Die linke Presse Frankreichs bezieht nicht klar Stellung zu Sarkozys Antiterrorismusgesetzen

"Gestern haben die Abgeordneten für das Antiterrorismusgesetz von (Innenminister) Nicolas Sarkozy gestimmt, das die Videoüberwachung und die staatliche Überwachung erweitert und schärfere Strafen vorsieht Strafen. Für den Gesetzestext stimmten 373 Abgeordnete (UMP und UDF), dagegen stimmten 27 (Kommunistische Partei und Grüne). Die Sozialistische Partei enthielt sich und äußerte ihr Bedauern, dass ein Teil ihrer Änderungsanträge nicht angenommen worden war."

Das ist die gesamte Berichterstattung der Tageszeitung der Kommunistischen Partei, l’Humanité, über die dreitägige Debatte über das Antiterrorismusgesetz. Der Bericht erschien in der Ausgabe vom 30. November unter der Rubrik "Gesellschaft" als letzter Punkt einer Übersicht über die Nachrichten der vergangenen Woche. Nicht einmal über die Einwände, die die kommunistischen Abgeordneten in der Debatte erhoben hatten, berichtete l’Humanité.

In vier Sitzungen war das Gesetz am 23. und 24. November in der Nationalversammlung debattiert und bei der letzten Sitzung am 29. November angenommen worden. Es stellt einen weiteren entscheidenden Schritt zur Herstellung des gesetzlichen Rahmens für einen Polizeistaat dar. Jede Zeitung, die ernsthaft für die Verteidigung demokratischer Rechte und die Interessen der Arbeiterklasse eintritt, hätte auf der Titelseite über das Gesetz berichtet und sich in Leitartikeln mit seinen Regelungen und Folgen befasst.

Stattdessen ließ l’Humanité dem Gesetz noch weniger Aufmerksamkeit zukommen, als die rechts gerichtete Zeitung le Figaro.

Die Kommunistische Partei und die Redaktion von l’Humanité sind sich über die gefährlichen Folgen der Abstimmung am 29. November völlig im Klaren. Am 22. November hatte die Zeitung kurz über eine Pressekonferenz von Bürgerrechtsorganisationen berichtet, die einige der Konsequenzen des Gesetzes beleuchtete.

Der Artikel zitiert Henry Leclerc, Ehrenpräsident der Liga für Menschenrechte, der die neuen gesetzlichen Regelungen als "totale Einschränkung der Bürgerrechte" bezeichnete. Der Artikel führt Bestimmungen des Gesetzes an, die den Staat ermächtigen, Telefongespräche und Internetaktivitäten zu kontrollieren, und Firmen und Internetprovider zwingen, eine derartige staatliche Bespitzelung zu ermöglichen.

Die Befugnisse der Präfekten, der regionalen Vertreter des Innenministers, sollen so erweitert werden, dass sie die Installation von Videokameras an öffentlichen Gebäuden, auch an Kultstätten wie Moscheen, anordnen können. Im Falle einer Weigerung können sie Bußgelder bis zu 150.000 Euro erheben.

In dem Artikel wird weiter dargelegt, dass der Staat mit dem Gesetz die Absicht verfolge, sich von allen "juristischen Kontrollen" zu befreien. Der Verfasser des Artikels, Laurent Mouloud, kommentiert: "Im Klartext heißt das: Wir lassen die Richter außen vor und erleichtern Verwaltungsakte unter der direkten Kontrolle des zuständigen Ministers, das heißt des Innenministers."

Am nächsten Tag nahm die Zeitung das Thema wieder auf und informierte ihre Leser, dass an diesem Tag die parlamentarische Debatte beginnen werde.

Sarkozy bestand bei der Vorlage des Gesetzes am 22. November darauf, dass der Staat in der Lage sein müsse, "ohne gerichtliche Prozedur" Informationen zu sammeln. Die Redebeiträge der kommunistischen Abgeordneten, über die in der Humanité nicht berichtet wurde, gehen auf diese Frage ein. Sie sind auf der Website der Nationalversammlung nachzulesen.

Der KP-Abgeordnete Michel Vaxès sagte unter Buh-Rufen von den Bänken der gaullistischen UMP-Fraktion: "Nach Ihrem Gesetzestext ist von nun an jeder unserer Bürger ein potentiell Verdächtiger, der seine Unschuld beweisen muss, indem er akzeptiert, dass seine Privatsphäre ständiger Überwachung unterliegt."

