Österreichs Große Koalition in der Krise

Sozialdemokraten liebäugeln mit der extremen Rechten

Nachdem es in der österreichischen Regierungskoalition seit Monaten zu heftigen Konflikten kommt, wird ein vorzeitiges Ende des Bündnisses von Sozialdemokraten (SPÖ) und der konservativen Volkspartei (ÖVP) immer wahrscheinlicher. Innerhalb der SPÖ ist nun eine Debatte über den Umgang mit der rechtsextremen Freiheitlichen Partei (FPÖ) entbrannt. Teile der sozialdemokratischen Führungsebene favorisieren mittlerweile einen Pakt mit den Ultrarechten.

Mehrere hochrangige Vertreter von SPÖ und ÖVP haben sich für vorzeitige Neuwahlen ausgesprochen. Staatssekretär Lopatka (ÖVP) brachte bereits den 8. Juni als möglichen Termin ins Spiel. "In der derzeitigen Form können wir sicher nicht bis 2010 durchhalten. Dieser Zustand ist überhaupt nicht mehr länger verantwortbar", erklärte er gegenüber dem Wiener Standard.

Zuvor hatten auch Kanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) und die einflussreiche Wiener SPÖ die anhaltenden Konflikte bedauert und mehr oder weniger vorsichtig mit einem Koalitionsbruch gedroht. Während der konservative Vizekanzler Wilhelm Molterer offiziell für eine weitere Zusammenarbeit der beiden großen Parteien eintritt, erklärten die Landeshauptmänner Pühringer und Pröll (beide ÖVP), man könne derzeit "nichts ausschließen".

In den vergangenen Wochen hatten sich die Auseinandersetzungen zwischen SPÖ und ÖVP massiv zugespitzt. Beide Seiten überziehen sich gegenseitig mit der Androhung von Untersuchungsausschüssen zu verschiedenen Skandalen, wie der Euro-Fighter- und der Bawag-Affäre. Diese Ausschüsse sind eine reine Farce, da beide Lager in undurchsichtige Machenschaften verstrickt sind. Das Nachrichtenmagazin Profil zitierte dazu treffend einen SPÖ-Mitarbeiter: "Da wird ein Kieberer den anderen verpfeifen."

Hauptstreitpunkt zwischen den Koalitionspartnern ist die geplante Steuerreform. Gusenbauer und die SPÖ wollen sie bereits 2009 in Kraft treten lassen, während die ÖVP dies erst 2011 - also nach dem offiziellen Termin für die Parlamentswahlen - tun will. Die Reform soll in geringem Umfang auch Steuererleichterungen für Gering- und Normalverdiener beinhalten, wie sie die SPÖ bereits im Wahlkampf 2006 versprochen hatte.

Hier liegt auch die tiefere Ursache des Konflikts. In den achtziger und neunziger Jahren war die Große Koalition in Österreich quasi Normalität. Beide Parteien vertraten etwa dieselbe Politik und der Sozialdemokratie fiel die Aufgabe zu, zusammen mit den Gewerkschaften im Modell der "Sozialpartnerschaft" die Arbeiterklasse zu kontrollieren. Mit den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen der neunziger Jahre wurde dies zunehmend unmöglich. Darauf bildete die ÖVP im Jahr 2000 eine Koalition mit der rechten FPÖ Jörg Haiders. Die SPÖ ging in die Opposition.

Nach sechs Jahren Rechtskoalition war die ÖVP diskreditiert und die FPÖ gespalten und finanziell am Ende. Es gelang der SPÖ unter Gusenbauer trotz erheblicher Verluste wieder stärkste Kraft zu werden. Doch sie enttäuschte ihre Wähler, indem sie eine Koalition mit der ÖVP einging, alle Wahlversprechen, wie die Abschaffung der Studiengebühren oder die Rücknahme des Euro-Fighterkaufs, brach und sich von der ÖVP die Politik diktieren ließ.

Dies beschleunigte den Niedergang der SPÖ ungemein. Eine Welle von Austritten dünnte die Partei immer weiter aus, und die verbleibende Basis wurde immer unzufriedener. Bei den Gemeinderatswahlen in Graz im Februar verlor die SPÖ über sechs Prozent. Sie ist dort mit etwa 19 Prozent nur noch unwesentlich stärker als die Grünen. In den am Sonntag stattfindenden Landtagswahlen in Niederösterreich wird ebenfalls mit starken Verlusten gerechnet.

Während die SPÖ für die unsoziale Regierungspolitik abgestraft wird, kommt die ÖVP als nomineller Juniorpartner in der Öffentlichkeit glimpflich davon, obwohl sie die SPÖ vor sich her treibt. Ein möglichen Bruch der Koalition hätte allerdings keinen Kurswechsel der SPÖ zur Folge. Bundeskanzler Gusenbauer hat mehrmals die im Regierungsprogramm gemachten Zusagen bekräftigt. Auch eine andere Koalition würde keinen grundlegend anderen Kurs einschlagen.

