Fall Khaled el-Masri: Staatsanwaltschaft München ließ Anwalt des Entführungsopfers abhören

Fast auf den Tag genau vor drei Jahren, an Silvester 2003, wurde der deutsche Staatangehörige Khaled el-Masri von mazedonischen Grenzbeamten festgenommen, illegal festgehalten und später an Agenten des amerikanischen Geheimdiensts CIA übergeben, die ihn nach Afghanistan verschleppten. Erst nach fünfmonatigen Verhören und Folterungen wurde el-Masri in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nahe der albanischen Grenze wieder auf freien Fuß gesetzt.

Obwohl der Sachverhalt von el-Masris Entführung zweifelsfrei feststeht (der damalige deutsche Innenminister Otto Schily (SPD) wurde spätestens im Mai 2004 von höchsten US-Stellen informiert, und mittlerweile befasst sich ein Untersuchungsausschuss des Bundestags mit dem Fall), weigert sich die zuständige Münchener Staatsanwaltschaft bis heute, ernsthaft gegen die zum Teil namentlich bekannten Entführer zu ermitteln, geschweige denn Haftbefehle zu erlassen.

Stattdessen hat sie das Opfer zum Täter gestempelt und erhebliche Energie darauf verwandt, el-Masri zu bespitzeln, obwohl gegen diesen gar kein offizielles Ermittlungsverfahren läuft. Dabei ging sie so weit, el-Masris Anwalt Manfred Gnjidic telefonisch überwachen zu lassen und vertrauliche Gespräche zwischen Gnjidic und Journalisten aufzuzeichnen. Sie verstieß damit gleich zweifach gegen geltendes Recht, indem sowohl das Anwalts- als auch das Redaktionsgeheimnis verletzte. Das Anwaltsgeheimnis ist eine Grundbedingung für ein faires Verfahren und auf dem Redaktionsgeheimnis beruht die Pressefreiheit.

Während ein Untersuchungsausschuss des Bundestags noch der Frage nachgeht, inwieweit deutsche Behörden an der illegalen Entführung el-Masris und anderen "außerordentlichen Überstellungen" (Renditions) durch die CIA beteiligt waren oder diese duldeten, setzen die Münchner Staatsanwaltschaft und - wie wir sehen werden - deutsche Regierungsstellen die illegale Verfolgung von CIA-Opfern unverändert fort.

Sabotage der Ermittlungen

Die Münchner Staatsanwaltschaft wurde erst aufgrund einer Anzeige Khaled el-Masris aktiv. Dieser hatte nach seiner Rückkehr nach Deutschland mit Hilfe seines Anwalts Anzeige wegen Entführung, Verschleppung und erlittener Folter erstattet.

Die Staatsanwaltschaft begegnete den Angaben el-Masris von Anfang an mit höchstem Misstrauen. Dieser war vor seiner Entführung von deutschen Sicherheitsbehörden überwacht worden, weil er regelmäßig das Multikulturhauses in Neu-Ulm besuchte, in dem die Geheimdienste ein islamistisches Zentrum vermuteten. Den Verdacht, sie hätten Informationen über el-Masri an die CIA weitergeleitet und bei seiner Entführung mit dieser zusammengearbeitet, haben die deutschen Sicherheitsbehörden allerdings stets dementiert.

Obwohl nichts gegen el-Masri vorlag, knüpfte die Staatsanwaltschaft an die früheren Verdächtigungen an. Ihre Ermittlungen waren von Anfang an von Argwohn gegenüber dem Opfer geprägt. Sie veranlasste beispielsweise eine Haaranalyse, weil sie el-Masris Angaben, er sei in Afghanistan in einen Hungerstreik getreten, in Zweifel zog. Die Analyse bestätigte el-Masris Ausführungen allerdings auf der ganzen Linie.

Vor dem BND-Untersuchungsausschuss im Bundestag musste Staatsanwalt Martin Hofmann schließlich einräumen, dass die Darstellung el-Masris über seine Entführung und Verschleppung voll und ganz der Wahrheit entspreche. Am schleppenden Gang der Ermittlungen änderte dies allerdings nichts.

Obwohl den Ermittlungsbehörden seit Frühjahr 2005 eine Namensliste der CIA-Crew der Boing 737 mit der Nummer N313P vorliegt, von der el-Masri in Mazedonien aufgenommen und nach Afghanistan transportiert wurde, werden die seit zwei Jahren laufenden Ermittlungen immer noch gegen "unbekannt" geführt. Die Maschine N313P regelmäßig für "außerordentliche Überstellungen" eingesetzt worden - eine Praxis, über die sowohl der Europarat wie das Europäische Parlament inzwischen zahlreiche Einzelheiten zutage gefördert haben.

