Diesen zweiteiligen Bericht zu Israel und Palästina gab Jean Shaoul anlässlich einer erweiterten Redaktionskonferenz der World Socialist Web Site vom 22. bis 26. Januar 2006 in Sydney. Shaoul ist Korrespondentin der WSWS und Mitglied der Socialist Equality Party in Großbritannien.
Werfen wir einen Blick auf die sozialen Verhältnisse in Israel. Zunächst einige Zahlen:
Obwohl sich die wirtschaftliche Lage durch den Rückgang terroristischer Aktivitäten im vergangenen Jahr leicht verbessert hat, liegt die Arbeitslosigkeit bei beinahe neun Prozent.
Der jüngste Bericht der staatlichen israelischen Rentenversicherungsanstalt vom August 2005 zeigt:
* Mehr als 1,5 Millionen Israelis leben unter der Armutsgrenze, das entspricht einem Viertel der Gesamtbevölkerung von 6 Millionen. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies eine Zunahme um 119.000.
* 23 Prozent der Rentner leben unter der Armutsgrenze.
* Die Kinderarmut hat seit 1988 um 50 Prozent zugenommen.
* 714.000 Kinder leiden täglich Hunger, das entspricht einem Fünftel aller Minderjährigen in Israel.
Eine Untersuchung aus dem Jahr 2004 kam zu dem schockierenden Ergebnis, dass 40 Prozent der Kinder in Armut, Vernachlässigung und Kriminalität leben und dass sich weitere 30 Prozent an der Grenze zu einem solchen Schicksal befinden. Der Direktor des Nationalen Kinderrates Yitzhak Kadman erklärte: "Die israelische Gesellschaft macht sich was vor, wenn sie in der Vorstellung lebt, dass sie 40 Prozent ihrer Kinder, ihre zukünftigen Bürger, aufgeben kann. [...] Es ist nicht vorstellbar, dass die israelische Gesellschaft in 20 Jahren noch fortbestehen kann, wenn sie auf den spindeldürren Beinchen von 30 Prozent ihrer Kinder steht. Die kriminelle Vernachlässigung eines beträchtlichen Teils der israelischen Kinder, die arm, krank und vernachlässigt leben, wird den Staat auf alle Fälle teuer zu stehen kommen."
* Der Anteil der Kinder an der Gesamtbevölkerung fiel von 39 Prozent im Jahr 1970 auf 33 Prozent im Jahr 2002.
* Die durchschnittliche Kinderzahl pro Familie ist konstant gefallen, von 2,7 im Jahr 1980 auf 2,3 im Jahr 2002. Gleichzeitig verdoppelte sich die Zahl der Familien mit Einzelkindern.
* Jährlich werden 50.000 Abtreibungen vorgenommen, vorwiegend aus finanziellen Gründen.
Und all das in einem Land, dessen zukünftige Existenz als Staat eng an die Bevölkerungsentwicklung geknüpft ist.
Über 140.000 Kinder, die in Israel leben, genießen nicht die volle israelische Staatsbürgerschaft.
* 71 Prozent von ihnen leben in Ostjerusalem.
* 29 Prozent sind Kinder von legalen Gastarbeitern in Israel, Immigrantenkinder mit ungeklärtem Status und Kinder aus Ehen zwischen israelischen Arabern und Palästinensern.
Nach einer jüngsten Umfrage stufen sich 80 Prozent der Israelis als "arm" ein.
Der Leiter der Rentenversicherungsanstalt Yohanan Stessmann warnte: "Ohne Sozialleistungen würde die israelische Gesellschaft zerfallen und an den Rand des Bürgerkriegs getrieben." Oppositionspolitiker haben die Scharon-Regierung mit folgenden Worten angegriffen: "Die Armut und Ungleichheit und nicht unsere Nachbarn entwickeln sich zur ernstesten strategischen Bedrohung unseres Landes." Eli Yishai, der Führer der ultraorthodoxen Schas-Partei, sagte: "Die Regierungspolitik untergräbt den gesellschaftlichen Zusammenhalt", und verwies auf die Kürzungen bei der Sozialhilfe und auf Steuersenkungen für die Reichen, die unter Finanzminister Benyamin Netanyahu durchgeführt wurden.
