Frankreich: Präsident Chirac setzt den Ersteinstellungsvertrag in Kraft

Am Freitag gab der französische Präsident Jacques Chirac bekannt, dass er das Gesetz der Regierung zur Einführung des Erstarbeitsvertrags (CPE) unterschreiben wird. Chiracs Entscheidung, den CPE gegen überwältigenden Widerstand, Streiks und Demonstrationen durchzusetzen, zeigt, dass sich das politische Establishment auf eine entscheidende Konfrontation mit der Arbeiterklasse und der Jugend vorbereitet.

Der CPE erlaubt es Unternehmern, junge Arbeiter in den ersten beiden Beschäftigungsjahren ohne Grund zu entlassen. In einer Fernsehansprache wiederholte Chirac am Freitagabend die Behauptung von Premierminister Dominique de Villepin, der Angriff der Regierung auf die Arbeitsplatzsicherheit werde arbeitslosen Jugendlichen helfen. "Es ist an der Zeit, die Situation mit Gerechtigkeit und Vernunft zu entwirren, aber unter einer Voraussetzung: Das nationale Interesse muss gewahrt bleiben", sagte er. "Wenn das nationale Interesse auf dem Spiel steht, dann kann es keine Gewinner oder Verlierer geben."

Chirac bot keine wirklichen Zugeständnisse an. Er wiederholte de Villepins Angebot, bestimmte Aspekte des Gesetzes zu modifizieren, insbesondere soll die zweijährige Probezeit auf ein Jahr verkürzt werden. Dann fügte er hinzu: "Wenn ein Vertrag gekündigt wird, hat der junge Arbeiter das Recht, den Grund zu erfahren. Das wird in das neue Gesetz hineingeschrieben." Mit anderen Worten: Firmen können junge Arbeiter immer noch ohne Grund entlassen, solange sie ihnen eine Erklärung dafür geben. Die Änderungen werden wieder in Form eines Gesetzentwurfs eingebracht und müssen vom Parlament gebilligt werden. Der CPE in seiner Ursprungsform ist jetzt Gesetz.

Der Präsident sprach über die "Sozialpartner", die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, und sagte: "Ich kenne ihren Sinn für Verantwortung. Ich lade sie ebenso wie die Studenten- und Schülervertreter ein, an der Ausarbeitung dieser neuen Maßnahmen teilzunehmen."

Innenminister Nicolas Sarkozy unterstützte Chiracs Ankündigung uneingeschränkt. "Ich begrüße diese Entscheidung, die eine weise Entscheidung ist und sich in Übereinstimmung mit den Wünschen der großen Mehrheit der UMP-Abgeordneten befindet", sagte er. Sarkozys Unterstützung für den Präsidenten ist besonders deshalb bemerkenswert, weil er de Villepin und Teile des CPE offen kritisiert. Sarkozy und de Villepin sind die Hauptkonkurrenten um die Nominierung des UMP-Präsidentschaftskandidaten im nächsten Jahr.

Die Einheitsfront der Regierung in der Frage des CPE spiegelt die objektive Situation der herrschenden Kreise wider. Sie können sich das bisherige "Sozialmodell" Frankreichs nicht mehr leisten und bauen die sozialen Errungenschaften, die sich die Arbeiterklasse nach dem zweiten Weltkrieg erkämpft hat, systematisch ab. Im Interesse der internationalen Konkurrenzfähigkeit des französischen Kapitalismus werden alle Hindernisse für die Akkumulation von Profit und privatem Reichtum aus dem Weg geräumt.

In den Augen der Regierung ist jeder Widerstand der Bevölkerung gegen ihr Programm illegitim. Chirac und de Villepin lehnen die Vorstellung ab, ihre gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Reformen sollten die Wünsche der Mehrheit der Bevölkerung berücksichtigen. Das politische Establishment geht jetzt offen undemokratisch vor - es folgt den Anweisungen einer schmalen Schicht von Finanzoligarchen und wendet sich gegen die Interessen der Bevölkerungsmehrheit.

