Pakistan: Musharraf verhängt Kriegsrecht mit Billigung Washingtons

Der pakistanische Militärführer General Pervez Musharraf, ein wichtiger Verbündeter der Bush-Administration in ihrem angeblichen "Krieg gegen den Terror", hat sich erneut bloßgestellt. Am Samstagabend schwärmten Sicherheitskräfte in Islamabad aus, besetzten das Parlament und das Gebäude des Obersten Gerichtshofs, zwangen private Fernsehanstalten vom Sender zu gehen und nahmen Oppositionelle in "Vorbeugehaft". Musharraf, der im Oktober 1999 durch einen Militärputsch an die Macht gelangt war, erklärte den Ausnahmezustand.

Die Maßnahmen kommen einem zweiten Staatsstreich gleich: Musharraf hat die Verfassung auf unbestimmte Zeit außer Kraft gesetzt, ebenso das Recht auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und die Reise- und Bewegungsfreiheit. Er hat die verfassungsrechtliche Befugnis der Gerichte aufgehoben, Verfügungen gegen ihn, den Ministerpräsidenten oder irgendjemand anderen zu erlassen, der in ihrem Namen handelt. Ferner hat er die Presse einer rigorosen Zensur unterworfen und harte Strafen für das "Verbrechen" eingeführt, den Präsidenten, die Streitkräfte oder ein anderes Exekutiv-, Justiz- oder gesetzgebendes Organ zu "verspotten".

Sicherheitskräfte haben Hunderte, möglicherweise auch Tausende oppositionelle Politiker und Rechtsanwälte verhaftet, die bei der jüngsten öffentlichen Kampagne gegen die Militärherrschaft eine Rolle spielten. Sie werden auf unbestimmte Zeit und ohne Anklageerhebung festgehalten. Unter den Verhafteten sind Javed Hashmi, der Anführer der Pakistanischen Muslim Liga (Nawaz), und Aitaz Ashan, der Vorsitzende von Pakistans Rechtsanwaltskammer und prominenter Unterstützer der PPP (der Pakistanischen Volkspartei).

Alle nicht-staatlichen Fernsehanstalten und einige internationale Radiosender, darunter BBC World, gingen am Sonntag nicht auf Sendung. Die Polizei und paramilitärische Einheiten bewachen Kontrollpunkte in der Hauptstadt und haben laut Presseberichten schnell jeden Protest unterbunden.

Musharraf hat den Vorsitzenden Richter des Obersten Gerichtshofs, Iftikhar Muhammad Chaudhry, seines Amtes enthoben. Chaudhry und sechs andere Richter des Obersten Gerichtshofs, die sich geweigert hatten, die Ausnahmeverordnung des Generals zu billigen - die so genannte provisorische Verfassungsverordnung [Provisional Constitutional Order (PCO)] - sind unter Hausarrest gestellt worden. Der Richter Abdul Hameed Dogar, ein williger Gefolgsmann von Musharraf, wurde an die Stelle von Chaudhry gesetzt. Die obersten Bezirksgerichtshöfe, wo viele Richter es entweder ablehnten, Musharrafs's PCO anzuerkennen oder gar nicht erst gefragt wurden, sind ebenfalls gesäubert worden.

All dies Schritten sind mit der Drohung des Militärs verbunden, umfassende Gewaltmaßnahmen zu ergreifen, sollte sich das pakistanische Volk widersetzen. Dass Musharraf in seiner Funktion als Chef der pakistanischen Streitkräfte eine PCO erlassen hat, anstatt auf die Notstandsvollmachten zurückzugreifen, die ihm als Präsidenten laut der Verfassung von 1973 zustehen, macht deutlich, wie weit seine Machtanmaßung und seine Bereitschaft, das Land zu militarisieren, gehen.

Hasan Askari Rizivi, ein Kenner der pakistanischen Militärpolitik bemerkte: "Das bedeutet die Errichtung einer wirklichen Militärherrschaft, weil es keine Verfassung gibt und Pakistan mit einer provisorischen Verordnung regiert wird, die von Musharraf in seiner Funktion als Militärchef und nicht als Präsident Pakistans erlassen wurde."

Mittäterschaft der USA

Die Bush-Administration, Großbritanniens Labour-Regierung und die anderen westlichen Mächte haben auf Musharrafs Coup mit schonender und oberflächlicher Kritik reagiert.

