Amnesty International gibt detaillierten Bericht über der israelischen Kriegsverbrechen im Libanon

Ein Bericht von Amnesty International (AI), der am 22. September veröffentlicht wurde, gibt ein erschreckendes Bild vom Sterben und der Zerstörung, die das israelische Militär während seiner einmonatigen, von den USA unterstützten Offensive über die Zivilbevölkerung des Libanon gebracht hat. Das Dokument mit dem Titel "Bewusste Zerstörung oder,Kollateralschaden’? Die israelischen Angriffe auf die zivile Infrastruktur" beinhaltet eindeutige Beweise dafür, dass die israelische Regierung direkt für zahlreiche Kriegsverbrechen gegen das libanesische Volk verantwortlich ist.

Die stellvertretende AI-Geschäftsführerin Kate Gilmore wies Israels Behauptungen, seine Angriffe seien berechtigt und legal gewesen, als "offensichtlich falsch" zurück. "Viele der Verstöße, die in unserem Bericht erläutert werden, sind Kriegsverbrechen, darunter wahllose und unverhältnismäßige Angriffe. Die Beweise deuten stark darauf hin, dass die umfassende Zerstörung von Kraft- und Wasserwerken genauso wie die Zerstörung der Verkehrsinfrastruktur, die für die Versorgung mit Nahrungsmitteln und humanitärer Hilfe lebensnotwendig ist, beabsichtigt und wesentlicher Bestandteil der militärischen Strategie war", erklärte sie der Presse.

Gilmore widersprach auch den israelischen Behauptungen, Israel habe nur Hisbollah-Stellungen und Nachschubwege ins Visier genommen, und die Schuld an den Opfern unter den Zivilisten trage die Hisbollah, weil sie Zivilisten als "menschliche Schutzschilde" benutzt habe. "Das Muster, der Umfang und das Ausmaß der Angriffe machen Israels Behauptung, dies seien,Kollateralschäden’ einfach unglaubwürdig", sagte sie.

Der Bericht basiert auf Informationen aus erster Hand, die eine Delegation direkt vor Ort in Libanon zusammengetragen hat, auf Interviews mit Dutzenden von Opfern und Diskussionen mit offiziellen UN-, libanesischen und israelischen Vertretern sowie nichtstaatlichen Organisationen und außerdem auf offiziellen Erklärungen und Medienberichten.

Vom 12. Juli bis zum 14. August flog die israelische Luftwaffe mehr als 7000 Luftangriffe auf den Libanon, ergänzt durch 2500 Bombardements der Marine und eine unbekannte Zahl von Artillerieangriffen. Schätzungsweise 1183 Menschen wurden getötet, darunter ein Drittel Kinder, 4054 wurden verwundet und 970.000 Menschen oder 25 Prozent der Gesamtbevölkerung wurden vertrieben. Eine halbe Million Menschen suchten Zuflucht in Beirut, viele davon in Parks und auf öffentlichen Plätzen ohne die grundlegendsten Versorgungsmöglichkeiten.

"Die libanesische Regierung schätzt dass 31 ‚lebenswichtige Einrichtungen’ (wie z.B. Flughäfen, Häfen, Wasser- und Abwasseranlagen, Elektrizitätswerke) entweder vollständig oder zum Teil zerstört wurden, ebenso wie 80 Brücken und 94 Straßen. Mehr als 25 Tankstellen und rund 900 Wirtschaftsunternehmen wurden getroffen. Die Zahl der Wohnhäuser, Büros und Läden, die völlig zerstört wurden, geht weit über 30.000 hinaus. Zwei staatliche Krankenhäuser - in Bint Jbeil und Meis al-Jebel - wurden durch israelische Angriffe völlig zerstört, und drei andere wurden schwer beschädigt", konstatiert der Bericht.

