Außenminister Steinmeier und Guantanamo-Häftling Kurnaz

Die SPD verabschiedet sich von demokratischen Grundrechten

Seit der Regierungszeit Gerhard Schröders wissen breite Wählerschichten, dass die Politik der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands nicht sozial ist. Unter der Regie von SPD und Grünen hat der umfassendste Sozialabbau und die größte Umverteilung von Einkommen und Vermögen seit Gründung der Bundesrepublik stattgefunden. Spätestens seit der Rückkehr des 24-jährigen Murat Kurnaz aus dem Gefangenenlager Guantanamo weiß man, dass die Politik der SPD auch nicht demokratisch ist. Der Parteiname ist reiner Etikettenschwindel.

Das Verhalten führender SPD-Politiker gegenüber dem in Bremen aufgewachsenen Murnat Kurnaz, der vier Jahre lang unschuldig auf Guantanamo festgehalten und misshandelt wurde, hat eine erschreckende Verachtung für demokratische Grundsätze an den Tag gebracht. Unschuldsvermutung, Recht auf Haftprüfung, Schutz vor körperlicher und seelischer Misshandlung und andere grundgesetzlich geschützte Rechte sind für die SPD bedeutungslos.

In dieser Hinsicht unterscheidet sich ihre Haltung höchstens dem Ausmaß nach, nicht aber grundsätzlich von jener der Bush-Administration, die im Namen eines angeblichen "Kampfs gegen den Terror" weltweit Verdächtige kidnappt, entführt, misshandelt, foltert und verschwinden lässt.

Wie inzwischen fest steht, versuchte die rot-grüne Bundesregierung bis in ihre letzten Amtstage mit allen Tricks zu verhindern, dass Kurnaz nach Deutschland zurückkehren kann, und verhinderte so seine Entlassung. Und dies obwohl er unter folterähnlichen Bedingungen festgehalten wurde, nichts Belastendes gegen ihn vorlag, ein amerikanisches Gericht seine Unschuld festgestellt hatte und auch deutsche Beamte, die ihn 2002 in Guantanamo vernommen hatten, von seiner Unschuld überzeugt waren.

Doch damit nicht genug. Kaum war Kurnaz seinem Martyrium entronnen und zurück in Deutschland, wurde er monatelang vom Verfassungsschutz observiert. Die Verantwortung trugen nun zwar die Große Koalition und Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU), doch auch die SPD änderte ihre Haltung gegenüber Kurnaz nicht.

Um den heutigen Außenminister Frank-Walter Steinmeier zu entlasten, der als Kanzleramtschef Gerhard Schröders die persönliche Verantwortung für die unerbittliche Haltung gegenüber Kurnaz trägt, wärmte sie alte Verdächtigungen gegen ihn auf. Als Kurnaz letzte Woche vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aussagte, konfrontierten ihn die Angeordneten der SPD mit längst widerlegten Vorwürfen über Kontakte zu Al Qaida und den Taliban. Eine "infame Verteidigungslinie" nennt dies die Süddeutsche Zeitung.

Außenminister Steinmeier selbst hat jede Schuld weit von sich gewiesen. "Vor dem Hintergrund der damals vorliegenden Informationen" sei die Entscheidung richtig gewesen, Kurnaz nicht wieder nach Deutschland einreisen zu lassen, sagte er der Frankfurter Rundschau. Und gegenüber dem Spiegel bekräftigte er, er würde "heute nicht anders entscheiden".

Auch Alt-Bundeskanzler Schröder hat sich zu Wort gemeldet, um Steinmeier den Rücken zu stärken. "In der damaligen Situation hat er im Einklang mit der von mir zu verantwortenden Linie völlig korrekt gehandelt," sagte er der Bild -Zeitung. "Auch ich würde vor dem Hintergrund der damaligen Abläufe keine andere Entscheidung treffen."