Noch bis zu den letzten Parlamentswahlen galten die Grünen als angestrebter Partner der SPÖ. Doch der allgemeine Rechtsruck im gesamten politischen Establishment der Alpenrepublik hat die Karten neu gemischt. Mittlerweile haben sich die Grünen weitgehend auf die ÖVP ausgerichtet. Nachdem bereits seit geraumer Zeit in Oberösterreich und in Bregenz Schwarz-grüne Bündnisse existieren, bilden nun auch im ehemals von der SPÖ und KPÖ dominierten Graz Grüne und Volkspartei eine Koalition. Der ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl sieht darin, wie viele Parteikollegen, "eine neue Option in Land und Bund".

Unter diesen Umständen orientiert sich die SPÖ auf den rechten Rand. Während Gusenbauer der Frage nach einer möglichen Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen noch offiziell aus dem Wege geht, signalisierten andere SPÖ-Größen bereits den Willen, mit der Partei von Heinz-Christian Strache in Zukunft Bündnisse einzugehen.

Der Vorsitzende der Vorarlberger SPÖ Michael Ritsch erklärte, man solle sich "keiner Option verschließen". "Für die Landtagswahl 2009 sowie die Gemeindewahlen 2010 lasse ich mir die Option einer Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen offen", betonte Ritsch. Und der Landesgeschäftsführer der steirischen Sozialdemokraten Toni Vulkan gab sich "offen für Gespräche mit allen Parteien, die demokratisch gewählt wurden".

Nationalratspräsidentin Barbara Prammer erklärte, man müsse nach den nächsten Wahlen das Verhältnis zur FPÖ "neu bewerten". In internen Gesprächen mit Strache soll SPÖ-Klubobmann Josef Cap bereits konkrete Möglichkeiten der Zusammenarbeit ausloten.

Entsprechend fordern immer mehr SPÖ-Politiker, den so genannten "Anti-FPÖ-Beschluss" von 2004 abzuschaffen. Darin hatte der Parteitag jede Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen ausgeschlossen. Dieser Beschluss war im Grunde von Anfang an Makulatur, den im selben Jahr ging die Kärntner SPÖ auf Landesebene eine Zusammenarbeit mit Jörg Haider ein. Nun soll aber auch formal jede Hürde aus dem Weg geräumt werden. SPÖ-Sicherheitssprecher Rudolf Parnigoni äußerte sich dahingehend: "Kein Beschluss währt ewig. Ob wir ihn ändern, werden wir beim nächsten Parteitag diskutieren."

Auch Teile der Gewerkschaften schwenken auf diesen Kurs ein. Gewerkschaftsfunktionär Josef Muchitsch erklärte gegenüber dem Standard : "Wenn wir in Zukunft mehr Optionen haben wollen, dann ist dieser Beschluss nicht mehr zeitgemäß." Die Zusammenarbeit mit der FPÖ auf Gemeindeebenen funktioniere gut. "Warum sollte das auf anderen Ebenen nicht auch möglich sein?"

SPÖ-Verfassungssprecher Peter Wittmann findet sogar, dass innerhalb der FPÖ "ein Wandel stattfindet". Wie dieser Wandel aussieht war in den letzten Wochen gut zu erkennen. Der FPÖ-Wahlkampf in Graz war eine anti-islamische Hetzkampagne. Mit Slogans wie "Daham statt Islam" schürte die Partei massiv ausländerfeindliche Stimmungen. Gerade seit der Spaltung mit dem Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ), dem viele "gemäßigte" ehemalige FPÖ-Mitglieder beigetreten sind, wird die FPÖ noch stärker von Rechtsextremen und offen faschistischen Kräften dominiert.

Die FPÖ ihrerseits zeigte sich offen für eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten. Die angestrebte Arbeitsteilung ist recht klar. Ein Regierungsbündnis aus SPÖ und FPÖ würde auf der einen Seite versuchen, die wachsenden Ängste und Sorgen der Bevölkerung in nationalistische Stimmungen ummünzen, während die Sozialdemokraten mit Hilfe der Gewerkschaften den sozialen Protest unter Kontrolle halten.

Hatte die SPÖ 1999 die ÖVP noch scharf dafür verurteilt, die damalige Haider-Partei in die Regierung einzubinden, so sind sie es heute selbst, die der extremen Rechten zu neuem Einfluss verhelfen und die reaktionärsten Kräfte stärken. Deutlicher könnte sich die Verkommenheit dieser Partei kaum äußern.

Siehe auch:
Hundert Tage Große Koalition in Österreich
(21. April 2007)
Große Koalition in Österreich: Komplott der Wahlverlierer
( 16. Januar 2007)
Koalitionsverhandlungen in Österreich: Der Wahlverlierer gibt den Ton an
( 21. Oktober 2006)
Die Bawag-Affäre und die Fäulnis der österreichischen Gewerkschaften
( 31. Mai 2006)
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