Türkischer Krieg gegen Nordirak geht weiter

Die Türkei hat am Wochenende sowie am Dienstag und Mittwoch weitere Luftangriffe gegen den überwiegend kurdischen Nordirak geflogen. Am Mittwochmorgen seien unter anderem unbewohnte Dörfer in der Provinz Dohuk bombardiert worden, sagte ein Vertreter der kurdischen Peschmerga-Einheiten im Nordirak, Jabbar Jawa. Es gebe zunächst keine Berichte über mögliche Opfer oder materielle Schäden.

Nach einer Bilanz der Armeeführung hat das türkische Militär allein in der Zeit vom 16. bis 22. Dezember mehr als 200 Ziele im Norden des Nachbarlandes bombardiert und 150 bis 175 Kämpfer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) "außer Gefecht gesetzt". Die Angriffe fanden mehrere Kilometer jenseits der türkisch-irakischen Grenze statt.

Der Ministerpräsident der autonomen kurdischen Region im Nordirak und Führer der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP), Masud Barzani, hat die jüngsten türkischen Luftangriffe gegen angebliche Stützpunkte von Guerillas der PKK verurteilt. Die wiederholten Angriffe im Nordirak seinen nicht hinnehmbar, sagte Barzani am Montag vor Journalisten in Sulaimaniya. "Wir können nicht hinnehmen, dass unsere Dörfer bombardiert und die Bewohner getötet werden", sagte er weiter.

Tatsächlich tut Barzani aber genau das - er nimmt die Bombardierungen widerstandslos hin. Bei jedem neuen Angriff der Türkei sind seine Truppenkommandeure vor allem damit beschäftigt, die türkischen Bombardierungen anschließend herunterzuspielen.

Der Staatspräsident des Irak und Führer der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), Jalal Talabani, verhielt sich türkischen Quellen zufolge noch serviler. Die Website Ntvmsnbc.com zitierte ihn mit den Worten: "Wir anerkennen das Recht der Türkei, sich gegen eine terroristische Organisation zu verteidigen. Wir kennen die Empfindlichkeiten der Türkei. Wir werden nicht schweigen, aber auch nicht den Krieg erklären."

Mit anderen Worten, die irakischen kurdischen Nationalisten protestieren zwar, nehmen aber ansonsten die türkischen Angriffe widerstandslos hin. Die Gründe liegen auf der Hand: Militärisch sind sie der türkischen Armee unterlegen. Zudem ist der Nordirak wirtschaftlich stark auf die Türkei als Investor und Handelspartner angewiesen.

Und auf die Unterstützung der USA, die sich bis vor wenigen Monaten türkischen Angriffen auf den Nordirak noch widersetzt hatten, kann Barzani auch nicht mehr zählen. US-Präsident George W. Bush hatte dem türkischen Premierminister Recep Tayyip Erdogan Anfang November anlässlich eines Washington-Besuches grünes Licht für Militärschläge gegen die Kurden gegeben und logistische Unterstützung versprochen. Die türkische Luftwaffe kann sich jetzt bei ihren Angriffen auf Zielinformationen aus US-Quellen stützen.

Barzani hatte deshalb vor zehn Tagen ein Treffen mit US-Außenministerin Condoleezza Rice boykottiert. Das hat aber weder die USA noch die Türkei beeindruckt, im Gegenteil. Laut einer Meldung von AP vereinbarten Bush und Erdogan am Montag in einem Telefongespräch, dass die Türkei und die USA auch weiterhin zur Bekämpfung der PKK zusammenarbeiten und Geheimdienstinformationen austauschen werden.

Dadurch gestärkt, regierte der türkische Regierungssprecher Cemil Cicek auf die Proteste der kurdischen Regionalregierung im Nordirak mit einer unverhohlenen Drohung: "Wer sich (über die türkischen Angriffe) beschwert, soll die Rebellen im Irak nicht unterstützen. Die Operationen werden weitergehen, bis dieses Übel vernichtet ist."

Die kurdischen Nationalisten im Nordirak gehörten bisher zu den wichtigsten Stützen der amerikanischen Besatzungsmacht im Irak. Die kurdischen Eliten, die in der KDP und der PUK den Ton angeben, erhofften, durch die enge Zusammenarbeit mit den imperialistischen Besatzern ihr Ziel eines unabhängigen oder weitgehend autonomen Kurdenstaats mit dem ölreichen Kirkuk als Hauptstadt verwirklichen zu können. Für die herrschende Elite der Türkei wiederum ist dies inakzeptabel, da ein Kurdenstaat an der östlichen Grenze die separatistischen Tendenzen innerhalb der Türkei stärken würde.

Im Bemühen, den Iran zu isolieren und im Irak verstärkt mit sunnitischen Elementen zu kooperieren, geht die amerikanische Außenpolitik nun auf Distanz zu den irakischen Kurden und wendet sich verstärkt Ankara zu. Die den neokonservativen Elementen und dem Pentagon nahe stehende Washington Times veröffentlichte am 25. Dezember einen Leitartikel, der das ganz unverblümt und mit atemberaubendem Zynismus erklärt.

"Es ist offensichtlich an der Zeit, dass jedermann seine Wahrnehmung mit der Realität abgleicht," schreibt die Washington Times. "Niemand mit gesundem Menschenverstand würde dafür eintreten, dass der Präsident der Vereinigten Staaten amerikanische Leben opfert, um ein halb oder ganz unabhängiges Kurdistan zu schaffen. Aber die Kurden glauben, sie wären privilegierte Partner der Vereinigten Staaten. (...) Die Operation der letzten Woche war ein Signal, dass die Vereinigten Staaten die Botschaft der Türkei laut und deutlich gehört haben. Sie war auch ein Signal, dass die Vereinigten Staaten unzufrieden sind, in eine Lage geraten zu sein, in der sie scheinbar eine terroristische Organisation tolerieren und die irakischen Kurden bevorzugen."

Es ist noch nicht lange her, da diente die Unterdrückung der irakischen Kurden durch das Regime Saddam Husseins mit als Rechtfertigung für den Einmarsch in den Irak. Die angebliche Befreiung Irakisch-Kurdistans war der damaligen Propaganda zufolge sehr wohl ein Grund dafür, "amerikanische Leben zu opfern". Dies vor allem, weil die kurdischen Nationalisten sich den USA eilfertig als Söldner und Kollaborateure anboten, während die "nördliche Route" - ein Einmarsch amerikanischer Bodentruppen in den Irak durch die Türkei - an der Opposition der türkischen Bevölkerung scheiterte.

Nun jedoch hat der kurdische Mohr seine Schuldigkeit getan. Es ist in der Tat Zeit, dass jedermann seine Wahrnehmung mit der Realität abgleicht. Die Befreiung der kurdischen Bevölkerung von Armut und Unterdrückung kann nicht auf der Grundlage einer nationalistischen Perspektive gelingen, die sie von den unterdrückten türkischen und arabischen Massen isoliert. Mit einer solchen Perspektive enden die Kurden immer nur als Bauernopfer im Spiel der Großmächte und der konkurrierenden nationalen Cliquen. Sie müssen sich mit der übrigen Bevölkerung des Nahen und Mittleren Ostens gegen den westlichen Imperialismus und die Regime der Region zusammenschließen, um ihre demokratischen und sozialen Rechte zu verteidigen.

Siehe auch:
Bush gibt Erdogan grünes Licht für Militärschläge gegen Kurden
(10. November 2007)
Türkei bombardiert kurdische Dörfer im Nordirak
(20. Dezember 2007)
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