Mahmud Abbas und der Niedergang der palästinensischen Nationalbewegung

Nur wenige Wochen nach seiner Wahl zum palästinensischen Präsidenten verkündete Mahmud Abbas im ägyptischen Ferienort Scharm el Scheik gemeinsam mit dem israelischen Premierminister Ariel Scharon einen Waffenstillstand. Daran lässt sich ablesen, wie sehr Abbas’ Aufstieg mit der Aufgabe jeglicher Opposition gegenüber Washington und Tel Aviv durch die herrschende Fatah-Fraktion und die Palästinensische Autonomiebehörde verbunden ist.

Der Waffenstillstand wurde als Startpunkt für die Umsetzung der "Road Map" von US-Präsident George W. Bush bezeichnet, die schließlich zur Errichtung eines palästinensischen Staates führen soll. Es gab jedoch keine Einigung darüber, wann die Gespräche über den "endgültigen Status" eines palästinensischen Staats oder die beiden heiklen Punkte Ostjerusalem und Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge aufgenommen werden sollen.

Scharon sagte unter dem Druck des Weißen Hauses zu, alle Militäraktionen zu beenden, der Palästinensischen Autonomiebehörde die Kontrolle über das Westjordanland und den Gazastreifen zu übertragen, in den nächsten drei Monaten 900 Gefangene aus israelischen Gefängnissen freizulassen und andere "vertrauensbildende" Maßnahmen zu treffen.

Die amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice hat allerdings eingeschränkt, Washington werde Israel keine weiteren Zugeständnisse abverlangen, bis der Plan zum Abzug der Siedler aus dem Gazastreifen und vier Vorposten im Westjordanland umgesetzt sei. Vor allem aber werden alle weiteren Schritte davon abhängig gemacht, dass Abbas jeden bewaffneten Widerstand gegen Israel unterdrückt, die militanten islamischen Gruppen im Zaum hält und die verschiedenen Sicherheitskräfte unter seine Kontrolle bringt und bündelt. Rice kündigte sogar an, Washington werde einen ehemaligen US-General zur Überwachung der Reform der palästinensischen Sicherheitskräfte abstellen.

Abbas hat sich bereits energisch darum bemüht, Israel zu besänftigen. Seit er am 9. Januar die Macht übernommen hat, versucht er die Hamas, den Islamischen Dschihad und die Al-Aksa-Brigaden davon zu überzeugen, ihre Bombenattentate gegen Israel einzustellen. Mit der Zustimmung zu Parlamentswahlen im Juli dieses Jahres hat er der Hamas eine Beteiligung an der politischen Macht in Aussicht gestellt. Angesichts ihres erfolgreichen Abschneidens bei den jüngsten Kommunalwahlen im Westjordanland und Gazastreifen dürfte die Hamas nach den Wahlen im Sommer in der Palästinensischen Gesetzgebenden Versammlung politischvertreten sein. Gleichzeitig entsandte Abbas mehr als 8.000 Polizisten nach Gaza, um Angriffe auf israelische Ziele zu verhindern und Selbstmordattentäter festnehmen zu lassen.

Auch wenn Abbas sich Washingtons Unterstützung zu sichern versucht, indem er Maßnahmen gegen sein eigenes Volk ergreift, vor denen der langjährige Führer der Palästinensischen Befreiungsbewegung (PLO) Jassir Arafat noch zurückschreckte, zeigt sein derzeitiger Kurs doch, wie tief die palästinensische Nationalbewegung als Ganze gesunken ist - ein Niedergang, der seine Wurzeln im bürgerlichen Charakter der PLO hat.

