Für eine sozialistische Strategie gegen Überwachungswahn und Polizeistaat!

Der folgende Text wird auf der heutigen Demonstration zur Verteidigung demokratischer Rechte in Berlin als Flugblatt verteilt. Er kann auch im PDF-Format herunter geladen werden.

Unter dem Motto "Freiheit statt Angst - stoppt den Überwachungswahn!" hat ein breites Bündnis aus Bürgerrechtlern, Menschenrechtsgruppen, Lobbyverbänden und politischen Parteien zur heutigen Demonstration in Berlin aufgerufen. Der Protest richtet sich gegen die andauernden Angriffe auf demokratische Grundrechte durch ständig neue Maßnahmen zur Überwachung und Bespitzelung der Bevölkerung.

Schon die Fülle der Themen, die der Demonstrationsaufruf auflistet, vermittelt das gewaltige Ausmaß der Aufrüstung des Sicherheitsapparates in den letzten Jahren. Die Liste reicht von Anti-Terror-Datei über geheime Online-Durchsuchungen von Computern bis zu Videoüberwachung und Zollfahndungsgesetz und umfasst über 40 Maßnahmen und Gesetze, die die Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten massiv ausgeweitet haben und die permanente Überwachung der Bevölkerung ermöglichen.

Doch die politische Perspektive die der Demonstrationsaufruf vertritt, ist äußert beschränkt. Er bleibt dabei stehen, Appelle an die Vernunft liberaler Elemente in der herrschenden Elite, im Staatsapparat und in der Justiz zu richten. Er verbreitet die Illusion, es genüge Abgeordnete und Minister zu ermahnen, den Bogen bei den Sicherheitsmaßnahmen nicht zu überspannen.

An keiner Stelle macht der Aufruf deutlich, dass der ständige Angriff auf demokratische Grundrechte und die systematische Erweiterung der Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten in direktem Zusammenhang zur rapiden Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen stehen. Angesichts von Massenarbeitslosigkeit und zunehmender Verelendung durch die Auswirkungen von Hartz IV auf immer größere Teile der Bevölkerung dient die Staatsaufrüstung dazu soziale Unruhen frühzeitig zu erkennen und nach Möglichkeit im Keim zu ersticken.

Dazu kommt die wachsende Ablehnung der deutschen Kriegpolitik. Obwohl eine große Mehrheit in der Bevölkerung einen Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan fordert, erklären die "Volksvertreter" im Bundestag mehrheitlich ihre Zustimmung zu einer Verlängerung des Mandates. Die Große Koalition in Berlin hat offensichtlich entschieden einem US-Angriff auf den Iran nicht entgegenzutreten. Ebenso wie in Washington wird nun auch hier die Terrorhysterie geschürt, um diese Kriegspolitik zu rechtfertigen und den Widerstand dagegen einzuschüchtern. Daher die jüngsten Kampagnen von Innenminister Wolfgang Schäuble und Verteidigungsminister Franz Josef Jung (beide CDU), die vor einem nuklearen Terrorschlag warnen und den Einsatz der Armee im Inneren anstreben.

Angesichts dieser Situation muss betont werden, dass die Verteidigung demokratischer Rechte untrennbar mit dem Kampf für eine sozialistische Reorganisation der Gesellschaft durch die Mobilisierung breiter Bevölkerungsschichten verbunden ist. Schon historisch sind demokratische Rechte in Deutschland ein Produkt des von der (damals noch marxistischen) SPD geführten Klassenkampfs. Das Bürgertum und das liberale Kleinbürgertum hatten sich nach dem kläglich gescheiterten Revolutionsversuch von 1848 mit dem Obrigkeitsstaat arrangiert.

Die Veranstalter dagegen stehen der Bevölkerung kritisch bis abweisend gegenüber. Im Demonstrationsaufruf heißt es: "Wer sich ständig überwacht und beobachtet fühlt, kann sich nicht mehr unbefangen und mutig für seine Rechte und eine gerechte Gesellschaft einsetzen." Allmählich entstehe eine "unkritische Konsumgesellschaft", in der die Menschen "zur vermeintlichen Gewährleistung totaler Sicherheit" bereit seien "ihre Freiheitsrechte" aufzugeben.