Das Vakuum, das durch den Rückzug der Regierung aus den Sozialleistungen entstanden ist, wird mit Suppenküchen gefüllt. Religiöse Netzwerke und Hilfsorganisationen spenden Nahrung für die Armen. Zehnjährige Kinder werden verhaftet, weil sie vor Hunger Nahrungsmittel stehlen. Es gab Zeitungsberichte über alleinerziehende Mütter in Beer Scheva, deren Bezüge um 40 Prozent gekürzt worden waren und die Supermarktleiter darum baten, ihre Einkaufswagen ohne Bezahlung füllen zu dürfen. Die Manager griffen nicht ein und ließen sie gewähren. "Es sind so viele, wir hindern sie nicht", sagte einer.
Obwohl mehr als 40 Prozent derjenigen, die als arm gelten, erwerbstätig sind, ist die Regierung entschlossen, die Löhne weiter zu senken, um Israel "international konkurrenzfähig" zu machen.
Dies ist der Hintergrund der ständigen Streiks und drohenden Arbeitskämpfe. In vielen Fällen verfolgen die Arbeiter nicht vorrangig das Ziel, die Löhne zu heben und Arbeitsbedingungen zu verbessern, sondern sie wollen schlicht überhaupt ihren Lohn ausgezahlt bekommen. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass städtische und andere Arbeiter des öffentlichen Dienstes, einschließlich Lehrer, monatelang keine Bezahlung erhalten.
Diese wirtschaftlichen und sozialen Zustände erklären unter anderem, weshalb es für die unter solchen Härten leidenden Israelis interessant ist, in eine Siedlung zu ziehen. Die Zentralregierung vergibt durchschnittlich doppelt so viele Gelder pro Kopf an die Regionalverwaltungen in den Besetzten Gebieten. Die Investitionen in den Wohnungsbau liegen um das 5,3fache höher als in Israel.
Ein israelischer Wissenschaftler berichtete, dass nur 50.000 der 450.000 Siedler im Westjordanland und in Ostjerusalem überzeugte Expansionisten sind. Die meisten seien dorthin gezogen "wegen der Lebensqualität, der Steuervorteile und günstigeren Hypotheken. [...] Viele wollen wieder wegziehen, aber niemand wird ihnen die Häuser abkaufen." Nach einer Umfrage der Friedensorganisation Peace Now würde die Mehrheit wegziehen, wenn man ihnen eine Entschädigung böte.
Die jüdische Gesellschaft in Israel ist nicht nur in Arm und Reich gespalten. Sie weist auch zahlreiche ethnische und religiöse Bruchlinien auf. Juden aus dem Nahen Osten oder aus Nordafrika haben die am schlechtesten bezahlten Arbeitsplätze, während Juden aus Europa im Allgemeinen besser bezahlt werden. Im Durchschnitt erhalten sie das 1,5fache des Verdienstes derjenigen, die aus dem Nahen Osten oder Nordafrika stammen.
Israel ist auch in religiösen Fragen gespalten, zwischen gläubigen und säkularen Juden. Da die religiösen Autoritäten eine ständig zunehmende Kontrolle über Fragen der Heirat, Scheidung und Reisen am Samstag für sich beanspruchen, können sich säkular orientierte Juden kaum mehr in Jerusalem ansiedeln.
Wenn die Lage schon für den Durchschnittsisraeli furchtbar ist, so ist sie noch schlimmer für arabische Israelis:
* Ihre Durchschnittslöhne betragen weniger als die Hälfte der Löhne, welche die aus Europa stammenden Juden erhalten.
* 42 Prozent der arabischen Familien leben unter der Armutsgrenze.