Die grundlegende Ausrichtung der PLO auf die Schaffung eines palästinensischen Staates basierte immer auf der Perspektive, ein Übereinkommen mit dem Imperialismus erreichen zu können. Dieses Ziel wurde auf zwei Wegen verfolgt - durch Verhandlungen und durch den bewaffneten Kampf. Obwohl die beiden Methoden scheinbar im Gegensatz zueinander stehen, haben sie sich doch immer ergänzt. Das Ziel des bewaffneten Kampfes bestand letztlichimmer darin, ein Abkommen mit dem Imperialismus auszuhandeln, und nie in der unabhängigen Mobilisierung der Arbeiterklasse und der verarmten Landbevölkerung. Dass Abbas und die PLO-Führung einen Waffenstillstand akzeptieren und durchsetzen, steht daher nicht im Gegensatz zum bewaffneten Kampf, sondern ergibt sich organisch aus diesem.

Die PLO war die radikalste unter den nationalen Bewegungen und konnte eine Massenbasis unter der palästinensischen Bevölkerung aufbauen, weil sie mit Entschlossenheit den bewaffneten Kampf gegen Israel befürwortete. Aber im Kern repräsentierte die PLO-Führung die palästinensische Bourgeoisie und ihre Interessen und nicht diejenigen der Bevölkerungsmasse, wie sie behauptete. Nationale bürgerliche Organisationen sind, wie radikal sie auch daherkommen mögen, organisch unfähig, einen beharrlichen unabhängigen Kampf gegen den Imperialismus zu führen und dabei einen fortschrittlichen und demokratischen Weg aufzuzeigen, weil ihre Interessen letztlich im diametralen Gegensatz zu denender Arbeiterklasse und Bauernschaft stehen.

Während die palästinensische Arbeiterklasse und Bauernschaft mit der Schaffung eines nationalen Gebildes die Rückgewinnung des seit 1948 gestohlenen Landes und ein Ende der Unterdrückung durch Imperialismus und Zionismus verband, besteht das Hauptziel der palästinensischen Bourgeoisie in ihrem Konflikt mit Israel darin, ihre eigene Klassenherrschaft durchzusetzen - deren Kern das Recht auf Ausbeutung der Arbeiterklasse ist. Daher nahm ihre Opposition gegen den Imperialismus immer nur bedingte und partielle Formen an. Ihr Ziel besteht nicht darin, die imperialistische Vorherrschaft zu beenden, sondern eigene Beziehungen zu den imperialistischen Großmächten anzuknüpfen, die die Weltwirtschaftsordnung kontrollieren. Sie lehnt jede unabhängige politische Bewegung der Arbeiterklasse ab, weil sie die Grundlagen der kapitalistischen Herrschaft unterminieren würde. Daher bestand die PLO auch in ihrer radikalsten Zeit darauf, als "einzige legitime Vertretung des palästinensischen Volkes" anerkannt zu werden, und sorgte dafür, dass ihre Ausrichtung auf die Errichtung eines palästinensischen Staates auf der Grundlage kapitalistischer Eigentumsbeziehungen nicht in Frage gestellt wurde.

Auf dieser Basis war es niemals möglich, die Probleme der nationalen Unterdrückung und sozialen Ausbeutung zu lösen. Keiner der Staaten im Mittleren und Nahen Osten war in der Lage, die Dominanz der transnationalen Banken und Konzerne zu brechen und die schrecklichen sozialen Bedingungen der Arbeiterklasse und verarmter ländlicher Schichten zu verbessern- selbst dort nicht, wo national-revolutionäre Bewegungen die koloniale Herrschaft beendeten und Zugang zu wertvollen Ressourcen wie Öl erhielten. Stattdessen wurden die Kolonialherren oder Marionettenkönige gegen korrupte bürgerliche Cliquen aus der Region ausgetauscht. Die PLO bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme.

Die Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung ist nicht nur das Ergebnis von Israels militärischer Stärke sondern auch des Verrats, den die arabische Bourgeoisie begangen hat. Als direkte Folge ihrer Strategie, einen palästinensischen Staat mit Hilfe der verschiedenen arabischen Regimes zu erhalten, waren Arafat und die PLO nie in der Lage, Unabhängigkeit von diesen oder ihren imperialistischen Unterstützern zu erlangen.

