Menschenrechtsgruppen verurteilen Einführung von Militärkommissionen

Bürger- und Menschenrechtsgruppen haben den Military Commissions Act (Gesetz zur Einführung von Militärkommissionen) verurteilt. Sie nennen das Gesetz einen grundlegenden Bruch der US-Regierung mit demokratischen Prinzipien. Der Military Commissions Act passierte am Donnerstag den Senat und am Freitag das Repräsentantenhaus und tritt mit der Unterzeichnung durch den Präsidenten in den kommenden Tagen in Kraft.

Das Center for Constitutional Rights (CCR, Zentrum für Verfassungsrechte) kündigte an, gegen das Gesetz juristisch vorzugehen, sobald Bush es unterzeichnet habe. Das CCR vertritt hunderte Häftlinge, die auf unbegrenzte Zeit im Konzentrationslager von Guantánamo Bay festgehalten werden, und will sich bei der Klage auf die Frage konzentrieren, dass den Gefangenen das Recht auf Haftprüfung (Habeas Corpus) verweigert wird. Das Prinzip des Habeas Corpus verlangt eine Überprüfung der Haftgründe durch ein Gericht, das unabhängig von der Instanz ist, die die Festnahme angeordnet hat.

CCR-Leiter Vincent Warren sagte: "Diese beispiellose und unbefristete Aufhebung der Habeas Corpus Akte ist völlig verfassungswidrig." Er fügte hinzu: "Seit der Gründung der Nation ist die Akte erst viermal aufgehoben worden, und jedes Mal nur kurz und für ein Gebiet, in dem aktive Kämpfe stattfanden. Dieses Gesetz hebt sie für alle Nicht-Amerikaner innerhalb und außerhalb der USA auf, selbst wenn ihnen keinerlei Verbrechen vorgeworfen wird."

Die Habeas Corpus Akte ist seit der Magna Charta von 1215 Bestandteil des englischen Rechts. Sie ist in Artikel I, Absatz 9 der amerikanischen Verfassung aufgenommen, der es der Bundesregierung verbietet, das Habeas Corpus Prinzip aufzuheben, außer unter den Bedingungen von Invasion oder Rebellion.

Den größten Teil des Gesetzes nimmt ein Kongressbeschluss ein, der die Militärkommissionen autorisiert. Die Militärkommissionen sollen nach dem Wunsch der Bush-Regierung über die Gefangenen in Guantánamo Bay und andere richten, die zukünftig noch festgenommen werden. Die geplanten Tribunale haben mit einem ordentlichen Gericht nur wenig gemein: Angeklagte können von ihrem eigenen Prozess ausgeschlossen, Beweise vor ihren Verteidigern geheim gehalten werden, und nach Ermessen des Militärrichters sind auch unter Zwang oder gar Folter gemachte Aussagen und auf Hörensagen beruhende Beweise zugelassen. Auch andere auf illegale Weise erlangte Beweise können im Prozess Verwendung finden.

Andere Schlüsselbestimmungen des Gesetzes stellen CIA-Agenten, die Gefangene gefoltert haben, von Strafverfolgung frei, untersagen US-Gerichten die Überprüfung von Verfahren vor Militärkommissionen und ermächtigen den Präsidenten, die Bestimmungen der Genfer Konventionen zu "interpretieren", um brutale Verhöre zu ermöglichen.

Christopher Anders, Rechtsberater der Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU), sagte in einer Presseerklärung: "Nichts ist unamerikanischer als eine Regierung, die Menschen für unbegrenzte Zeit in geheimen Folterzellen festhalten, ihnen ihr Recht auf Schutz vor schrecklicher und grausamer Behandlung wegnehmen, sie aufgrund von geheimen Beweisen vor Gericht stellen, aufgrund von erzwungenen Geständnissen zum Tode verurteilen und dann jeden Antrag auf Haftprüfung verweigern kann."

Die Ärzte für Menschenrechte (PHR) verurteilten das Gesetz in einer Erklärung, die sich vor allem mit der stillschweigenden Legalisierung von Folter und der Verwendung von unter Folter gemachten Geständnissen befasst. "Der Kongress ist seiner Verantwortung nicht gerecht geworden, den höchsten Menschenrechtsstandard und Schutz von Verfassungsrechten für Menschen in amerikanischem Gewahrsam zu garantieren", erklärte Leonard S. Rubenstein, Sprecher der PHR. "Der Präsident hat offen amerikanisches und internationales Recht gebeugt, um die brutalen illegalen CIA-Verhörtechniken zu rechtfertigen. Der Kongress muss jetzt einschreiten, damit sich die Exekutive an die Genfer Konventionen und das Gesetz über die Behandlung von Gefangenen hält."

Das US-amerikanische Büro von Amnesty International erklärte: "Durch die Verabschiedung des Military Commissions Act hat der Kongress der Vereinigten Staaten praktisch sein Einverständnis zu Menschenrechtsverletzungen im amerikanischen 'Krieg gegen den Terror' gegeben. Dieses Gesetz stellt die USA eindeutig ins Lager der Gegner des Völkerrechts und gießt eine schlechte Regierungspolitik in die Form eines schlechten Gesetzes."

