Rot-Grüne Bundesregierung verhinderte Freilassung von Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz

Die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) hat sich nicht nur geweigert, dem in Bremen aufgewachsenen Murat Kurnaz zu helfen, als er vier Jahre lang im US-Gefangenenlager Guantanamo saß. Sie hat auch beträchtliche kriminelle Energien entwickelt, um die Freilassung Kurnaz’ zu verhindern und die Öffentlichkeit in die Irre zu führen. Das geht aus neuen Enthüllungen hervor, die im Zusammenhang mit Kurnaz’ Vernehmung durch zwei parlamentarische Untersuchungsausschüsse in der vergangenen Woche ans Licht kamen.

Demnach versuchte die rot-grüne Regierung noch Ende Oktober 2005, nachdem sie bereits die Bundestagswahl verloren hatte, Kurnaz’ Entlassung und Überstellung nach Deutschland zu verhindern. Und dies obwohl sie seit drei Jahren wusste, dass er unschuldig war, und die menschenrechtswidrigen Praktiken auf Guantanamo bestens kannte.

Während die rot-grüne Regierung Guantanamo öffentlich kritisierte, einen "völligen Zustand der Rechtlosigkeit" (Innenminister Otto Schily im Juli 2004) konstatierte und Kurnaz’ Anwalt schriftlich zusicherte, sie habe "ihre Sorge und ihr Befremden angesichts der ungeklärten rechtlichen Situation und der weiteren Behandlung der Gefangenen von Guantanamo gegenüber den USA auf hoher Ebene zum Ausdruck gebracht" (das Auswärtige Amt im Februar 2004), übte sie hinter den Kulissen massiven Druck aus, damit Kurnaz weiter in Haft blieb.

An der Verschwörung gegen Kurnaz waren das Innenministerium Otto Schilys (SPD), das Außenministerium Joschka Fischers (Grüne) und das Kanzleramt unter dessen Chef, dem heutigen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) beteiligt. Steinmeier spielte als Koordinator der Geheimdienste die Schlüsselrolle. Zwischen Januar 2002 und Januar 2006 hatte sich die Sicherheitsrunde im Kanzleramt unter Steinmeiers Leitung acht Mal mit dem Fall Kurnaz befasst.

Die Regierung Schröder machte sich so zum Komplizen und Mitverantwortlichen der Folterpraktiken der USA, von denen sie sich in der Öffentlichkeit distanzierte - und zwar nicht nur auf Guantanamo. Wie im Zusammenhang mit dem Fall Kurnaz ebenfalls bekannt wurde, wirkten deutsche Soldaten der Eliteeinheit KSK in Afghanistan an der Bewachung und Misshandlung illegaler Gefangener mit.

Kurnaz’ Leidensweg

Der 19-jährige Murat Kurnaz, der in Bremen geboren und aufgewachsen ist, aber einen türkischen Pass besitzt, war kurz nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 nach Pakistan aufgebrochen, wo er den Koran studieren wollte. Dort wurde er von der Polizei aufgegriffen und für ein Kopfgeld an die USA verkauft. Nun begann ein viereinhalbjähriges Martyrium.

Kurnaz wurde zunächst im afghanischen Kandahar festgehalten und gefoltert. Die Gefangenen mussten entweder nackt oder nur mit einem dünnen Overall bekleidet bei eisiger Kälte in einem Gitterkäfig schlafen, wurden mit Schlägen und Elektroschocks traktiert und mit dem Kopf unter Wasser getaucht. Er selbst sei mehrere Tage an Ketten aufgehängt worden und von einem US-Arzt zwischenzeitlich auf "Folterfähigkeit" überprüft worden, berichtete Kurnaz den Parlamentsausschüssen.

Nach einigen Wochen wurde Kurnaz dann ins Gefangenenlager Guantanamo ausgeflogen und dort im September 2002 auch von drei deutschen Geheimdienstbeamten - zwei Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes (BND) und einem des Verfassungsschutzes (BfV) - verhört. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wussten höchste deutsche Regierungsstellen über Kurnaz’ elende Haftbedingungen und seine offensichtliche Unschuld Bescheid.

Mit "an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" besitze Kurnaz "kein Gefährdungspotenzial hinsichtlich deutscher, amerikanischer oder israelischer Sicherheitsinteressen", heißt es im Bericht der Geheimdienstler an die deutsche Regierung.

Kurnaz habe über Hitze, schlechte Nahrung und den "seltenen Hofgang" - zweimal wöchentlich 15 Minuten - geklagt. Während der Vernehmung in einem "klimatisierten Vernehmungscontainer" seien seine Füße, so der Bericht, mit "einem Eisenring am Boden befestigt" gewesen. Nur die Handfesseln seien "auf Bitten der deutschen Delegation abgenommen worden". Seiner Mutter wurde beschieden, es gehe ihm "den Umständen entsprechend gut".