Auch Arafats Anlehnung an das stalinistische Regime in der Sowjetunion war nicht erfolgreicher. Eine Zeit lang verlieh der Wettlauf zwischen Moskau und Washington um die Vorherrschaft im Mittleren und Nahen Ostenden verschiedenen arabischen Regimes ein gewisses diplomatisches Gewicht. Dieses fand seine Schranken jedoch stets in den Erfordernissen der prinzipienlosen Manöver der stalinistischen Bürokratie gegenüber den imperialistischen Großmächten und Moskaus eigenem Interesse, eine soziale Revolution um jeden Preis zu verhindern. Der Zusammenbruch der Sowjetunion, ein Ergebnis der Einführung kapitalistischer Verhältnisse unter Gorbatschow und Jelzin, zwang Arafat schließlich, sich auf einen Handel mit dem US-Imperialismus einzulassen. Und Abbas stand ihm während dieser entscheidenden Verhandlungen beiseite.

Wer ist Mahmud Abbas?

Abbas verdankt seinen Aufstieg an die Macht der Tatsache, dass er die Interessen der palästinensischen Bourgeoisie am konsequentesten vertreten hat. Er wurde 1935 als Sohn einer sehr wohlhabenden Kaufmannsfamilie in Safed geboren, das heute in Nordisrael liegt. Während des arabisch-israelischen Krieges von 1948 gehörte seine Familie zu den 750.000 Menschen, die aus Palästina flohen oder vertrieben wurden. Die Vereinten Nationen hatten zuvor für die Schaffung eines zionistischen Staates in Teilen Palästinas gestimmt, das von Großbritannien unter UN-Mandat regiert wurde. Seine privilegierte soziale Herkunft ermöglichte es Abbas, an der Universität von Damaskus Rechtswissenschaft zu studieren und eine Arbeitserlaubnis für den öffentlichen Dienst in Katar zu erhalten, bis er schließlich seinen eigenen Geschäften nachging und ein Vermögen machte.

Zur damaligen Zeit arbeiteten Tausende palästinensischer Akademiker in der Golfregion. Abbas kam schnell mit Arafats Nationaler Befreiungsbewegung Palästinas oder El Fatah in Kontakt, die den Kern der PLO bilden sollte. El Fatah repräsentierte den radikalsten Flügel der palästinensischen bürgerlich-nationalen Bewegung. Ihr erklärtes Ziel, die Rückgewinnung des von Israel besetzten Landes und die Schaffung eines demokratischen und säkularen Palästina, das durch den bewaffneten Kampf erreicht werden sollte, gewann rasch die Unterstützung der breiten Bevölkerungsmasse, von Arbeitern und Bauern. Doch El Fatah stellte sich immer gegen eine sozialistische Perspektive und befürwortete einen kapitalistischen Palästinenserstaat. Diese Klassenorientierung war der Grund, warum sie auch von privilegierten Schichten unterstützt wurde, wie sie Abbas repräsentierte.

Abbas wurde zu einem wichtigen Geldbeschaffer der Fatah und war für die Beziehungspflege zu den arabischen Regimes verantwortlich. Er baute ein Netzwerk von einflussreichen Kontakten auf, zu dem arabische Führer und Geheimdienstchefs gehörten. Er konnte dies tun, weil die PLO die Legitimität der arabischen Regimes akzeptierte und sich dafür aussprach, die palästinensische Frage vom Kampf der arabischen Massen gegen die herrschenden Diktaturen und halbfeudalen Dynastien zu trennen.

