Eine politische Bilanz des Streiks bei den Berliner Verkehrsbetrieben

Der fast zweimonatige Streik bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) hat in einer herben Niederlage geendet. 85 Prozent der Belegschaft, die so genannten Altbeschäftigten, erhalten im laufenden Jahr etwa 2,7 Prozent Lohnzuwachs und im nächsten Jahr noch einmal 1 Prozent ab August, im Jahresmittel also gut 0,4 Prozent. Im Durchschnitt ergibt das eine jährliche Lohnsteigerung von weniger als 1,6 Prozent. Bei einer galoppierenden Inflation von mindestens 3 Prozent, die bei Lebensmittel- und Energiepreisen noch deutlich höher ausfällt, bedeutet dieses Ergebnis eine massive Reallohnsenkung. Die Neubeschäftigten, die ohnehin schon ein Drittel weniger verdienen als ihre Kollegen, erhalten einen geringfügig höheren Ausgleich.

Der Abschluss hat eine weit über die Verkehrbetriebe und die Berliner Stadtgrenzen hinausweisende Bedeutung. In Zusammenarbeit mit Verdi ist es dem rot-roten Senat gelungen, eine besonders kampfbereite und wütende Belegschaft zu isolieren und ihr eine massive Reallohnkürzung aufzuzwingen. Es ist daher dringend geboten, eine politische Bilanz der Ereignisse zu ziehen, um die Lehren daraus zu diskutieren und weitere Niederlagen abzuwenden.

Der Streik war von Anfang an mehr als eine bloße Tarifauseinandersetzung. In seinem Wesen richtete er sich gegen ein Gesellschaftsprinzip, das niemand so vehement vertritt, wie der Berliner Senat: Alle gesellschaftlichen Bereiche und das Leben von Millionen Menschen werden dem Profitstreben einer kleinen Minderheit untergeordnet.

Eine der ersten Amtshandlungen der rot-roten Regierung war 2001 die Übernahme einer Landesbürgschaft für die Berliner Bankgesellschaft in Höhe von 21,6 Mrd. Euro. Das Geld wurde dann durch wahre Kürzungsorgien wieder eingespielt: 2001 begann der Abbau von 15.000 Stellen im öffentlichen Dienst. Zum Ausgleich wurden 34.000 Ein-Euro-Jobs geschaffen, die oft reguläre Arbeitsplätze ersetzen. Dem Austritt aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband folgte eine zehnprozentige Lohnkürzung bei den öffentlich Beschäftigten. Die Beihilfen für die Universitäten wurden um 75 Millionen Euro gekürzt, und schließlich verkaufte die Stadt 65.000 Wohnungen an den US-Investor Cerberus. Die Liste ließe sich beliebig verlängern.

Bei der BVG waren die Kürzungen besonders heftig. Während die Fahrpreise kontinuierlich stiegen, wurden die Arbeitsbedingungen immer schlechter und die Löhne massiv gesenkt. Betrugen die Personalkosten 1997 noch 885 Millionen Euro, sind sie mittlerweile auf 482 Millionen Euro zusammengeschmolzen. Vor drei Jahren führten Linkspartei und SPD in direkter Zusammenarbeit mit Verdi und deren Chef Frank Bsirske in der BVG den Spartentarifvertrag Nahverkehr (TV-N) ein. Der Tarifvertrag, der nur mit schmutzigen Tricks gegen die Beschäftigten durchgesetzt werden konnte, beinhaltete Gehaltskürzungen von bis zu 12 Prozent.

Die Unzufriedenheit der Beschäftigten mit ihrem immer weiter sinkenden Lebensstandard und der verheerenden Politik Verdis war der Ausgangspunkt der Tarifauseinandersetzung dieses Jahres. Die Arbeiter waren schlichtweg nicht mehr bereit, sich von der Gewerkschaft einen Reallohnverlust nach dem anderen verschreiben zu lassen. Zahlreiche Kollegen bezeichneten die Tarifauseinandersetzung als Verdis letzte Chance. Mindestens 500 BVG- Mitarbeiter waren bereits zur Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) übergetreten.

Während des Tarifkampfs gab es dann immer wieder Aktionen, die sich der Kontrolle der Gewerkschaft entzogen. Am 10. April führten 700 Tramfahrer ohne das Wissen Verdis einen Spontanstreik durch, und am 24. April besetzten wütende Arbeiter die Zufahrten zu sechs Busdepots. Kollegen aus dem Betriebshof Müllerstraße führten eine spontane Demonstration durch, die von Verdi scharf angegangen wurde.

