Der VW-Betriebsrat und der Abbau von Arbeitsplätzen

Geheimabsprachen und Verhandlungsprotokolle über die Golf-Produktion müssen offen gelegt werden

Seitdem die VW-Konzernleitung Mitte November bekannt gab, dass die Produktion des VW-Golfs aus dem Brüsseler Werk abgezogen und an die deutschen Standorte in Wolfsburg und ins sächsische Mosel verlagert werde, bemühen sich Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre in Deutschland, ihre Unschuld zu beteuern.

Sie seien von der Entscheidung des Vorstands "völlig überrascht" worden, betonte der Vorsitzende des Konzernbetriebsrats Bernd Osterloh unmittelbar nach Bekanntgabe der geplanten Verlagerung. Wenige Tage später gab die Pressestelle der IG Metall Wolfsburg eine Erklärung heraus, in der sie sich solidarisch "an die Seite der VW-Arbeiter in Brüssel" stellt. "Wir lassen nicht zu, dass die einzelnen VW-Standorte gegeneinander ausgespielt werden", heißt es in der Pressemeldung vom 30. November.

Zwei Tage später demonstrierten 20.000 Arbeiter durch die Brüsseler Innenstadt, um gegen die drohende Werksschließung im Stadtteil Forest zu protestieren. IG Metallfunktionäre trugen Schilder mit der Aufschrift: "Nur gemeinsam sind wir stark!", und in einem Aufruf der IG Metall hieß es wieder: "Wir lassen nicht zu, dass die einzelnen VW-Standorte gegeneinander ausgespielt werden".

Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache.

Am 20. September hatte Der Spiegel von einer Betriebsversammlung im Stammwerk Wolfsburg berichtet, auf der Osterloh den Verlauf der Verhandlungen über die von der Geschäftsleitung geforderte Erhöhung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich, Kürzung von Pausen und andere "wettbewerbssteigenden Maßnahmen" schilderte.

Im Spiegel -Bericht heißt es: "VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh machte die Fortsetzung der Gespräche von konkreten Zusagen der Konzernleitung abhängig. ‚Wenn sich nichts bewegt, dann ist Schluss mit lustig und wir brechen die Gespräche ab’, sagte Osterloh." Einige Absätze weiter heißt es: "Was die Zusagen betrifft, hat Osterloh ganz Konkretes im Sinn: Die nächste Golf-Generation soll in Wolfsburg gebaut werden. ‚Wir akzeptieren bestimmt kein "Vielleicht" oder "Mal sehen", wenn es um die Zukunftssicherung unserer Standorte geht’, sagte er."

In einer Meldung der Deutschen Presseagentur (dpa) vom 8. September wird der IG Metall-Bezirksleiter für Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, Hartmut Meine, mit den Worten zitiert: "Wir sind einen Schritt weitergekommen: Volkswagen ist offensichtlich bereit, verbindliche und nachhaltige Produkt- und Investitionszusagen für die sechs westdeutschen Standorte zu geben." (zitiert aus: Autohaus Online vom 08. September 2006)

Am 11. September berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass die IG Metall die bisherigen Gespräche mit der VW-Geschäftsleitung in offizielle Tarifverhandlungen umgewandelt habe, "weil VW nach eigenem Bekunden zu konkreten Produktzusagen bereit sei". Dann schreibt die FAZ, dass die Gewerkschaft "verbindliche Zusagen für alle sechs westdeutschen Werke" fordere. Sie zitiert Bezirksleiter Meine mit den Worten: "Unter anderem muss der neue Golf am Standort Wolfsburg gefertigt werden..."

Die Behauptung, es habe sich bei diesen Gesprächen nur darum gehandelt, die Produktion des "neuen Golf" - das heißt des Golf 6, der erst im übernächsten Jahr 2008 auf den Markt kommen soll - nach Wolfsburg zu bekommen, und das Ganze habe mit der Golf 5-Produktion in Brüssel nichts zu tun gehabt, ist unwahr. Wolfgang Bernhard, der im Konzernvorstand für die Sanierung der Marke VW zuständig ist, hat seit Anfang des Jahres immer wieder betont, dass die gegenwärtige Golf-Produktion an drei Standorten - Brüssel, Wolfsburg und Mosel - unrentabel sei und mit Beginn der Golf 6-Produktion auf zwei Standorte konzentriert werde.

Dass Bernhard derartige Ankündigungen ernst meint, hat er bereits früher unter Beweis gestellt. Bevor er im Februar vergangenen Jahres von Mercedes zu Volkswagen wechselte und zu Beginn dieses Jahres die Leitung der Marke VW übernahm, war er für die Sanierung der US-Sparte Chrysler des Daimler-Konzerns in Detroit verantwortlich. Dort baute er in Windeseile 26.000 Arbeitsplätze ab, verkaufte mehrere Produktionsstätten, legte andere still und diktierte den Zulieferern verschärfte Bedingungen, was zu Milliarden Einsparungen für DaimlerChrysler führte. Dasselbe wiederholt er nun bei VW und wird dabei vom Betriebsrat unterstützt.

