Blutiger Angriff der mexikanischen Regierung auf Protestbewegung von Oaxaca

Am vergangenen Sonntag drangen Aufstandsbekämpfungseinheiten der mexikanischen Bundespolizei mit tausenden Beamten in Oaxaca ein, um die oppositionelle Bewegung zu zerschlagen, die seit Monaten den mexikanischen Südstaat kontrolliert. Die Bedeutung dieses Polizeieinsatzes reicht weit über die Proteste in Oaxaca hinaus, deren Ursache Armut und Ungleichheit sind. Sie sind eine Warnung an die Arbeiterklasse des Landes: Die herrschende Elite Mexikos ist bereit, zu Repression und nackter Gewalt zu greifen. Die Arbeiterklasse von ganz Mexiko muss sich zur Verteidigung der Protestbewegung von Oaxaca erheben.

Der Angriff begann am Sonntagmorgen um acht Uhr, als 4.536 Polizisten der Bundespräventionspolizei (PFP) und 120 Beamte der Bundesermittlungsbehörde (AFI) in den Staat eindrangen. Die angreifende Truppe wurde von sechs Hubschraubern und 14 gepanzerten Fahrzeugen begleitet und griff die Bevölkerung mit Wasserwerfern und Tränengas an. Dreizehn Stunden nach Beginn des Angriffs übernahm die Polizei die Kontrolle über Oaxaca, die gleichnamigen Hauptstadt des Bundesstaats. Der Angriff forderte drei Todesopfer und zahlreiche Verwundete.

Eine Tränengaspatrone zerschlug den Brustkorb des Krankenpflegers José Alberto Lopez Bernal und tötete ihn. Fidel Garcia, ein Student, starb an einer Schusswunde. Ein drittes Opfer ist bislang nur als Lehrer identifiziert.

Nach offiziellen Angaben wurden vierzig bis fünfzig Menschen verhaftet. Es gibt jedoch Berichte, nach denen Menschen spurlos verschwunden sind, wie zum Beispiel 160 Einwohner der Stadt Nochixtalan: Sie wurden am Montagmorgen aus einem Bus heraus verhaftet, und seither hat man nichts mehr von ihnen gehört.

Anhänger der Oaxaca-Volksversammlung (APPO) leisteten Widerstand. Die APPO war nach den brutalen Übergriffen auf streikende Lehrer am 14. Juni dieses Jahres gegründet worden. Damals hatte die Bundespolizei ein Zeltlager von Lehrern angegriffen und niedergebrannt, wobei zwei Menschen getötet und viele weitere verletzt wurden.

Wut hatte sich in der Bevölkerung von Oaxaca seit langem entwickelt aufgrund der seit Jahren amtierenden korrupten Regierung unter Gouverneur Ulises Ruiz von der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI). Die Wut steigerte sich weiter wegen der Untätigkeit staatlicher Wiederaufbaubehörden nach den Verwüstungen, die der Hurrikan Stan vor einem Jahr angerichtet hatte. Hinzu kamen die Umleitung von Wasser aus den Gemeinden der indigenen Bevölkerung in die Touristengebiete und der Einbruch des Maispreises.

Nach dem 14. Juni forderten die APPO und die Lehrer vor allem den Rücktritt von Gouverneur Ruiz. In den vergangenen zwei Monaten haben APPO-Anhänger Regierungsgebäude besetzt, um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen.

Vor zwei Wochen wies der mexikanische Senat die Forderung der APPO zurück, als Senatoren der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) sich mit ihren Kollegen von der PRI hinter Ruiz stellten. Von diesem Moment an bereitete die Regierung von Präsident Vicente Fox (PAN) den Angriff auf Oaxaca vor.

Vergangene Woche setzte der Regionalverband der Nationalen Lehrergewerkschaft (SNTE) auf Druck der nationalen SNTE-Bürokratie eine Abstimmung durch, um den fünfmonatigen Lehrerstreik in Oaxaca zu beenden. Dies öffnete der Polizeirepression Tür und Tor.

Als die Polizeioperation begann, rief die APPO-Radiostation die Bevölkerung auf, der Bundespolizei mit Blumen und Transparenten entgegenzutreten, aber jede Gewalt zu vermeiden. Tausende gingen auf die Straße und bauten Barrikaden, die den Vormarsch der Sicherheitskräfte verlangsamten.

Die Zeitschrift Proceso berichtete, die PFP-Einheit sei vom Ausmaß des Widerstands gegen die Bundespolizei überrascht worden. Als die Polizei vorrückte, riskierten Hunderte ihr Leben, indem sie sich vor den Polizeifahrzeugen auf der Straße anketteten und den Tränengas- und Wasserkanonaden trotzten, bis sie von PFP-Beamten einzeln entfernt wurden. Den vorrückenden Bundespolizeitruppen flogen Hubschrauber voraus und versprühten Tränengas.

Ein Korrespondent vor Ort, Julio Ponce, berichtete, APPO-Vertreter seien dabei, Listen der Verhafteten und Verschwundenen zu erstellen, um den Aufenthalt jedes einzelnen zu klären. Die APPO habe Berichte über Schläge und Misshandlungen von Verhafteten in behelfsmäßigen Gefängnissen erhalten. Viele der Gefangenen wurden zu einem nahe gelegenen Militärstützpunkt transportiert.

