Lech Kaczynski bei geringer Wahlbeteiligung zum polnischen Präsidenten gewählt

Lech Kaczynski von der nationalistischen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) hat sich in der Stichwahl vom vergangenen Sonntag mit 54 Prozent der abgegebenen Stimmen gegen den Kandidaten der rechten Bürgerplattform (PO) Donald Tusk durchgesetzt und wird damit neuer Staatspräsident Polens. Bei einer Wahlbeteiligung von 51 Prozent entspricht das einer realen Unterstützung von gut einem Viertel der Wahlberechtigten.

Die Stichwahl war notwendig geworden, nachdem im ersten Wahlgang vor zwei Wochen keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erreicht hatte. Weil sich die sogenannten linken Parteien, die "Demokratische Linksallianz" (SLD) und die "Sozialdemokratie Polens" (SdPL), durch Sozialabbau und zahlreiche Korruptionsaffären vollständig diskreditiert hatten, konnten die beiden rechten Kandidaten mit 36,3 Prozent (Tusk) und 33,1 Prozent (Kaczynski) die Wahl dominieren. Über die Hälfte der Wahlberechtigten war den Urnen fern geblieben.

In den letzten zwei Wochen hat das Land einen heftigen Wahlkampf zwischen zwei Politikern erlebt, die sich in den allermeisten Fragen nur unwesentlich voneinander unterscheiden. Ihre Parteien werden gemeinsam die nächste Regierung bilden, beide Kandidaten entstammen dem rechten Flügel der Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc, treten für Steuergeschenke für die Reichen ein und fordern einen starken Staat, der auf religiösen Werten basiert. Tusk wie Kaczynski stehen für eine aggressivere Außenpolitik gegenüber Deutschland und Russland und ein gleichzeitig enges Bündnis mit den USA.

In zahlreichen Fernsehdebatten, Auftritten und Interviews waren beide Kandidaten darum bemüht, ihre "politische Freundschaft" (Tusk) zu verbergen. Die große Mehrheit der inländischen und internationalen Medien unterstützte sie dabei. Sie zeichneten das Bild eines neoliberalen, aber weltoffenen Tusks und eines sozialen, aber nationalistischen und autoritären Kaczynskis. Während dieser für einen starken Staat eintrat, die Wiedereinführung der Todesstrafe forderte und seine Distanz gegenüber Deutschland betonte, stellte jener den wirtschaftlichen Liberalismus in den Vordergrund.

Im zweiten Wahlgang wurde Tusk von der ehemaligen Regierungspartei SLD, die bei den Parlamentswahlen nur noch 11,3 Prozent erreicht hatte, und dem Kandidaten der SdPL Marek Borowski, der im ersten Wahlgang gut zehn Prozent der Stimmen bekommen hatte, unterstützt. Zuletzt hatte auch der scheidende Präsident Aleksander Kwasniewski deutlich gemacht, dass er für Tusk stimmen werde. Demgegenüber mobilisierte Kaczynski die rechten Kräfte für sich. Sowohl der rechtspopulistische Bauernführer Andrej Lepper, als auch die rechtsradikale und antisemitische "Liga der Polnischen Familie" (LPR) unterstützten offiziell den Warschauer Bürgermeister.

Auch wenn Kaczynski, der von sich selbst sagt, er kenne von dem Nachbarland Deutschland nicht mehr als den Frankfurter Flughafen, mit Sicherheit der engstirnigere von beiden ist, vertreten Tusk und Kaczynski doch das selbe Programm. Auch Tusk hat im Parlament für die Wiedereinführung der Todesstrafe und auch für Reparationsforderungen an Deutschland gestimmt. Andererseits bedeuten sowohl die Forderung von Kaczynskis PiS nach einem zweistufigen Einkommensteuersatz von 18 und 32 Prozent wie die von Tusks PO propagierte Flat Tax nichts anderes als Steuergeschenke für die Reichen.

Die Ansichten von Tusk und Kaczynski widersprechen sich nicht, sondern ergänzen einander. Während Tusk die Notwendigkeit von Einsparungen, Geschenke an die Reichen und die weitere Privatisierungen von Staatsbetrieben in den Mittelpunkt stellt, erklärt Kaczynski, wie man das gegen die Bevölkerung durchsetzen kann. Er beschwört Nationalstaat und Kirche und tritt für die Einschränkung demokratischer Grundrechte ein.

Der Wahlsieg Kaczynskis hängt offenbar eng mit der sozialen Demagogie zusammen, die er gegen Ende des Wahlkampfes verstärkt einsetzte. "Für uns zählen nicht nur die Reichen", entgegnete er etwa seinem Kontrahenten in einem Fernsehduell. Kaczynski konnte auf diese Weise vor allem die unteren Schichten im armen Osten Polens und auf dem Land gewinnen, während Tusk unter Akademikern und in den Städten siegte.

Rund die Hälfte der Wahlberechtigten erteilte allerdings beiden Kandidaten eine Abfuhr, indem sie den Wahlen fern blieb. Die Polen haben in den letzten 15 Jahren erlebt, wie sich rechte und "linke" Regierungen darin abgewechselt haben, soziale Leistungen abzubauen, die staatseigenen Betriebe zu privatisieren und die Landwirtschaft umzustrukturieren.