Kurnaz selbst hat vergangene Woche seine Haftbedingungen vor den Untersuchungsausschüssen wesentlich drastischer geschildert. Er wurde in einem Metallkäfig gehalten, am Schlafen gehindert und musste zur Strafe oft zwölf Stunden lang bewegungslos in Fesseln liegen. Machte er bei Verhören nicht die gewünschten Aussagen, wurde er in eine Isolationselle gesperrt. Hier wurde die Temperatur von außen geregelt - von eiskalt bis unerträglich heiß - oder die Luftzufuhr ganz abgestellt, bis er in Ohnmacht fiel.

Trotz der erfolterten Aussagen gelangten auch die amerikanischen Behörden zum Schluss, dass der damals 19-jährige Kurnaz nichts mit Terrorismus zu tun hatte und keine Gefahr darstellte. Im Oktober 2002 boten sie der deutschen Regierung an, dass er zurückkommen könne.

Am 29. Oktober befassten sich die Chefs der Sicherheitsbehörden mit dem Angebot und beschlossen mit Zustimmung des Innenministeriums und des Kanzleramts, eine Einreisesperre gegen Kurnaz zu verhängen. Damit verlängerten sie sein Martyrium um fast vier Jahre.

Dies ist bereits seit letztem Sommer bekannt. Neu ist, dass die rot-grüne Bundesregierung Kurnaz’ Freilassung seither systematisch hintertrieben hat.

Verschwörung höchster Regierungsstellen

Bereits einen Tag später, am 30. Oktober 2002, erarbeitete das Innenministerium einen Fünf-Punkte-Plan, um die Heimkehr von Kurnaz zu verhindern. Dies geht aus Regierungsunterlagen hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen. Auch dieser Plan wurde vom Kanzleramt gebilligt.

Um die eigene Rolle zu tarnen, wurde die Bremer Ausländerbehörde vorgeschoben. Diese solle Kurnaz die Aufenthaltserlaubnis entziehen, weil er sich länger als sechs Monate im Ausland aufgehalten habe und nicht zurückgekehrt sei. Zu diesem Zweck beschloss das Ministerium eine "Kontaktaufnahme mit der Stadt Bremen" und, sollte sich diese sträuben, eine "Einzelweisung" an die Stadt. Im letzteren Fall gehe die politische Verantwortung allerdings auf das Ministerium über, stellten die Beamten fest. Dies wäre ein "bisher einmaliger Vorgang".

Auch die öffentliche Reaktion wurde eingeplant. Um den politischen Druck auf das Ministerium zu mildern, solle die Schuld für das Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis dem Rechtsanwalt von Kurnaz zugewiesen werden, der es versäumt habe, sich um die Verlängerung des Bleiberechts zu kümmern.

Der Plan scheiterte schließlich. Die Bremer Ausländerbehörde entzog Kurnaz zwar die Aufenthaltsgenehmigung und die Bundesregierung erließ darauf im Mai 2004 eine Einreisesperre. Doch die Entscheidung der Stadt Bremen wurde Ende November 2005 vom Verwaltungsgericht wieder aufgehoben.

Doch die Regierung ließ nicht locker. Da Kurnaz’ türkischer Pass mit der deutschen Aufenthaltsgenehmigung bei den amerikanischen Behörden lag, sollten diese gebeten werden, ihn einer deutschen Botschaft zur Verfügung zu stellen, damit diese die Aufenthaltsgenehmigung "physikalisch ungültig" machen konnte.

Selbst nachdem eine US-Bundesrichterin Ende Januar 2005 geurteilt hatte, es gebe keinerlei Beweise dafür, dass Kurnaz amerikanische Sicherheitsinteressen angreifen wollte, gab die deutsche Regierung nicht nach. In einem internen Vermerk vom 26.Oktober 2005 - kurz nach der verlorenen Bundestagswahl - äußerte sich das Auswärtige Amt erneut besorgt darüber, dass Kurnaz "nach neuerer US-Praxis" womöglich bald freigelassen werde.

Wörtlich heißt es in dem Vermerk: "Die Frage der Zulassung der Wiedereinreise von Kurnaz war laut Bundesinnenministerium und dem Chef des Bundeskanzleramtes, bereits mehrfach Gegenstand der nachrichtendienstlichen Lage [d.h. der Sicherheitsrunde im Kanzleramt]. Dort sei auch mit dem Auswärtigen Amt Übereinstimmung erzielt worden, eine Wiedereinreise des K. nicht zuzulassen"

Das Auswärtige Amt äußerte die Hoffnung, dass die US-Behörden dem Häftling doch noch etwas in die Schuhe schieben würden: "Das Bundesinnenministerium, beziehungsweise BfV, hoffen jetzt, von US-Seite weitere Informationen gegen K. zu bekommen, die den Verdacht der Unterstützung im internationalen Terrorismus erhärten. Derzeit läuft eine Anfrage an die US-Seite."

Erst nach dem Regierungswechsel wurden dann die Weichen für Kurnaz’ Rückkehr gestellt. Nach der Regierungsübernahme durch Angela Merkel (CDU) war es laut Kurnaz’ deutschem Anwalt Bernhard Docke, "als wäre ein Schalter umgelegt worden". Im Sommer 2006 kam Kurnaz frei.

