Schatten von 1929: die globalen Auswirkungen der US-Bankenkrise

Teil 3

Dies ist der abschließende Teil eines Vortrags, den Nick Beams, der Nationale Sekretär der australischen Socialist Equality Party (SEP) und Mitglied der internationalen Redaktion der World Socialist Web Site, auf öffentlichen Versammlungen am 9. und 15. April in Sydney und Melbourne hielt. Teil 1 und 2 erschienen am 27. und 28. Mai. Beams, eine internationale Autorität auf dem Gebiet der marxistischen politischen Ökonomie, schreibt für die WSWS regelmäßig Artikel und Analysen zur Globalisierung und politischen Ökonomie.

Welche Auswirkungen hat diese Wirtschafts- und Finanzkrise?

In der Erklärung der Redaktion der World Socialist Web Site vom 18. März argumentierten wir, dass der Kern der politischen Aufgaben, vor denen die Arbeiterklasse steht, der Kampf für ein internationales sozialistisches Programm sei, "dessen Ziel darin besteht, die Unterordnung der Wirtschaft unter die Diktate des privaten Profits zu beenden. Es strebt an, den enormen Reichtum, der durch die Hände der arbeitenden Bevölkerung in aller Welt geschaffen wird, zum Nutzen aller einzusetzen."

Waren das nur stereotype Phrasen? Kann man das Finanzsystem denn nicht sofort mit praktischen Maßnahmen reformieren, die wir unterstützen sollten?

Sehen wir uns die infrage kommenden Vorschläge an. Einige schlagen neue Vorschriften vor, um die raffgierigen Verhaltensweisen einzudämmen, die zum momentanen Desaster geführt haben. Haben wir das nicht schon einmal irgendwo gehört? Wurde dies etwa nicht nach dem Zusammenbruch von Enron und WorldCom gegen Ende der 1990er Jahre vorgeschlagen? Und was ist dabei herausgekommen? Das kriminelle Verhalten, mit dem man diese beiden und andere Firmen gleichsetzte, wurde einfach nur in weit größerem Maßstab praktiziert.

Der Kongress erließ 2002 den Sarbanes-Oxley Act. Bush setzte das Gesetz am 30. Juli 2002 in Kraft und behauptete, es stelle "die weitestreichende Reform der Vorschriften für die Finanzberichterstattung von börsennotierten Unternehmen in Amerika seit der Regierungszeit von D. Roosevelt dar".

Von Beginn an stand dieses Gesetz allerdings unter Beschuss, weil strengere amerikanische Bestimmungen die Wall Street als Finanzzentrum gegenüber London benachteiligten. Die jüngsten Regulierungsvorschläge von Finanzminister Henry Paulson zielen denn auch mehr darauf ab, die Kontrolle über das Finanzsystem zu schwächen als sie zu stärken. Mit anderen Worten: Unter Bedingungen eines globalen Finanzmarktes, auf dem ein immer schärferer Konkurrenzkampf zwischen den einzelnen nationalen Märkten herrscht, ist Regulierung pure Illusion.

Hinzu kommt, dass eine Finanzkrise an sich Regulierungsbestimmungen zur Wirkungslosigkeit verurteilt. Wir erwähnten bereits die Äußerung des Vorsitzenden der Börsenaufsicht, Cox, dass die Bear Stearns-Bank alle aufsichtsrechtlichen Normen erfüllt habe. Das war sicherlich der Fall. Doch erwiesen sich diese Normen als völlig nutzlos. Der Grund hierfür ist der irrationale Charakter des Marktes selbst, der an den Eigeninteressen riesiger Finanzinstitutionen ausgerichtet ist.

Im Innersten des Marktes wirkt ein fundamentaler Widerspruch, den auch noch so viele Vorschriften nicht beseitigen können - der Widerspruch zwischen dem rationalen Verhalten Einzelner und dem System als Ganzem.

Überschuldeten Personen oder Unternehmen stehen drei Wege offen: Ausgaben einschränken, Vermögenswerte veräußern oder Insolvenz anmelden. Wenn zu viele die Ausgaben senken, resultiert daraus ein Konjunkturabschwung, der weitere Probleme verursacht. Werden zu viele Vermögenswerte verkauft, verlieren sie noch weiter an Wert, und der Druck zu verkaufen, ehe der Preis noch mal fällt, wird daher noch stärker. Und wenn zu viele Insolvenz anmelden, trifft es die Makler, die Versicherungen verkaufen. Auch wenn es aus der Sicht des Einzelnen also völlig vernünftig sein mag, eine dieser Möglichkeiten zu wählen, so verschlimmern die Konsequenzen eher die Gesamtsituation.