* Jedes zweite arabische Kind lebt unter Armutsbedingungen, in Bezug auf die Gesamtbevölkerung trifft dies nur auf jedes vierte Kind zu.
* Die Arbeitslosigkeit ist überdurchschnittlich hoch. Während die Arbeitslosigkeit bei Juden zwischen 1996 und 2001 um 53 Prozent anstieg, nahm sie in der gleichen Periode bei den israelischen Arabern um 126 Prozent zu.
* Im Jahr 2003 berichtete die Orr-Kommission über "jahrzehntelange Diskriminierung der israelisch-arabischen Minderheit". Sie stellte fest, dass die etwa eine Million Menschen umfassende Gruppe der arabischen Israelis einem Muster von Vorurteilen, Benachteiligung und Diskriminierung ausgesetzt seien. Es handelt sich bei dieser ethnischen Minderheit um Palästinenser, die zur Zeit der Gründung des israelischen Staates 1948 nicht aus ihrer alten Heimat vertrieben wurden. Gemeinden mit vorwiegend arabischstämmiger Bevölkerung werden finanziell ausgehungert und bekommen keine Industrieförderung durch die Regierung.
* Ihre Bildungseinrichtungen sind viel ärmlicher ausgestattet als entsprechende Einrichtungen für die jüdische Bevölkerung.
* Viele seit Langem existierende Gemeinden werden vom Staat nicht anerkannt, die Bereitstellung aller öffentlichen Dienste wird ihnen verweigert, einschließlich Wasser- und Elektrizitätsversorgung, ihren Häusern droht der Abriss.
* Arabische Israelis werden häufiger Opfer physischer oder verbaler Übergriffe durch Polizei oder Sicherheitsdienste, es wird öfter gegen sie ermittelt und sie werden schneller vor Gericht gestellt.
Das relativ hohe Durchschnittseinkommen in Israel, nach dem das Land zu den 25 Staaten mit den höchsten Einkommen weltweit zählt, vermittelt einen falschen Eindruck: Das Durchschnittseinkommen verdeckt die extreme und ständig ansteigende Ungleichheit innerhalb des Landes.
* Trotz der Rezession 2003 wurden die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung noch reicher.
* 1994 verdienten Spitzenmanager das 30fache des Mindestlohns, 2002 verdienten sie das 36fache.
* Im gleichen Zeitraum stieg ihr Anteil am Gesamteinkommen um 5,6 Prozent, während der Anteil der unteren 80 Prozent der Bevölkerung um 0,4 bis 0,8 Prozent abnahm.
* Das durchschnittliche Jahreseinkommen der obersten 10 Prozent der Haushalte lag bei 42.000 Schekel (NIS), das der ärmsten 10 Prozent bei nur 3.000 NIS. Das bedeutet, dass die reichsten Haushalte über das 14fache dessen verfügten, was den ärmsten als Einkommen zufiel.
* Der Gini-Koeffizient , ein geläufiges Maß zur Erfassung von Einkommensunterschieden liegt bei 0,38. Das bedeutet, dass Israel eine der höchsten Ungleichheitsraten der Welt aufweist. Unter den Industrieländern liegt Israel damit auf Platz 2, direkt hinter den USA.
Wie überall zielen die Streichungen und Reformen, die die Regierung durchführt, auf eine weitere Bereicherung der privilegierten Schichten ab. Der Zerfall der Arbeiterbewegung hat sie von allen Beschränkungen befreit. Während der zionistische Staat im Jahrzehnt nach 1950 ein Niveau an sozialer Gleichheit bot, das mit Schweden vergleichbar war, und ab 1960 bis zum Ende der 1980er Jahre einen Lebensstandard auf Höhe der Industrieländer gewährleistete, blieb von dieser Perspektive nichts als ein Scherbenhaufen übrig. Diese ökonomischen und sozialen Bedingungen haben zu Instabilität und zu schnell wechselnden politischen Allianzen in Israel geführt.