Während des Angriffs war das Polizeikontingent mehrmals gezwungen, große Barrikaden zu umgehen und Anwohnern auszuweichen, die die Polizisten mit Steinen und Stöcken empfingen. In den Stadtvierteln Aleman und Viguera kam es zu erbitterten Kämpfen. Es wurde beobachtet, wie behelmte PFP-Beamte systematisch in die Häuser eindrangen und illegale Razzien vornahmen.

An den Kämpfen beteiligten sich auch paramilitärische Gruppen, die mit der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) in Verbindung stehen. Vergangenen Freitag hatte eine PRI-Truppe in Oaxaca drei Menschen getötet, unter ihnen auch Brad Will, einen Korrespondenten für Indymedia. Dies wurde von Präsident Fox zum Vorwand für den Einsatz der Bundespolizei genommen - obwohl sich dieser keineswegs gegen die Mörder richtete, sondern gegen den Widerstand der Bevölkerung. Die Polizeiaktion hat nichts mit dem Schutz der Bevölkerung gegen paramilitärische Todesschwadronen zu tun.

Die Regierung Fox, die nur noch wenige Tage im Amt ist, hat sich widersprüchlich über Ruiz geäußert. Zuweilen deutete sie an, der Rücktritt des Gouverneurs wäre kein allzu teurer Preis für eine Beilegung der Krise in Oaxaca. Der neu gewählte Präsident Felipe Calderon (ebenfalls PAN) befürwortet Presseberichten zufolge allerdings eine härtere Gangart, da er nicht will, dass die Krise noch bis in seine eigene, am 1. Dezember beginnende Amtszeit hinein andauert.

Die schwer bewaffnete Bundespolizeitruppe erreichte um halb acht Uhr abends den zentralen Platz von Oaxaca und begann, mit Hilfe von Baggern und Planierfahrzeugen das APPO-Hauptquartier einzureißen. Darauf flüchteten die APPO-Anhänger zu einer nahe gelegenen Radiostation, die ihre Nachrichten sendet. Dort versammelten sich in großer Zahl Anwohner, um den Sender zu verteidigen, während auffälligerweise die Telefon- und Stromleitungen in dem Viertel unterbrochen wurden.

In Mexiko-Stadt reagierten am Montag 50.000 Studenten und Arbeiter mit einer Demonstration auf den Angriff auf Oaxaca. Unter ihnen waren viele Einwohner von Nezacoyotl, einer Arbeitervorstadt mit einem hohen Anteil an Zuwanderern aus dem Süden Mexikos. An der Demonstration beteiligten sich die unabhängigen Gewerkschaften. Die Gewerkschaften des mit der PRI verbundenen Gewerkschaftsdachverbands (CT) boykottierten den Protest, möglicherweise mit Ausnahme der Elektrizitätsarbeitergewerkschaft (SUTERM).

Unter den Demonstranten befanden sich zahlreiche einfache Mitglieder der Partei der Demokratischen Revolution (PRD), obwohl sich der PRD-Vorsitzende Lopez Obrador geweigert hatte, die Streiks in Oaxaca zu unterstützten. Dabei hatte die APPO sogar zur Wahl von Lopez Obrador aufgerufen. Die Oaxaca-Krise hat die PRD zutiefst gespalten, da einige PRD-Gouverneure auf Seiten der Fox-Regierung stehen. Lopez Obrador äußerte sich vergangenen Sommer, als er seine knappe Wahlniederlage anfocht, nicht zu der sozialen Rebellion in Oaxaca. Er ließ niemals Zweifel an seiner Loyalität gegenüber den bürgerlichen Institutionen Mexikos und gegenüber der kapitalistischen Ordnung aufkommen.

Obwohl die Schulen in Oaxaca angeblich am Montagmorgen wieder öffnen sollten, haben die Eltern in einigen Indiogemeinden offenbar die Lehrer daran hindern, die Arbeit wieder aufzunehmen. Eine Dissidentenfraktion der SNTE, genannt Nationalkomitee der Bildungsgewerkschaft (CNTE), reagierte auf die Repression in Oaxaca mit einem Aufruf zum unbefristeten Lehrerstreik in den Südstaaten von Guerrero, Michoacan, Zacatecas und der Hauptstadt Mexiko-Stadt.

Am Montag sah es in Oaxaca nach einer Patt-Situation aus. Die Radiostation der Universität war immer noch unter APPO-Kontrolle. Die APPO hatte neue Barrikaden gebaut und ihr Hauptquartier auf den Santo-Domingo-Platz verlegt. Die APPO-Führer wollen einen Kongress einberufen, um eine neue Regierung in Oaxaca zu bilden, und in weiteren mexikanischen Südstaaten werden APPO-ähnliche Organisationen gegründet.

Siehe auch:
Mexiko: Wahlkommission weist Lopéz Obradors Wahlanfechtung zurück
(30. August 2006)
Bush verordnet Lateinamerika Armut Unterdrückung und Militarismus
( 3. April 2006)
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