Obwohl Abbas mit den Finanzen der PLO betraut wurde, gehörte er zum rechten Flügel der Fatah und war kein Mitglied des inneren Kerns, der damals von Arafat, Abu Ijad und Abu Dschihad geleitet wurde. Er hatte eine gespannte Beziehung zuArafat und es gab lange Perioden, in denen die beiden Männer sich weigerten, miteinander zu sprechen. Abbas distanzierte sich von den terroristischen Aktivitäten der PLO und blieb in Syrien, nachdem der jordanische König Hussein die Palästinenser im so genannten Schwarzen September 1970 brutal unterdrückt, die PLO des Landes verwiesen und sie in den Libanon gezwungen hatte.

Abbas gehörte zu den ersten PLO-Vertretern, die Israel anerkannten und die Schaffung eines palästinensischen Ministaats an der Seite Israels, die so genannte Zweistaatenlösung, befürworteten. In den späten 1970er Jahren spielte er eine Schlüsselrolle dabei, Beziehungen zwischen den Palästinensern und israelischen Friedensgruppen zu knüpfen. Seit 1980 leitete er die Abteilung für nationale und internationale Beziehungen der PLO.

Er und der palästinensische Premierminister Ahmed Kurei kamen Arafat erst 1988 näher. In dem Jahr wurde Abbas in die PLO-Führung gewählt. Sein Aufstieg war zum Teil durch die israelische Politik erleichtert worden, die radikale PLO-Führer ins Visier nahm. Israelische Sicherheitskräfte ermordeten 1988 sowohl Abu Ijad als auch Abu Dschihad und vereinfachten dadurch die Machtübernahme des rechten Fatah-Flügels, den Abbas und Kurei vertraten. Vor allem aber profitierte Abbas von zwei wichtigen politischen Wendepunkten, die die PLO in die Arme Washingtons trieben.

Zum einen bedeutete der Entschluss der stalinistischen Bürokratie, die Sowjetunion aufzulösen und ihre Außenpolitik nach den Vereinigten Staaten auszurichten, dass die PLO den ohnehin kleinen Platz für Manöver zwischen den imperialistischen Mächten verlor, den sie einst gehabt hatte. Der Zusammenbruch der UdSSR verschaffte den Vereinigten Staaten eine einmalige Gelegenheit, ihre globale Vorherrschaft durchzusetzen. Im Nahen Osten versetzte sie George Bush Senior in die Lage, 1991 den ersten Golfkrieg gegen Irak zu führen. Die PLO, die Saddam Hussein unterstützt hatte, weil sie hoffte, Israel und den Vereinigten Staaten so etwas entgegensetzen zu können,war vollkommen isoliert.

Zum andern brach im Dezember 1987 die Intifada aus, eine spontane Erhebung der palästinensischen Arbeiter und Jugend gegen die israelische Besatzung, und hielt die nächsten vier Jahre an. Die Intifada erschütterte nicht nur den israelischen Staat und Washington sondern auch die palästinensische Bourgeoisie, die fürchtete, dass die revolutionäre Bewegung der Massen in Palästina und anderen Ländern des ölreichen Nahen Osten außer Kontrolle geraten würde. Die palästinensischen Kapitalisten im Exil, deren Interessen Abbas vertrat, betrachteten dies als eine heftige Bedrohung ihrer eigenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bestrebungen.

Angesichts der Konfrontation mit militanten Jugendlichen und Arbeitern gelangte die palästinensische Bourgeoisie zum Schluss, dass sie die Rückendeckung des US-Imperialismus brauche, wenn sie jemals ihre eigene Herrschaft etablieren wolle. Diese Faktoren waren ausschlaggebend dafür, dass die neu zusammengesetzte PLO-Führung auf dem Rasen des Weißen Hauses dem bewaffneten Kampf abschwor. Diese Zeremonie markierte das Ende der großen Illusion, welche die PLO gehegt hatte: Dassdie palästinensische Frage gelöst werden könne, ohne die grundlegenden Klassenfragen im Nahen Osten zu klären.