Anstatt die Bevölkerung gegen die offizielle Politik zu mobilisieren streben die Organisatoren der Veranstaltung eine "breites politisches Bündnis" aller gesellschaftlichen Kräfte an und feiern die Unterstützung durch die "Evangelische Konferenz für Telefonseelsorge" und einige Landes-Datenschutzbeauftragte als großen Erfolg. Im Aufruf heißt es: "Mit dem Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen, der Berliner FDP- Fraktion und der Linkspartei.PDS in Berlin findet der Marsch auch politische Unterstützung."

Das ist blanker Hohn!

Die FDP vertritt ein ausgesprochen wirtschaftsliberales Programm, dessen Verwirklichung noch schärfere Angriffe auf demokratische Rechte erfordert, als sie ohnehin stattfinden. Diejenigen in der FDP, die bei der Einschränkung von Freiheitsrechten mitunter mahnend den Zeigefinger erheben, wie der ehemalige Bundesinnenminister Gerhard Baum, wirken wie Gespenster aus einer längst vergangenen Zeit.

Die Grünen, die einst für Pazifismus und Demokratie eintraten und 1998 noch die Abschaffung des Terrorismusparagraphen 129a in den Koalitionsvertrag hineinschrieben, haben sich in ihren Regierungsjahren als uneingeschränkt staatstragend erwiesen und sämtliche Anti-Terrorgesetze von Otto Schily (SPD) mit ausgearbeitet und im Bundestag verabschiedet. Dass die Parteispitze nun gegen ihre eigenen Gesetze auf die Straße gehen will, zeigt den Zynismus und völligen politischen Bankrott dieser Partei.

Gleiches gilt auch für die Linkspartei, die sich in Parlament und Medien wortreich gegen die Einführung polizeistaatlicher Maßnahmen wendet. Aber dort, wo sie selbst Regierungsverantwortung trägt, wie im Berliner Senat, setzt sie die Erlasse und Gesetze nicht nur um, sondern forciert zusammen mit dem sozialdemokratischen Innensenator Körting die Ausweitung der Befugnisse von Polizei und Verfassungsschutz.

Die Linkspartei zeigt hier ihr wahres Gesicht. Hervorgegangen aus der Staatspartei der DDR und alten Gewerkschaftsfunktionären verkörpert diese Partei geradezu die Furcht vor jeder unabhängigen Bewegung von unten. Staatsaufrüstung und Einschränkung von demokratischen Rechten sind dabei nicht nur der Anpassung an gegebenen Tatsachen geschuldet sondern Ausdruck des Programms der Partei. Sie sieht sich selbst als Hüterin der bestehenden sozialen Ordnung und versucht, die zunehmende Radikalisierung der Bevölkerung gegen Sozialkürzungen wieder in das ruhige Fahrwasser des Sozialreformismus zu führen.

Der Kampf gegen Überwachungswahn und Polizeistaat erfordert eine politische Bilanz. Es war die rot-grüne Koalition in Berlin, die zwei Anti-Terror-Pakete durch das Parlament peitschte und damit den Sicherheitsbehörden faktisch ungehinderten Zugriff auf sämtliche verfügbaren Daten der Bevölkerung ermöglichte.

Insbesondere Ausländer und Flüchtlinge - und hier wiederum vor allem Muslime - wurden praktisch unter Generalverdacht gestellt, Terroranschläge in Deutschland zu planen. Die Ausweisungs- und Abschiebegründe wurden erweitert, so dass nun schon alleine die politische Betätigung und Teilnahme an Demonstrationen Gründe liefern kann für den Verlust der Aufenthaltserlaubnis. Der Terrorismusparagraph 129 wurde um den Straftatbestand der Bildung einer "ausländischen kriminellen Vereinigung" ergänzt.

Es war auch die rot-grüne Bundesregierung und ihr Innenminister Otto Schily (SPD), die den Grundstein legten für die Aufhebung der Trennung von Polizei und Geheimdiensten und die das Luftsicherheitsgesetz verabschiedeten, mit dem der Abschuss ziviler Flugzeuge durch die Bundeswehr ermöglicht werden sollte, bis das Bundesverfassungsgericht das Gesetz als verfassungswidrig einstufte.