Die Rolle Verdis bestand von Anfang an darin, die Kampfbereitschaft der Belegschaft zu untergraben und die Vorgaben des Senats gegen die Beschäftigten durchzusetzen. Zum Streik rief die Gewerkschaft nur auf, weil sie bangen musste, ansonsten die Kontrolle über die Bewegung vollständig zu verlieren. Sie setzte alles daran, die Arbeitskampfmaßnahmen so wirkungslos wie möglich zu gestalten und den Streik auf rein ökonomische Fragen zu beschränken.

Nachdem sich bei der Urabstimmung Ende Februar 96,9 Prozent der Mitglieder für einen Streik ausgesprochen hatten und der Senat zugleich eine Provokation nach der anderen lancierte, sah sich Verdi gezwungen, Luft abzulassen und einen Vollstreik auszurufen. Sie forderte bis zu zwölf Prozent mehr Lohn, mindestens jedoch 250 Euro mehr für jeden Beschäftigten. Gleichzeitig weigerte sie sich, irgendwelche Proteste, Öffentlichkeitsarbeit oder Ähnliches zu organisieren. Während des gesamten Streiks gab es keine einzige Demonstration vor dem Roten Rathaus oder den Parteizentralen von SPD und Linkspartei.

Außerdem wurde der Streik fein säuberlich von allen weiteren Lohnkämpfen und sozialen Bewegungen getrennt. Es war schon eine logistische Höchstleistung der Gewerkschaft, bei so vielen Tarifauseinandersetzungen dafür zu sorgen, dass nie mehr als ein Teil der Mitgliedschaft gleichzeitig im Streik stand. Erst als die Beschäftigten des Bundes ihre Tarifauseinandersetzung beendet hatten, streikte die BVG, und erst nach dem Abschluss des Arbeitskampfs bei der BVG leitete Verdi Streikmaßnahmen der übrigen Landesbediensteten ein.

Parallel zu den Tarifauseinandersetzungen im öffentlichen Dienst entwickelten sich in Berlin zahlreiche Initiativen gegen die Kürzungspolitik des rot-roten Senats. In den letzten Monaten protestierten Schüler, Studenten, Gegner der Privatisierung der Wasserbetriebe und viele andere mehr. Die große Unterstützung, auf die der Streik der BVG-Arbeiter in der Bevölkerung stieß, lässt sich direkt auf die verbreitete Opposition gegen den rot-roten Senat zurückführen. Aber Verdi setze all ihre Kräfte ein, um eine ernsthafte Bewegung gegen den Senat zu verhindern.

Nach zwölf Tagen brach Verdi den Streik dann ohne jedes Entgegenkommen des Senats ab. Gleichzeitig schraubte sie die Tarifforderung von zwölf auf drei bis neun Prozent herunter und ließ die Minimalforderung von 250 Euro für jeden Mitarbeiter ganz fallen. Auf dieser Grundlage begann sie offizielle Verhandlungen mit dem Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV), in deren Verlauf man sich auf eine Erhöhung der Personalkosten um 25,8 Millionen Euro einigte. Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD), der sich der Unterstützung durch Verdi längst sicher war, lehnte dieses Ergebnis ab. Die Kosten dürften nicht mehr als 25 Millionen steigen, ließ er verlauten. Nachdem sich Verdi auf die Forderung nach 23 Millionen herunter begeben hatte, verkündete der Finanzminister, dies sei immer noch zu viel. Das endgültige Ergebnis liegt noch einmal deutlich tiefer.

Da Verdi wusste, dass das Verhandlungsergebnis auf den massiven Widerstand der Belegschaft stoßen würde, verbreitete sie offene Lügen über den Abschluss. Es gebe eine durchschnittliche Lohnerhöhung von 4,6 Prozent, ließ die Gewerkschaft verbreiten. Diese Zahl ergebe sich aus dem Mittel von 6,1 Prozent für Neueingestellte und 2,5 Prozent für die Altbeschäftigten. In Wirklichkeit ist das Verhältnis von Alt- und Neubeschäftigten aber nicht 50 zu 50, sondern etwa 85 zu 15. Die Mehrheit der Belegschaft muss sich mit einer Lohnerhöhung weit unter der Inflationsrate zufrieden geben.

Auch die Behauptung der Gewerkschaft, jeder Beschäftigte erhalte zusätzlich eine Einmalzahlung von 500 Euro, entpuppte sich als Taschenspielertrick. Tatsächlich ist an dieser Zahlung nichts "zusätzlich". Mit den 500 Euro wird der tariflose Zeitraum von Januar bis Juli abgedeckt, für den die Lohnerhöhung laut Abschluss nicht gilt. Alles in allem schummelte Verdi eine jährliche Lohnerhöhung von ein bis zwei Prozent auf "4,6 Prozent plus 500 Euro" hoch.

