Abbas’ politischer Putsch im Interesse Washingtons

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat angekündigt, das erst kürzlich gewählte palästinensische Parlament aufzulösen und Neuwahlen des Parlaments und des Präsidenten anzusetzen. Abbas’ Berater Jasser Abed Rabbo sagte gegenüber Associated Press, der Präsident werde innerhalb der kommenden Woche einen Termin festlegen, so dass die Wahlen in spätestens drei Monaten stattfinden könnten.

Es handelt sich um einen verfassungswidrigen Versuch, die Hamas-Regierung aus dem Amt zu drängen, hinter dem die Vereinigten Staaten und Israel stehen. Die Folge könnte ein umfassender Bürgerkrieg sein. Die amerikanische und die israelische Regierung genießen dabei die Rückendeckung der europäischen Mächte und werden ebenso von den Regierungen arabischer Länder wie Saudi-Arabien, Jordanien, Ägypten und den Golfstaaten unterstützt.

Abbas’ Schritt ist das Ergebnis von Konsultationen mit Washington. Die Bush-Regierung begrüßte die angekündigten Neuwahlen und erklärte, sie hoffe auf ein Ende der Gewalt in der Region. Auch Großbritannien und Spanien begrüßten die Ankündigung. Der britische Premierminister Tony Blair forderte auf einer Nahost-Reise in Kairo andere Regierungen auf, Abbas zu unterstützen. Die Sprecherin der israelischen Regierung Miri Eisin sagte, Ministerpräsident Ehud Olmert "respektiert Abu Mazen [Abbas] und hofft, dass er in der Lage ist, seine Stellung als Führer des ganzen palästinensischen Volk zu festigen."

Abbas hat die Haltung der USA und der Europäischen Union übernommen, laut der die Hamas angeblich für die ökonomische und politische Krise verantwortlich ist, die der Westen durch seine Sanktionen ausgelöst hat. Schließlich weigere sich die Hamas, Israel anzuerkennen oder in einer Regierung einzutreten, die dies tut. Die beste Lösung bestehe demnach für Abbas darin, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden, die die Unterstützung des Nahost-Quartetts (bestehend aus den USA, der Europäischen Union, den Vereinten Nationen und Russland) hätte und die Wirtschaftshilfe für Palästina wieder fließen lassen würde. Doch monatelange Verhandlungen zwischen Hamas und Fatah mit eben diesem Ziel sind gescheitert.

Die Hamas ist entschieden gegen Neuwahlen, weil sie erst im Januar mit einem Erdrutschsieg für vier Jahre ins Amt gewählt wurde. Sie nannte die Entscheidung einen Putsch gegen die palästinensische Regierung und den Willen des palästinensischen Volkes. Ahmed Jusef, ein Berater von Ministerpräsident Ismail Hanija, sagte, das Ansetzen von Neuwahlen werde Gewalt hervorrufen. "Ich glaube, das wird zu Blutvergießen führen, weil es gegen die Verfassung gerichtet ist."

Er erklärte zudem: "Abu Mazen trägt nicht mehr zur Lösung des Problems bei, er ist selbst zu einem Teil des Problems geworden."

Mehrere palästinensische Gruppierungen in der syrischen Hauptstadt Damaskus, darunter auch die Exilführung der Hamas, sprachen sich gegen vorgezogene Neuwahlen aus. "Jeder Schritt außerhalb der Gesetze wird von uns allen abgelehnt, das ist nicht nur der Standpunkt der Hamas", sagte Hamas-Führer Khaled Maschaal in Damaskus. Die Volksfront für die Befreiung Palästinas unterstützte die Haltung der Hamas. Der Führer des Islamischen Dschihad, Ramadan Schallah, der Maschaal in Damaskus getroffen hatte, drängte Hamas und Fatah auf eine Einigung. Er nannte Abbas’ Entscheidung "gesetzwidrig".

Abbas gab auch bekannt, dass das Verhandlungsbüro der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) wieder aktiviert werde, und bekundete so indirekt seine Bereitschaft, Gespräche mit Israel aufzunehmen und die von Israel vorgegebenen Bedingungen zu akzeptieren. Ein hoher israelischer Verteidigungssprecher sagte: "Das ist eine sehr wichtige interne Entscheidung der Palästinenser, die neue Möglichkeiten schafft, den Weg des Terrors zu verlassen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren."