Betriebsratschef Bernd Osterloh ist voll des Lobes über Bernhards "anpackende und durchgreifende Art". Unter der Überschrift "Lob für Bernhard" schrieb das Magazin Focus am 26. Juli diesen Jahres: "Der Betriebsratschef lobte dem Bericht zufolge (gemeint ist ein Bericht im Magazin Stern) ausdrücklich den bei den Gewerkschaften umstrittenen VW-Markenchef Wolfgang Bernhard. ‚Mit Wolfgang Bernhard macht sich hier endlich mal jemand Gedanken darüber, wie man ein Auto kostengünstiger bauen kann’, sagte Osterloh. Die Produktionszeit eines VW-Golf im Wolfsburger Stammwerk sei bereits von anfangs 50 Stunden auf 37 Stunden gesunken."

Osterlohs schmutziger Deal

Dass die deutschen Betriebsräte einer Verlängerung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich und anderen Verschlechterungen zugestimmt haben, um im Gegenzug dazu die Konzentration der Golf-Produktion auf die deutschen Standorte zu erreichen, macht der folgende Ablauf der Ereignisse deutlich:

Im Februar kündigte der Konzernvorstand ein "tief greifendes Restrukturierungsprogramm" an. Die Arbeitskosten in den deutschen Werken müssten deutlich gesenkt und die Auslastung gesteigert werden. Von den gut 100.000 Mitarbeitern in Deutschland müssten etwa 20.000 im "direkten und indirekten Bereich der Pkw-Marke Volkswagen" mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes rechnen.

In einer ersten Stellungnahme des Betriebsrats und der IG Metall hieß es damals: "Angesichts der schwierigen Situation, in der sich das Unternehmen befinde, sehen auch wir die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Effizienzverbesserung und zur Beseitigung von Produktivitätsdefiziten." Gewerkschaft und Betriebsrat machten darauf aufmerksam, dass sie "in der Vergangenheit immer wieder die Optimierung von Prozessen und die Bedeutung innovativer Arbeitsorganisation" betont und mitgestaltet hätten.

Schon Ende September vergangenen Jahres hatte die IG Metall für einen Teil der Belegschaft einer Lohnsenkung von 20 Prozent zugestimmt. Die Geschäftsleitung hatte angekündigt, den neuen VW-Geländewagen nicht im Stammwerk in Wolfsburg, sondern in Portugal zu produzieren. Im dortigen Werk Palmela lägen die Produktionskosten um 1.000 Euro pro Fahrzeug niedriger. Nur wenn die Löhne drastisch gesenkt würden, werde der Geländewagen in Deutschland produziert. Die IG Metall stimmte der Erpressung zu und feierte die Vereinbarung als "Erfolg für die Verteidigung der Arbeitsplätze".

Ganz ähnlich verlief es in diesem Frühjahr. VW-Markenchef Bernhard forderte das Ende der Vier-Tage-Woche und eine Rückkehr zur 35-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich. Anders sei eine Konzentration der Golf-Produktion auf die deutschen Standorte nicht zu machen. Betriebsrat und IG Metall signalisierten umgehend Gesprächsbereitschaft.

Im Frühjahr begannen Verhandlungen, die ab Sommer als offizielle Tarifverhandlungen geführt wurden, obwohl die Laufzeit des geltenden Tarifvertrages - der 2004 abgeschlossene "Beschäftigungssicherungsvertrag" gilt bis 2011 - noch lange nicht beendet war. Die Betriebsräte waren bereit, weitgehenden Verschlechterungen für die Beschäftigten zuzustimmen, verlangten aber eine Arbeitsplatzgarantie für die deutschen Standorte. Die Formulierung "Konzentration der Golfproduktion auf die deutschen Standorte" wurde in diesen Verhandlungen zum Deckmantel für den Abzug der Golfproduktion aus Brüssel.

Erst als die Konzernleitung dieser Konzentration der Golfproduktion auf die deutschen Standorte zustimmte, erklärten die Betriebsräte und IG Metall-Funktionäre ihre Zustimmung zur Verlängerung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich und unterschrieben den Vertrag.

Mit anderen Worten: Die Verlagerung der Golfproduktion von Brüssel nach Wolfsburg und ins sächsische Mosel-Werk war von Anfang an zentraler Bestandteil der Verhandlungen. Dieselben Betriebsräte, die gegenwärtig Solidaritätserklärungen an die streikenden VW-Arbeiter in Brüssel schreiben und Krokodilstränen über den Verlust der VW-Arbeitsplätze im Nachbarland vergießen, waren direkt an dieser Entscheidung beteiligt.