Die politische Lage in Israel
Früher galt das Land als einzige liberale Demokratie in der Nahostregion, doch inzwischen befindet sich das politische Leben in Israel im Stadium fortgeschrittener Fäulnis. In Israel droht die reale Gefahr innerer Unruhen - und zwar nicht nur zwischen Juden und Arabern. Nach dem Krieg von 1967 begann der hauptsächlich von den USA finanzierte Aufstieg ultrareligiöser und nationalistischer Kräfte, die trotz ihrer geringen Zahl eine Schlüsselrolle dabei spielten, die israelische Politik scharf nach rechts zu drücken. Ihr wichtigster politischer Schirmherr war bis vor kurzem Ariel Sharon.
Israels politisches System besteht aus einer Vielzahl politischer Parteien. Sie wechseln regelmäßig ihre Bündnispartner und ständig entstehen neue politische Formationen. Noch nie war die stärkste Partei in der Lage, alleine zu regieren. Koalitionen sind unvermeidlich und dadurch üben die kleinen rechten Parteien einen enormen Einfluss aus.
Während der ersten dreißig Jahre beherrschte die Arbeitspartei die politische Bühne. Der Zusammenbruch der Nachkriegsordnung und die Ausdehnung des israelischen Territoriums nach 1967 erforderten aber eine andere Art von Regierung. 1977 kam dann eine rechte Likud-Regierung ins Amt und seit dieser Zeit war der Likud-Block die bestimmende Partei und in nicht weniger als 23 von 29 Jahren an der Regierung beteiligt.
Ruft euch die Ministerpräsidenten des Likud in Erinnerung. Menachem Begin sprengte 1946 als Chef der Terrorgruppe Irgun das britische Hauptquartier im König David Hotel in die Luft und war für das Massaker an 256 palästinensischen Zivilisten in Deir Yassin verantwortlich. Yitzak Shamir, Führer der terroristischen Stern-Bande war für eine ganze Reihe von Terroranschlägen verantwortlich, unter anderem für den Mord am britischen Militärgouverneur Lord Moynes im Jahre 1944. Ariel Sharon ist ein Kriegsverbrecher, dem nie der Prozess gemacht wurde. Ministerpräsident Ehud Barak von der Arbeitspartei ordnete in den 1980ern Mordanschläge auf die PLO-Führung in Tunis an, die ihren Höhepunkt in der Ermordung von Abu Jihad fanden. Kein Land der Erde ist von so vielen berüchtigten Verbrechern regiert und gelenkt worden.
Das israelische Führungspersonal in Politik und Wirtschaft ist tief in Korruption verstrickt. Tel Aviv ist seit einigen Jahrzehnten die führende Stadt für Geldwäsche und das Verschieben von gestohlenen Diamanten. Zwei der größten Wirtschaftskrimis in der israelischen Geschichte - es handelte sich um Geldwäsche und Industriespionage - ereigneten sich im Jahre 2005. Sharon und seine Vorgänger Ehud Barak, Benyamin Netanyahu und Yitzak Rabin standen alle unter dem Verdacht der Bestechlichkeit, aber gegen keinen wurde letztlich Anklage erhoben.
Zu seiner Zeit als Ministerpräsident sah es einmal so aus, als würde Sharon wegen einem Bestechungsfall aus seiner Zeit als Außenminister angeklagt. In diese Geschichte war auch sein Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten Ehud Olmert verwickelt, bis das neu besetzte Justizministerium die Ermittlungen einschlafen ließ. Sharons Sohn steht zudem vor Gericht, weil er als Wahlkampfmanager seines Vaters illegale Spenden angenommen hatte, als 1999 der Kampf um die Führungsposition im Likud entbrannt war.
