Großkundgebung in Beirut verurteilt US-Intervention

Eine Demonstration, zu der die schiitische Hisbollah aufgerufen hatte, brachte am 8. März in Beirut zwischen einer halben und einer Million Menschen auf die Beine, die gegen die Einmischung der USA im Libanon und die amerikanischen Drohungen gegen Syrien protestierten.

Die Menge, die sich überwiegend aus der dem schiitischen Bevölkerungsteil rekrutierte, der am größten und historisch am stärksten unterdrückt ist, rief Parolen wie: "Tod für Amerika", "Tod für Israel"; "Beirut ist frei, Amerika raus". Auf mitgeführten Transparente stand: "Amerika ist die Quelle des Terrorismus" und "Unser ganzes Unglück kommt aus Amerika". Ein Demonstrant trug ein Photo Bushs mit der Aufschrift: "Der Libanon ist nicht dein Spielplatz". Andere unterstützten Syrien.

Die riesige Demonstration fand unmittelbar vor einer Rede statt, die Bush vor der nationalen Militärschule zum Thema "Krieg gegen den Terror" hielt. Rhetorik und Realität hätten nicht weiter auseinander liegen können. Bush besang die Tugenden von "Freiheit" und "Demokratie" - leere Worthülsen, die nicht weniger als vierzigmal in seiner Rede vorkamen - und stieß deutliche Drohungen gegen Syrien aus, dem offenbar nächsten Ziel einer US-Intervention.

"Das libanesische Volk hat das Recht, seine Zukunft selbst zu bestimmen, frei vom Einfluss einer ausländischen Macht", erklärte Bush, und forderte den sofortigen Rückzug aller syrischen Truppen aus dem Libanon. "Alle Welt ist Zeuge eurer großen Gewissensbewegung", sagte er an die Libanesen gewandt. "Libanons Zukunft liegt in eurer Hand."

Niemand in den amerikanischen Medien wagte auf die Ironie hinzuweisen, dass Bush den Libanesen versprach, "Washington steht an eurer Seite", während gleichzeitig Hunderttausende auf die Straße gingen, um dem US-Präsidenten klar zu machen, er solle ihr Land in Ruhe lassen.

Die Demonstration vom Dienstag war zehnmal größer als alle, die die US-unterstützte libanesische Opposition für ihre Forderung nach Abzug der syrischen Truppen auf die Beine gebracht hat, aber man kann sicher sein, dass sie - und alle ähnlichen, die folgen werden - nicht einmal einen Zehntel der Aufmerksamkeit der US-Medien auf sich ziehen werden.

Die Opposition gegen Bushs Versuch, noch eine amerikanische Intervention mit demokratischer Rhetorik zu bemänteln, ist völlig berechtigt. Der US-Imperialismus blickt im Libanon auf eine lange Geschichte zurück. Er trägt eine zentrale Verantwortung für die Unterdrückung der libanesischen Massen und für den Tod und die Verstümmelung von Hunderttausenden in dem fünfzehnjährigen Bürgerkrieg, der in dem Land gewütet hat.

Im Juli 1958 entsandte Präsident Dwight D. Eisenhower die Sechste Flotte nach Libanon und schickte 10.000 US-Marines an Land, die die Regierung des rechten Präsidenten Camille Chamoun unter dem Vorwand stützte, er werde vom "internationalen Kommunismus" angegriffen.

In Wirklichkeit war Chamoun mit einer internen Revolte konfrontiert, nachdem er mit Hilfe der CIA eine Wahl gefälscht und die Opposition unterdrückt hatte. Washington war entschlossen, den Libanon im Einflussbereich des Westens zu halten und die Ausbreitung eines radikalen arabischen Nationalismus gewaltsam zu unterdrücken. Unmittelbar vor der amerikanischen Militäraktion war die pro-amerikanische Monarchie im benachbarten Irak durch nationalistische Offiziere gestürzt worden.

