US-Außenministerin will Palästinensern israelisches Diktat aufzwingen

Die Außenministerin der Vereinigten Staaten, Condoleezza Rice, bemüht sich nach ihrer Fünf-Tage-Tour durch den Nahen Osten, "die Erwartungen herunterzuschrauben". In Wirklichkeit hat sie die Erwartungen Israels voll und ganz erfüllt, und unter den Palästinensern hat niemand ein anderes Ergebnis erwartet - außer der Abbas-Regierung.

Die Reise in der vergangenen Woche diente dazu, für Präsident Bushs geplanten Nahost-Gipfel in Maryland Ende November zu werben und diesen vorzubereiten. Ende der Woche dementierte Rice, dass der Gipfel auf Dezember verschoben worden sei, weil noch keine Einladungen verschickt worden seien.

Noch bevor die Verhandlungen begonnen haben, hat Haaretz unter Berufung auf Quellen "aus dem Büro des [israelischen] Premierministers" berichtet, Rice habe nicht die Absicht, irgendetwas aufzuoktroyieren, "was für Israel nicht akzeptabel ist". Sie hat der Koalitionsregierung von Ehud Olmert praktisch jede Zusicherung gegeben, nach der sie verlangte, und sogar die Forderung der Likud geführten Opposition erfüllt, dass es keine Gespräche über eine "Teilung Jerusalems" geben dürfe.

Rice lehnte palästinensische Forderungen nach einem Dokument ab, das einen Zeitplan für Verhandlungen über die zukünftigen Grenzen, die Mauer in der Westbank, die palästinensischen Gefangenen, die Flüchtlinge und Jerusalem festlegt, und befürwortete eine allgemeinen Erklärung, auf die Israel drängt. "Wir sind am Beginn eines Prozesses", erklärte sie gegenüber Reportern in Jerusalem. Nach Gesprächen mit Olmert am 14. Oktober sagte sie, es sei unwahrscheinlich, dass es irgendeinen "Durchbruch" in der Frage Jerusalems geben werde.

Vom palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas verlangte sie dagegen ultimativ, allen Vorschlägen zuzustimmen und "jede nur mögliche Anstrengung zu unternehmen, um den Erfolg" der Konferenz von Maryland "zu garantieren". "Offen gesagt, haben wir Besseres zu tun, als Leute nach Annapolis zu einem Foto-Termin einzuladen", sagte sie zu Journalisten.

Abbas blieb angeschlagen zurück, einmal mehr bloßgestellt als der vom Westen Betrogene. Er sah sich zur Feststellung gezwungen, dass die Palästinenser nicht an der Konferenz teilnehmen würden, wenn es kein "klares Dokument und keinen Zeitplan gibt, um ein eindeutiges Ergebnis zu erzielen".

Ein offenes Zerwürfnis mit Washington ist jedoch unwahrscheinlich. Kommt es zu einer Friedenskonferenz, werden Abbas und andere arabische Führer daran teilnehmen, um der unruhigen palästinensischen Bevölkerung einen faulen Kompromiss aufzuzwingen. Zu diesem Zweck bemühen sie sich, die USA als ehrlichen Vermittler darzustellen. Der ägyptische Außenminister sagte auf einer Pressekonferenz mit Rice: "Diese amerikanische Regierung erklärt, sie wolle den Auftrag erfüllen. Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln. Ich muss ihnen glauben."

Die wichtigsten Berater von Abbas sind sich über die Folgen eines Misserfolgs im Klaren.

Der palästinensische Informations- und Außenminister Riyad Al-Maliki mahnte: "Ohne ein Dokument zur Lösung des Konflikts können wir nicht zu der Konferenz im nächsten Monat gehen."

Der frühere Premierminister Achmed Kureia, der zum Chefunterhändler der Palästinenser ernannt worden ist, erklärte: "Wenn die Gespräche scheitern, können wir eine dritte und noch massivere Intifada erwarten."

Saeb Erekat, langjähriger Berater von Abbas, sagte, das Schicksal des gesamten Nahen Ostens stehe auf dem Spiel. "Deshalb bewegt sich diese Region entweder in Richtung Frieden, Mäßigung, Demokratie und Stabilität oder in Richtung Extremismus, Gewalt, Gegengewalt und Zerstörung. Wenn wir scheitern, dann helfe uns Gott. Ich denke, die Folgen werden nicht nur Palästinenser und Israelis betreffen."

Auf jeden Fall scheint das von der Palästinensische Autonomiebehörde befürchtete Scheitern unausweichlich. Rice hat faktisch keine Forderungen an die Israelis gestellt, obwohl die Medien alle Unstimmigkeiten zwischen den USA und den Israelis groß zu reden versuchen. Tatsächlich wurde die einzige Kontroverse während ihres Besuchs von Verteidigungsminister Barak und seinem rechten Koalitionspartner, dem Minister für Strategische Angelegenheiten Avigdor Liebermann von der Yisrael Beitenu, provoziert.