Die amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice, die ebenso wie ihr Chef George W. Bush Musharraf und seine angebliche Bereitschaft zur Demokratie wiederholt gelobt hat, nannte die Deklaration des Ausnahmezustandes "höchst bedauernswert", bekräftigte aber gleichzeitig Washingtons Bereitschaft, mit Pakistans Militärregime weiter eng zusammen zu arbeiten. Rice rief alle "Parteien dazu auf, in dieser offenbar sehr schwierigen Situation zurückhaltend zu agieren".

Als sie im Flugzeug nach Israel unterwegs war, sagte Rice, dass die USA Musharraf geraten hätten, diesen Schritt nicht zu unternehmen, und eine "sofortige Rückkehr zum verfassungsgemäßen Kurs" wünschten. Aber sie relativierte selbst diese zurückhaltende Kritik, indem sie hinzufügte, Musharraf habe in der Vergangenheit "viel" getan, um Pakistan auf "den Weg zur Demokratie" zu bringen.

Rice sagte am Sonntag, dass Washington die Unterstützung für Pakistan überdenken wolle. Seit September 2001 hat Washington Islamabad militärische Hilfe in Höhe von mindestens 10 Milliarden Dollar gewährt. Die Aussage von Rice war keine Drohung, sondern ein Eingeständnis, dass gewisse Gesetze der USA die Bush-Administration zwingen könnten, die finanzielle Unterstützung für Pakistans Militärregime zu kürzen.

Das Pentagon war sogar noch unkritischer gegenüber Musharrafs Coup. Pressesprecher Geoff Morell sagte: "Die Ausrufung [des Ausnahmezustands] hat keinen Einfluss auf unsere militärische Unterstützung für Pakistans Engagement im Krieg gegen den Terror."

Der britische Außenminister David Miliband schloss sich der Stellungnahme von Rice an. Er meinte: "Wir arbeiten in der internationalen Gemeinschaft eng mit Freunden Pakistans zusammen, um alle Parteien zu ermutigen, Zurückhaltung zu zeigen und im Interesse einer friedlichen und demokratischen Lösung zusammenzuarbeiten." Miliband behauptete, "sehr besorgt" zu sein und sagte, er werde Großbritanniens Ablehnung der Außerkraftsetzung der Verfassung durch Musharraf in einem persönlichen Gespräch mit Pakistans Außenminister Khurshid Kasuri Ausdruck verleihen.

Die zurückhaltenden Reaktionen auf Musharrafs Coup und die implizite Gefahr eines Blutbades stehen in scharfem Kontrast zu den heftigen Vorwürfen, die aus Washington, London und anderen westlichen Hauptstädten zu hören waren, als Birmas Militärjunta letzten Monat mit Gewalt Demonstrationen gegen den Anstieg der Ölpreise und den Mangel an Demokratie unterdrückte.

Der Unterschied besteht darin, dass Pakistans Regime ein zentraler Verbündeter Washingtons bei der Verfolgung seiner räuberischen Interessen in den ölreichen Gebieten Zentralasiens und des Mittleren Ostens ist. Musharraf hat bei der US-Invasion und Besatzung Afghanistans und Iraks maßgebliche logistische Unterstützung geleistet und den Nachrichtendiensten der USA Foltermöglichkeiten zur Verfügung gestellt. Er hat Berichten zufolge dem US-Militär auch erlaubt, Pakistan zur Vorbereitung eines Krieges gegen den Iran zu nutzen. Es darf in Pakistan Übungsmanöver abhalten und Aufklärungsmissionen in den westlichen Nachbarstaat durchführen.

Aber unabhängig davon ist Musharrafs Zuflucht zur Militärherrschaft ein großes Debakel für die Bush-Administration.

Weil Washington sah, dass Musharrafs Regime angesichts der wachsenden Opposition im Volk zu zerfallen begann, hatte es lange Zeit versucht, eine Wiederannäherung zwischen dem von Militärs dominierten Regime Musharrafs und Benazir Bhutto und deren Pakistanischer Volkspartei zu vermitteln.

Wie die New York Times am Sonntag in einem Beitrag mit dem Titel "Streunender Partner lässt das Weiße Haus im Stich" bemerkte: "Über fünf Monate lang haben die Vereinigten Staaten versucht, einen politischen Übergang in Pakistan hinzukriegen, der es Gen. Pervez Musharraf erlaubt hätte, an der Macht zu bleiben, ohne aus Präsident Bushs Förderung der Demokratie in der muslimischen Welt eine Farce zu machen. Am Samstag sind diese sorgfältig aufgelegten Pläne spektakulär gescheitert."

