Französische Präsidentschaftswahlen

Royal begibt sich ins Lager Bayrous

Ségolène Royal, die Präsidentschaftskandidatin der französischen Sozialistischen Partei, hat auf das Wahlergebnis vom 22. April reagiert, indem sie sich dem Kandidaten der rechtliberalen UDF, François Bayrou in die Arme wirft. Bayrou lag mit 18,6 Prozent der Stimmen an dritter Stelle hinter Royal (25,9) und dem Gaullisten Nicolas Sarkozy (31,2).

Royal hat Bayrou eine öffentliche Fernsehdebatte vorgeschlagen und seiner Partei Ministerposten in Aussicht gestellt, sollte sie am 6. Mai die Stichwahl gewinnen. Beides läuft auf ein Bündnis mit Bayrous Liberalen hinaus, die seit ihrer Gründung durch Valéry Giscard d’Estaing vor dreißig Jahren einen festen Bestandteil des rechten bürgerlichen Lagers bilden.

Eine öffentliche Debatte mit einem Kandidaten, der in der ersten Wahlrunde ausgeschieden ist und am 6. Mai nicht mehr zur Wahl steht, wäre ein Novum in der französischen Politik. Royal bietet Bayrou damit eine Plattform für seine rechten politischen Ansichten und macht diese zum Bestandteil ihrer eigenen Kampagne.

Bayrou, der sich selbst als Zentrist oder Politiker der Mitte bezeichnet, tritt für eine strikte Haushalskonsolidierung, für den Rückzug des Staats aus der Wirtschaft und für eine Senkung der Arbeitskosten ein. Als Erziehungsminister hatte der praktizierende Katholik in den 90er Jahren Massenproteste ausgelöst, als er konfessionelle und private Schulen mit öffentlichen Geldern finanzieren wollte.

Vor den Parlamentswahlen im Juni will Bayrou eine neue Demokratische Partei gründen. Der Name knüpft sowohl an die amerikanischen Demokraten an als auch an die Partei, die gegenwärtig in Italien aus dem Zusammenschluss der Linksdemokraten (der Nachfolgerin der Kommunistischen Partei) mit dem Bündnis Margherita entsteht. Bayrou unterhält enge Beziehungen zu Margherita-Führer Francesco Rutelli.

Die italienischen Demokraten sollen Regierungschef Romano Prodi eine stabile parlamentarische Basis verschaffen. Die Linksdemokraten stellen dafür ihren Apparat und ihren verbliebenen Einfluss zur Verfügung, Margherita die politischen Köpfe - größtenteils Karrierepolitiker aus dem konservativen Lager, die seit langem jede Glaubwürdigkeit und öffentliche Unterstützung verloren haben.

Eine ähnliche Konstruktion strebt Royal in Frankreich an. Ihr Angebot an Bayrou ist mehr als ein taktischer Schachzug, um zusätzliche Wähler zu gewinnen. Es kennzeichnet das Ende der "Union de la Gauche", der "Einheit der Linken", die seit der Neugründung der Sozialistischen Partei in Epinay im Jahr 1971 den Kern ihrer Wahlstrategie bildete. Wichtigster Bündnispartner war die Kommunistische Partei (KPF), die in den siebziger Jahren noch über beträchtlichen Einfluss verfügte. Später kamen die Grünen, Jean-Pierre Chevènements Bürgerbewegung und die Radikale Linkspartei hinzu, die unter Lionel Jospin zusammen mit den Sozialisten die Regierung der "pluralen Linken" bildeten.

Die diversen "Links"regierungen, die seit den 1980er Jahren die Geschicke Frankreichs lenkten, vertraten nie die Interesse der Arbeiter. Bereits 1982 - nur ein Jahr nach seiner Wahl zum Präsidenten - hatte François Mitterrand alle reformistischen Wahlversprechen über Bord geworfen und einen rechten Kurs im Interesse der Wirtschaft eingeschlagen. Dasselbe tat die Regierung von Lionel Jospin.

Durch ihre rechte Politik haben sich die Parteien der "pluralen Linken" weitgehend diskreditiert. Vor allem die Kommunistische Partei ist regelrecht dezimiert worden. Ihre Kandidatin Marie-George Buffet erhielt bei der jüngsten Wahl weniger als zwei Prozent der Stimmen. Die Grüne Dominique Voynet erhielt 1,6 Prozent, die Bürgerbewegung und die Radikale Linke traten gar nicht erst an.

Nun sieht Royal die Zeit gekommen, offen mit den Rechten zu paktieren. Dabei übernimmt sie weitgehend deren Rhetorik und Programm. Am Donnerstag verkündete sie im staatlichen Fernsehen TF1, sie strebe eine "Präsidentenmehrheit" an, die "der ewigen Gegenüberstellung von Block gegen Block entgeht". Die Überwindung des Gegensatzes von Links und Rechts hatte auch im Mittelpunkt von Bayrous Wahlprogramm gestanden.

Eine Kernforderung Bayrous übernahm sie ebenfalls in ihr Programm: Die Befreiung der Unternehmen von Sozialabgaben für jeweils zwei Beschäftigte, was vor allem kleineren Unternehmen zugute kommen soll. In derselben Sendung bekannte sie sich mit Nachdruck zur "gaullistischen Doktrin" der nuklearen Souveränität.

Mit ihrer Hinwendung zu Bayrou führt Royal die Behauptung ad Absurdum, sie stelle eine ernsthafte Alternative zu Nicolas Sarkozy, dem rechten Kandidaten der gaullistischen UMP dar. Ihre rechte Kampagne stößt nicht nur die zahlreichen Wähler ab, die nach einem Ausweg aus der sozialen Krise suchen, und stärkt damit die Position Sarkozys. Diese Kampagne wird auch die Grundlage ihres Regierungsprogramms bilden, sollte sie gewählt werden.