Die gegenwärtige Große Koalition konnte nahtlos an die Arbeit ihrer Vorgängerregierung anschließen. Das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz bestätigte nicht nur die Maßnahmen aus Schilys Anti-Terror-Paketen, sondern hob mit der Anti-Terror-Datei die Trennung von Polizei und Geheimdiensten endgültig auf. Der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Militärische Abschirmdienst (MAD) können zudem außerhalb jeder demokratischen Kontrolle Daten von Banken, Post und Telekommunikationsdiensten abrufen.

Innenminister Wolfgang Schäuble unternimmt derweil ständig neue Anläufe, demokratische Grundrechte einzukassieren. So will er nicht nur die geheime Online-Durchsuchung von Computern durchboxen, sondern rechtfertigt auch die extralegale Tötung von Terrorverdächtigungen und verfolgt akribisch den Einsatz der Bundeswehr im Innern.

Wieweit der Überwachungsstaat nicht Zukunft sondern Gegenwart ist, zeigt folgendes: Die Kontrolle der Kontodaten wurde von Finanzämtern und Sozialbehörden benutzt, um Steuerpflichtige und Hartz IV-Empfänger auszuspionieren. In Berlin wurden Wissenschaftler und Journalisten ein Jahr lang wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung überwacht und zum Teil sogar inhaftiert, weil sie in ihren Publikationen Themen abgehandelt und Fachbegriffe verwendet haben, die auch in Bekennerschreiben der "militanten gruppe" aufgetaucht sind.

Und im Vorfeld sowie während des diesjährigen G8-Treffens in Heiligendamm wurden ebenfalls unter dem Deckmantel der Verhinderung terroristischer Anschläge bei Gipfelgegnern Vorbereitungstreffen überwacht, Razzien durchgeführt und durch Bundeswehrtornados Luftaufnahmen der Protestcamps gemacht.

Der neuerliche Vorstoß von Verteidigungsminister Jung, Passagierflugzeuge im Falle einer Entführung durch Jagdbomber der Bundeswehr abschießen zu lassen, dient vor allem dazu, den bereits begonnen Einsatz des Militärs gegen eine breite Protestbewegung der Bevölkerung durch Ausrufung eines Ausnahmezustands gesetzlich zu legitimieren.

Zwei Dinge lassen dabei besonders aufhorchen. Zum einen kursierten in der Presse Berichte, dass das Verteidigungsministerium bereits eine Liste von Luftwaffenoffizieren vorbereitet hat, die jeden Abschussbefehl gehorsam ausführen werden, obwohl sie sich damit über die Verfassung hinwegsetzen. Mit solchen ausgewählten Fliegerrotten wird die Keimzelle gelegt für den Aufbau spezieller Militäreinheiten, die auch vor einem illegalen Einsatz gegen die eigene Bevölkerung nicht zurückschrecken. Damit wäre der Anfang gemacht für einen autoritären Polizeistaat, gestützt auf Kampfverbände der Bundeswehr.

Zum anderen findet die Berufung auf einen "übergesetzlichen Notstand" ihre historische Parallele in der Geschichte der Weimarer Republik. In den 1920er und Anfang der 1930er Jahren wurden diverse "Gesetze zum Schutz der Republik", dazu benutzt, um per Notverordnungen demokratische Grundrechte außer Kraft zu setzen. Nach der Machtübernahme durch die Nazis 1933 konnte sich das Hitler-Regime auf die bereits bestehenden Notverordnungen stützen, um die Arbeiterorganisationen zu zerschlagen. Die SPD, die 1918 den bürgerlichen Staat gerettet hatte, wurde nur 15 Jahre später zum Steigbügelhalter des Faschismus und schließlich selbst Opfer der eigenen Gesetze.

Der demokratische Firnis ist in Deutschland besonders dünn. Umso wichtiger ist das Verständnis, dass die Verteidigung demokratischer Rechte unvereinbar ist mit der Akzeptanz der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse. Sie ist untrennbar mit dem Kampf für eine sozialistische Reorganisation der Gesellschaft durch eine breite Mobilisierung der Bevölkerung verbunden.

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