In der Erklärung von Amnesty heißt es weiterhin: "Die US-Regierung hat geheime Haft, Verschwinden nach Entführung, langfristige Isolationshaft, lange Haft ohne Anklageerhebung, willkürliche Verhaftung und Folter oder andere grausame, unmenschliche und entwürdigende Behandlungen praktiziert." Eine der wesentlichen Funktionen des Gesetzes sei es, hohe Mitglieder der Bush-Regierung vor Anklagen wegen Kriegsverbrechen zu schützen, erklärte Amnesty.

Der Vorsitzende des Arab American Institute, der ehemalige US-Senators James Zogby, wies in einer Erklärung darauf hin, dass der Gesetzentwurf kurz vor seiner Verabschiedung noch geändert worden war. Demnach wird das Recht auf Haftprüfung nicht nur Inhaftierten im Ausland, sondern auch jedem "ausländischen Häftling in den USA" verweigert.

"Dieses Gesetz greift grundlegend in die amerikanischen Werte ein", erklärte Zogby. "Dass Personen, die sich legal in den Vereinigten Staaten aufhalten, zeitlich unbegrenzt ins Gefängnis geworfen werden können, ohne angeklagt zu werden und ohne die gegen sie erhobenen Vorwürfe entkräften zu können, verletzt die in der Verfassung garantierten Grundrechte."

Die vielleicht bedeutsamste Änderung des Gesetzentwurfs, die in den letzten Tagen zwischen Senat, Repräsentantenhaus und Weißem Haus ausgehandelt wurde, betrifft die Begriffsbestimmung in Hinblick auf den "ungesetzlichen feindlichen Kämpfer", der unter dem Military Commissions Act unbegrenzt festgehalten oder vor ein Militärgericht gestellt werden kann. Das können nunmehr auch amerikanische Bürger oder Personen mit legalem Aufenthaltsrecht in den USA sein, denen die US-Behörden vorwerfen, "absichtlich und in bedeutendem Maße Feindseligkeiten gegen die Vereinigten Staaten oder ihre Kriegsverbündeten" unterstützt zu haben. Sobald ein aus Offizieren bestehendes Tribunal den "Kombattantenstatus" einer Person festgestellt hat, findet in dieser Frage keinerlei juristische Überprüfung mehr statt, und der mutmaßliche "ungesetzliche feindliche Kämpfer" verschwindet im neuen amerikanischen Gulag.

Marjorie Cohn, die Vorsitzende der Nationalen Anwaltsvereinigung, konzentrierte sich in einem Internetkommentar auf diesen Aspekt des Gesetzes. "Weil der Entwurf in Lichtgeschwindigkeit angenommen wurde", schrieb sie, "hat kaum jemand bemerkt, dass Bush ermächtigt wird, nicht nur Ausländer sondern auch US-Bürger zu 'ungesetzlichen feindlichen Kämpfern' zu erklären. Jeder, der einer Wohlfahrtsorganisation Geld spendet, die auf Bushs Liste von 'Terrororganisationen' auftaucht, oder der sich gegen die Politik der Regierung ausspricht, könnte als 'ungesetzlicher feindlicher Kämpfer' bezeichnet und unbegrenzt eingesperrt werden. Das trifft auch auf amerikanische Bürger zu."

Der Leiter von Human Rights Watch Kenneth Roth sagte: "Der Begriff des Kombattanten oder Kämpfers wird wesentlich weiter gefasst, als traditionell üblich ist, und könnte auf Amerikaner zurückfallen. Demnach ist jeder zivile Angestellte in der Cafeteria einer US-Kaserne und jeden Arbeiter in einer Fabrik, die amerikanische Armeeuniformen herstellt, ein legitimes Ziel feindlicher Truppen."

Viele Bürgerrechtsgruppen zeigen sich in Erklärungen schockiert, wie leichtfertig und in welchem Ausmaß die Bush-Regierung und der Kongress anerkannte Verfassungsprinzipien über Bord werfen und die juristischen Rahmenbedingungen eines Polizeistaats schaffen. Aber diese verständliche und berechtigte Reaktion findet so gut wie keinen Widerhall in den amerikanischen Massenmedien oder im offiziellen Washington.

Dort wird der Military Commissions Act fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der unmittelbaren Vorteile diskutiert, die sich die Bush-Regierung und die Republikanischen Abgeordneten im Kongress erhoffen, wenn sie sich selbst als entschlossene Kämpfer gegen den Terrorismus präsentieren und ihre Demokratischen Gegenspieler als Feiglinge und Verräter hinstellen können.

Unüberhörbar herrschte in den ersten Kommentaren republikanischer Kongressführer nach der Annahme des Gesetzes ein Tonfall, der an die McCarthy-Ära erinnerte. Der Fraktionsführer der Republikaner im Senat erklärte, bei den Novemberwahlen am 7. November gehe es darum, ob die Wähler "eine Partei wählen wollen, die unumwunden sagt: ‚Wir werden im Krieg gegen den Terror siegen’, oder für eine Partei sind, die sagt: ‚Wir müssen aufgeben.’"