Es ist diese Rolle der Betriebsräte und der Gewerkschaftsfunktionäre, die die VW-Konzernleitung dazu veranlasst, hohe Schmiergelder, Luxus-Weltreisen und jede Menge anderer Formen von Vergünstigungen und Privilegien zu finanzieren.

Nicht nur Klaus Volkert, von dem man mittlerweile weiß, dass er im Monat knapp 60.000 Euro kassierte, die Bezüge für seine brasilianische Geliebte nicht mitgerechnet, war korrupt. Der ganze VW-Betriebsrat - 67 freigestellte und hoch bezahlte Funktionäre alleine im Stammwerk Wolfsburg - ist gekauft und arbeitet als Co-Manager Hand in Hand mit der Geschäftsleitung.

Bernd Osterloh ist bereits seit 16 Jahren im Wolfsburger Betriebsrat und war Volkerts Stellvertreter, bevor dieser nach Bekanntwerden der Korruption zurücktrat. Er gehörte aber nicht direkt zu Volkerts korrupter Seilschaft, und es kann gut sein, dass er an den Ausschweifungen und der Vetternwirtschaft nur am Rande oder gar nicht beteiligt war. Doch das macht die Sache nicht besser. Anders als der 62-jährige Volkert verkörpert der 50-jährige Osterloh den gewerkschaftlichen Co-Manager aus Überzeugung.

Er war derjenige, der in enger Zusammenarbeit mit dem früheren Personalchef Peter Hartz das Arbeitszeitmodell "5000 mal 5000" ausarbeitete, das nun dazu dient, die relativ hohen Einkommenstarife im Stammwerk aufzubrechen und drastische Lohnsenkungen durchzusetzen.

Osterloh gehört zu den Betriebsräten und Gewerkschaftsfunktionären, die es als ihre Aufgabe betrachten, angesichts der globalen Konkurrenz und der ständig drohenden Verlagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer den eigenen "Standort" und Betrieb zu verteidigen, indem sie sich für die Erhöhung der Profite im eigenen Unternehmen einsetzen.

Die prinzipielle Verteidigung aller Arbeitsplätze an allen Standorten ist nur im Kampf gegen diese gewerkschaftlichen Co-Manager möglich.

Arbeiter in Wolfsburg oder in Mosel dürfen sich nicht gegen ihre Kollegen in Brüssel ausspielen lassen. Sie müssen die Betriebsräte und gewerkschaftlichen Vertrauensleute, die an den Tarifverhandlungen beteiligt waren, zur Rede stellen und verlangen, dass alle Geheimabsprachen und Verhandlungsprotokolle über die Verlagerung der Golf-Produktion offen gelegt werden.

Die prinzipielle Verteidigung aller Arbeitsplätze an allen Standorten erfordert eine völlig andere Perspektive als die gewerkschaftliche Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft. Diese Perspektive muss vom internationalen Charakter der modernen Produktion und den gemeinsamen Interessen aller Arbeiter weltweit ausgehen. Und sie muss für eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft eintreten. Die gesellschaftlichen Interessen müssen Vorrang vor den Profitinteressen der Konzerne haben.

Deshalb haben wir auf Flugblättern, die Mitarbeiter der World Socialist Web Site (WSWS) in Brüssel und Wolfsburg verteilt haben, zum Aufbau von Verteidigungskomitees gegen Massenentlassungen und Sozialabbau aufgerufen, die sich gegen die nationalistische Standortpolitik der Gewerkschaften und Betriebsräte richten. Erneut rufen wir jeden auf, der den Kampf der VW-Arbeiter in Brüssel unterstützen oder sich am Aufbau von Verteidigungskomitees in anderen Betrieben beteiligen möchte, mit der Redaktion der WSWS in Kontakt zu treten.

Siehe auch:
Demonstration gegen Schließung des VW-Werks in Brüssel: Ein Alibi für die Gewerkschaftsbürokratie
(5. Dezember 2006)
Wolfsburger VW-Arbeiter solidarisch mit Brüsseler Kollegen
( 2. Dezember 2006)
Unterstützt den Kampf der VW-Arbeiter in Brüssel! Baut Verteidigungskomitees unabhängig von Betriebsrat und Gewerkschaft auf!
( 25. November 2006)
Belgisches VW-Werk rund um die Uhr besetzt
( 25. November 2006)
Streik und Besetzung bei VW in Belgien
( 23. November 2006)
VW kündigt ein "historisches Sparprogramm" und den Abbau von 20.000 Arbeitsplätzen an
( 11. Februar 2006)
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