In Frankreich haben Arbeiter und Jugendlichen im vergangenen Monat mehrere Massenproteste veranstaltet. Zehntausende Studenten sind unbefristet in den Streik getreten und besetzen ihre Hochschulen und Universitäten. Mehr als eine Million Arbeiter schlossen sich der Jugend bei dem nationalen Aktionstag am 18. März an, und am vergangenen Dienstag demonstrierten mehr als zwei Millionen streikende Arbeiter und Jugendliche in ganz Frankreich. Der nationale Streik war der größte der letzten zwanzig Jahre.

Tausende Studenten demonstrierten nach Chiracs Fernsehansprache in Paris und anderen Städten. Jugendliche in Bordeaux riefen: "Chirac muss abtreten" und "Generalstreik bis zur Erfüllung [der Forderung]". Studenten in Paris zogen vom Place de la Bastille zur offiziellen Residenz Chiracs, um gegen seine Rede zu protestieren.

Letzten Monat zeigten alle Meinungsumfragen eine überwältigende Ablehnung des CPE und wachsende Feindschaft gegen Chirac und de Villepin. Die letzte, im Figaro -Magazin veröffentlichte Umfrage ergab eine Zustimmung von nur noch 29 Prozent für Villepin und zwanzig Prozent für Chirac. Von den Befragten gaben 78 Prozent an, dem Präsidenten nicht zu trauen.

Die Tatsache, dass eine so schwache und isolierte Regierung der Meinung ist, die Massenbewegung gegen den CPE aussitzen zu können, bringt zum Ausdruck, wie sehr sich Chirac und de Villepin darauf verlassen, dass weder die Gewerkschaften, noch die "linken" Parteien ihre Regierung herausfordern werden.

Die Organisationen der französischen "Linken" - die Gewerkschaften, die Sozialistische Partei, die Kommunistische Partei und die so genannte extreme Linke - spielen für die Regierung in der Krise, die durch die Anti-CPE ausgelöst wurde, eine unverzichtbare Rolle. Diese Organisationen tragen ihr Möglichstes bei, zu verhindern, dass sich die Massenbewegung in einen Kampf zum Sturz der Regierung verwandelt. Von Anfang an waren sie um die Erhaltung der Stabilität des Staates und des französischen Kapitalismus bemüht.

Die Gewerkschaften und "linken" Parteien haben auf Chiracs Rede überwiegend mit Bedauern reagiert, dass der Präsident nicht verantwortungsbewusster gehandelt habe. "Ich fürchte, wir sind dem sozialen Frieden nicht näher gekommen", sagte der Führer der Sozialistischen Partei, François Hollande. "[Chirac] hat das Ziel verfehlt, das er hätte anstreben sollen: die Lage zu beruhigen, den Menschen das Gefühl von Gerechtigkeit und Versöhnung zu geben. Unter diesem Gesichtspunkt haben wir eher Schlimmes zu erwarten."

Die Gewerkschaftsführer äußerten sich ähnlich. Vor Chiracs Rede hatte Jean-Claude Mailly, Generalsekretär der Gewerkschaft Force Ouvrière, angeboten, den für nächsten Dienstag angesetzten Streik abzusagen, falls der Präsident den CPE zurücknehme und eine erneute parlamentarische Debatte über die Arbeitsmarktreform ansetze.

Der bedingungslose Kniefall der "linken" Parteien vor der Regierung zeigte sich am Freitagmorgen, als elf Organisationen - darunter die Sozialistische und die Kommunistische Partei, die Grünen und die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) - eine gemeinsame Erklärung zur Entscheidung des Verfassungsrats über die Rechtmäßigkeit des CPE herausgaben.

Der vor der nationalen Fernsehansprache veröffentlichte Text lief auf einen kriecherischen Appell an den Präsidenten hinaus. "Die Sturheit der Regierung und die wiederholten provokativen Äußerungen von Regierungsmitgliedern sind unverantwortlich und vergiften die Atmosphäre", erklärten die Parteien. "Die Exekutive stellt Sonderinteressen und regierungsinterne Konflikte über das nationale Interesse... Die Organisationen und Parteien der Linken bitten Jacques Chirac feierlich, den CPE zurückzuziehen, um Verhandlungen mit den Gewerkschaften zu ermöglichen, und die Frage erneut vor das Parlament zu bringen. Im Lichte der außergewöhnlichen Umstände bei seiner Wahl im Jahre 2002 trüge er eine schwere Verantwortung, wenn er dieses Gesetz verkündete. Es wäre ein unakzeptabler Missbrauch seiner Macht."