Der Entscheidung für Neuwahlen wird zwangsläufig zur Ausweitung des Bruderkriegs zwischen Hamas und Fatah führen. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass Abbas die Situation nutzen wird, um einen dreißigtägigen Ausnahmezustand zu verhängen. Das würde ihm ermöglichen, sich Sondervollmachten anzueignen und unter anderem Aufgaben und Befugnisse der gegenwärtigen Regierung zu übernehmen.

Schon jetzt hat Abbas’ Ankündigung neue Kämpfe zwischen Hamas und Fatah provoziert. Sie erfolgte unmittelbar nach einem gescheiterten Mordanschlag auf Ministerpräsident Hanija, der von einer Nahostreise kommend aus Ägypten in den Gazastreifen einreiste. Die Hamas wirft Mohammed Dahlan vor, hinter dem Mordversuch an Hanija zu stecken. Dahlan ist der ehemalige Sicherheitschef der Fatah im Gazastreifen und einer der einflussreichsten Fatah-Politiker.

Hanija war auf Befehl von Israels Verteidigungsminister Amir Peretz an der Grenze festgehalten worden. Dieser hatte die europäischen Beobachter am Grenzübergang angewiesen, dem Hamas-Politiker die Einreise in den Gazastreifen zu verwehren. Nach siebenstündigen Verhandlungen ließen die Grenzwachen der Fatah Hanija schließlich durch, nachdem er auf seiner Reise gesammelte Spendengelder in Ägypten zurückgelassen hatte.

Aber in der Zwischenzeit waren mehr als 1.000 Hamas-Sympathisanten am Grenzübergang zusammengeströmt. Es kam zu bewaffneten Zusammenstößen, bei denen ein Leibwächter Hanijas getötet und 26 Menschen verletzt wurden, darunter auch sein Sohn. Der stellvertretende israelische Verteidigungsminister Ephraim Sneh gab im Armeerundfunk bekannt, die Regierung habe die richtige Entscheidung getroffen, als sie Hanija nicht mit dem Geld in den Gazastreifen einreisen ließ. Wäre er getötet worden, "hätte ich nicht getrauert", fügte er hinzu.

Vergangenen Montag feuerten maskierte Täter auf ein Auto, mit dem die drei kleinen Kinder von Oberst Baha Baluscha in die Schule nach Gaza-Stadt gefahren wurden, wobei die Kinder und der Fahrer getötet wurden. Baluscha ist Geheimdienstoffizier der Fatah und fungierte bei einer Kampagne der Fatah gegen die Hamas in den späten 1990er Jahren als Verhörspezialist. Am Mittwoch töteten Fatah-Kämpfer Bassam El Farra, einen 32-jährigen Kommandeur des militärischen Flügels der Hamas, sowie einen Scharia-Richter in Khan Yunis im südlichen Gazastreifen. Am Donnerstag kam es zu einem Schusswechsel, als Fatah-Sicherheitskräfte Hischam Mukhaimer in Zusammenhang mit der Ermordung der drei kleinen Kinder in Gaza-Stadt verhafteten. Mehr als 40 Palästinenser wurden seit März bei Fraktionskämpfen getötet.

Am Freitag wurde Ramallah zum Schauplatz von Kämpfen, als Hamas-Sympathisanten anlässlich des 19. Jahrestags der Hamas-Gründung in das Stadtzentrum marschieren wollten. Ein starkes Polizeiaufgebot der Fatah stellte sich ihnen in den Weg. 32 Personen wurden durch Steinwürfe und Schüsse verletzt. In Gaza-Stadt lieferten sich maskierte Hamas-Kämpfer ein Feuergefecht mit Polizisten, die der Fatah nahe stehen. Diese bewaffneten Kämpfe ereigneten sich in der Nähe eines Sicherheitspostens, nur eine Straße von der Wohnung entfernt, in der Mohammed Dahlan lebt.