Die Vereinigten Staaten waren nun in der Lage, der PLO die Kapitulationsbedingungen gegenüber Israel und die zukünftige Form des Palästinenserstaats zu diktieren. Nachdem er bereits bei der Madrider Konferenz 1991 und den geheimen Verhandlungen in Oslo eine Schlüsselrolle gespielt hatte, war es Abbas, der 1993 im Namen der PLOdas unselige Osloer Abkommen mit Israel unterzeichnete, das den ersten Schritt zu einem unabhängigen palästinensischen Staat darstellen sollte.

Nach dem Osloer Abkommen kehrte Abbas gemeinsam mit anderen wohlhabenden palästinensischen Geschäftsleuten in die Palästinensergebiete zurück. 1995 zog er nach Gaza und Ramallah und wurde 1996 Generalsekretär des PLO-Exekutivkomitees. Er spielte bei allen Verhandlungen mit Israel eine wichtige Rolle.

Die Osloer Vereinbarungen beinhalteten die Ablehnung aller Formen des Widerstands gegenüber Israel, auch der Intifada, die Anerkennung des Staates Israel, die Rücknahme der Landforderungen mit Ausnahme von 22 Prozent Palästinas (Westjordanland und Gazastreifen) und die Schaffung einer Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) unter Führung der PLO, die die meisten Funktionen der israelischen Militärbehörde übernehmen würde, darunter auch Polizeiaufgaben und die Verantwortung für die innere Sicherheit, während Israel die Verantwortung für die Außenpolitik, Verteidigung, den Schutz israelischer Siedlungen und die Kontrolle der Grenzen und Grenzübergänge nach Israel behielt. Der letztendliche Grenzverlauf, der Status von Ostjerusalem, die Kontrolle über die Wasserressourcen und das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge wurden für weitere Verhandlungen offen gelassen.

Aus dem Blickwinkel des US-Imperialismus und des zionistischen Staats wurde die palästinensische Bourgeoisie, vertreten durch die PLO, damit beauftragt, die palästinensische Arbeiterklasse im Griff zu halten und Israels Sicherheit zu garantieren. Aus Sicht der palästinensischen Bourgeoisie, die im Exil ein beträchtliches Vermögen angehäuft hatte, konnte selbst solch ein aus zwei nicht verbundenen Teilen bestehender und im Grunde nicht lebensfähiger Staat sie in die Lage versetzen, ihren Reichtum durch die Ausbeutung der eigenen Arbeiterklasse zu vergrößern. Diese Ausbeutung sollte durch den eigenen repressiven Staatsapparat garantiert werden.

Dieser Deal und die Aussicht auf einen Staat, der in wirtschaftlicher Abhängigkeit und politischer Unterordnung zu Israel stände, machten den Gazastreifen zu einer Hochburg des islamischen Fundamentalismus. Der junge Staat war von Vetternwirtschaft und Missmanagement geprägt, und die PLO begann die Rolle des Unterdrückers zu übernehmen, um die Privilegien einer schmalen bürgerlichen Schicht zu sichern.

Im vergangenen Jahrzehnt waren die politischen und gesellschaftlichen Beziehungen in den Besetzten Gebieten von den Versuchen der Palästinensischen Autonomiebehörde geprägt, eine zunehmend verarmte und verbitterte Bevölkerung mit den Bedingungen des Osloer Abkommens zu versöhnen. Die Lage wurde noch durch die Weigerung der verschiedenen israelischen Regierungen erschwert, auch nur ein Element des Abkommens umzusetzen. Die Zahl der Siedlungen und Siedler im Westjordanland und Ostjerusalem hat sich seit dem Osloer Abkommen mehr als verdoppelt.

Auch die wirtschaftlichen Bedingungen verschlechterten sich. Die militärischen Einfälle, Straßensperren, Ausgangssperren, die Zerstörung von Häusern und Festnahmen ohne Anklage und Prozess wurden fortgesetzt. Die israelische Politik wurde in wachsendem Maße von ultranationalistischen, rechten Interessensvertretern der Religiösen und Siedler bestimmt, die jedes Zugeständnis an die Palästinenser ablehnten.

