Frankreich

Sarkozy plant Antistreikgesetz für öffentlichen Verkehr

Die neu gewählte Regierung des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy bereitet ein Gesetz vor, das eine "Minimalversorgung" beim öffentlichen Nahverkehr und bei der Eisenbahn garantieren soll. Der Entwurf dieses von herrschenden Kreisen schon seit längerem vorbereiteten Gesetzes wird jetzt den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften zur Beratung vorgelegt. Das Kabinett hat es bereits am 4. Juli gebilligt, und am 12. Juli wird es im Senat diskutiert.

Gegenüber der Öffentlichkeit werden die genauen Bestimmungen des Gesetzentwurfs von den zuständigen Ministerien, Unternehmerverbänden und Gewerkschaftsführern geheim gehalten, solange die Diskussionen nicht abgeschlossen sind. Dennoch ist einiges davon zu den französischen Medien durchgesickert und bekannt gemacht worden. Es ist jetzt schon klar, dass das Gesetz einen scharfen Angriff auf das Streikrecht bedeutet. Es soll dazu dienen, gegen die Eisenbahner und Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr vorzugehen, die sich in der französischen Arbeiterklasse schon immer durch ihre Militanz hervorgehoben haben. Sie führten in den späten 1980er Jahren und 1995 wichtige Arbeitskämpfe und nahmen an den gewaltigen Streiks gegen die Rentenreform 2003 und an den Massendemonstrationen gegen den "Erstanstellungsvertrag" (CPE) 2006 teil.

Durch das Gesetz wird eine Mindestverhandlungsdauer eingeführt, bevor ein Streik ausgerufen werden kann. Dieser Plan ist Berichten zufolge an dem "Sozialalarm"-System ausgerichtet, das bei den Pariser Nahverkehrsbetrieben RATP besteht. Er soll für die RATP, die nationale Eisenbahn (SNCF) und alle kommunalen Bus-, U-Bahn-, Zug- und Straßenbahnunternehmen gelten.

Das Gesetz verpflichtet zudem Verkehrsgesellschaften, einen Plan für eine "Minimalversorgung" im Falle eines Streiks oder "vorhersehbarer Störungen" auszuarbeiten. Offenbar ist im Gesetz nicht genau festgelegt, was eine "Minimalversorgung" oder eine "vorhersehbare Störung" ist; dadurch überlässt es jeder Verkehrsgesellschaft die Entscheidung, welcher Versorgungsumfang zu gewährleisten ist. Aber es ermöglicht die Zwangsverpflichtung von Arbeitern, die sich nicht im Streik befinden, um den kommunal festgelegten Versorgungsstand zu sichern.

Das Gesetz zwingt Arbeiter, bereits zwei Tage vor dem Streik als "Einzelpersonen" gegenüber ihrem Arbeitgeber die Absicht bekannt zu geben, dass sie streiken wollen. Es schreibt vor, dass "spätestens" nach acht Tagen Streik der Arbeitgeber eine geheime Abstimmung über die Fortsetzung des Streiks durchführen muss. Nicht bekannt sind bislang die vorgesehenen Strafen für einzelne Streikende, die auch nach einem Votum für Streikabbruch weiterstreiken oder ihre Arbeitgeber nicht über einen bevorstehenden Streik informieren.

Schließlich droht das Gesetz Kommunen finanzielle Sanktionen an - sie müssen Passagiere entschädigen, wenn das garantierte Mindestmaß an Transportleistungen während eines Streiks nicht erbracht wird. Welche Summen den Passagieren als Entschädigung zu zahlen sind, bleibt unklar, da die Kommunen selbst den Leistungsumfang festlegen. Aber dies wird zweifellos als Argument dienen, um zusätzlichen Druck auf Streikende auszuüben.

Die Behauptung von Regierungsvertretern, dass diese Pläne das verfassungsmäßig garantierte Streikrecht nicht verletzen, ist offensichtlich falsch. Die garantierte Minimalversorgung bedeutet im Klartext eine Garantie, dass zu einem beliebigen Zeitpunkt eine bestimmte Anzahl Arbeiter nicht im Streik ist. Die Einzelbestimmungen des Entwurfs beschränken die Möglichkeit der Arbeiter, einen effektiven Streik zu führen, und verletzen ihre Grundrechte.