Die Vorgängerorganisationen von PO und PiS, die "Wahlaktion Solidarnosc" (AWS) und die "Freiheitsunion" (UW) hatten von 1997 bis 2001 die Regierung gebildet und waren danach deutlich abgestraft worden. Seit 1989 wird eine Regierung nach der anderen abgewählt und sinkt gleichzeitig die Wahlbeteiligung. Die überwiegende Mehrheit der Polen hat sich von der offiziellen Politik abgewandt. Angesichts einer realen Unterstützung von einem guten Sechstel der Wahlberechtigten im ersten und einem Viertel im zweiten Wahlgang, kann man kaum mehr von einem demokratisch legitimierten Präsidenten sprechen.

Dasselbe gilt für das am 25. September gewählte Parlament. Bei fast 60 Prozent Wahlenthaltung gewannen PiS mit 27 Prozent und die PO mit 24,1 Prozent zusammen 288 der 460 Sitze im Sejm. Der designierte Ministerpräsident der PiS, Kazimierz Marcinkiewicz, hat angekündigt, bis zum Ende des Monats eine Koalitionsregierung aus beiden Fraktionen zu bilden.

Gerade verhandeln die Parteien über die Höhe der Haushaltskürzungen. Die PO fordert Einsparungen in Höhe von 14 Milliarden Zloty (ca. 3,6 Mrd. Euro). Um solche Kürzungen gegen die Bevölkerung durchzusetzen, werden Regierung und Präsident nicht vor autoritären Formen der Herrschaft zurückschrecken, gerade weil sie demokratisch nicht legitimiert sind und sich nur auf eine verschwindend geringe Basis stützen können.

Der neue Präsident Lech Kaczynski gehört zu den rechtesten und reaktionärsten Elementen der polnischen Politik. Er hatte sich 1977 dem Komitee zur Verteidigung der Bergarbeiter (KOR) angeschlossen und stand seitdem auf dem rechten Flügel der oppositionellen Gewerkschaftsbewegung. Zusammen mit Lech Walesa spielte er eine wichtige Rolle dabei, die Gewerkschaft Solidarnosc der katholischen Kirche unterzuordnen. 1989 war er Mitglied des Runden Tisches, der die Restauration des Kapitalismus in Polen mit all den sozialen Folgen organisierte.

Nachdem er sich mit Walesa überworfen hatte, zog sich Kaczynski zunächst aus der Politik zurück. In den Jahren 2000 und 2001 war er Justizminister in der AWS-Regierung. In seiner kurzen Amtszeit bereitete er zahlreiche Verschärfungen des Strafrechts vor und begann sich als Law-and-order-Mann zu profilieren. Im November 2002 wurde er zum Bürgermeister Warschaus gewählt.

In diesem Amt machte er bereits deutlich, was er von demokratischen Rechten hält: Im Juni diesen Jahres verbot Kaczynski Homosexuellen eine Parade in Warschau abzuhalten. Gleichzeitig gestattete er Neonazis eine Gegendemonstration. Die Homosexuellen versammelten sich trotzdem und wurden von den Neonazis brutal angegriffen. Kaczynski kritisierte anschließend die Polizei, weil sie die unangemeldete Demonstration der Homosexuellen gegen die Angriffe der Faschisten geschützt hatte.

Kürzlich forderte der 56-Jährige, man solle die Warschauer Obdachlosen in Container-Slums am Rande der Stadt unterbringen, damit sie das Stadtbild nicht länger störten. Im Wahlkampf hat Kaczynski erklärt, dass er das Strafrecht verschärfen und die Stellung des Präsidenten stärken wolle. Sein Ziel sei es, eine "Vierte Republik" aufzubauen, die von allen sozialistischen Einflüssen gereinigt sei. Per Verfassungsänderung und einem "Ethischen Kodex" will er außerdem die Rechte des Präsidenten gegenüber der Regierung stärken.

Außenpolitisch steht Kaczynski für einen nationalistischen Kurs und ein transatlantisches Bündnis. Unlängst hat er angekündigt, dass ihn sein erster Staatsbesuch in die USA führen werde: "Das ist unser wichtigster strategischer Partner." Gegenüber Deutschland und Russland will er die polnischen Interessen aggressiver vertreten. Schon als Warschauer Bürgermeister hatte er im letzten Sommer während der Diskussion um Reparationsforderungen an Deutschland eine Rechnung über 30 Mrd. Euro für von Deutschland verursachte Schäden in Warschau aufgestellt.

Mit der Wahl Lech Kaczynskis zum Staatspräsidenten besetzt die PiS, die von Lechs eineiigem Zwillingsbruder Jaroslaw geführt wird, nun die beiden wichtigsten Staatsämter. Der zukünftige Premier Marcinkiewicz gilt als enger Vertrauter der Familie Kaczynski. Die politische Macht in Polen ist in wenigen Händen konzentriert.

Mit dem Sieg Kaczynskis ergeben sich für die PiS auch weitere Koalitionsmöglichkeiten. Zusammen mit den rechtsradikalen Parteien LPR und Samoobrona hätte sie ebenfalls eine parlamentarische Mehrheit. Auf der ersten Sitzung des neuen Sejms ließ die PiS in dieser Hinsicht ihre Muskeln spielen und verhinderte zusammen mit den beiden Parteien die Wahl eines Parlamentspräsidenten der Bürgerplattform.

Auch wenn eine Koalition der PiS mit den Ultrarechten zur Zeit eher unwahrscheinlich ist, bleibt sie während der gesamten Legislaturperiode eine Option. Die polnischen Arbeiter haben mit heftigen Angriffe auf ihre demokratischen und soziale Rechte zu rechnen.

Siehe auch:
Präsidentschaftswahlen in Polen: Stichwahl zwischen zwei rechten Kandidaten
(12. Oktober 2005)
Parlamentswahlen in Polen: Rechtsruck bei Rekord-Wahlenthaltung
( 30. September 2005)
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