Nachdem sie kurz und erfolglos versucht hatte, sich als Friedenspartei zu verkaufen, liegt die Perspektive der Arbeitspartei nun in Scherben. Daher überließ sie Sharon und dem Likud die Macht, trat später dann in seine Regierung ein, um die Likud-Koalition zu stützen, und half dabei einen großen Teil des Westjordanlands auf militärischem Wege zu annektieren. Sie gab ihren Segen zu Sharons Palästinenserpolitik - Völkermord und ethnische Säuberung - die an Stelle der Zweistaatenlösung trat, die in dem Osloer Abkommen 1993 festgelegt worden war. Das ist die unausweichliche Logik ihres nationalistischen Programms, das die Arbeitspartei trotz sozialistischer Rhetorik schon seit Anfang des letzten Jahrhunderts verfolgt.
Diese wirtschaftlichen und sozialen Spannungen haben zu einer politischen Umorientierung geführt. Im vergangenen November führte der Sieg des vorgeblichen "Linken" Amir Peretz über den 82jährigen Shimon Peres im Rennen um die Führung der Arbeitspartei zu einer Neuausrichtung der israelischen Politik. Peretz zog die Minister der Arbeitspartei aus Sharons Kabinett zurück, das schon durch den Rückzug aus dem Gazastreifen schwer unter Druck stand. Dies führte dann zu vorgezogenen Neuwahlen, die für den 28. März festgesetzt wurden.
Peretz konnte sich als Parteiführer durchsetzen, weil er versprach, den Konflikt mit den Palästinensern durch eine Verhandlungslösung zu beenden, und sich um die Interessen israelischen Familien zu kümmern, die Sharons Politik hart getroffen hat. Aber schon bald ließ er seine linke Rhetorik fallen.
In der Palästinenserfrage besteht er inzwischen darauf, dass Jerusalem die ungeteilte Hauptstadt Israels bleibt, und er lehnt das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge in ihre alte Heimat in Israel ab. Solche Vorbedingungen machen jedoch jede Möglichkeit für eine Übereinkunft mit den Palästinensern zunichte.
In der Sozial- und Wirtschaftspolitik verspricht Peretz nur noch geringfügige Änderungen zur Marktpolitik der Regierung und eine Anhebung des Mindestlohns. "Ich habe nicht vor, den freien Markt und Wettbewerb einzuschränken", erklärte er. "Aber ich beabsichtige, dafür zu sorgen, dass der Markt in Israel den Menschen dient und dass der Wettbewerb fair ist." Mit anderen Worten: Er stellt die grundlegenden Interessen der herrschenden Kapitalistenklasse keineswegs in Frage.
Der Sprecher der Arbeitspartei in Finanzfragen, ein ehemaliger Weltbankökonom, versicherte den internationalen Finanzinstitutionen beim Weltwirtschaftsforum in Davos, dass Israel eine marktwirtschaftliche Politik betreiben und weder die Steuern noch die Staatsschulden erhöhen werde. "Wir werden konkurrenzfähiger sein", sagte er.
Als die Likud-Koalition wegen der Opposition der Siedler und religiösen Parteien gegen den Abzug aus dem Gazastreifen nicht mehr zu halten war, trat Sharon aus dem Likud aus, den er 1977 mitbegründet hatte. Gemeinsam mit vierzehn seiner Likud-Kollegen und einigen führenden Abgeordneten der Arbeitspartei wie Shimon Peres und Haim Ramon gründete er die Kadima-Partei. Bis zu Sharons Schlaganfall wurde allgemein erwartet, dass Kadima die Mehrheit der Sitze im nächsten Parlament gewinnen würde, allerdings nicht genug, um allein zu regieren.
Insoweit Kadima als Zentrumspartei hingestellt wird, belegt dies nur den extrem rechten Charakter der der israelischen Politik. Sie erfüllt eine dreifache Aufgabe.
*Erstens soll sie die Entstehung einer Opposition im eigenen Land gegen die Annexion eines großen Teils des Westjordanlandes und Ostjerusalems verhindern. Sharon Rückzug aus dem Gazastreifen wurde als großes Zugeständnis an die Palästinenser verkauft, um im gleichen Zug mit dem Segen der Vereinigten Staaten die Besetzungen im Westjordanland zu forcieren.