Eine Politik made in USA

Nachdem die Bush-Regierung ins Amt gekommen war, hatte sie jede Verhandlungslösung zwischen Israel und den Palästinensern sabotiert. Sie unterstütze die israelische Politik, Palästinenserpräsident Arafat als "Partner für den Frieden" abzulehnen. Arafat wurde praktisch unter Hausarrest gestellt und die Gebäude seiner Regierung wurden fast vollständig zerstört, weil er nicht den Aufstand unterdrückte, der nach dem provokativen Besuch Ariel Scharons auf dem Tempelberg im September 2000 ausgebrochen war. Scharon verstand Washingtons Billigung als grünes Licht, um in seiner darauf folgenden Regierungszeit die zionistischen Siedlungen auszubauen und die Angriffe auf die Palästinenser auszuweiten.

Das Weiße Haus favorisierte den Geschäftsmann Abbas als Ministerpräsidenten und Dahlan als seinen Sicherheitschef. Beide Kandidaten hatten ihre Bereitschaft signalisiert, scharf gegen militante Palästinensergruppen vorzugehen. Abbas wurde von Arafat am 19. März 2003 zum Ministerpräsidenten ernannt, an eben jenem Tag, als der US-Einmarsch in den Irak begann.

Damals tat Bush so, als wolle Washington zur Rolle des "ehrlichen Vermittlers" in dem langjährigen Konflikt zurückkehren, und schlug im April des Jahres die so genannte "Road Map" vor, um dem britischen Premierminister Tony Blair und verschiedenen arabischen Regimes die Unterstützung des Irakkriegs zu erleichtern. Die Road Map erneuerte zwar das Bekenntnis zu einem eigenen palästinensischen Staat, aber schon der Beginn ihrer Umsetzung wurde vom Ende jedes palästinensischen Widerstands gegen Israel abhängig gemacht. Doch auch Abbas schreckte vor dem Bürgerkrieg zurück, der bei einer Umsetzung der von Washington und Tel Aviv geforderten Unterdrückungsmaßnahmen unvermeidlich gewesen wäre, und trat im Oktober desselben Jahres von seinem Amt zurück.

Als Arafat im November 2004 starb, gab das Weiße Haus zu verstehen, Abbas sei der einzige akzeptable Kandidat für das Präsidentenamt. Er übernahm den Posten im Januar 2005.

Im April 2004 hatte Bush die Road Map praktisch auf Eis gelegt und Scharons Politik der "einseitigen Trennung" akzeptiert. Damit war eine Grenzziehung gemeint, die Israel große Teile des Westjordanlandes und ganz Ostjerusalem einverleibt. Für einen künftigen Palästinenserstaat blieben so nur ein paar verstreute Flecken übrig, die zudem eine acht Meter hohe Betonmauer einschließen soll.

Es zeichnete sich ein Muster ab, nach dem Israel immer wieder mit Militäraktionen die militanten Palästinensergruppen zu gewaltsamen Reaktionen provoziert, was dann als Rechtfertigung dient, Gespräche abzusagen, Grenzkontrollen, Straßensperren und Ausgangssperren zu verschärfen und damit das Leben der Palästinenser unerträglich zu machen. Ihrerseits haben die USA ständig betont, dass ein Palästinenserstaat von Abbas Fähigkeit abhänge, den Widerstand gegen Israel zu unterdrücken.

Aber diese Politik sollte sich rächen. Abbas’ enge Bindungen an Washington, die wachsenden Wirtschaftsprobleme, unter denen die Palästinenser wegen des israelischen Vorgehens zu leiden hatten, und die verbreitete Korruption in den Staatsorganen brachten die Masse der Palästinenser gegen die Fatah auf und ließen den Einfluss der Hamas steigen. Das Ergebnis war ein Erdrutschsieg der Hamas bei den Parlamentswahlen im Januar dieses Jahres.

Seitdem betreiben die USA und Israel den Sturz der Hamas-Regierung und versuchen die Spannungen zwischen Hamas und Fatah anzuheizen, wobei sie auf einen Bürgerkrieg zwischen den beiden Fraktionen hoffen. Washington sorgt dafür, dass internationale Sanktionen jede Wirtschaftshilfe an die palästinensische Regierung unmöglich machen, und Israel hält mittlerweile Steuergelder in Höhe von 600 Millionen Dollar zurück, die der palästinensischen Autonomiebehörde zustehen. Zudem drohte Tel Aviv der Hamas an, ihre Führer, darunter auch den Ministerpräsidenten, zu ermorden. Fast die Hälfte der palästinensischen Regierung und mehrere Parlamentsabgeordnete sitzen inzwischen in Israel im Gefängnis.

