Weiterer Rechtsruck im französischen Wahlkampf

Eine Woche vor dem Wahltermin vom 22. April rücken die führenden Bewerber um das französische Präsidentenamt weiter nach rechts.

Im Lager der Sozialistischen Partei (PS) und der rechtsliberalen oder "zentristischen" UDF macht inzwischen die Parole vom "vote utile", von der nützlichen Stimmabgabe die Runde. Gemeint ist damit, dass man nicht mehr um Zustimmung für das eigene Programm, sondern um eine Stimmgabe aus rein taktischen Gründen wirbt: die Wähler sollen Royal (PS) oder Bayrou (UDF) wählen, um den Gaullisten Nicolas Sarkozy oder den Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen zu verhindern.

Die Kandidaten bemühen sich zwar tapfer, diesen Eindruck zu vermeiden. So sagte Ségolène Royal, die Kandidatin der Sozialistischen Partei, am Sonntag: "Es stimmt zwar, dass es vielleicht zu einer Stimmabgabe aus Abwehrgründen kommt. Aber ich will, dass der überwiegende Teil der Stimmen zur Unterstützung abgegeben wird." Es ist jedoch unübersehbar, dass Royal mit ihrem rechten Programm keine Wählermassen mobilisieren kann und zunehmend auf taktische Stimmen hofft.

Auftrieb erhielt die Diskussion über den "vote utile" am Wochenende durch einen Beitrag des ehemaligen sozialistischen Regierungschefs Michel Rocard für die Zeitung le monde. Rocard schlug vor, Royal und der UDF-Kandidat François Bayrou sollten schon vor der ersten Wahlrunde ein Bündnis schließen.

Er begründete dies damit, dass "isoliert weder sie [die UDF] noch wir eine Chance haben, die Koalition von Nicoals Sarkozy und Jean-Marie Le Pen zu schlagen". Außerdem, schrieb Rocard, gebe es "nichts Wesentliches mehr, was die Sozialisten und die Zentristen in Frankreich heute in den dringenden Fragen unterscheidet. Wir teilen dieselben Werte."

Vordergründig betrachtet scheint das von Rocard vorgeschlagene Bündnis wenig Sinn zu ergeben. Jeder Wähler kann nur einen der zwölf Kandidaten wählen, muss sich also zwischen Royal oder Bayrou entscheiden, selbst wenn diese verbündet sind. Und einen Wahlverzicht von einem der beiden verlangt Rocard ausdrücklich nicht.

Was ihm vorschwebt, ist eine Art Stillhalteabkommen zwischen den beiden Kandidaten und eine gegenseitige Verpflichtung, den überlegenen Kandidaten in der zweiten Runde zu unterstützen. "Ein Kampagne in der ersten Runde bringt unweigerlich Aggressionen und Verletzungen mit sich, die eine gegenseitige Vereinbarung in der zweiten Runde gefährden können," begründete er seinen Vorstoß für ein frühzeitiges Wahlbündnis.

Auch wenn Rocard nicht so weit geht, dies offen auszusprechen, bedeutet sein Vorschlag, dass er die Hoffnung auf einen Wahlsieg Royals aufgegeben hat. Sein Bündnis läuft auf eine Wahlunterstützung für Bayrou hinaus. Dieser liegt zwar in den Umfragen hinter Royal, aber in der Endrunde gegen Sarkozy werden ihm bessere Chancen eingeräumt als der sozialistischen Kandidatin, da er einen Teil des gegenwärtigen Regierungslagers hinter sich hat. Die UDF gehörte, seit sie 1978 von Valéry Giscard d'Estaing gegründet wurde, stets dem rechten bürgerlichen Lager an und unterstützte während der letzten fünf Jahren die gaullistische Regierung.

Bayrou sah sich durch Rocards Vorschlag "geehrt" und zeigte sich daran "sehr interessiert", lehnte ihn aber dennoch ab. Er fürchtet um seine konservative Wählerschaft, wenn er sich auf ein einseitiges Bündnis nur mit der Sozialistischen Partei einlässt. Er hat die Versöhnung von Rechts und Links in den Mittelpunkt seines Wahlkampfs gestellt und will, sollte er zum Präsidenten gewählt werden, eine Regierung bilden, in der sowohl Sozialisten wie Gaullisten vertreten sind.

Bayrou wertete Rocards Vorstoß als Beweis dafür, dass seine "Vision" über die traditionellen Gegensätze hinweg geteilt werde und führende Sozialisten zur Bildung einer Großen Koalition bereit seien. "Man kann heute sehen, dass diese Verantwortlichen zur Verfügung stehen, auch innerhalb er Sozialistischen Partei, und dies trotz der Blockade des Apparats und obwohl Ségolène Royal, [der Parteivorsitzende] François Hollande und einige andere offenbar Nein gesagt haben."