Der Sprecher des Repräsentantenhauses J. Dennis Hastert sagte in einem Fernsehinterview, die Demokraten "sind so entschlossen, Kriminelle zu schützen, dass sie uns nicht erlauben, diese Leute zu verfolgen". Er fügte hinzu: "Sie wollen die wahrscheinlich tückischsten 130 Leute der Welt schließlich sogar in die Freiheit entlassen."

Das Nationale Senatskomitee der Republikaner beschuldigte zwei Demokratischen Senatoren (Robert Menendez aus New Jersey und Debbie Stabenow aus Michigan), die für die Wiederherstellung des Rechts auf Haftprüfung gestimmt hatten, "sich auf die Seite der Anwälte und Terroristen" gestellt zu haben. Tatsächlich votierten Menendez und Stabenow schließlich für das Gesetz in seiner Endfassung, nachdem der Ergänzungsantrag zu Habeas Corpus mit 51 zu 48 Stimmen abgelehnt worden war.

Die Reaktion der Demokraten auf diese Hexenjagd ist geprägt von einer völligen Kapitulation vor den Rechten. Der Ton wurde schon von den demokratischen Senatsführern vorgegeben, die vergangenen Mittwoch entschieden hatten, das Gesetzesvorhaben nicht zu blockieren. Diese Aktion gegen ein Gesetz, das grundlegende Verfassungsrechte aufhebt, wäre leicht durchzuführen gewesen, weil dafür nur vierzig der hundert Stimmen im Senat nötig sind.

Die Kongressabgeordnete und Sprecherin der Demokraten im Geheimdienstsauschuss Jane Harman war am Sonntag bei Fox News zu Gast, um gemeinsam mit dem ehemaligen Sprecher des Repräsentantenhauses, dem Republikaner Newt Gingrich, ein Interview zu geben. Sie beschränkte ihre Kritik auf den Vorwurf, dass die Bush-Regierung den Kongress nicht ausreichend konsultiert habe. Über die angeblichen Al Qaida-Gefangenen sagte sie: "Wir sind voll dafür, diese Typen alle einzusperren. Wir sind voll dafür, sie zu verfolgen. Und ich bin dafür, in strengen Grenzen und natürlich unter der Aufsicht des Kongresses hochkarätige Gefangene anders zu behandeln." Mit anderen Worten: Foltert sie, aber holt euch vorher die Genehmigung des Kongresses.

Gingrich machte die beängstigende Bemerkung, der Military Commission Act sei nur der Anfang. "Wir werden uns in den nächsten vier oder fünf Jahren mit Gesetzen zu beschäftigen haben, die in einem Umfang Bürgerrechte berühren, wie wir uns das nie hätten träumen lassen, denn unsere Feinde lassen uns keine Wahl", sagte er. Sein Demokratisches Gegenüber erhob keine Einwände und verfolgte die Frage auch nicht weiter.

In einem scharfen Kommentar zum Auftreten der Demokraten mit der Überschrift "Profil der Feigheit" kommentierte die Los Angeles Times die Rede von Senatorin Hillary Clinton gegen den Gesetzentwurf. "Indem der Regierung erlaubt wird, die Definition von Folter immer enger zu fassen", hatte Clinton deklamiert, "senken wir unsere moralischen Standards auf das Niveau derer, die wir verachten, unterhöhlen die Werte unseres Banners, wo immer es weht, bringen unsere Truppen in Gefahr und schwächen unsere moralische Stärke in einem Konflikt, der nicht nur mit militärischer Macht gewonnen werden kann." Die Times fügte hinzu: "Bewegende Worte - aber offensichtlich nicht bewegend genug, um eine Blockade des Gesetzes zu rechtfertigen."

Die Times berichtete auch am 30. September über die Bemerkung eines ungenannten "hohen Regierungsvertreters", die deutlich zeigt, wie gering demokratische Rechte und Verfassungsprinzipien heute im offiziellen Washington geschätzt werden. Dieser Sprecher "bestritt, dass das Gesetz breit anwendbar ist, und sagte, dass Personen nicht einfach nur deshalb vor Gericht gestellt würden, weil es möglich sei, sie vor Gericht zu stellen. ‚Die einzigen Leute, die vor Gericht gestellt werden, sind die, die ein Verbrechen begangen haben’, sagte der Vertreter."

"Wir stellen nur Schuldige vor Gericht"... Warum dann überhaupt noch ein Prozess? Warum verlassen wir uns nicht gleich auf die Einschätzung von Polizei, Staatsanwaltschaft sowie Präsident und lassen alle Gewalt von der Exekutiven ausgehen? Aus der Politik der Bush-Regierung, die vom Kongress und von der Demokratischen Partei abgesegnet wird, ergibt sich logisch die Einführung eines Polizeistaats in Amerika.

Siehe auch:
Senat und Weißes Haus erlauben Folter an CIA-Gefangenen
(26. September 2006)
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