Der spanischen Guardia Civil war es leicht gefallen, eine Liste von beteiligten CIA-Agenten zu erstellen, da diese offenbar leichtsinnig und schlampig vorgingen. Es handelte sich zwar um eine Liste von Decknamen, doch auch diese sind leicht zu entschlüsseln. Das bewies ein Journalist des ARD-Magazins Panorama, der innerhalb weniger Wochen drei Agenten mit Klarnamen und Anschrift enttarnte, nachdem er die Liste erhalten hatte.

Doch die Staatsanwaltschaft tat nach Erhalt der Liste erst einmal - nichts.

Im Dezember 2005 schließlich bekam auch Manfred Gnjidic durch einen Journalisten die Tarnnamenliste der 13 CIA-Agenten und leitete sie an die Staatsanwaltschaft weiter, nicht ahnend, dass dort die Liste bereits vorlag. Die Staatsanwaltschaft geruhte nun doch, den BKA-Verbindungsbeamten in Madrid anzufragen. Zwei Monate später kam die Antwort, dass das BKA keine Möglichkeit habe, an die Unterlagen heranzukommen.

Das Hindernis war allerdings nicht die spanische Guardia Civil, sondern das deutsche Innenministerium, das seinerzeit deutsche Botschaften angewiesen hatte, nicht bei ausländischen Sicherheitsbehörden wegen Verschleppung eines Deutschen nachzufragen. Die bestätigte im September der BKA-Beamte Mario Prikker vor dem BND-Untersuchungsausschuss.

Aufgrund der offensichtlichen Untätigkeit der Ermittlungsbehörden gab Gnjidic im August seine Namensliste dann an den Journalisten des ARD-Magazins Panorama, der drei Klarnamen aufdeckte. Oberstaatsanwalt August Stern erklärte gegenüber Panorama jedoch nur lapidar: "Das Verfahren läuft nach wie vor gegen unbekannt, wir haben bisher keine Täter ermitteln können."

Auch das Auswärtige Amt hat sich inzwischen in die Sabotage der Ermittlungen beteiligt.

Mitte dieses Jahres war es Khaled el-Masri gelungen, Kontakt zu einem Mithäftling aufzunehmen. Es handelt sich dabei um den Algerier Laid Saidi, der im Mai 2003 von der CIA verschleppt wurde, in Afghanistan einer Nachbarzelle von el-Masri einsaß und nach 16 Monaten Gefangenschaft wieder freigelassen wurde.

Saidi wurde von der Staatsanwaltschaft als wichtiger Zeuge im Fall el-Masri vorgeladen, doch die Vernehmung konnte nicht stattfinden. Saidi hatte auf seinem gesetzlichen Recht bestanden, seinen algerischen Anwalt als Zeugenbeistand mitzubringen. Doch das Auswärtige Amt, vertreten durch das deutsche Konsulat in Algier, verweigerte dem Rechtsanwalt schlicht das Einreisevisum. Ein Grund wurde dafür nicht genannt, aber es liegt nahe, dass man bestrebt war, eine Aussage Laid Saidis zu verhindern.

Auch formale Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft an die US-Justizbehörden und das FBI blieben bis heute unbeantwortet. Und wenn die US-Behörden doch einmal Informationen herausrückten, wurden sie der Staatsanwaltschaft vorenthalten. Die Süddeutsche Zeitung zitiert etwa aus einer Mitteilung des Kanzleramtes an die Staatsanwaltschaft vom 31. Januar 2006, dass der BND Informationen erhalten habe, die "für eine Weitergabe an Strafverfolgungsbehörden aus Gründen des Quellenschutzes nicht geeignet" seien.

Illegale Telefonüberwachung

Im Januar 2006 beantragte die Staatsanwaltschaft dann die Telefonüberwachung von el-Masris Anwalt Manfred Gnjidic, die von Amtsrichter Volker Bornstein genehmigt wurde.