Trotzdem versuchte die PA weiterhin, zu einer Vereinbarung mit Israel zu gelangen, bis die israelische Arbeitspartei-Regierung unter Ehud Barak bei den Gesprächen in Camp David 2000 Forderungen aufstellte, die Arafat nicht akzeptieren konnte: den Verlust ganz Ostjerusalems und schwere Beschränkungen für die Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge.

Nach Scharons provokativem Besuch des Tempelbergs im September 2000 brach die angestaute Wut in der Bevölkerung auf. Erneut erwies sich Abbas als entschlossener Gegner des Widerstands gegen Israel und forderte die Massen auf, die zweite Intifada zu beenden. Dies überzeugte Washington und Tel Aviv davon, ihn 2003 auf dem Posten des Premierministers und als Gegengewicht zu Arafat zu unterstützen. Seine Aufgabe bestand darin, die Intifada zu beenden. Im Gegenzug erhielt er das Versprechen, dass es bis zum Jahre 2005 irgendeine Art der palästinensischen Selbstverwaltung im Gazastreifen und Westjordanland geben würde.

Abbas sah sich ein paar Monate später zum Rücktritt gezwungen, nachdem er aus einem internen Machtkampf mit Arafat als Verlierer herausgegangen war. Arafats Tod im November 2004 versetzte Abbas schließlich in die Lage, mit großer Entschlossenheit vorzugehen und die Hoffnungen zu erfüllen, die das Weiße Haus in ihn gesetzt hatte.

Ein Kompradorenregime

Abbas steht an der Spitze einer Palästinensischen Autonomiebehörde, deren Funktion darin besteht, im Auftrag der Vereinigten Staaten, Israels und der palästinensischen Bourgeoisie die palästinensischen Massen zu unterdrücken.

Das Osloer Abkommen legte den Grundstein für Institutionen, die der Bevölkerungsmasse keine Rechenschaft schuldig sind. Es etablierte eine Präsidialherrschaft, die von einem Rat gewählter Vertreter gestützt wird, und kein parlamentarisches System. Das Abkommen versorgte die entstehende Palästinensische Autonomiebehörde mit Krediten und Hilfsgeldern internationaler Finanzinstitutionen, was zur Konsolidierung der Herrschaft eines bürgerlichen Kompradorenregimes beitrug - eines Regimes, das vor Ort die Interessen der Finanz- und Handelsmächte wahrnimmt, der Unternehmen und Banken, die die Weltwirtschaft dominieren, und dessen Existenz insbesondere von der Schirmherrschaft Washingtons abhängt.

Die PA etablierte sich als politische Vertretung der außer Landes lebenden palästinensischen Bourgeoisie. Viele ihrer Mitglieder stammen aus alten Patrizierfamilien, die vor 1948 eine privilegierte soziale Stellung innehatten und ihre Zeit im Exil nutzten, um in den Vereinigten Staaten, Europa und der Golfregion das eigene Vermögen zu mehren. Bei ihrer Rückkehr gestattete ihnen die PA, Monopole über alle wichtigen Teile des produzierenden Gewerbes und des Dienstleistungssektors zu errichten und noch größere Gewinne anzuhäufen.

Munib Masri und seine Familie stehen exemplarisch für diese soziale Schicht. Der in Texas erzogene Milliardär aus Nablus kehrte auf Arafats Einladung aus London ins Westjordanland zurück, schloss sich Arafats erstem Kabinett an und half dabei, die Palästinensische Entwicklungs- und Investitionsgesellschaft (PADICO) zu gründen und zu betreiben. Sein Auftrag bestand darin, für die außer Landes lebende Elite in der jungen Ökonomie "Investitionsmöglichkeiten zu schaffen". Zu diesem Zweck umwarb er palästinensische Investoren auf der ganzen Welt und trieb mehr als eine Milliarde Dollar auf.