Der Leiter des Libanesischen Rats für Entwicklung und Wiederaufbau, Fadl Shalak, schätzte am 16. August den Schaden auf mindestens 3,5 Milliarden US-Dollar - 2 Milliarden US-Dollar an Gebäuden und 1,5 Milliarden an der Infrastruktur wie Brücken, Straßen und Kraftwerke. Andere Regierungsgutachten lassen erkennen, dass das Ausmaß und die Kosten der Zerstörung noch höher liegen könnten.

AI zitiert die Äußerungen hochrangiger israelischer Offiziere, die beweisen, dass Zivilisten und die zivile Infrastruktur bewusst als kollektive Bestrafung des gesamten libanesischen Volks angegriffen wurden. Der Generalstabschef der israelischen Armee (Israeli Defence Force, IDF); Dan Halutz erklärte gegenüber der New York Times, die libanesische Regierung sei verantwortlich für die Taten der Hisbollah. Er beschimpfte die Hisbollah als "Krebsgeschwür", von dem der Libanon sich befreien müsse, "denn, wenn sie das nicht tun, wird ihr Land einen sehr hohen Preis dafür bezahlen".

Der Bericht hob hervor, dass das internationale Recht, das die Kriegsführung regelt, jeden direkten Angriff auf zivile Ziele verbietet, genauso wie wahllose Angriffe, die nicht zwischen militärischen und zivilen Zielen unterscheiden. Er richtet sich auch gegen die Behauptung der Israelis, zivile Einrichtungen seien berechtigte militärische Ziele, weil sie möglicherweise von der Hisbollah benutzt werden könnten. AI hebt auch hervor, dass das internationale Recht ebenso unverhältnismäßige Angriffe verbietet - d. h. solche Angriffe, bei denen der "kollaterale Schaden" übermäßig hoch ist im Vergleich zu den erreichbaren militärischen Zielen.

Die Zerstörung der Infrastruktur war eine bewusste Politik, die darauf abzielte, Hunderttausende Zivilisten aus dem Süden des Landes zu vertreiben und die libanesische Bevölkerung als Ganze zu terrorisieren. Das Ziel war, den gesamten Süden unbewohnbar zu machen. Der AI-Bericht erklärt: "Da die Elektrizität unterbrochen war und Lebensmittel sowie andere Versorgungsgüter nicht bis in die Dörfer kamen, spielte die Zerstörung der Verbrauchermärkte und der Tankstellen eine entscheidende Rolle dabei, die Ortsansässigen zur Flucht zu zwingen. Der Mangel an Kraftstoff hinderte die Bewohner auch, sich mit Wasser zu versorgen, da die Wasserpumpen Elektrizität oder Benzin getriebene Generatoren brauchen", stellt der Bericht fest.

Die israelische See- und Luftblockade zusammen mit der umfassenden Zerstörung von Straßen und Brücken verschlimmerte die humanitäre Katastrophe noch, weil sie Hilfsbemühungen verhinderte. Schiffe mit lebenswichtigen Versorgungsgütern wurden mehrere Tage lang aufgehalten, weil sie sich um Garantien für eine sichere Durchfahrt bei der israelischen Marine bemühten. Am 4. August zerstörte die israelische Luftwaffe die letzte wichtige Verbindungsstraße nach Syrien und blockierte damit einen Hilfskonvoi, der 150 Tonnen Hilfsgüter geladen hatte. Das libanesische Gesundheitsministerium schätzt, dass 60 Prozent der Krankenhäuser des Landes am 12. August wegen Kraftstoffmangel nicht mehr arbeiteten.

