"Green Zone" Heiligendamm

Drastische Sicherheitsmaßnahmen beim G8-Gipfel in Deutschland

Der idyllische Ostee-Badeort Heiligendamm gleicht während des G8-Gipfels vom 6. bis 8. Juni der berüchtigten "Green Zone" in Bagdad. Die Führer der sieben führenden Industriestaaten und Russlands verschanzen sich hinter einer 12 Kilometer langen, 2,5 Meter hohen Mauer aus 4.600 Stahlgittern, die mit Kameras und Bewegungsmeldern gesichert ist. Hinzu kommen ein 11 Seemeilen breites Seesperrgebiet und ein Luftsperrgebiet im Umkreis von 50 Kilometern.

Allein die Kosten für diese Maßnahmen werden auf 92 Millionen Euro geschätzt. Hinzu kommen die Löhne und Überstunden für 16.000 Polizisten, die aus allen Bundesländern zusammengezogen werden, um die acht Gipfelteilnehmer rund um die Uhr zu beschützen.

Damit aber nicht genug. Um Proteste gegen den Gipfel zu verhindern und die Teilnehmer einzuschüchtern, haben die Innenminister und Polizeibehörden des Bundes und des Landes Mecklenburg-Vorpommern - beide werden von einer Großen Koalition regiert - ein Arsenal von repressiven Maßnahmen in Stellung gebracht, das manchen autoritären Herrscher vor Neid erblassen lässt.

Es begann am 9. Mai mit einer groß angelegten, bundesweiten Razzia, bei der 900 Polizisten in sechs norddeutschen Bundesländern 40 Büros und Wohnungen von Gipfelgegnern durchsuchten und Computer, Datenträger und schriftliche Unterlagen beschlagnahmten. Die Razzia war von Generalbundesanwältin Monika Harms angeordnet und mit dem Verdacht auf Bildung einer terroristischen Vereinigung begründet worden. Zum ersten Mal wurde damit der umstrittene Paragraph 129a, der sich angeblich gegen terroristische Anschläge richtet, zur Kriminalisierung politischer Gegner verwendet.

Die Aktion wurde von zahlreichen namhaften Juristen und auch von mehreren Politikern als völlig überzogen und unverhältnismäßig verurteilt. Sie verfolgte eindeutig das Ziel, die Gipfelgegner einzuschüchtern und vertrauliche Informationen über die geplanten Proteste zu sammeln. Die Bundesanwaltschaft ermittelte danach zwar gegen 21 Verdächtige wegen "terroristischer" Brandanschläge. Sie hat aber keine Haftbefehle beantragt, weil, wie eine Sprecherin mitteilte, kein dringender Tatverdacht vorliege. Der Terrorismusverdacht diente also offensichtlich nur als Vorwand.

Inzwischen ist kaum ein Tag vergangen, an dem Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble oder die zuständigen Polizeibehörden nicht neue Maßnahmen gegen die geplanten Proteste angekündigt haben.

Das Land Mecklenburg-Vorpommern, so ein Bericht der ZDF-Nachrichten, "bereitet Massen-Gefängnisse für Globalisierungsgegner vor". Als potentielle Häftlinge werden nicht nur Demonstranten ins Auge gefasst, die sich eines Delikts schuldig machen oder den Anordnungen der Polizei nicht nachkommen, sondern auch potentielle Delinquenten, die vorbeugend eingesperrt werden - eine Praxis, die an die berüchtigte Schutzhaft der Nazis erinnert.

Das Land werde die gesetzlichen Möglichkeiten zur vorbeugenden Haft für mutmaßliche Gewalttäter "vollinhaltlich ausschöpfen", teilte die Sprecherin des Landesinnenministeriums Marion Schlender mit, nachdem Bundesinnenminister Schäuble gewaltbereiten Demonstranten zuvor mit vorbeugender Haft gedroht hatte.

Das Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG) des Landes Mecklenburg-Vorpommern ermöglicht einen so genannten Unterbindungsgewahrsam bis zu einer Dauer von zehn Tagen. Es war schon in der vergangenen Legislaturperiode mit den Stimmen der damals noch mitregierenden Linkspartei.PDS verabschiedet worden, die nun als Mitorganisatorin der Gegendemonstrationen selbst davon betroffen ist.

Landesinnenminister Lorenz Caffier (CDU) hat zudem Vorkehrungen getroffen, um straffällige Demonstranten unmittelbar nach der Tat im Wege eines beschleunigten Verfahrens abzuurteilen.

Um in die Fänge der Justiz zu geraten, kann es dann ausreichen, sich zu nahe an den Sicherheitszaun zu begeben. Die Polizeidirektion Rostock hat nämlich für die Zeit vom 30. Mai bis 8. Juni im Abstand von 200 Metern zum Sicherheitszaun und rund um den Flughafen Rostock-Laage, auf dem die Gipfelteilnehmer eintreffen, alle öffentlichen Versammlungen verboten.

Damit ist die Demonstrationsfreiheit in einem Abstand von fünf bis zehn Kilometern vom Tagungsort praktisch aufgehoben. Eine gesetzliche Grundlage gibt es für diese Einschränkung nicht. Die Organisatoren der geplanten Proteste haben dagegen Einspruch eingelegt und wollen notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.

Der Innenstaatssekretär und ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendiensts August Hanning begründete diesen Angriff auf die Versammlungsfreiheit zynisch damit, dass Deutschland "ein guter Gastgeber" sein wolle. Das bedeutet offenbar, dass Demonstrationen gegen den Gipfel nur dann zulässig sind, wenn die Teilnehmer und die mitreisenden Journalisten nichts davon mitbekommen.

Die Bundesanwaltschaft hat auch Geruchsproben von Globalisierungsgegnern genommen, um diese mit speziell abgerichteten Hunden identifizieren zu können. Solche Methoden, die dem Begriff "Schnüffelstaat" eine völlig neue Dimension verleihen, waren bisher nur vom DDR-Nachrichtendienst Stasi bekannt. Im Stasi-Museum sind Geruchsproben von Regimegegnern in Einmachgläsern zu besichtigen.

Während mehrere Politiker ihr Befremden äußerten - Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) sprach von "Polizeistaatsmethoden à la DDR" - hat Innenminister Schäuble die Praxis uneingeschränkt verteidigt. "In bestimmten Fällen ist das ein Mittel, um mögliche Tatverdächtige zu identifizieren", sagte er im Bayerischen Rundfunk. Es gehe darum, die Sicherheit des G8-Gipfels zu gewährleisten, und das mache die Polizei "mit den angemessenen Mitteln".

Die äußeren Umstände des G8-Gipfels werfen ein bezeichnendes Bild auf die Beziehung zwischen den Staats- und Regierungschefs, die sich gern als Führer der "freien Welt" bezeichnen, und der Maße der Bevölkerung, die durch Gitterzaun, Polizeipräsenz und Demonstrationsverbote auf Distanz gehalten wird: Zwischen ihnen klafft eine tiefe soziale und politische Kluft.

Siehe auch:
Scharfe Kritik an Polizeiaktionen gegen G8-Gegner
(17. Mai 2007)
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