Eine der gründlichsten Studien über die Intervention kam zu dem Schluss, dass ihr tieferer Sinn "die Sicherstellung des Zugangs zu den Ölquellen, der Aufbau von Stützpunkten, die Erlangung von Überflugrechten und allgemein die wirtschaftliche Expansion in der Region" war (Irene Gendzier, "United States Intervention in Lebanon and the Middle East, 1945-1958"). Die wirklichen Ziele Washingtons haben sich seitdem wenig verändert.

Die US-Intervention stützte einen Polizeistaat, der die Interessen der christlichen Finanzelite verteidigte und die wachsende moslemische Bevölkerung und ihre Forderung nach einer demokratischen Mehrheitsregierung unterdrückte.

1975 brach ein Bürgerkrieg zwischen der von Israel unterstützten faschistischen christlichen Falange und der libanesischen Linken aus, die die verarmte muslimische Mehrheit vertrat und im Bündnis mit den Palästinensern stand. Damals unterstützte Washington die Intervention Syriens, dessen Armee auf Bitten des maronitisch-christlichen Präsidenten des Libanon, Suleiman Frandschieh, und der kurz vor einer Niederlage stehenden Rechten einmarschierte.

Teile der libanesischen Linken hatten die Illusion, das syrische Baathisten-Regime werde sie unterstützen, aber diese Hoffnung zerplatzte bald. Das syrische Militär verhinderte einen Sieg des Aufstands im Libanon, der, so die Befürchtung von Hafis el-Assad, die ganze Region hätte radikalisieren und sein eigenes Überleben hätte bedrohen können.

Amerikanische Unterstützung für israelische Invasion

1982 gab der damalige amerikanische Außenminister Alexander Haig grünes Licht für eine israelische Invasion, die Zehntausende Libanesen das Leben kosten sollte. Das zionistische Regime richtete seine volle Feuerkraft auf die dicht bewohnten Slums von West-Beirut und besetzte den Südlibanon, wo Kämpfe noch 18 Jahre lang andauerten. Unter denen, die am Dienstag demonstrierten, waren nicht wenige, deren Angehörige vom israelischen Militär getötet, verwundet oder eingesperrt worden waren.

Im Oktober 1982 schickten die USA erneut Marines in den Libanon, dieses Mal, um die Ergebnisse der israelischen Invasion zu konsolidieren: die Vertreibung der PLO aus dem Libanon und die Einsetzung des rechten Regimes des Falangistenführers Amin Gemayel.

Washington stellte sich im Bürgerkrieg praktisch auf die Seite einer Fraktion und provozierte so den Zorn der unterdrückten Moslems des Landes. US-Kräfte reagierten auf Anschläge mit Angriffen zur Luft und zur See auf schiitische Dörfer, bei denen Hunderte starben. Als Vergeltung organisierten schiitische Kämpfer einen Selbstmordanschlag, der 241 Marines das Leben kostete. US-Truppen blieben noch weitere vier Monate im Land. In dieser Zeit wurden drusische undschiitische Positionen wiederholt mit den 40-cm-Kanonen des Schlachtschiffs USS New Jersey beschossen.

Auch an der momentanen syrischen Präsenz im Libanon ist Washington ganz und gar nicht unschuldig. Bushs Vater unterstützte 1989-1990 Syriens Rolle im Land. Er tat dies, um die Stabilität im Land weiterhin sicherzustellen und um Assads Unterstützung für den ersten Golfkrieg der USA gegen den Irak zu belohnen.

Mit der "großen Gewissenbewegung", die Bush in seiner Rede lobte, war natürlich nicht die Bewegung der unterdrückten Schiiten gemeint, die am selben Tag auf die Straßen strömten, um gegen eine erneute US-Intervention zu protestieren, sondern die anti-syrischen Proteste, die sich nach der Ermordung des ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri am 14. Februar entwickelt hatten.

Berichte in den amerikanischen Medien erwecken den Eindruck, als ob die gesamte Bevölkerung des Libanon sich gegen Syrien erhoben habe und Syrien und seine libanesischen Verbündeten für die Ermordung verantwortlich mache. Das ist eine weitere Verzerrung. In Wirklichkeit sind die Meinungen entsprechend der Volkszugehörigkeit stark unterschiedlich. Viele machen Israel und/oder die USA für das Attentat verantwortlich.