Bis zum Juni 2006 hörte die Polizei mit, wenn in Gnjidics Anwaltskanzlei Mandanten anriefen und vertrauliche Details der Verfahren besprechen wollten, oder Gnjidic private Gespräche mit seinem Handy führte. Selbst das Handy seiner Frau wurde überwacht. Insbesondere interessierten die Ermittler aber die Gespräche, die der Anwalt mit seinem Mandanten Khaled el-Masri sowie mit den Reportern Hans-Martin Tillack vom Stern und dem ZDF -Reporter Jörg Brase führte. Hier wurden regelmäßig die Tonbänder eingeschaltet, und sechs protokollierte Gespräche wurden schließlich zu den Akten genommen.

Bei der Telefonüberwachung von Manfred Gnjidic wurden das Anwalts- und Redaktionsgeheimnis gezielt verletzt. Richter Bornstein wies in der Begründung der Überwachungsmaßnahme explizit darauf hin, dass sich der Abhörbeschluss gegen den Anwalt des Mandanten richte und dass dieser fortlaufend in den Medien präsent sei.

Manfred Gnjidic hat inzwischen Verfassungsbeschwerde gegen die Überwachung seiner Mobil- und Festnetzanschlüsse eingelegt. Die Reaktion der Staatsanwaltschaft auf die Veröffentlichung der Überwachung zeigt jedoch, mit welcher Selbstherrlichkeit die Justiz bei der Telefonüberwachung vorging. Die Staatsanwaltschaft rechtfertigte sie mit der dreisten Ausrede, dass sich ja Khaled el-Masris Entführer bei seinem Anwalt hätten melden können.

Viel nahe liegender ist, dass die Telefonüberwachung gezielt der Abschöpfung von Journalisten diente. Zudem erhoffte man sich wohl auch, el-Masri diskreditieren zu können.

Dafür spricht, dass die aufgezeichneten Telefonate in die Zeit fielen, in der in den Medien über die wahre Identität des deutschsprachigen Agenten "Sam" spekuliert wurde, der el-Masri im Gefängnis in Afghanistan aufsuchte und ihm seine baldige Freilassung in Aussicht gestellt hatte.

El-Masri selbst hat den hochrangigen deutschen BKA-Beamten Gerhard L. auf Fotos und bei einer Gegenüberstellung zu 90 Prozent als seinen damaligen Besucher identifiziert. Der Staatsanwaltschaft und auch einem Großteil der Medien war diese Identifikation allerdings nicht eindeutig genug. Die Spur "Gerhard L." wurde bald wieder fallen gelassen. Das BKA hatte seinem Mitarbeiter, der allgemein als "Mann fürs Grobe bei Auslandseinsätzen" bezeichnet wird, ein Alibi verschafft, das allerdings vor Widersprüchen strotzte.

Vor diesem Hintergrund ist es wahrscheinlich, dass die Telefonüberwachung auf Anweisung aus dem bayerischen Justizministerium hin durchgeführt wurde. Zu bedenken ist dabei, dass die Staatsanwälte gegenüber der Politik weisungsgebunden sind.

Der Fall el-Masri besitzt durch die mögliche Beteiligung eines BKA-Beamten, ganz zu schweigen von einer Mitwisserschaft der Geheimdienste und der Bundesregierung, eine erhebliche politische Brisanz. Eine ernsthafte Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft und eine Anklage der Täter vor einem deutschen Gericht würde nicht nur das Lügengebäude der Bundesregierung bedrohen, nichts von den illegalen Verschleppungen der CIA gewusst zu haben. Sie würden auch das Verhältnis Berlins zu den USA auf eine ernste Probe stellen.

Höchste Regierungsstellen haben ein Interesse daran, dass die Verstrickungen der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung und der amtierenden Großen Koalition in die massiven Menschenrechtsverletzungen der USA beim "Kampf gegen den Terror" vertuscht werden. Hinzu kommt, dass die Bundesregierung bestrebt ist, eine Belastung der transatlantischen Beziehungen um jeden Preis zu vermeiden. Dazu gehören auch Gerichtsverfahren gegen die CIA und deren illegale Machenschaften.

Auf diesem Wege werden Ermittlungsverschleppungen und Angriffe auf demokratische Rechte zur Staatsräson. Die Täter bleiben unbestraft, während die Rechte des Opfers mit Füßen getreten werden.

Siehe auch:
Die kriminellen Machenschaften der CIA und die Komplizenschaft der Bundesregierung
(15. Dezember 2005)
Stasi-Methoden beim BND: Bundesnachrichtendienst bespitzelt Journalisten
( 16. Mai 2006)
Report exposes European complicity in CIA torture flights
( 22. Dezember 2006)
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