Die Zeitung libération stellt in einer Analyse von Royals Annäherung an Bayrou fest: "Indem sie Kurs auf die Mitte nimmt, orientiert sich Royal auf strategischer Ebene an der von Romano Prodi geführten Koalition in Italien und im Grunde an der ideologischen Erneuerung, die Tony Blair in Großbritannien durchgeführt hat". Das trifft ohne Zweifel zu, man kann auch noch Gerhard Schröder in Deutschland hinzufügen.

Diese von Sozialdemokraten geführten oder unterstützten Regierungen haben aus Sicht der herrschenden Klasse wesentlich wirkungsvoller soziale Rechte abgebaut und den Haushalt saniert, als dies rechte Regierungen vermögen, die innerlich zerstritten oder von Cliqueninteressen dominiert sind. Vor allem in Deutschland hat die Regierung Schröder in sieben Regierungsjahren einen beispiellosen Abbau von Löhnen und sozialen Rechten durchgeführt.

Ohne mit der Sozialistischen Partei und ihren "linken" Satelliten zu brechen, kann die Arbeiterklasse heute keine einzige soziale Errungenschaft verteidigen. Viele Arbeiter und Jugendliche werden zwar Royal wählen, weil sie Sarkozy verhindern wollen. Aber eine Lösung für die soziale und politische Krise ist dies nicht. Eine Präsidentschaft Royals wird sich nur in Nuancen von einer Präsidentschaft Sarkozys unterscheiden.

Es bleibt den kleinbürgerlichen Radikalen überlassen, Royal als "kleineres Übel" darzustellen und unter der Parole "Alles außer Sarkozy" für sie Wahlkampf zu machen. Die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR), Lutte Ouvrière und die Kommunistische Partei bedauerten zwar die Hinwendung zu Bayrou, bekräftigten aber ihren Wahlaufruf für Royal.

Alain Krivine von der LCR sagte, Royals Angebote an Bayrou seien "eine sehr schlechte Idee, die Gefahr läuft, einen Teil der Linken zu demobilisieren", fügte aber sofort hinzu: "Wir haben klar gesagt, dass die zweite Runde ein Referendum für oder gegen Sarkozy wird. Wir Stimmen gegen Sarkozy, und das einzige Mittel dafür ist ein Stimmzettel für Ségolène."

Lutte Ouvrière erklärte sich "nicht überrascht" von Royals Vorschlägen, blieb aber ebenfalls bei ihrem Wahlaufruf für Royal, "um Sarkozy einzudämmen".

Auch die KPF ruft weiterhin zur Wahl Royals auf, "um Sarkozy zu schlagen". Sie ist sogar bereit, nächste Woche gemeinsam mit führenden Sozialisten und den Grünen an einer Wahlversammlung für Royal in Paris teilzunehmen. Der Grüne Noël Mamère begründete seine Bereitschaft zur Teilnahme mit den Worten: "Das Haus brennt angesichts einer Koalition von Sarkozy und Le Pen. Man stellt sich daher keine Fragen. Wenn wir zu Versammlungen eingeladen werden, müssen wir hin..."

In der Sozialistischen Partei stieß Royals Hinwendung zu Bayrou anfangs auf Zustimmung. Das änderte sich erst, als sie diesem am Mittwochabend auf einer Wahlversammlung in Montpellier eine Regierungsbeteiligung in Aussicht stellte. Auf dieser Versammlung trat auch der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit als Redner auf, der seit langem für ein Bündnis der Sozialisten, der UDF und der Grünen wirbt.

Nun sahen einige sozialistische Funktionäre ihre Felle davonschwimmen. In Frankreich sind aufgrund des Mehrheitswahlrechts nicht nur Ministerposten und Sitze im Nationalen Parlament von Absprachen zwischen den Parteien abhängig, sondern auch Zehntausende Mandate und Pöstchen in den regionalen und Gemeindebehörden. Ein Bündnis der Sozialistischen Partei mit der UDF könnte zahlreiche sozialistische Funktionäre ihren Job kosten.

Daher sorgte Royals Angebot, UDF-Minister in eine zukünftige Regierung aufzunehmen, in der Sozialistischen Partei für Unruhe. "Sich an die Wähler Bayrous zu wenden ist eine Sache, sich in seine Hände zu begeben eine andere", zitiert die Zeitung Libération einen führenden Funtionär. Selbst der Parteivorsitzende François Hollande, Royals Lebensgefährte, sah sich zu einer vorsichtigen Distanzierung gezwungen.

Royal machte sofort deutlich, dass sie sich keinem Druck der Partei beugen wird. "Ich bin eine praktische Frau, eine Frau, die sich den Umständen anpasst," erklärte sie im Fernsehprogramm France 2. "Ich stehe über den Parteien, weil ich jeden zweiten Franzosen gewinnen muss."

Am Mittwoch frühstückte sie auf der Terrasse eines Pariser Restaurants vor eigens herbeigerufenen Kamerateams demonstrativ mit Dominique Strauss-Kahn. Der frühere Finanzminister gilt seit langem als Befürworter einer Koalition mit den Rechten und als möglicher Ministerpräsident unter Royal.

Und was die Sozialistische Partei betrifft, die einst Mitterrand bedingungslos folgte, so wird sie auch jeden Schwenk Royals mitmachen, solange diese den Funktionären Ämter und Karrieren garantieren kann.

Siehe auch:
Der Kampf um die Mitte
(26. April 2007)
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