Rot-Grün und Bush

Das Verhalten der rot-grünen Bundesregierung gegenüber Murat Kurnaz wirft ein bezeichnendes Licht auf ihre Beziehung zur Bush-Administration. Sie lehnte den Irakkrieg zwar ab, weil er die deutschen Interessen im Nahen Osten bedrohte, aber ansonsten unterstützte sie deren Verstöße gegen Menschenrechte und Völkerecht uneingeschränkt.

Die Skrupellosigkeit, mit der sie im Fall Kurnaz die Öffentlichkeit belog und die Augen vor dem Märtyrium eines jungen Mannes verschloss, der unschuldig in die Hölle von Guantanamo geriet, zeigt, dass sich SPD und Grüne ebenso gründlich von elementaren demokratischen Grundsätzen verabschiedet haben wie von sozialen Reformen.

Vordergründig sollte Kurnaz vermutlich von Deutschland ferngehalten werden, weil die Regierung Angriffe von rechts fürchtete, falls der türkische Staatsbürger mit islamistischen Neigungen nach Bremen zurückgekehrt wäre. Sie opferte rechtsstaatliche Grundsätze der politischen Opportunität.

So schrieben die Stuttgarter Nachrichten unter Berufung auf einen 2002 involvierten, namentlich nicht genannten SPD-Politiker: "Die Regierung wollte sich nicht jemanden ans Bein binden, der keinen deutschen, sondern einen türkischen Pass hatte und der aus US-Sicht immerhin so gefährlich war, dass er 24 Stunden am Tag zu beobachten ist."

Dass Washington die Überwachung Kurnaz’ zur Bedingung für seine Freilassung machte, hat sich übrigens inzwischen als Märchen herausgestellt. Die jetzige Regierung hat sich nicht auf derartigen Bedingungen eingelassen, und Kurnaz wurde trotzdem freigelassen.

Die rot-grüne Regierung hatte aber noch ein unmittelbareres Motiv, Kurnaz in Guantanamo verrotten zu lassen. Er wusste zuviel über die Beteiligung deutscher Soldaten am schmutzigen "Krieg gegen den Terror" der USA, die sie offiziell immer bestritten hat.

Seit seiner Rückkehr nach Deutschland beharrt Kurnaz auf der Aussage, dass er in Kandahar auch von Angehörigen der deutschen Spezialeinheit KSK misshandelt wurde. Nach anfänglichen Dementis hat das Verteidigungsministerium inzwischen zugegeben, dass KSK-Soldaten Kontakt zu Kurnaz hatten.

Es steht fest, dass die geheim operierende KSK tatsächlich zur Bewachung amerikanischer Gefangener in Kandahar eingesetzt wurde. Der Spiegel zitiert in seiner jüngsten Ausgabe aus Vernehmungsprotokollen der Staatsanwaltschaft Tübingen, die rund ein Dutzend KSK-Soldaten vernommen hat. Das Nachrichtenmagazin gelangt zum Schluss: "Die Schilderungen belegen, wie früh deutsche Soldaten von den menschenunwürdigen Methoden der Amerikaner bei der Jagd auf vermeintliche Terroristen wussten. Schlimmer noch: dass sie ihnen sogar halfen."

Die Soldaten selbst hielten ihren Einsatz für derart "fragwürdig", so der Spiegel, dass sie sich zu Tarnungszwecken die deutsche Fahne an der Uniform abnahmen oder übermalten.

Kurnaz sagte auch aus, dass seine amerikanischen Peiniger schon bei den ersten Verhören in Kandahar wussten, dass er kurz vor der Abreise nach Pakistan sein Handy verkauft und Geld von seinem Konto abgehoben hatte. Diese Details finden sich in den Akten der Bremer Staatsanwaltschaft, die 2001 ein - inzwischen eingestelltes - Ermittlungsverfahren gegen Kurnaz führte. Sein Anwalt Docke vermutet, dass diese Akten den Amerikanern zur Verfügung standen.

Der Regierung Schröder kam es wohl gelegen, dass ein Zeuge ihrer engen Zusammenarbeit mit den USA - sowohl was die Rolle der KSK in Afghanistan, als auch die Beteiligung deutscher Beamten an Verhören in Guantanamo anging - ohne Kontakt zur Außenwelt blieb.

Die Regierung Merkel hat eine solche Doppelzüngigkeit nicht nötig. Sie betreibt ganz offen eine engere Zusammenarbeit mit Washington. Kanzlerin Merkel (CDU) selbst hat sich hinter den damaligen Kanzleramtschef und heutigen Außenminister gestellt. Angesichts der sehr guten Zusammenarbeit mit Steinmeier stelle sich die Frage nach dem Vertrauen nicht, erklärte sie.

Der damalige BND-Chef August Hanning ist heute Staatssekretär von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU), der damalige Geheimdienstkoordinator Ernst Uhrlau Chef des BND.

Siehe auch:
Murat Kurnaz und die zwielichtige Rolle deutscher Spezialeinheiten in Afghanistan
(25.Oktober 2006)
Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz ist frei
( 29. August 2006)
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