Warum berichtet die Tageszeitung der Kommunistischen Partei dann nicht über die Redebeiträge ihrer Abgeordneten und warum kommentiert sie das Gesetz nicht? Die einzig mögliche Schlussfolgerung ist, dass es sich bei ihrer Ablehnung um ein formales Lippenbekenntnis handelt.

Eine Erklärung dafür ist sicher, dass die Kommunistische Partei im Hinblick auf die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Jahr 2007 einen Konflikt mit der Sozialistischen Partei vermeiden möchte, da sie auf eine Zusammenarbeit mit ihr im Rahmen einer neuerlichen Koalition der Mehrheitslinken hofft. Die Sozialisten stimmten nicht gegen das Gesetz, sondern enthielten sich. Eine nicht unbedeutende Zahl von sozialistischen Abgeordneten war sogar für Sarkozys Gesetz.

Wichtiger ist aber, dass die Kommunistische Partei trotz ihrer gelegentlichen Proteste gegen den einen oder anderen Angriff von Arbeitgebern oder Regierung nichts unternehmen wird, was die politische oder gesellschaftliche Stabilität des französischen Staates gefährden könnte.

Um sich vor Kritik aus den Wahlkreisen und Kommunen zu schützen, in denen sie den Bürgermeister stellt und in denen meist Arbeiter, Immigranten und die Ärmsten der Gesellschaft wohnen, musste die Kommunistische Partei gegen das Gesetz stimmen. Aber weiter konnte sie nicht gehen. Sie war nicht bereit, ihre Presse einzusetzen, um die Arbeiterklasse zu warnen und sie gegen die Regierung zu mobilisieren.

Es ist bezeichnend, dass l’Humanité in ihrer Analyse des Antiterrorismusgesetzes dessen wichtigstes Ziel verschweigt: Es soll dem Staat die notwendigen Vollmachten geben, um den Widerstand der Arbeiterklasse gegen die neoliberale Regierungspolitik zu unterdrücken.

Die politische Reaktion der französischen Stalinisten der Kommunistischen Partei findet ihren Widerhall bei den linken Parteien, die sich zu Unrecht als Trotzkisten bezeichnen. Lutte Ouvrière (LO) und die Parti des Travailleurs (PT) vermieden es, in ihrer Presse das Gesetz oder seine Annahme in der Nationalversammlung überhaupt zu erwähnen. Die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) veröffentlichte am 30. November ein kurzes Pressekommuniqué unter dem Titel: "Ein Trauertag für unsere Freiheiten".

Die Wochenzeitung der LCR, Rouge, veröffentlichte lediglich ein Editorial von Christian Piquet, das einige formal richtige Punkte über den reaktionären Charakter der Regierungspolitik anführte. Piquet stellt die Frage: "Weshalb sollten die Regierung und die gesamte Rechte beunruhigt sein? Ein Teil der Linken, die Sozialistische Partei, hat sogar den Rückgriff auf ein Ausnahmegesetz aus der Kolonialzeit zur Ausrufung des Notstands akzeptiert, auch wenn sie später seiner Fortschreibung widersprach. Die gleiche Linke geht jetzt so weit, dass sie ins Auge fasst, für ein paar minimale Abänderungen für das Antiterrorgesetz zu stimmen."

Derartige Kritikpunkte hindern die LCR nicht daran, sich um Bündnisse mit der Sozialistischen und der Kommunistischen Partei zu bemühen mit dem Ziel, die eigene Stellung als linke Flanke des politischen Establishments zu stärken. So hat die LCR monatelang gemeinsame Podiumsdiskussionen mit Gegnern der europäischen Verfassung aus der Sozialistischen Partei organisiert. In den letzten Monaten hat die LCR für die Idee einer Koalition mit diesen Kräften geworben.

Die wesentliche Funktion der so genannten Linken in Frankreich, von der "extremen Linken" - Ligue Communiste Révolutionnaire, Lutte Ouvrière und Parti des Travailleurs - bis hin zur Kommunistischen und zur Sozialistischen Partei, liegt in der Verteidigung der Institutionen des französischen Staates vor der Bedrohung durch eine soziale Revolution. In der heutigen Zeit, die durch einen verschärften weltweiten Wettbewerb, eine Krise des Kapitalismus sowie die Zerstörung des Lebensstandards und der sozialen Errungenschaften der arbeitenden Bevölkerung charakterisiert ist, können solche Organisationen keine Perspektive für einen entschiedenen Kampf zur Verteidigung demokratischer Grundrechte aufzeigen.

Siehe auch:
Frankreich: Parteitag der Sozialistischen Partei unterstützt Repressionsmaßnahmen der Regierung
(3. Dezember 2005)
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