Diese durch und durch unehrliche Erklärung zielt darauf ab, die größtmöglichen Illusionen in der Arbeiterklasse und der Jugend zu schüren. Chirac wurde aufgefordert, "verantwortlich" und im "nationalen Interesse" zu handeln - als ob er ein neutraler Schiedsrichter wäre, der über dem Konflikt schwebte, und nicht der Hauptverantwortliche für die arbeiterfeindliche Offensive der Regierung.

Die Erwähnung der "außerordentlichen Umstände" der Wahl Chiracs 2002 in der Erklärung ist besonders bemerkenswert. Sie bezieht sich auf die Präsidentschaftswahl vor vier Jahren, als sich alle "linken" Parteien in der zweiten Wahlrunde gegen den Führer der Nationalen Front, Jean-Marie Le Pen, hinter Chirac scharten. Die "linken" Parteien hoffen immer noch auf eine Gegenleistung dafür, dass sie Chirac damals als Verteidiger der Demokratie propagierten und ihm zu einer Mehrheit von 82 Prozent verhalfen. Aber, wie die World Socialist Web Site schon 2002 warnte, als sie für einen aktiven Boykott dieser antidemokratischen Abstimmung durch die Arbeiterklasse eintrat, nutzte Chirac seinen Sieg, um sein rechtes Programm umzusetzen.

Die Rolle der LCR bei diesem schmutzigen Manöver der elf "linken" Organisationen ist besonders hinterhältig. Die LCR, die sich selbst als "antikapitalistisch" und sogar trotzkistisch bezeichnet, hat ein Volksfrontbündnis mit dem linken Flügel des politischen Establishments geschlossen, um zu verhindern, dass die Anti-CPE Bewegung zu einer Bedrohung für den französischen Staat wird. Der abgrundtiefe Zynismus der Organisation wurde deutlich, als die LCR zuerst am Mittwoch in einer Erklärung schrieb: "An Chirac zu appellieren, ist nichts weiter als eine Ablenkung, die nichts dazu beiträgt, die [Anti-CPE] Mobilisierung auszuweiten." Keine 24 Stunden später unterzeichnete Alain Krivine, einer der hochrangigsten Parteiführer, den "feierlichen Appell" an den Präsidenten.

Die französischen Arbeiter und Jugendlichen können ihren Kampf gegen den CPE und das rechte Programm der Regierung nicht gewinnen, ohne die Chirac-Villepin-Regierung zu stürzen. Die Offensive des Establishments gegen die Arbeiterklasse und die Jugend kann nur zurückgeschlagen werden, wenn eine Regierung ins Amt gebracht wird, die wirklich die Interessen der Arbeiter und der Jugend vertritt. Eine solche Regierung würde das gesellschaftliche und ökonomische Leben mit dem Ziel wirklicher, sozialer Gleichheit umgestalten. Eine demokratisch geplante, international koordinierte Wirtschaft wäre die Grundlage für sichere und anständige Arbeitsplätze für alle.

Die Arbeiterklasse muss von allen bankrotten, reformistischen und nationalistischen "linken" Bürokratien brechen und für den Aufbau einer neuen, unabhängigen, revolutionären Führung der Arbeiterklasse kämpfen. Das ist die Perspektive des Internationalen Komitees der Vierten Internationale und ihrer Tageszeitung im Internet, der World Socialist Web Site.

Siehe auch:
Frankreich: Millionen Arbeiter und Studenten streiken gegen die gaullistische Regierung
(30. März 2006)
Der Kampf gegen den "Erstarbeitsvertrag" und die Notwendigkeit einer neuen Führung der Arbeiterklasse
( 29. März 2006)
Olivier Besancenot und LCR: Hilfstruppen der Bürokratie
( 1. April 2006)
Die Volksfront von 1936 - Historische Lehren für den Kampf gegen den Ersteinstellungsvertrag
( 24. März 2006)
Frankreich: Mai-Juni 1968 - Der Verrat von KPF und CGT
( 23. März 2006)
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