Musharrafs Ausrufung des Kriegsrechts straft nicht nur die demokratischen Worthülsen Lügen, mit denen die Bush-Administration und die politische und wirtschaftliche Elite der USA ihre verbrecherischen Kriege im Irak und in Afghanistan rechtfertigen. Washington und London sehen auch, dass Musharrafs Coup ein verzweifeltes Spiel ist, das leicht auf sie zurückschlagen kann. Es kann einen Aufstand der Bevölkerung provozieren, der sich gegen die Interessen der pakistanischen Generäle, der pakistanischen Bourgeoisie als ganzer und des US-Imperialismus richtet.

Um einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken, haben die Bush-Administration und die britische Regierung versucht, einen Deal zwischen Musharraf und der populären PPP zu vermitteln. Die PPP hat bei zwei früheren Gelegenheiten, als von den USA gestützte Militärdiktaturen zusammenbrachen, das Militär vor dem Zorn des Volkes gerettet und dadurch das wichtigste Bollwerk der bürgerlichen Herrschaft bewahrt.

Kurz vor der fingierten Präsidentschaftswahl vom 6. Oktober hatten die USA ein wackliges Abkommen zwischen der PPP und Musharraf zustande gebracht. Die PPP brach mit dem Rest der Opposition und verschaffte der letzten Verdrehung der Verfassung durch den General Legitimität. Zwölf Tage später kehrte Bhutto aus dem Exil zurück. Aber nur Stunden nach ihrer Ankunft in Karatschi war sie das Ziel eines Mordanschlages, bei dem 139 Menschen starben. Bhutto hat zwar nicht Musharraf selbst, aber Mitglieder des vom Militär beherrschten Regimes für den Anschlag verantwortlich gemacht.

Wie die Reaktion ihrer Förderer in London und Washington ist auch Bhuttos Antwort auf Musharrafs Coup gelinde gesagt gedämpft ausgefallen. Während die Militärs ihre Verachtung für die demokratischen Rechte des pakistanischen Volkes herauskehren, sagte Bhutto, sie wolle keine Konfrontation. Als sie am Samstag mit CNN sprach, weigerte sie sich, weitere Verhandlungen über eine Machtteilung mit dem Präsidenten-General auszuschließen.

Wachsender Widerstand in der Bevölkerung

Musharraf und sein Gefolge haben angesichts des wachsenden Widerstands in allen Schichten der Bevölkerung seit Monaten gedroht, ein Notstandsregime zu errichten. Der Widerstand richtet sich gegen den Mangel an Demokratie, stark ansteigende Lebensmittelkosten, wachsende soziale Ungleichheit, weit verbreitete Korruption, den vom Regime praktizierten Günstlings-Kapitalismus und nicht zuletzt die Unterstützung der von Washington lancierten Kriege durch Musharraf.

Der Auslöser für den Coup am Samstag war das offensichtliche Scheitern der Bemühungen Musharrafs, den Obersten Gerichtshof so weit einzuschüchtern, dass er die fingierte Präsidentschaftswahl des letzten Monats juristisch-konstitutionell absegnet.

Pakistans Justiz hat schon häufig illegale Handlungen von Militärdiktatoren legalisiert. Aber der Oberste Gerichtshof unter Richter Chaudhry hat mehrere Urteile gefällt, die den Zielen des Militärs und deren politischem Gefolge zuwiderlaufen. Er trug damit der Furcht der Elite Rechnung, die Militärherrschaft heize die Unzufriedenheit in der Bevölkerung an, und reagierte auf Klagen, das Militär monopolisiere die Vorteile des kapitalistischen Wachstums für sich. Im März feuerte Musharraf Chaudhry, weil er fürchtete, sich bei der Fälschung der bevorstehenden Wahl nicht auf den höchsten Richter verlassen zu können, und löste damit Massenproteste aus, die zu einer demütigenden Niederlage für Musharraf wurden. Der Oberste Gerichtshof, der neuen Mut gefasst hatte, ordnete die Wiedereinsetzung Chaudhrys an.