Trotz dieser massiven Kampagne sprachen sich 65,7 Prozent der Verdi-Mitglieder bei der Urabstimmung für eine Fortsetzung des Streiks aus. Die Gewerkschaftsführung missachtete dieses deutliche Votum jedoch und erklärte die Tarifauseinandersetzung gegen den mehrheitlichen Willen der Beschäftigten für beendet.

Die Verwandlung der Gewerkschaften

Der Ausverkauf, den Verdi nun zum wiederholten Mal bei der BVG organisiert hat, war so offensichtlich, dass selbst die linken Verteidiger der Gewerkschaft, wie die Tageszeitung Junge Welt oder die Sozialistische Alternative Voran (SAV) von einer "hausgemachten Niederlage" sprechen mussten. Sie werfen der Verdi-Führung vor, sie sei "konzeptlos" vorgegangen und habe nicht genug Druck auf den unnachgiebigen Senat ausgeübt.

Diese vermeintliche Kritik ist Augenwischerei. In Wirklichkeit hat Verdi von Anfang an direkt mit dem Senat zusammengearbeitet, um den Widerstand der Arbeiter zu brechen. Es fanden nicht nur ständig Geheimverhandlungen zwischen Vertretern des KAV bzw. des Senats und Verdi statt, Regierung und Gewerkschaft sind auch aufs engste miteinander verflochten. Die Mehrheit der Verdi-Funktionäre ist gleichzeitig Mitglied in einer der beiden Regierungsparteien, und andersherum war der Personalchef der BVG, Lothar Zweiniger, selbst lange Jahre bei Verdi beschäftigt. Schon 2005 waren die massiven Lohnkürzungen von Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei) und Verdi-Chef Bsirske persönlich während eines "Waldspaziergangs" vereinbart worden.

Doch die personellen Überschneidungen erklären die enge Partnerschaft zwischen Verdi und Senat nicht hinreichend. Sie sind selbst nur Ausdruck tiefer liegender Tendenzen. Seit den 80er Jahren waren die Gewerkschaften in keinem Land der Welt mehr in der Lage, ernsthafte Verbesserungen für die Arbeiter durchzusetzen. Stattdessen haben sie sich an Lohnkürzungen, Massenentlassungen und Sozialabbau beteiligt. Die enorme soziale Polarisierung, die derzeit international zu beobachten ist, wäre ohne die aktive Mithilfe der Gewerkschaftsbürokraten nicht möglich gewesen.

Die Verwandlung der Gewerkschaften erklärt sich aus tief greifenden ökonomischen Veränderungen. Das Wiedererstarken des Militarismus, die anhaltende Hypothekenkrise und die drohende globale Rezession zeigen, wie weit die Krise des Kapitalismus bereits fortgeschritten ist. Die soziale Polarisierung wird durch die horrende Inflation bei Lebensmitteln und Energieträgern noch einmal gravierend verschärft.

Unter diesen zugespitzten Bedingungen ist eine rein gewerkschaftliche Perspektive zum Scheitern verurteilt. Jeder Kampf zwischen Arbeitern und Unternehmen wird seinem Wesen nach zu einer politischen Auseinandersetzung. Es geht um die Frage, ob das Prinzip der Profitmaximierung oder die rationale Planung der Wirtschaft im Interesse der Menschen die Gesellschaft bestimmt. Weil Gewerkschaften darauf ausgerichtet sind, den Preis der Arbeitskraft im Rahmen kapitalistischer Verhältnisse zu erhöhen, schlagen sie sich in Zeiten der Krise auf die Seite des Kapitals. Das war in Deutschland 1914 der Fall, als die Gewerkschaften den Ersten Weltkrieg unterstützten und einen Burgfrieden vereinbarten, und 1933, als sie - vergeblich - den Ausgleich mit Hitler suchten und am 1. Mai unter Hakenkreuzfahnen demonstrierten.

Heute hat die Globalisierung der Produktion der nationalen Regulierung des Marktes weitgehend den Boden entzogen. Arbeiter sind direkt darauf angewiesen, gemeinsam mit ihren Kollegen in anderen Ländern für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen, weil Unternehmen die Produktion kurzfristig über alle Ländergrenzen hinweg verlagern können.