Ebenso uneinsichtig zeigt sich Ex-Innenminister Otto Schily (SPD), dessen Ministerium die Linie vertrat, man sei für Kurnaz nicht zuständig, weil er die türkische Staatsbürgerschaft besitze. Und dies obwohl er sein gesamtes Leben in Deutschland verbracht hatte. Ex-Außenminister Joschka Fischer von den Grünen, dessen Ministerium ebenfalls in den Fall Kurnaz verwickelt war, hüllt sich in Schweigen.

Hier paart sich gnadenlose bürokratische Rücksichtslosigkeit, die an die schlimmsten Zeiten der deutschen Geschichte erinnert, mit Verachtung für elementare rechtstaatliche Prinzipien.

Als es darum ging, die Kriegseinsätze der Bundeswehr in Jugoslawien und Afghanistan zu rechtfertigen, wurde die rot-grüne Regierung nicht müde, Menschenrechte, Völkerrecht und ihre aus Auschwitz erwachsene historische Verantwortung zu beschwören. Doch als die Menschenrechte eines Arbeiterjugendlichen offensichtlich mit Füßen getreten wurden, flüchtete sie sich in formale bürokratische Ausreden und weigerte sich, ihn zu verteidigen.

Diese Missachtung demokratischer Grundrechte durch die SPD muss als Warnung verstanden werden.

Im Unterschied zu den USA oder Frankreich verfügt Deutschland über keinerlei bürgerlich-demokratische Traditionen. Als das Bürgertum aufstieg, verschanzten sich konservative wie liberale Parteien hinter dem preußisch-wilhelminischen Staat. Nur die Sozialdemokratie kämpfte konsequent für Demokratie. Sie war damals allerdings marxistisch und verstand das Eintreten für demokratische Rechte als Bestandteil des Kampfs für eine sozialistische Gesellschaft.

Die erste halbwegs demokratische deutsche Verfassung, die Weimarer Verfassung von 1919, war nicht das Ergebnis einer siegreichen bürgerlichen Revolution, sondern einer niedergeschlagenen proletarischen Revolution. Die SPD hatte sich mit den paramilitärischen Freikorps verbündet, um die Novemberrevolution 1918 im Blut zu ertränken. Das Militär und große Teile des Bürgertums lehnten die Weimarer Verfassung ab. Die SPD verteidigte sie - aber nur nach unten. Ab 1930 unterstützte sie ein halbdiktatorisches Regime, das mittels Notverordnungen regierte. So half sie mit, Hitler den Weg an die Macht zu ebnen.

Nach dem Untergang des Nazi-Regimes gab sich die SPD dann als Verteidigerin des Grundgesetzes und der darin garantierten Grundrechte. Auch das richtete sich vorwiegend gegen Kritik von links. So erließ der erste sozialdemokratische Bundeskanzler Willy Brandt 1972 den Radikalenerlass, der Sozialisten als "Verfassungsfeinde" brandmarkte und mit Berufsverbot im öffentlichen Dienst belegte.

Heute setzt sich die SPD selbst skrupellos über verfassungsmäßige Grundrechte hinweg. Die einzige Partei in Deutschland, die im Kampf für Demokratie und soziale Gleichheit gegründet wurde, missachtet elementarste demokratische Grundsätze. Das bedeutet, dass es im Lager der offiziellen Politik keine Bereitschaft mehr gibt, demokratische Rechte zu verteidigen.

Die scharfe Polarisierung der Gesellschaft, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, verträgt sich nicht mit Demokratie. Die Behandlung von Murat Kurnaz zeigt, was Abeitern und Jugendlichen droht, die sich gegen Ungerechtigkeit und soziale Ungerechtigkeit auflehnen. Die Verteidigung von Demokratie und demokratischen Rechten erfordert heute ebenso wie die Verteidigung sozialer Errungenschaften den Aufbau einer unabhängigen politischen Bewegung der Arbeiterklasse, die für eine sozialistische Gesellschaft kämpft.

Siehe auch:
Rot-Grüne Bundesregierung verhinderte Freilassung von Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz
(23. Januar 2007)
Staatsanwaltschaft München erlässt Haftbefehl gegen 13 CIA-Agenten
( 2. Februar 2007)
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