Wie die französische Regierung mit älteren eingewanderten Arbeitern aus den ehemaligen Kolonien verfährt

Seit ein paar Jahren kommen die Arbeiter ins Rentenalter, die aus den ehemaligen französischen Kolonien stammen und in Folge eines Arbeitskräftemangels in den Sechzigerjahren in Frankreich eingewandert sind. Nach einem Bericht der Aufsichtsbehörde für soziale Fragen (Inspection générale des affaires sociales, IGAS) lebten im Jahr 2002 fast 90.000 nordafrikanische Arbeiter über 65 Jahre in Frankreich, in ihrer überwiegenden Zahl Männer aus Algerien, Marokko und Tunesien. Nach arabischer Mundart werden sie "Chibanis" (Alte) genannt.

Als billige Arbeitskräfte angeworben, haben sie in ganz Frankreich für Niedriglöhne gearbeitet und von den Atlantikwerften bis zu den Stahl- und Kohlebergwerken in Lothringen die beschwerlichsten Arbeiten ausgeführt. Zu der enormen Arbeitsbelastung gesellten sich katastrophale Wohnverhältnisse in den möblierten Zimmern heruntergekommener Hotels oder in notdürftigen Wohnbaracken, in denen fünf oder sechs Personen sich ein Zimmer teilen mussten.

Alleine nach Frankreich übersiedelt, lebten sie kärglich, um ihre daheim verbliebenen Familien zu ernähren. In der Hoffnung, als Rentner wieder zu den Angehörigen zurückziehen zu können, ertrugen sie alle Belastungen. Jetzt aber bedeutet dieser so ersehnte Moment für die "Chibanis" nur Armut, Krankheit und Isolation.

Viele von ihnen, deren Berufslaufbahn aus unqualifizierter Tätigkeit in wechselnden Beschäftigungsverhältnissen bestand, müssen jetzt bei ihrem Rentenantrag feststellen, dass ihre Arbeitgeber teilweise keine Beiträge in die Rentenversicherung überwiesen haben. Trotz eines arbeitsreichen Lebens arm geblieben, müssen diese Arbeiter deshalb das Altersminimum (minimum vieillesse), eine staatliche Beihilfe, beanspruchen. Das Altersminimum wird ab 65 Jahren, im Falle von Arbeitsunfähigkeit ab sechzig Jahren genehmigt; seine Höhe wird jährlich im Rahmen der Festlegung des Sozialhaushaltes neu dekretiert; momentan liegt sie bei 589 Euro monatlich.

Doch selbst dieses Altersminimum für die "Chibanis" ist in den Augen der derzeitigen französischen Regierung noch zu hoch. Allain Vasselle, Sprecher der Kommission für soziale Angelegenheiten des Senats, schrieb in seinem Bericht vom 9. November 2005 dazu, dass "die Bestimmung einen kostspieligen Schwachpunkt im Sozialhaushalt darstellt". In der Vorlage zum Gesetz über die Finanzierung des Sozialhaushalts 2006 beinhaltet der Artikel 46 eine neue Regelung, die besagten Schwachpunkt beseitigen soll. Artikel 46 betrifft die minimum vieillesse und befasst sich insbesondere mit den "Chibanis".

Unter dem Vorwand, die Bestimmungen über soziale Mindestleistungen zu vereinfachen, streicht der Artikel 46 des Finanzierungsgesetzes einen Teil des exportierbaren Altersminimums (d.h. der an Empfänger, die im Ausland leben, zahlbaren Summe). Diese Beihilfe setzt sich aus zwei Leistungen zusammen: erstens aus einer Zusatzrente zu den erworbenen Leistungen von bis zu 290 Euro im Monat, und zweitens einer monatlichen Ergänzung von 299 Euro. Nur die Zusatzrente von 290 Euro kann auch beziehen, wer im Ausland lebt. Die Streichung der Beihilfe in Höhe von 299 Euro bedeutet für die Regierung eine jährliche Ersparnis von zehn Millionen Euro bei ungefähr 8.000 Rentnern, die sich jährlich für eine Rückkehr in ihr Heimatland entscheiden.

Die Argumentation des Sozialministers Philippe Bas gegenüber Alten, Behinderten und Familien enthüllt die Arroganz und den Zynismus, mit denen die herrschende Klasse den Arbeitern begegnet: "Das Altersminimum, auch der RMI, oder die Behindertenbeihilfe sind nicht ‚exportierbar’, ganz einfach, weil diese Mindestleistungen auf der Basis der Kaufkraft in Frankreich berechnet wurden, um hier ein gewisses Lebensniveau zu ermöglichen. Außerhalb Frankreichs würde die Kaufkraft um das Zehnfache höher liegen! [...] Die Möglichkeit, das Altersminimum zu exportieren, ist eine Anomalie; als wir das bemerkten, haben wir beschlossen, dem ein Ende zu setzen. [...] Außerdem ist das ungerecht, denn je kürzer der ausländische Arbeiter in Frankreich gearbeitet hat, um so bedeutender wird die entsprechende Beihilfe, und derjenige, der in den Jahren nach 1970 für ein paar Monate hergekommen ist, erhält am meisten."

Der Artikel, der am 1. Januar 2006 in Kraft gesetzt wurde, wurde mit der absoluten Mehrheit der abgegebenen Stimmen angenommen.

Wenn diese "unechten Alleinstehenden", die aus den verschiedensten Gründen nicht in den Genuss der Familienzusammenführung gekommen sind, mit ihren Familien zusammenleben, aber gleichzeitig vermeiden möchten, dass sie ihre sozialen Ansprüche - Krankenversicherung und den nicht exportierbaren Teil des Altersminimums - verlieren, bleibt ihnen im Moment nichts anderes übrig, als zwischen Frankreich und ihrem Heimatland zu pendeln. Für die Bezieher von Altersminimum heißt es, dass sie jedes Jahr acht Monate lang ununterbrochen auf französischem Territorium leben müssen, damit die Leistungen nicht gestrichen werden.

Außerdem setzt die Regierung zurzeit eine zusätzliche Verschärfung der Bedingungen für die Zusammenführung von Immigrantenfamilien durch, die es den "Chibanis" oft unmöglich macht, ihre Familien nach Frankreich zu holen. Laut einer Mitteilung des Senats müssen folgende Bedingungen erfüllt sein: "Um in den Genuss der Familienzusammenführung zu kommen, müssen sie über eine Unterkunft verfügen, deren Grundfläche der Zusammensetzung der Familie angepasst ist, und die den Mindestanforderungen an Bewohnbarkeit entspricht, wie sie für Mieträume erlassen wurden. Weiter müssen sie nachweisen, dass sie über regelmäßige Einkünfte verfügen, die mindestens dem SMIC (in Frankreich geltender Mindestlohn) entsprechen, wobei alle Einnahmen des Haushalts, außer Familienleistungen (z.B. Kindergeld) mit eingerechnet werden."

Viele der betroffenen Arbeiter haben den hier verlangten Standard ein Leben lang nie erreicht.

Siehe auch:
Eine politische Strategie zur Abwehr der Angriffe auf die Renten in Frankreich
(27. Mai 2003)
Loading