Dank der Monopole, die sie von der PA erhalten hat, kontrolliert die PADICO das größte Produktionsunternehmen der PA, ein Gewerbegebiet im Gazastreifen mit eigener israelischer Zollstelle. Sie dominiert auch den palästinensischen Aktienmarkt und hält große Anteile an der Energieerzeugung, an Luxushotels und Immobilien. Sie verfügt über einen bedeutenden Anteil an anderen staatlich vergebenen Monopolen, so im Bereich Telekommunikation und Elektrizität. Maher Masri ist der Handels- und Industrieminister.

Premierminister Ahmed Kurei ist selbst ein großer Anteilseigner an Unternehmen, die über Monopole für Zigaretten, Konserven, Milchprodukte und andere Artikel des Grundbedarfs verfügen. Ihm wird vorgeworfen, durch Zementverkäufe an Israel vom Bau der Sicherheitsmauer zu profitieren.

Vor einigen Jahren wurde der persönliche Reichtum des PADICO-Vorstands auf 20 Milliarden Dollar geschätzt. Um dies in Relation zu setzen: Das gesamte Bruttosozialprodukt der Besetzten Gebiete beträgt nur rund drei Milliarden Dollar.

Die Kosten für die Profite und die Monopolpreise lasten auf der palästinensischen Bevölkerung. Die PA unterhält weltweit die höchste Anzahl von Polizisten im Vergleich zur Einwohnerzahl. Ein Drittel des Haushalts der Autonomiebehörde wird für Sicherheit ausgegeben - nicht, um Israel etwas entgegenzusetzen, sondern in erster Linie, um die schmale palästinensische Schicht an der Spitze zu schützen, die seit 1993 eine Blüte erlebt.

Es ist kein Zufall, dass das zentrale Thema von Abbas Antrittsrede die Notwendigkeit war, die Gewalt bewaffneter Gruppen im Zaum zu halten und den palästinensischen Polizeikräften ein Monopol auf Waffengewalt zu verschaffen. Dies dient nicht nur Israels Interessen, sondern auch denjenigen der palästinensischen Bourgeoisie.

Der Niedergang der PLO zeigt, dass es keinen nationalen Weg zur Befreiung der unterdrückten Völker gibt. Man kann der palästinensischen bürgerlichen Elite oder Israel mit begrenzten Widerstandsakten im Rahmen der Intifada nicht wirksam entgegentreten, und erst recht nicht mit Selbstmordattentaten, wie sie die islamistischen Gruppen befürworten. Solche Taten führen nur zu einer Vertiefung der Kluft zwischen den palästinensischen und israelischen Arbeitern. Sie stoßen die arbeitenden Menschen weltweit ab und schaffen den Vorwand für weitere israelische Repressionsakte. Die islamistischen Gruppen selbst artikulieren lediglich die Interessen eines anderen Teils der arabischen Bourgeoisie, die einem religiösen bürgerlichen Staat den Vorzug vor einem säkularen geben.

Ein neuer politischer Weg ist nötig, der den Aufbau einer sozialistischen Partei der Arbeiterklasse erfordert. Unter den Bedingungen einer global integrierten kapitalistischen Wirtschaft kann nur die Perspektive des sozialistischen Internationalismus einen Weg nach vorne weisen. Es ist nötig die palästinensischen Arbeiter mit der Arbeiterklasse in Israel, Ägypten, Syrien, Libanon, Jordanien und im gesamten Nahen und Mittleren Osten auf der Basis eines gemeinsamen Kampfes gegen kapitalistische Ausbeutung und imperialistische Unterdrückung zu vereinen.

Siehe auch:

Jassir Arafat: 1929-2004 ( 16. November 2004)

Der politische Bankrott der PLO und die Wurzeln der Hamas ( 11. Juli 2002)

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