Ein Gremium des Obersten Gerichtshofs hat in diesem Herbst wochenlang Petitionen beraten, die die Gesetzmäßigkeit der Präsidentschaftswahl und Musharrafs Kandidatur in Frage stellen. Vom gesetzlichen Standpunkt aus betrachtet war der Fall klar: Die Verfassung Pakistans erlaubt es keinem Offizier, schon gar nicht dem Oberbefehlshaber der Armee, für ein Wahlamt zu kandidieren. Sie verbietet auch eindeutig Musharrafs Trick, das nationale Parlament und Provinzversammlungen, die 2002 in einer vom Militär manipulierten Abstimmung gewählt wurden, einen Präsidenten für die im November 2007 beginnende fünfjährige Amtsperiode wählen zu lassen.

Doch Musharraf hoffte immer noch, er könne den Gerichtshof zur Legitimierung seiner Wahl zwingen, indem er mit dem Notstand drohte, falls die Präsidentschaftswahl als verfassungswidrig eingestuft würde, und die von den USA unterstütze Annäherung an Benazir Bhutto mitmachte.

Letzten Endes gelangte Musharraf zum Schluss, der Gerichtshof stehe kurz davor, zu seinen Ungunsten zu entscheiden. Der Gerichtshof gab Mitte letzter Woche bekannt, dass er seine Beratungen über diesen Fall bis zum 13. November aussetzen werde, d. h. gerade zwei Tage vor dem Ende von Musharrafs Präsidentschaft. Dann änderte er seine Meinung und deutete an, dass eine Entscheidung schon bis zum Samstag fallen könne. Das erklärt Musharrafs plötzlichen Entschluss, das Kriegsrecht zu verhängen.

Musharraf begründete das Notstandsregime zu Beginn seiner Erklärung mit der Zunahme terroristischer Angriffe und anderen Bedrohungen der staatlichen Autorität durch islamische Gruppierungen - obwohl diese historisch vom Militär und den Geheimdiensten als Bollwerk gegen die Arbeiterklasse und als Werkzeug geo-politischer Manöver gegen Indien gefördert wurden.

Im Zentrum von Musharrafs Proklamation und seiner Rechtfertigung des Kriegsrechts steht aber die Behauptung, dass "einige Mitglieder der Judikative gegen die Interessen der Exekutive und Legislative arbeiten". Die Proklamation behauptet, die Judikative unterminiere den Kampf gegen den Terrorismus, indem sie die Freilassung von Personen anordne, die ohne Anklage inhaftiert sind. Und sie destabilisiere den pakistanischen Staat, indem sie eine bescheidene Kontrollen über die Regierung und das Militär ausübe.

Sie beklagt die "ständige" juristische "Einmischung in Aufgaben der Regierung, einschließlich, aber nicht nur, der Kontrolle terroristischer Aktivitäten, der Wirtschaftspolitik, der Preiskontrollen, der Verkleinerung von Unternehmen und der Stadtplanung". Das habe die Regierung geschwächt. Als Ergebnis des Missbrauchs der verfassungsgemäßen Autorität der Judikative sei "die Polizei vollständig demoralisiert". Sie verliere "rasch ihre Effektivität bei der Bekämpfung des Terrorismus, und die Nachrichtendienste sind bei ihren Aktionen behindert und gehindert worden, Terroristen zu verfolgen".

Diese Klagen sind nicht nur eine Begründung für diktatorische Maßnahmen. Sie sind eine Warnung, dass Musharrafs Regime beabsichtigt, mit seiner autoritären Macht ihre neo-liberale Wirtschaftspolitik zu intensivieren und die wachsende Opposition gegen den Mangel an Demokratie und sozialer Gleichheit mit staatlichem Druck zu unterdrücken.

Die Bush-Administration und die politische Elite der USA haben jahrelang Musharrafs Diktatur gestützt. Sie sind nicht weniger als der General selbst verantwortlich für die systematische Verletzung der demokratischen Rechte des pakistanischen Volkes und für den drohend über Pakistan hängenden Staatsterror.

Siehe auch:
Pakistan: Bhutto wirft Militär Mitverantwortung am Attentat vor
(24. Oktober 2006)
Bush-Regierung droht mit Militärintervention in Pakistan
(27. Juli 2007)
Pakistan: Musharraf balanciert auf einem schmalen Grat zwischen Krieg und inneren Aufständen
(19. Januar 2002)
Loading