Demgegenüber sind die Gewerkschaften ihrem ganzen Wesen nach eng mit dem Nationalstaat verbunden. Ihr Ziel war es, den Arbeitern ein größeres Stück vom nationalen Kuchen zukommen zu lassen und so den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit zu mildern. In dem Maße, wie der nationale Rahmen an Bedeutung verlor, rückten die Gewerkschaftsbürokraten näher an den Staat heran. Statt der Rechte der Arbeiter verteidigen sie nun den "Standort Deutschland" und begeben sich damit in die endlose Abwärtsspirale des internationalen Sozialabbaus.

Die Globalisierung ist schon längst beim öffentlichen oder ehemals öffentlichen Dienst, wie dem Nahverkehr, angekommen. Die Konzerne reagieren auf die Krise des Kapitalismus, indem sie jeden Bereich des gesellschaftlichen Lebens dem Prinzip der Profitmaximierung unterordnen. Schon im EG Vertrag ist in Artikel 86 geregelt, dass auch im Bereich öffentlicher Dienste staatliche und private Anbieter prinzipiell gleich behandelt werden müssen. Dadurch sind die öffentlichen Anbieter den gleichen Marktgesetzen unterworfen wie die privaten und müssen in gleichem Maße dem internationalen Wettbewerb folgen.

Zunächst waren in dem Artikel aber noch einige Ausnahmen zugelassen. 1991 wurden dann mit der Neufassung der Verordnung 1191/69 neue Regeln für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) festgelegt. Öffentliche Auftraggeber sind seither verpflichtet, Dienstleistungen, die staatlich subventioniert werden, auszuschreiben und an den günstigsten Anbieter zu vergeben. Im Juli 2003 konkretisierte der Europäische Gerichtshof schließlich, dass davon nur dann Ausnahmen erlaubt sind, wenn Bund, Land oder Kommunen direkter Arbeitgeber der Beschäftigten sind.

Der Berliner Senat hat mit der Umstrukturierung der BVG - etwa der Ausgliederung der Firma Berlin Transport (BT) - dafür gesorgt, dass er nicht mehr direkter Arbeitgeber aller BVG-Beschäftigten ist, und die Privatisierung vorbereitet. Nun argumentiert Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD), die BVG müsse wettbewerbsfähig bleiben, damit sie nicht privatisiert werden müsse. Der rot-rote Senat setzt sich einmal mehr an die Spitze einer Entwicklung, die alle gesellschaftlichen Bereiche dem Profitstreben der privaten Kapitalbesitzer unterordnet. Die Gewerkschaften sind dabei ihre Bündnispartner.

Die linken Verteidiger der Gewerkschaft blenden diese Zusammenhänge völlig aus. Sie schreiben in ihren Publikationen, der Verdi-Führung fehle es lediglich an Militanz und Durchhaltevermögen. Damit schieben sie die Verantwortung für die Niederlage letztendlich auf die Arbeiter selbst. Sie rufen die Arbeiter auf, Mitglied bei Verdi zu bleiben und sie in eine kämpferische Gewerkschaft zu verwandeln.

Die Arbeiter selbst sind da wesentlich weiter und wenden Verdi zu Tausenden den Rücken zu. Die GDL hat regen Zulauf. Der Wechsel zu einer anderen Gewerkschaft ist allerdings keine Lösung. Die Lokführergewerkschaft war der BVG-Belegschaft schon zu Beginn des Streiks in den Rücken gefallen. Indem sie sich in letzter Minute dem Druck der Bahn beugte und den Lokführerstreik abbrach, sorgte sie dafür, dass die Berliner S-Bahnen an dem Tag wieder fuhren, an dem U-Bahn- und Bus-Fahrer die Arbeit niederlegten. Während des BVG-Streiks hat die GDL-Spitze dann lediglich die Streiktaktik Verdis kritisiert und ausgerechnet den Vollstreik abgelehnt.

Politischer Kampf

Es ist nötig, die Lehren aus dem Fiasko bei der BVG ziehen, mit den bürokratischen Gewerkschaftsapparaten zu brechen und sich auf eine politische Auseinandersetzung vorzubereiten.

Die Niederlage bei der BVG reiht sich in eine lange Folge von Angriffen auf die Arbeiter im Weltmaßstab ein. Der globalen Integration der Konzerne müssen Arbeiter ihre eigene internationale Strategie entgegensetzen. Es reicht nicht aus, die Militanz zu erhöhen oder andere Gewerkschaften zu unterstützen. Notwendig ist eine sozialistische Perspektive, die das kapitalistische System selbst in Frage stellt und für eine rationale Planung der Wirtschaft im Interesse der Menschen kämpft. Nur so kann der ständig wachsenden sozialen Polarisierung wirksam entgegen getreten werden.