Timothy Geithner, Vorsitzender der New Yorker Federal Reserve Bank, legte in einer Rede am 6. März dar, wie sich dieser Widerspruch entfaltet:

"Den gegenwärtigen Ereignissen eignet eine wesentliche Dynamik, die sie mit allen Krisen der Vergangenheit gemeinsam haben. Wenn die Marktteilnehmer das Risiko weiterer Verluste zu reduzieren suchten, auf die Bremse traten, dann wurde die Bremse zum Gaspedal und hat den Schock noch verstärkt. Kalkuliertes Risiko wich einer immer größeren Risikobereitschaft, schneller, als viele Institute die Risiken eindämmen konnten, und die Versuche, sie zu reduzieren, haben die Instabilität erhöht und den Verfall der Preise beschleunigt, und damit die Risiken gesteigert. Die Unsicherheit hinsichtlich des Marktwertes von Sicherheiten und des Risikos von Geschäftspartnern hat zugenommen, und viele Hedge-Fonds haben nicht die angestrebten Ziele erreicht. Die rationalen Entscheidungen selbst der stärksten Finanzinstitutionen zur Verminderung des Risikos künftiger Verluste haben das Funktionieren des Marktes in schwerwiegender Weise beeinträchtigt. Dies wiederum hat die Liquiditätsprobleme sehr vieler Banken und anderer Finanzinstitutionen verschärft."

Anders ausgedrückt: Was für das einzelne Finanzinstitut rational ist, kann zu verheerenden Konsequenzen führen.

Geithner fuhr fort: "Diese sich selbst verstärkende Dynamik auf den Finanzmärkten hat die Risiken für einen Wachstumseinbruch der Wirtschaft erhöht, die sich bereits einem sehr ausgeprägten Abwärtstrend auf dem Immobilienmarkt und der Möglichkeit deutlicher Ausgabeneinschränkungen der privaten Haushalte ausgesetzt sieht."

Weil die Banken verstärkt mit verlustträchtigen Vermögenswerten belastet sind, tendieren sie oder ihre SIVs (structured investment vehicles - Zweckgesellschaften, die die Banken selbst als Vehikel für ihre lukrativen Geschäfte mit schlecht besicherten Papieren gegründet hatten), dazu, sie zu verkaufen, um ihr Verlustrisiko zu verringern und ihre Geldbestände zu erhöhen. Daraus resultiert aber ein Preisverfall dieser finanziellen Vermögenswerte, was zur Schwächung anderer Institute beiträgt, die sie in ihrem Portfolio haben. Die Folge ist eine weitere Schwächung der Position von Banken und anderen Finanzinstituten, die von den anfänglichen Problemen vielleicht gar nicht betroffen waren. Sie hatten den Typ von Vermögenswerten, die anfänglich betroffen waren, vielleicht gar nicht in ihrem Portfolio.

Northern Rock, die zusammengebrochene britische Bank, hatte mit den amerikanischen Subprime-Hypothekenkrediten nichts zu tun. Doch sie hing sehr stark vom Markt für kurzfristige Kredite für die Fonds ab, die sie nutzte, um Hypothekenkredite zu finanzieren. Als die Zinssätze in diesem Markt zu steigen begannen, erlitt die Bank Schiffbruch. Bei dieser "sich selbst verstärkenden Dynamik", wie Geithner es nennt, geht es um riesige Geldsummen, Summen, die manchmal die Größenordnung von Volkswirtschaften in den Schatten stellen. Für ein Finanzinstitut, das durch risikobehaftete Vermögenswerte in Schwierigkeiten gerät, ist es völlig vernünftig, sie zu verkaufen. Dieses rationale Verhalten kann aber zu einer ganzen Serie erzwungener Verkäufe führen und schließlich in einer schweren Finanzkrise und wirtschaftlichem Zusammenbruch enden.

Das Leben von Millionen von Menschen, ihr Wohlergehen und die künftige Ausbildung ihrer Kinder werden von der Funktionsweise eines Systems beherrscht, über das sie keine Kontrolle haben, und das niemand wirklich kontrollieren kann. Das heißt, rationales Marktverhalten einer Bank oder eines Finanzinstitutes produziert auf gesellschaftlicher Ebene irrationale und krankhafte Zustände, die durch keine Vorschriften geheilt werden können, sondern nur durch die Abschaffung der Finanzmärkte. An ihre Stelle muss ein System gesellschaftlicher Kontrolle über den Reichtum und das Vermögen treten, die durch die Gesellschaft als Ganzes geschaffen werden.

