abzulenken. Die hohen Aufklärungsquoten, die mit der DNA-Analyse versprochen werden, sollen vor allem von den sozialen Ursachen der Kriminalität ablenken. Nicht das Gesellschaftssystem, das Armut, Kriminalität, Gewalt und Verrohung hervorruft, soll als krank gelten, sondern nur einzelne, "asoziale" Individuen, die mit Hilfe einer zentralen Datei identifiziert, registriert und ausgesondert werden können. Dadurch wird eine Stabilität und Ausgewogenheit der gesellschaftlichen Verhältnisse vorgetäuscht, die dem Alltag breiter Massen Hohn spottet. Aber der Mensch ist ein soziales Wesen und es ist vollkommen absurd, abweichendes Verhalten wie Kriminalität in den Genen zu suchen.

Es ist auch kein biologischer Reflex wie bei Pawlows Hunden, der die herrschende Klasse nach mehr Überwachung und Einschränkung demokratischer Rechte rufen lässt, sondern der Versuch, die eigenen Herrschaftsansprüche zu sichern. Während die sozialen Leistungen der Arbeitslosenversicherung, im Bildungssystem, im Gesundheitssystem und bei der sozialen Infrastruktur massiv zusammen gestrichen werden, um den Forderungen der internationalen Finanzmärkte Genüge zu tun, ist die herrschende Klasse gleichzeitig bereit, Hunderte Millionen Euros alleine für die Aufrüstung der Polizei, für den Ausbau der Gefängnisse und für die Einrichtung einer umfassenden Gendatei auszugeben, um die Bevölkerung zu überwachen und zu kontrollieren.

Um der gewaltigen sozialen Probleme Herr zu werden, die durch die sich stetig verschärfende Krise des kapitalistischen Gesellschaftssystem hervorgerufen werden, setzt die herrschende Klasse zunehmend auf Repression und autoritäre Herrschaftsstrukturen. Die Eindämmung von Gewaltverbrechen durch eine allgemeine Gen-Datei dient dabei nur als Vorwand, um demokratische Rechte abzubauen und polizeistaatliche Maßnahmen durchzusetzen.

Siehe auch:
"Wegschließen - und zwar für immer": Bundeskanzler Schröders Ausfälle gegen Sexualstraftäter
(20. Juli 2001)
Datenschutzbericht 2001-2002: Mehr Überwachung und weniger demokratischer Grundrechte
( 5. Juni 2003)
Otto Schilys Anschlag auf demokratische Grundrechte
( 1. November 2001)

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