Am Montag hatte der Premierminister Unterstützung für die Vorschläge Liebermanns und einiger Mitglieder seiner Kadima-Partei angedeutet, auf einige Randgebiete Ostjerusalems zu verzichten. "War es notwendig, das Flüchtlingslager Shuafat und die arabischen Viertel al-Suwahara und Walajeh zu einem Teil Jerusalems zu machen? Ich gebe zu, es gibt in dieser Beziehung einige berechtigte Fragen", erklärte Olmert.

Olmert will die jüdische Vorherrschaft über Jerusalem sicherstellen, indem er auf die Kontrolle über Wohnviertel verzichtet, in denen 170.000 Palästinenser leben. Liebermann äußerte dazu unverblümt: "Es gibt für uns keinen Grund, Flüchtlingslager wie Shoafat zu finanzieren, sie sollten in palästinensische Kontrolle überführt werden."

Dessen ungeachtet drängten Vertreter des oppositionellen Likud die religiöse Schas-Partei und Yisrael Beitenu sofort, die Regierung zu verlassen, weil Olmert die "erklärte Absicht" habe, Jerusalem zu teilen. Angesichts der Einstellung Liebermanns mutet das zwar bizarr an, dennoch drohten beide Parteien mit Austritt.

Am Mittwoch bestritt Präsident Shimon Peres Absichten der Regierung, Jerusalem zu teilen. Das verhinderte allerdings nicht, dass mehr als die Hälfte der Knesset-Mitglieder, einschließlich 15 Mitglieder von Olmerts Kadima und mehrere Minister seiner Regierung, eine Petition unterzeichneten. Der Kadima-Minister Shaul Mofaz erklärte in Radio Israel, dass Jerusalem nicht zur Verhandlung stehe. Nach israelischem Gesetz muss bei jedem territorialen Zugeständnis Jerusalem betreffend eine absolute Mehrheit der Parlamentarier zustimmen.

Olmert seinerseits setzte das Thema zu seinem Vorteil ein, indem er Rice aufforderte, Israel nicht unter Druck zu setzen, angesichts der "hartnäckigen Opposition" aus seiner eigenen Regierung und aus der Knesset. Er organisierte sogar Treffen zwischen Rice und Liebermann sowie Eli Yishai von der Schas. Dieser warnte sie, die Regierung werde auseinander brechen, wenn "zentrale" Fragen einer endgültigen Lösung auf der Annapolis-Konferenz diskutiert würden. Yishai erklärte anschließend gegenüber der Zeitung Haaretz, wenn die Teilung Jerusalems in Annapolis auch nur erwähnt würde, werde Schas aus der Koalitionsregierung austreten.

Der Streit über die Zuständigkeit für ein paar Palästinenserviertel übertönte fast die eigentlichen Äußerungen von Peres über Jerusalem - er betonte, die heiligen Stätten müssten unter der Hoheitsgewalt Israels und die Einheit der Hauptstadt gewahrt bleiben, mit einer starken jüdischen Mehrheit und mit Sicherheit für ihre Einwohner.

Die jüdische Kontrolle über den Tempelberg, den Standort der Al Aksa-Moschee, würde allein schon eine Einigung so gut wie unmöglich machen. Israel ist sich darüber völlig im Klaren. Unmittelbar vor dem Besuch von Rice war eine Entscheidung über Bauarbeiten für eine neue Brücke zwischen der Klagemauer und dem Tempelberg vertagt worden, weil dies kurz vor dem Gipfel in Annapolis Ausschreitungen auslösen und die Spannungen erhöhen könnte. Man entschied, dies sei eine zu offensichtliche Provokation. (Es ist wahrscheinlicher, dass Israel seine Drohung wahr macht und eine groß angelegte militärische Offensive gegen die Hamas im Gazastreifen durchführt.)

Die Bestrebungen, eine dauerhafte jüdische Kontrolle über den Tempelberg und andere religiöse Stätten zu errichten, sind Bestandteil des israelischen Plans, nicht nur ganz Jerusalem zu annektieren, sondern auch große Teile der Westbank.

Die Palästinensische Autonomiebehörde fordert formell die Kontrolle über das gesamte, im Sechstage-Krieg von 1967 besetzte Gebiet, mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt eines zukünftigen palästinensischen Staats. In einem Fernseh-Interview erklärte Abbas: "Uns gehören 6.205 Quadratkilometer auf der Westbank und im Gazastreifen. Wir wollen sie, so wie sie sind."