Diesen Standpunkt haben die World Socialist Web Site und die Partei für Soziale Gleichheit (PSG) während des Streiks bei der BVG eingenommen. In einem Flugblatt vom 15. Mai riefen wir dazu auf, mit Verdi zu brechen und den Streik zum Ausgangspunkt einer politischen Bewegung gegen den rot-roten Senat zu machen:

"Die weit verbreitete Opposition gegen den Abschluss kann und muss in eine bewusste Bewegung verwandelt werden, die darauf abzielt, die gewerkschaftliche Zwangsjacke zu sprengen und daraus auszubrechen", heißt es in dem Flugblatt. Es schlug die Einberufung außerordentlicher Mitarbeiterversammlungen vor, die der Verdi-Tarifkommission das Mandat entziehen und aus den Reihen der Belegschaft eine neue zuverlässige Streikleitung wählen.

Der Widerstand gegen den Verdi-Ausverkauf bei der BVG müsse damit verbunden werden, "den Streik aus den engen gewerkschaftlichen Grenzen zu lösen und zum Zentrum einer breiten Bewegung gegen den Senat zu machen", heißt es in dem Flugblatt weiter. "Das stellt politische Anforderungen und erfordert ein politisches Programm, das SPD und Linkspartei diametral entgegensteht. Beide Senatsparteien, denen auch die Mehrheit der Verdi-Funktionäre angehört, sind Teil einer herrschenden Elite, die entschlossen ist, ihr kapitalistisches System auf Kosten der Bevölkerung zu retten. Der Kampf dagegen erfordert den Aufbau einer neuen Partei, die nicht um Almosen bettelt, sondern den Kapitalismus durch ein System ersetzt, in dem die Wirtschaft den Bedürfnissen der arbeitenden Bevölkerung dient und nicht den Profitinteressen einer Finanzoligarchie und der Habgier von Konzernchefs, Politikern und Gewerkschaftsbürokraten."

Auf die Intervention von WSWS und PSG reagierte Verdi äußerst aggressiv. Streikleiter versuchten Reporter daran zu hindern, mit Arbeitern zu sprechen. Verteiler von Flugblättern wurden angegangen. Schließlich sahen sich Verdi-Vertreter bemüßigt, mit Dreck um sich zu werfen. Rainer Sommer, Personalrat der BVG-Hauptverwaltung, bezichtigte in einem Brief an BVG-Kollegen die Berichterstattung der WSWS der Lüge, ohne irgendeinen Nachweis hierfür zu liefern. Er beschimpfte die WSWS-Artikel als "trotzkistisches Kampfgeschwafel", das "aus einer bestimmten, politischen Zielrichtung heraus mit demagogischen Mitteln polemisiert".

Dass Sommer die Bezeichnung "trotzkistisch" in abwertendem Sinne benutzt, ist bezeichnend für das Bündnis von Linkspartei und SPD in Berlin. So spinnefeind sich Stalinisten und Sozialdemokraten in der geteilten Stadt jahrzehntelang waren, haben sie in ihrer Feindschaft gegen den Trotzkismus stets übereingestimmt. Im Osten der Stadt wanderten Trotzkisten ins Gefängnis, im Westen erhielten sie Berufsverbot. Der Grund: Die trotzkistische Bewegung verteidigte den unverfälschten Marxismus sowohl gegen den Stalinismus wie gegen die Sozialdemokratie. Nun sitzen Sozialdemokraten und Ex-Stalinisten in Berlin in einem Boot, doch an ihrer Feindschaft gegen den Trotzkismus hat sich nichts geändert.

Arbeiter können sich ein eigenes Bild davon machen, welche "politische Zielrichtung" in der gegenwärtigen Situation eher dazu geeignet ist, die Wahrheit über den Abschluss bei der BVG und die Rolle von Verdi zu sagen: Die der Verdi-Funktionäre, die politisch mit SPD und Linkspartei verbunden sind, oder die der WSWS, die in der Tradition der Vierten Internationale steht und für eine internationale sozialistische Perspektive kämpft.

Siehe auch:
Zwei Drittel lehnen Verdi-Abschluss ab
(24. Mai 2008)
Streik bei den Berliner Verkehrsbetrieben: Urabstimmung: Wie weiter?
(15. Mai 2008)
Heftige Debatte über Verdi-Ausverkauf
(15. Mai 2008)
Verdi unterschreibt Ausverkauf des Verkehrsarbeiterstreiks in Berlin: Stimmt in der Urabstimmung mit Nein!
(7. Mai 2008)
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