*Zweitens soll sie einen Konsens für Sharons rechte Wirtschafts- und Sozialpolitik aus der Zeit der Likud-Regierung herstellen.
*Drittens soll sie den Einfluss der Siedlerbewegung und der ultrareligiösen Parteien zurückdrängen, die im Likud die Oberhand gewonnen hatten.
Was die Wirtschaft und die internationalen Kommentatoren betrifft, sind diese ultrarechten Kräfte ein Hindernis für die Konsolidierung der Grenzen eines erheblich vergrößerten israelischen Staates, für die Beseitigung der letzten Reste des Sozialstaats und für die rationellere Verwendung der Militärausgaben, von denen ein erheblicher Teil für den Schutz der Siedler aufgewendet wird.
Kadima hat bedeutende Unterstützung beim politischen Establishment Israels und bei der Bush-Regierung gewonnen. Ihre Unterstützung in der Bevölkerung hängt aber davon ab, inwiefern das so genannte Friedenslager die Illusion schüren kann, dass Kadima zur Beendigung des militärischen Konflikts bereit sei. Die liberalen Medien in Israel und das dazugehörige politisches Establishment sind in die Bresche gesprungen, unter ihnen die Architekten von Oslo, Peres und Yossi Beilin, obwohl Sharons "Friedensperspektive" - die auch von seinen Nachfolger in Kadima geteilt wird - darin besteht, die Palästinenser in ein gut bewachtes und verarmtes Getto zu sperren. Kadimas Palästinenserpolitik ist also keineswegs eine Lösung, sondern vielmehr eine Garantie für anhaltende Konflikte mit den Palästinensern, während ihre neoliberale Wirtschaftspolitik innere Unruhen verspricht.
Alles zusammen bedeutet dies, dass die arbeitende Bevölkerung in Israel keine Partei hat, die ihre Interessen vertritt.
In Kürze: Israel ist trotz aller kulturellen Vorteile, der gut ausgebildeten Arbeitskräfte und der massiven Auslandshilfe eine ökonomische und politische Katastrophe und als Land geschlagen mit enormer sozialer Ungleichheit. Die israelische Regierung vertritt nicht die Interessen der Mehrheit des jüdischen Volkes in Israel, ganz zu schweigen von den Juden in aller Welt. Sie ist die politische Vertreterin eines Teils der israelischen Finanzelite, einer korrupten Clique internationaler Gangster, die im Namen ihrer Washingtoner Meister handelt.
Die Zukunft verspricht verschärfte Konflikte innerhalb Israels und mit den Palästinensern. Außerdem bedeutet die Rolle Israels als Unterhändler des US-Imperialismus immer höhere Militärausgaben und Angriffe auf die Nachbarländer, und die Verfolgung der israelischen sowie amerikanischen Interessen werden zunehmend zu politischer und militärischer Instabilität führen wird. Zwar haben die israelischen Arbeiter bisher einen höheren Lebensstandard genossen als ihre arabischen Nachbarn, aber das muss keineswegs so bleiben.
Das alles ist weit von der sicheren ökonomischen Zukunft entfernt, die der zionistische Traum dem jüdischen Volk zu versprechen schien.
Dieser kurze Überblick hat den prinzipiellen Standpunkt bestätigt, den die Vierte Internationale vor 60 Jahren gegenüber der Situation in Palästina eingenommen hat. Die heutige Lage in Israel, Palästina, ja im ganzen Nahen Osten unterscheidet sich nicht wesentlich von dem, was die Vierte Internationale vorausgesagt hat.
Die zentrale Lehre, die wir aus dieser strategischen Erfahrung ziehen müssen, betrifft die entscheidende Verantwortung der Marxisten. Unsere Aufgabe besteht im Aufbau unabhängiger revolutionärer Parteien der Arbeiterklasse als Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, die über eine unnachgiebige Stärke und Festigkeit in theoretischen Fragen verfügen und der Arbeiterklasse die Wahrheit sagen.
Ende.