Abbas, Kureia und die Führung der Fatah haben jedoch klar gemacht, dass sie offen sind für einen "Land-Tausch" von ca. zwei Prozent der Westbank. Sie sind erpicht auf eine Übereinkunft mit Israel. Sie hoffen, damit die rivalisierende Hamas unterminieren zu können, die gegenwärtig den gesamten Gaza-Streifen kontrolliert. Dennoch können selbst sie nicht so einfach der Regelung zustimmen, die Israel gegenwärtig vorantreibt, indem es "Fakten vor Ort" schafft. Sie müssen befürchten, dann auch noch die politische Kontrolle über die Westbank zu verlieren

Am 24. September unterschrieb der israelische General Gadi Sh’mani einen Befehl, 1.100 Dunnum (275 Morgen) Land im E1-Gebiet der jüdischen Siedlung Maale Edumim zu beschlagnahmen. Die Enteignung betrifft die palästinensischen Dörfer Abu Dis, Arab a Sawakh’reh, Nebi Musa und Talkhan al Khamar. Ebenfalls betroffen ist die palästinensische Stadt Eizarrya. Einer der Einwohner erklärte: "Eizarrya wird einen völligen Kollaps erleiden, Eizarrya wird sterben. Mit einer Mauer und dann noch einer wird es wie ein Gefängnis werden."

Gerechtfertigt wird diese neueste Maßnahme mit dem Bau einer Straße für die Palästinenser. Diese wiederum dient dazu, Palästinensern mit legalen Mitteln die Benutzung der gegenwärtigen Straßenverbindung zwischen Jerusalem und Maale Adumim zu verbieten, einer jüdischen Siedlung, die um 3.500 Wohneinheiten erweitert werden soll. Das würde endgültig jeglichen territorialen Zusammenhalt der palästinensischen Vororte Jerusalems zerstören und auf einen Schlag den vorgeblichen Plan für eine palästinensische Hauptstadt in Ostjerusalem unmöglich machen - wie ihn die US-"Road Map" zumindest formal befürwortet hatte.

Associated Press berichtete, dass Israel 6 bis 8 Prozent der West Bank anstrebt, die laut den palästinensischen Verhandlungsunterlagen in ihrem Besitz sind. Das zeigt, dass Israel die Kontrolle über sämtliche großen Siedlungen in der West Bank behalten will, wo 250.000 Israelis wohnen. Zum Austausch für das Land in der West Bank erwägt Olmert den Palästinensern einen Streifen Land zwischen dem Gaza-Streifen und der West Bank zu überlassen, die durch zirka 40 Kilometer israelisches Territorium voneinander getrennt sind.

Olmert besteht jedoch auch darauf, dass die genaue Größe des Territoriums, das er fordert, erst in zukünftigen Verhandlungen festgelegt wird. In den 6 bis 8 Prozent der West Bank ist Ostjerusalem nicht enthalten, wo sich zusätzlich 250.000 israelische Siedler niedergelassen haben. Dies macht dann zusätzliche 9,5 Prozent des Landes der Palästinenser plus ihre geplante Hauptstadt aus.

Der so genannte Sicherheitswall, der jetzt schon die Beschlagnahme von einem großen Teil des West-Bank-Landes verfestigt, sollte ursprünglich dazu dienen, das Jordan-Tal auf Dauer vom Rest der West Bank abzuspalten und zur "Ostgrenze" Israels zu machen. Der Plan war aufgrund internationaler Einwände über den Verlauf des Sicherheitswalls vorübergehend auf Eis gelegt worden. Aber Israel kontrolliert dennoch den größten Teil des Streifens, ausgenommen einen kleinen Teil um die Stadt Jericho herum, und belegt die Palästinenser mit harten Beschränkungen. Die dauerhafte Annektierung dieses Gebiets würde dazu führen, dass Israel 40 Prozent des Territoriums der West Bank kontrolliert und die Palästinenser in einigen von einander getrennten Bezirken verbleiben, des fruchtbaren Landes beraubt und für den Bezug von Strom, Wasser und für Arbeitsplätze absolut abhängig von Israel.

Israel besteht obendrein darauf, dass ein "provisorische Staat vollständig entmilitarisiert" sein muss und Israel weiterhin sämtliche Grenzen und den Luftraum kontrolliert. Auf ihrem Flug nach London zu einem Treffen mit Jordaniens König Abdullah, der zugesagt hat, am Treffen in Maryland teilzunehmen, gab Rice zu verstehen, dass die USA bereit sind, diesen Forderungen zuzustimmen. Sie erklärte gegenüber Reportern, sie könne nachempfinden, dass Israel sich bei einem Rückzug aus diesen Gebieten bedroht fühle.

"Wenn sie eines Tages tatsächlich aufgefordert werden sollten, sich aus der West Bank zurückzuziehen, was bedeutet das für die Sicherheit Israels? Das ist eine berechtigte Frage", erklärte sie. "Sie [Israel] haben sich aus dem Libanon zurückgezogen, und das führte zu Instabilität im Libanon. Sie haben sich aus dem Gaza-Streifen zurückgezogen, und schaut Euch an, was im Gaza-Streifen passiert ist."

Siehe auch:
Die Krise in Gaza und das Scheitern des palästinensischen Nationalismus
(27. Juni 2007)
UNO-Berichterstatter vergleicht israelisches Besatzungsregime in Palästina mit Apartheid
(20. März 2007)
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