Royal wies Rocards Vorschlag zurück und kündigte an, sie werde erst zwischen den beiden Wahlgängen, wenn die beiden Teilnehmer der Stichwahl feststehen, über ein mögliches Bündnis mit Bayrou sprechen. Aus den Reihen ihrer Partei war sogar der Vorwurf zu hören, Rocard habe der Kandidatin einen Dolchstoß in den Rücken versetzt. Doch es wurde schnell klar, dass Rocard kein Einzelgänger ist.

Als erster stellte sich Bernard Kouchner öffentlich hinter seinen Vorschlag. Kouchner ist Gründer der Hilfsorganisation Médecins sans Frontières und bekleidete zweimal Ministerämter in sozialistisch geführten Regierungen. Auch die Strömung um den früheren Finanzminister Dominique Strauss-Kahn soll Rocards Vorschlag gutheißen, hat sich allerdings nicht öffentlich dazu geäußert.

Noch offener als Rocard und Kouchner hat der spanische Sozialistenführer und Premierminister José Zapatero die Wahlkampagne Royals untergraben. Er bekundete zwar "große Empathie" für Ségolène Royal und kündigte an, er werde am 19. April auf eine ihrer Wahlveranstaltungen in Toulouse sprechen. Gleichzeitig pries er aber ihren wichtigsten Rivalen Nicolas Sarkozy in den höchsten Tönen.

Er äußerte seinen "Respekt" und seine "Bewunderung" für den gaullistischen Kandidaten. "Er ist ein Mann mit anerkannten politischen Fähigkeiten, festen Überzeugungen und selbstbewusstem Stehvermögen," sagte Zapatero. "Ich hatte wichtige Verbindungen zu ihm als Innenminister und jetzt als Kandidat. Nicolas Sarkozy hat immer eine offene und positive Haltung gegenüber Spanien gezeigt und aktiv dazu beigetragen, die Beziehung zwischen unseren beiden Ländern zu stärken." Besonders "fruchtbar" sei die Zusammenarbeit im "antiterroristischen Kampf" gegen die Eta gewesen, fügte Zapatero hinzu.

Die rechte Politik Royals und die Vorstöße für ein Bündnis mit Bayrou aus ihrem eigenen Lager stärken Sarkozy und Le Pen. Die Rechtsentwicklung der Sozialistischen Partei, die sich immer weiter von ihren traditionellen Wählerschichten entfernt, gibt ihnen freie Hand, die rechtesten Schichten zu mobilisieren.

Schon bisher hatten sie die Themen des Wahlkampfs weitgehend bestimmt. Autorität, Ordnung, Sicherheit, nationale Identität, Patriotismus, Immigration und alle anderen Lieblingsthemen der extremen Rechten standen im Mittelpunkt. Die Fragen, die Millionen Wähler bewegen - Arbeitslosigkeit, Armut, der Verfall von Infrastruktur und sozialem Netz, Militarismus und Auslandseinsätze der französischen Armee - blieben dagegen weitgehend ausgeklammert.

In den vergangenen Tagen haben sowohl Sarkozy wie Le Pen noch deutlich rechtere Töne angeschlagen. Auf Wahlkampftour in Südfrankreich, wo die Nationale Front ihre Hochburgen hat, übernahm Sarkozy deren Parolen und appellierte direkt an die Wähler Le Pens. Er beschwor die "schweigende Mehrheit" und stellte sie der politischen Elite gegenüber (der er selbst angehört) - dem "Frankreich der Heuchelei", dem "Frankreich des Einheitsdenkens, dieser kleinen Elite, die sich das Recht anmaßt, zu sagen was gut und was schlecht ist".

Auf einer Pressekonferenz definierte Sarkozy die "schweigende Mehrheit" als "jene, die denkt, man müsse über die Identität Frankreichs sprechen, die glaubt, es gebe ein Problem mit der Kaufkraft, die denkt, man brauche eine neue Mannschaft, die [beim europäischen Referendum] mit Nein und 2002 für Le Pen gestimmt hat". Er hoffe, sie werde sich am Sonntag äußern.

Le Pen seinerseits attackierte Sarkozy auf seinen Wahlveranstaltungen wegen seiner ungarischen Abstammung an und beschimpfte ihn als Mitglied des "politischen Lumpenpacks".

Dieser recht Mob kann sich austoben, weil ihm niemand ernsthaft entgegentritt. Er nutzt das Vakuum, das die ständige Rechtsentwicklung der Sozialistischen Partei hinterlassen hat. Der Stimmung breiter Bevölkerungsschichten entspricht dieser Rechtsruck dagegen nicht. Diese entwickelt sich eher nach links.

Siehe auch:
Weitere Artikel zur Präsidentenwahl in Frankreich
Loading