Im Sommer überzog Israel den Gazastreifen mit einem Krieg und tötete dabei mehr als 300 Menschen, um die Annahme des so genannten "Gefangenen-Briefs" durch die Hamas zu hintertreiben. In dieser Grundsatzerklärung wurde eine "Zwei-Staaten-Lösung" akzeptiert, was implizit die Anerkennung Israels bedeutete, und eine gemeinsame Kommandostruktur von Hamas und Fatah angestrebt.

Es scheint jetzt, dass die USA und Israel der Fatah die Unterdrückung der Palästinenser übertragen wollen. Washington hat Abbas ermutigt, die Machtbefugnisse des Präsidenten zu stärken, um der Hamas-Regierung entgegenzutreten. Die amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice kündigte an, im US-Kongress zig Millionen Dollar für die Aufrüstung von Abbas’ Sicherheitskräften zu beantragen.

Es gibt Hinweise, dass sich die USA schon seit Monaten auf die bürgerkriegsähnlichen Konflikte vorbereitet haben, die jetzt durch Abbas’ Ankündigung provoziert wurden. Im Magazin Economist vom 18. November heißt es, der amerikanische Sicherheitsbeauftragte für die Palästinenser, Generalleutnant Kenneth Dayton, habe gesagt, das Nahost-Quartett solle die Hoffnung auf eine Regierung der nationalen Einheit aufgeben und Abbas mit allen Mitteln beim Kampf gegen die Hamas unterstützen. Der Economist zitierte eine diplomatische Quelle mit den Worten, die drei anderen Parteien des Quartetts seien davor zurückgeschreckt, denn dies sei "gleichbedeutend mit der Unterstützung einer Seite in einem drohenden Bürgerkrieg".

Abbas’ Ankündigung liegt auf einer Linie mit der feindseligen Reaktion der Bush-Regierung und Israels auf den Baker-Report. Der Bericht der Kommission unter Leitung des amerikanischen Ex-Außenministers James Baker fordert die USA auf, im Rahmen einer größeren Initiative zur Stabilisierung des Nahen Ostens den Palästinensern einige Zugeständnisse zu machen. Die Antwort des Weißen Hauses entspricht der Maxime Scharons: "In einer Krise musst du eskalieren, eskalieren und noch einmal eskalieren." Nur die völlige Unterwerfung der Palästinenser unter das Diktat Washingtons wird die Bush-Regierung zufrieden stellen. Von Abbas und den benachbarten arabischen Bourgeoisien wird erwartet, dass sie den geschundenen Palästinensern dieses Diktat im Interesse Israels mit brutaler Gewalt aufzwingen.

Zu diesem Zweck finanzieren die USA laut einem Bericht des Economist vom 4. November schon jetzt ein "Ausbildungslager" in der Nähe von Jericho im Westjordanland, um als Teil ihrer geplanten "Sicherheitsreform" unter den Palästinensern neue Rekruten für die Präsidentengarde auszubilden. Israel hat die Einfuhr von schwerem Geschütz aus Jordanien erlaubt, indem es die Verlegung der größtenteils unter jordanischem Kommando operierenden Badr-Brigade der Palästinensischen Befreiungsarmee in die Palästinensergebiete gestattete. Außerdem hat Israel der Wiederbewaffnung der Tansim-Miliz der Fatah zugestimmt.

Der Economist zitiert Abbas’ Berater mit den Worten, dass diese Einheiten zum Rückgrat einer Truppe von mehr als zehntausend Mann würden. Ihre Aufgabe bestehe darin, es mit der Hamas aufzunehmen, die im Gazastreifen 5.700 und im Westjordanland 1.500 Männer unter Waffen haben soll.

Siehe auch:
Israel und die USA drohen Syrien und dem Iran
(16. Dezember 2006)
Palästinenser wollen Regierung der nationalen Einheit bilden
( 3. Oktober 2006)
Bundesregierung drängt auf Militäreinsatz im Libanon
( 13. September 2006)
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