Laut einer Umfrage von Zogby International vom 7. März glauben die Hälfte der maronitischen Christen, dass entweder Syrien oder libanesische Kräfte in den Anschlag verwickelt waren. Von den befragten Schiiten andererseits sagten 70 Prozent, dass entweder die USA oder Israel verantwortlich seien. Von der gesamten libanesischen Bevölkerung meinten 45 Prozent, der Mord nütze den USA und Israel, während elf Prozent sagten, er nütze Syrien.

Es ist interessant, dass weniger als die Hälfte der Maroniten glaubten, ein syrischer Abzug werde die Krise des Landes lösen, und bei anderen Bevölkerungsteilen war der Anteil noch wesentlich geringer.

Die Leitartikler der amerikanischen Zeitungen und die Nachrichtenmacher im Fernsehen halten sich mit solchen Widersprüchen nicht auf. Sie übertreffen sich gegenseitig mit blumigen Bezeichnungen für die anti-syrischen Proteste, wie "Zedernrevolution", "Beiruter Frühling" oder "People Power".

Die New York Times gab allerdings am Mittwoch zu, dass im Libanon selbst die Zedernrevolution eher "BMW-Revolution" genannt wird, weil die Protestierer auf dem Platz der Märtyrer eindeutig den bessergestellten Schichten entstammen. Diese Versammlungen werden vor allem per SMS bekannt gemacht, die die Söhne und Töchter der herrschenden Elite aus den Discos auf die Straße rufen.

Es ist sicher kein Zufall, dass einer der wichtigsten Anführer des "Volks"-Protests Dory Chamoun ist, der Sohn von Camille Chamoun, des Präsidenten, dem Eisenhower die US-Marines zu Hilfe schickte, um ihn vor fast fünfzig Jahren vor seinem eigenen Volk zu beschützen. Während des Bürgerkriegs von 1975-76 gehörte der ältere Chamoun zu den christlichen Führern, die Syrien anflehten, im Libanon zu intervenieren, um sie vor den Palästinensern und der libanesischen Linken zu schützen, und danach zum gleichen Zweck um die Hilfe Israels baten.

Dory, der regelmäßig als führender "Demokrat" vorgestellt wird, ist der Bruder von Dany Chamoun, dem damaligen Kommandeur der Tigermilizen der Chamouns. Die Tiger waren 1975 für das Massaker an 2000 palästinensischen Männern, Frauen und Kindern verantwortlich, die sich im Flüchtlingslager Tel al-Zaatar ergeben hatten. Dabei erhielten sie Rückendeckung von Syrien. 1982 beteiligten sich Mitglieder der Miliz an den von Israel organisierten Massakern an Flüchtlingen in den Lagern Sabra und Schatila. So sieht die faschistische Laufbahn der von den USA unterstützten Vorkämpfer der Freiheit im Libanon aus.

Die Hunderttausende, die am 8. März protestierten, standen in starkem Kontrast zu den schicken Demonstranten, die von Chamoun und anderen maronitischen Rechten angeführt werden. Sie rekrutierten sich überwiegend aus der schiitischen Arbeiterklasse und den armen Schichten. Es fehlten die farbenfrohen Schals, Designersonnenbrillen und modischen Outfits, die die amerikanischen Medien als Symbole des "neuen Nahen Ostens" so sehr faszinieren.

Soziale Polarisierung im Libanon

Seit dem Bürgerkrieg hat sich die soziale Polarisierung im Libanon weiter verschärft. Der gefeierte Wiederaufbau des Landes hat Leuten wie Chamoun ein Vermögen gebracht, die Armut der Mehrheit aber verschärft. Die Arbeitslosenrate wird auf 20 Prozent geschätzt. Fast ein Drittel der Bevölkerung lebt in Armut und muss mit weniger als 600 Dollar im Monat auskommen. Die libanesische Regierung verfolgt eine Politik der freien Marktwirtschaft und hat den Spitzensteuersatz auf nur noch 10 Prozent gesenkt, große Teile des öffentlichen Sektors beseitigt und die Rechte der Gewerkschaften drastisch eingeschränkt.