Die verlangte Mindestverhandlungszeit vor einem Streik - die in der Presse als neutrale Geste zur Förderung des sozialen Friedens hingestellt wird -, ist in Wirklichkeit ein Versuch, Streiks einzuschränken und zu unterdrücken, wie sich bereits an älteren Vereinbarungen gezeigt hat. Die Erfahrungen mit dem "Sozialalarm" bei der RATP, der nach den Streiks von 1995 eingeführt wurde, geben einen Vorgeschmack auf das, was den Beschäftigten der Verkehrsbetriebe droht, wenn das Gesetz verabschiedet wird: Der Beginn eines legalen Streiks verzögert sich vom Tag seiner Ankündigung an um mindestens elf Tage, darüber hinaus verweigert das Management die Anerkennung eines nicht autorisierten Streiks, auch wenn er von einer Mehrheit der Beschäftigten unterstützt wird, und bestraft Streikende durch die wochen- und gar monatelange Zurückhaltung von Löhnen, die Zurückstellung von Ausbildungsabschlüssen und Beförderungen sowie durch das Streichen von Urlaub. Beschäftigte, die an wilden Streiks teilnahmen, wurden angeblich schon mit Entlassung bedroht.

Die konservative Tageszeitung Le Figaro schreibt dazu: "Die Regelungen bei der RATP haben zu einem merklichen Rückgang der Arbeitskämpfe geführt: 90 Prozent der Konflikte werden jetzt durch Verhandlungen gelöst."

Das dieses Gesetz zu Gunsten der Arbeitgeber ausfällt und gegen die Arbeiterklasse gerichtet ist, wird besonders deutlich, wenn es um die antidemokratischen Vorschriften in Bezug auf die Durchführung von Streiks geht. Die Arbeiter müssen einzeln gegenüber dem Arbeitgeber ihre Streikbereitschaft erklären und setzen sich damit praktisch selbst auf Schwarze Listen. Andres herum sind Arbeitgeber jedoch keineswegs verpflichtet, Arbeiter frühzeitig über Lohnsenkungen, Entlassungen, Investitionsentscheidungen oder andere Entscheidungen zu informieren. Die Einführung von geheimen anstelle von offenen Abstimmungen über Fortsetzung oder Abbruch eines Arbeitskampfes soll die Solidarität der Streikenden unterhöhlen und eröffnet die Möglichkeit für Manipulationen an der Wahlurne.

In dem Gesetz heißt es, dass Streiktage nicht bezahlt werden, obwohl die Nichtentlohnung von Streikenden in der Industrie schon längst Standard ist. Dieser Absatz soll offenbar bei uninformierten Menschen den Eindruck erwecken, Beschäftigte von Verkehrsbetrieben würden bisher für ihre Streiktage bezahlt, um so Voreingenommenheit gegenüber den Arbeitern zu schaffen.

Die Reaktion der Gewerkschaften zeigt, dass sie nicht die Absicht haben, einen ernsthaften politischen Kampf gegen das Gesetz zu führen. Bis jetzt hat noch keine einzige - noch nicht einmal eine der direkt betroffenen Transportarbeitergewerkschaften - zum Streik gegen das Gesetz aufgerufen.

Die von Stalinisten dominierte CGT kritisiert das Gesetz in einer Erklärung und schreibt: "Wir wollen Konflikte vermeiden, über Ursachen reden und einen wirklich solidarischen öffentlichen Dienst aufbauen." Das wird einer Situation nicht gerecht, in der der Staat die Rechte der Arbeiter zerschlägt und - wie die CGT in ihrer Erklärung selbst schreibt - gleichzeitig die öffentlichen Verkehrssysteme unzureichend finanziert, was zu Pannen und zu Ausfällen führt.

Andere Gewerkschaften nehmen eine ähnliche Haltung ein. Die CFDT hat über ihren Vorsitzenden François Chérèque die heftigsten Bestimmungen des Gesetzentwurfs kritisiert. Allerdings hatte gerade die CFDT, wie sie auf ihrer eigenen Website berichtet, 1996 den "Sozialalarm" bei der RATP auf den Weg gebracht, nach dem ein wesentlicher Teil des neuen Gesetzes ausgerichtet ist.