Der israelische Justizminister Haim Raimon erklärte bekanntlich: "Alle, die sich jetzt im Südlibanon aufhalten sind Terroristen, die in irgendeiner Beziehung zur Hisbollah stehen. Am 7. August warfen israelische Kampfflugzeuge Flugblätter ab, die jegliches Bewegen von Fahrzeugen südlich des Litani verboten und damit die gesamte Region zur freien Abschusszone erklärten. Dennoch waren, wie der AI-Bericht erklärt, "zirka 100.000 Zivilisten im Südlibanon eingeschlossen, zu verängstigt, um zu fliehen ... Einige konnten nicht weg, weil sie alt oder behindert waren oder weil sie keine Transportmittel hatten. Lebensmittel, Wasser und Medizin wurden rasch knapp und das IKRK (Internationales Komitee des Roten Kreuzes) berichtete, dass diejenigen, die aus der Region fliehen konnten, in Hilfseinrichtungen landeten, die mit immer verzweifelteren Bedingungen zu kämpfen hatten."

Zivile Gebäude

Laut einem Untersuchungsbericht der UN, der am 16 August veröffentlicht wurde, wurden mindestens 16 000 Zivilgebäude - Häuser und Wohnungen - zerstört. AI stellt fest, dass diese Zahl mit großer Wahrscheinlichkeit zu niedrig geschätzt ist. Das Ausmaß der Zerstörung wurde von AI-Mitarbeitern im Libanon anschaulich geschildert:

"Die Delegierten von Amnesty International, die Städte und Dörfer im Südlibanon besuchten, sahen, dass in einem Dorf nach dem anderen die Häuser mit schwerer Artillerie beschossen und durch Präzisionsmunition aus der Luft zerstört worden waren. Die Treffgenauigkeit dieser Geschosse als auch ihre Flugbahn waren so berechnet, dass ein oder zwei die Hauptstützen trafen, was dazu führte, dass das Gebäude ganz oder teilweise unter seinem eigenen Gewicht zusammenbrach. In Beirut wurde ein riesiger, dicht besiedelter Stadtteil mit Hochhäusern, in denen Zehntausende von Menschen wohnten, durch wiederholte Luftangriffe dem Erdboden gleich gemacht - die meisten Bewohner hatten das Gebiet verlassen, nachdem die Hisbollah sie zu ihrer eigenen Sicherheit dazu aufgefordert hatte.

"Den United Nations Interim Forces im Libanon (UNIFIL) zufolge waren am 15 August 80 Prozent der Zivilgebäude im Dorf Tayyabah, 50 Prozent in den Dörfern Markaba und Quantarah, 30 Prozent in Mais al-Jebel, 20 Prozent in Hula und 15 Prozent in Talusha zerstört. Am folgenden Tag berichtete die UNIFIL, dass in den Dörfern Ghanduriyah 80 Prozent der zivilen Häuser zerstört seien, 60 Prozent im Dorf Zibqin, 50 Prozent in JAbal al-Butm und Bayyadah, 30 Prozent in Bayt leif und 30 Prozent in Kafra.

Als Delegierte von Amnesty International die Stadt Bint Jbeil weit im Süden des Landes besuchten, war das Zentrum der Stadt, in dem sich ein Markt und davon abgehend belebte Straßen mit Läden befunden hatten, völlig zerstört. Jedes Gebäude an den Straßen war zerstört, weitgehend beschädigt oder nicht mehr zu reparieren. Die Straßen waren übersät mit Schutt und Trümmern und in diesen Trümmern gab es eindeutige Hinweise für die Ursachen der Zerstörung, nicht explodierte Munition, Schrapnelle und Krater. Die israelische Armee schien jede Art von Munition in ihrem Arsenal benutzt zu haben, darunter deutlich sichtbar Munition der Luftwaffe, Munition der Artillerie und Streubomben."

Die Infrastruktur

Straßen, Brücken, Wasser- und Elektrizitätswerke, Abwasseranlagen und Infrastruktureinrichtungen wie Häfen und der internationale Flughafen von Beirut wurden beschädigt oder zerstört.

Überall im südlichen Libanon wurden Brunnen, Vorratstanks, Pumpstationen und Wasseraufbereitungsanlagen zerstört. Im übrigen Land wurde die Wasserversorgung weitgehend unterbrochen, da durch die Bombardierung der Straßen die Leitungen zerstört worden waren. Der Bericht folgert, dass viele der Angriffe so beabsichtigt waren und keinem ersichtlichen militärischen Zweck dienten.