Die amerikanischen Medien wiederholen die absurde Behauptung der Bush-Regierung, die Wahl vom 30. Januar im besetzten Irak habe das libanesische Volk inspiriert, sich dem Kreuzzug für Demokratie anzuschließen, der angeblich über den Nahen Osten hinwegfege.

Was der Libanon mit seiner gewählten Regierung und einem funktionierenden Parlament von einer Wahl lernen soll, die unter dem Belagerungszustand stattfand und dem US-Militär die völlige Kontrolle über das Land überlassen hat, wird gar nicht erst zu erklären versucht. Das einzige "Vorbild", für das der Irak taugt, ist das der kolonialen Unterwerfung eines Landes mittels brutaler militärischer Gewalt.

Weder Washington noch die Befürworter der Vertreibung Syriens sind vom Wunsch nach "Freiheit" und "Demokratie" beseelt.

Dass die Bush-Regierung kein Interesse an der Förderung von Demokratie im Libanon hat, liegt auf der Hand. Ihre Machenschaften sind Bestandteil der langen und unrühmlichen Tradition der USA, jede anti-demokratische Kraft im Land zu unterstützen, um ihre eigenen strategischen Interessen in der Region zu fördern. Ihre Haltung gegenüber der Hisbollah ist bezeichnend. Diese Partei verfügt gegenwärtig über zwölf Sitze im Parlament, und es wird erwartet, dass sie bei der nächsten Wahl deutliche Gewinne erzielen wird. Wie die Kundgebung in Beirut gezeigt hat, genießt sie Massenunterstützung bei der schiitischen Mehrheit des Libanon. Aber wegen ihrer Opposition gegen die Politik der USA und Israels in der Region beharrt Washington weiterhin darauf, sie als Terrororganisation einzustufen und zu unterdrücken.

Die anti-syrischen Demonstrationen werden überwiegend von Leuten geführt, die die Privilegien einer kleinen Finanzelite verteidigen. Sie sind an sozialer Ungleichheit interessiert, die unvereinbar mit wirklicher Demokratie ist. Für sie ist das Zurückdrängen Syriens, die Entwaffnung der Hisbollah und die Involvierung der USA ein Mittel, ihre Stellung auf Kosten der Mehrheit im Land zu stärken.

Der Libanon ist weiterhin von tiefen sozialen und politischen Spannungen geprägt, die vor kaum 15 Jahren noch in einem Bürgerkrieg ausgekämpft wurden. Um ihr Ziel einer neuen Pax Americana zu verwirklichen, die den USA die unbestrittene Kontrolle des Nahen Ostens und seines Ölreichtums bescheren soll, versucht die Bush-Regierung die Regelungen zu kippen, mit deren Hilfe der Bürgerkrieg beendet wurde, und ihren eigenen Willen mittels der UN-Resolution 1559 durchzusetzen, die weder vom libanesischen Volk noch von seinen Vertretern jemals gebilligt wurde.

"Der Libanon ist nicht die Ukraine", rief Hisbollah-Führer Nasrallah der Menge am Dienstag zu, womit er sich auf die von den USA gelenkte "orange Revolution" vom vergangenen Dezember bezog, mit der eine Clique reicher Industrieoligarchen und Ex-Bürokraten durch eine andere, enger an den Westen angelehnte, ersetzt wurde.

Die Warnung war klar. Der Versuch Washingtons, den Libanon in einen pro-amerikanischen, pro-israelischen Satelliten zu verwandeln, beinhaltet enorme innenpolitische Gefahren und droht, das Land in einen Bürgerkrieg zu stürzen, der auf die ganze Region übergreifen könnte.

Siehe auch:
USA verstärken Drohungen gegen Syrien
(10. März 2005)
Mossad CIA und der Libanon - Der Mord an Rafiq Hariri: Wem nutzt er?
( 18. Februar 2005)
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