Sarkozys Wahlsieg hat in der französischen Elite die Hoffnung genährt, endlich entscheidend mit der Arbeiterklasse abrechnen zu können. In einem Kommentar zu Sarkozys Sieg heißt es bei der linksliberalen Tageszeitung Le Monde : "Bruch. Das Wort wurde im Wahlkampf in Watte gepackt und dann in den Hintergrund geschoben, um den Eindruck von Brutalität zu verwischen und die Leute zu beruhigen. Aber genau das steht uns bevor. Frankreich bereitet sich auf einen Bruch mit zwanzig Jahren Unbeweglichkeit und Irrtümern vor, die in eine Spirale von relativem Niedergang gemündet sind."

Nicolas Baverez, ein Sarkozy nahe stehender Anhänger der freien Marktwirtschaft, drückte es in einem Artikel in der Revue des Deux Mondes direkter aus: "Die Wahl von 2007 ist unsere letzte Chance, unser Land zu modernisieren ohne einen Bürgerkrieg zu riskieren."

Die französische Bourgeoisie fühlt sich durch die wachsende Krise des globalen Kapitalismus unaufhaltsam auf den Weg des Militarismus und Sozialabbaus getrieben. Premierminister François Fillon sagte dies in seiner ersten Rede vor der Nationalversammlung ganz offen: "Über Jahrhunderte hinweg dominierten Frankreich und einige andere Nationen die Welt politisch und ökonomisch. Diese überragende Macht erlaubte es uns, eine reiche und blühende Zivilisation aufzubauen. Heute wacht die Welt auf und rächt sich an der Geschichte. Ganze Kontinente verlangen auch für sich Fortschritt... Diese neue historische Realität, Angst einflößend und faszinierend zugleich, fordert mehr denn je, dass Frankreich eine lange verdrängte Anstrengung unternimmt."

Angesichts der erbitterten Konkurrenz durch die zahlreichen Gegenspieler in Asien, Amerika und Europa selbst sieht die französische Elite keine andere Lösung, als einen rücksichtslosen Angriff auf den Lebensstandard und die demokratischen Rechte der Arbeiter durchzuführen.

Hinter der gefährlichen Mischung aus Enthusiasmus und Blutrünstigkeit der französischen Bourgeoisie steht die Erkenntnis, dass Sarkozys Hauptziel - in Frankreich eben jene Veränderungen umzusetzen, die in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien bereits in den 1980er Jahren unter Reagan und Thatcher durchgesetzt wurden - ausgesprochen unpopulär ist. Was die Bourgeoisie als "zwanzig Jahre Unbeweglichkeit" ansieht, waren für die Arbeiterklasse zwanzig Jahre voller Kämpfe zur Verteidigung ihrer gesellschaftlichen Stellung. Die beiden letzten Regierungen vor Sarkozy - die von Jean-Pierre Raffarin und die von Dominique de Villepin - verloren in dem Moment massiv an Zustimmung, als der wahre Charakter ihres Sozialprogramms allgemein bekannt wurde.

Sarkozy scheint zwar entschlossener als seine Vorgänger, aber seine soziale Basis ist um keinen Deut breiter. Dies zeigt sich äußerst deutlich, als mit Bekanntgabe der geplanten Mehrwertsteuererhöhung Sarkozys Partei in der zweiten Runde der diesjährigen Parlamentswahl abstürzte und ein wesentlich schwächeres Ergebnis als vorhergesagt einfuhr. Sarkozy hat "linke" Minister wie Außenminister Bernard Kouchner (ehemals Sozialistische Partei) in sein Kabinett aufgenommen, um sein sozialpolitisches Programm zu verschleiern und die Menschen zu beruhigen. Demselben Zweck dienen die Gespräche mit Gewerkschaftsführern über das Anti-Streikgesetz.

Siehe auch:
Rückschlag für Sarkozy in der zweiten Rund der französischen Parlamentswahlen
(22. Juni 2007)
Parlamentswahlen in Frankreich: Der Zusammenbruch der "Linken"
(9. Juni 2007)
Klassenfragen in der französischen Präsidentenwahl
(4. Mai 2007)
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