Mindestens 25 Treibstofflager wurden zerstört und 25 Tankstellen zerstört oder schwer beschädigt. Zur Zeit der Waffenruhe gab es im Süden keine Elektrizität mehr. Die Bombardierung von Libanons größtem Kraftwerk in Jiyyeh unterbrach nicht nur die Stromversorgung, sondern führte auch zu einer Umweltkatastrophe, als 15 000 Tonnen Schweröl ins Meer flossen und einen enormen Ölteppich produzierten, der 150 Kilometer der Küste verschmutzte.

In vielen Fällen war die Zerstörung völlig mutwillig. Israelische Kampfflugzeuge griff Anlagen in allen großen Häfen des Libanon an - in Beirut, Tripoli und Sidon. Der moderne Leuchtturm von Beirut wurde zusammen mit dem alten zerstört. "Es ist schwer zu verstehen, welchen berechtigten Zweck diese Angriffe haben sollten, angesichts der Tatsache, dass die israelische Marine den Hafen ohnehin blockierte", erklärt der Bericht.

Israelische Luftangriffe trafen Sendeanlage, die von libanesischen Fernseh- und Radiostationen benutzt wurden, auch solche die keine Verbindung zur Hisbollah haben. Die von der Hisbollah unterstützte al-Manar-Fernsehstation wurde wiederholt bomabardiert. Wie AI betont, machte die Tatsache, dass al-Manar Hisbollah-Propaganda ausstrahlte, sie nach internationalem Recht nicht zu einem legitimen militärischen Ziel.

Fabrikanlagen und Geschäfte

Wie der AI-Bericht erklärt, beschoss das israelische Militär gezielt Firmen, darunter die wenigen großen Fabrikanlagen des Landes.

"Private Fabriken und Firmen im ganzen Land - Wirtschaftseinheiten, deren Zerstörung keinen ersichtlichen militärischen Vorteil bot, der die Schäden für die Zivilisten überwog - waren ebenfalls Ziel einer Reihe von zerstörerischen Luftangriffen, was der zerrütteten Wirtschaft einen weiteren schweren Schlag versetzte. Die libanesische Regierung schätzt, dass die Arbeitslosigkeit jetzt ungefähr einen Stand von 75 Prozent erreicht hat.

Die Produktionsstätten von Firmen in industriellen Schlüsselbereichen, darunter die Liban-Lait in Baalbeck, die größte Molkerei des Landes, die Maliban-Glasfabrik in Ta’neil, Zahleh, die Sada als-Din-Plastikfabrik in Tyrus, die Papiermühle in Kafr Jara, Sidon und die Tabara Arzneimittelfabrik in Showeifat, Aaliyah wurden außer Betrieb gesetzt oder völlig zerstört. Industrieminister Pierre Gemayel erklärte, fast zwei Drittel des industriellen Sektors seien beschädigt und mindestens 23 große Fabrikanlagen und Dutzende kleiner und mittlerer Fabriken seien bombardiert worden."

Die Zerstörung, die die israelische Offensive im Libanon angerichtet hat, ist eindeutig ein schreckliches Kriegsverbrechen. Am Schluss ihres Berichts ruft Amnesty International zur Bildung eines internationalen Tribunals auf, das die Verletzungen der internationalen Menschenrechte untersuchen soll. AI ruft dazu auf, die Taten der Hisbollah und die des zionistischen Staats zu untersuchen. Es wäre jedoch wesentlich angebrachter zu fordern, die Rolle der Bush-Regierung zu untersuchen, die die israelischen Kriegsverbrechen unterstützte und anstiftete, speziell ihr Waffenarsenal bereitstellte und wieder aufstockte, und jeglichen Vorstoß in Richtung einer sofortigen Waffenruhe blockierte.

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