Sozialistische Revolution

Die Perspektive der sozialistischen Revolution gründet sich auf objektive Prozesse in der geschichtlichen Entwicklung des Kapitalismus. Die gegenwärtige internationale Finanzkrise eröffnet ein neues Kapitel dieser Geschichte.

Um seine Bedeutung zu verstehen, wollen wir es in seinen Zusammenhang stellen. 1919, nach der russischen Revolution, kommentierte Leo Trotzki den Umstand, dass sich die Presse damals stark mit Lenin, dem Führer der Revolution, und Woodrow Wilson, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten beschäftigte. Wilson war nach Europa gekommen, um die Ausbreitung der Revolution im restlichen Europa zu verhindern. "Lenin und Wilson", schrieb Trotzki, "das sind die beiden apokalyptischen Grundprinzipien der modernen Geschichte."

Welches Prinzip würde den Sieg davontragen? Heute kennen wir die Antwort auf diese Frage. Unter größten Schwierigkeiten, und angewiesen auf die Hilfe der sozialdemokratischen und stalinistischen Führungen, die die Arbeiterklasse verrieten, konnten die USA nach drei Jahrzehnten blutigen Krieges, von Depression, Faschismus und dem Tod von zig Millionen Menschen das kapitalistische Weltsystem wieder stabilisieren.

Ökonomisch fußte dieses Gleichgewicht auf der Stärke des amerikanischen Kapitalismus. Jetzt erleben wir eine Krise - die schwerste seit den 1930er Jahren -, die den amerikanischen Kapitalismus ins Mark trifft.

Diese Krise markiert das Ende einer ganzen historischen Ära. Jahrzehntelang stabilisierten die USA den Weltkapitalismus. Heute sind sie die große destabilisierende Kraft. Der Aufstieg der amerikanischen Wirtschaftsmacht änderte den Lauf der Weltgeschichte, ihr Niedergang wird noch viel weiter reichende Konsequenzen haben.

Dieser Niedergang hat schon vor Jahrzehnten begonnen. In den 1980er Jahren versuchten die USA, die erste Phase des Niedergangs durch einen umfangreichen Restrukturierungsprozess zu bewältigen. Doch gerade die Prozesse, die sie damals ins Rollen brachten, haben jetzt eine Krise von noch größeren Ausmaßen hervorgerufen.

Alle Fragen, mit denen die Arbeiterklasse in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts konfrontiert war, und die Millionen von Arbeitern, Jugendlichen und sozialistisch gesinnten Intellektuellen den Kampf für den internationalen Sozialismus aufnehmen ließen, stellen sich heute erneut mit noch größerer Dringlichkeit. Es ist nicht nur die Gefahr einer weltweiten Wirtschaftskrise, wenn nicht einer Depression, der wir gegenüberstehen; die zunehmenden ökonomischen Spannungen zwischen den großen kapitalistischen Mächten, ein Produkt des Niedergangs der USA, verschärfen zwangsläufig die Kriegsgefahr.

Während der letzten 35 Jahre hat die Weltwirtschaft auf der Grundlage des US-Dollars als wichtigster Weltreservewährung funktioniert. Daraus erwuchsen den USA größte Vorteile. Der Niedergang des Dollars jedoch bedeutet, dass die USA ihre Vorherrschaft künftig von neuen Herausforderungen bedroht sehen werden. Nicht schlechte Absichten von irgendeiner Seite sind dafür ursächlich, sondern die Logik ökonomischer Prozesse. Wie lange kann die restliche kapitalistische Welt - die alten Mächte in Europa und Japan, im Verbund mit den neuen aufsteigenden Mächten China und Indien, und den Öl exportierenden Länder des Nahen Ostens - die USA weiterhin mit zwei Mrd. Dollar täglich finanzieren, und damit große Summen in amerikanische Schuldtitel stecken, die ständig an Wert einbüßen?

Natürlich haben alle kapitalistischen Mächte ein Interesse an der Bewahrung globaler Stabilität - niemand will eine Krise provozieren. An einem bestimmten Punkt allerdings werden die Kosten der Aufrechterhaltung dieses Systems untragbar.

Wie werden die USA dann reagieren? Die Antwort darauf sehen wir im Irak. Die USA werden ihre Stellung mit militärischen Mitteln zu verteidigen suchen.

Abermals steht die gesamte Menschheit vor Depression und Krieg. Nur der Kampf für ein internationales sozialistisches Programm kann dieser Drohung Einhalt gebieten. Darin besteht die Perspektive der SEP und des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

Ende

Siehe auch:
Schatten von 1929 - Teil 1
(27. Mai 2008)
Schatten von 1929 - Teil 2
(28. Mai 2008)
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