Großbritannien: Labour steht nach der Niederlage in Glasgow vor dem Ruin

Der Sieg der Scottish National Party bei den Nachwahlen in Glasgow East ist ein verheerender Schlag für die Labour Partei und macht Premierminister Gordon Brown zu einer wandelnden politischen Leiche.

Mit diesem katastrophalen Stimmeneinbruch hat die Labour Partei einen ihrer sichersten Wahlkreise in ganz Großbritannien verloren. Gegenüber der letzten Wahl 2005 hat sie einen Vorsprung von 13.500 Stimmen eingebüßt. Die SNP, die vor drei Jahren weit abgeschlagen den zweiten Platz belegte, gewann am Donnerstag 11.277 Stimmen, eine knappe Mehrheit von 365 Stimmen, wobei ihr ein gewaltiger Stimmungsumschwung 22,5 Prozent der Labour-Stimmen brachte.

Das ist die dritte Niederlage Labours in Nachwahlen innerhalb von neun Wochen, wobei die Wahlen in Haltemprice und Howden noch nicht mitgezählt sind, bei denen die Regierung nicht mal einen Kandidaten aufgestellt hatte.

Bis wenige Stunden vor der Wahl vermuteten die meisten Experten, dass Labours überwältigende Mehrheit stark abschmelzen oder sogar halbiert würde. Labour schloss nicht aus, dass es einen Stimmungsumschwung zu ihren Ungunsten geben könnte, wies aber darauf hin, eine intensive Kampagne geführt zu haben, bei der lokale Aktivisten und Wahlhelfer aus ganz Schottland mehr als 20.000 Wähler aufgesucht hätten.

Letzten Endes wandten sich die Wähler noch weitaus schärfer gegen die Regierung als erwartet.

Die Wahlbeteiligung war für eine Nachwahl in einem Innenstadtbezirk relativ hoch, wenn man bedenkt, dass zu dieser Jahreszeit viele Glasgower Unternehmen Betriebsferien haben. Mit 42,2 Prozent lag sie nur leicht unter der Wahlbeteiligung in diesem Wahlkreis bei den letzten Parlamentswahlen.

Wenn sich der Stimmungsumschwung weg von Labour, wie jetzt in Glasgow East, bei den nächsten Parlamentswahlen wiederholen würde, könnte die Partei nur einen ihrer gegenwärtig 41 Sitze in Schottland behalten. Zu denen, die ihr Amt verlieren würden, gehörten dann Gordon Brown und Finanzminister Alistair Darling.

Viele traditionelle Labour-Wähler wechselten entweder zur SNP oder blieben zu Hause und drückten damit die wachsende Feindseligkeit von Millionen von Arbeitern überall in Großbritannien gegen die Partei und die Regierung aus. Journalisten und Kandidaten haben die Stimmung in diesem Wahlkreis beschrieben, der zu den ärmsten in Großbritannien gehört und durch hohe Arbeitslosigkeit und große Gesundheitsprobleme geprägt ist. Desillusionierung und Feindschaft gegen die Labour Party, die die Politik der Stadt seit Generationen bestimmt hat, herrschen vor. Viele Wähler begründeten ihre Opposition gegen Labour mit den Preissteigerungen für Lebensmittel und Kraftstoff, während die Regierung gleichzeitig die Löhne im öffentlichen Dienst niedrig hält oder sogar senkt und die Sozialleistungen kürzt.

Im Mai 2007 gewann die SNP die Mehrheit der Sitze bei den Wahlen zum schottischen Parlament und überholte damit Labour als stärkste Partei in Schottland. Die SNP führte in diesem Wahlkreis jetzt einen intensiven Wahlkampf; der Parteiführer und erste Minister der dezentralisierten Schottischen Regierung Alex Salmond besuchte den Wahlkreis zwölf Mal. Salmond kommentierte den Wahlkampf mit den Worten, die Wahl sei ein "Kräftemessen zwischen zwei Regierungen".

Während der Wahlkampagne versuchte die SNP bewusst, ihre zentrale Forderung nach der Unabhängigkeit Schottlands herunterzuspielen und sich stattdessen auf lokale Gesundheitsprobleme und die steigenden Preise im Inland zu konzentrieren. Trotz der Behauptung der SNP, die Wahl sei eine deutliche Unterstützung für ihre Politik in Holyrood (Parlamentssitz in Edinburgh), haben die meisten Kommentatoren die Stimmen für die SNP auf den Zusammenbruch der Unterstützung für Labour zurückgeführt.

Die Konservative Partei erzielte in Glasgow East nur 1.639 Stimmen, nur wenig mehr als vor drei Jahren. Sie wurde nur deshalb drittstärkste Partei, weil das Wahlergebnis für die Liberal-Demokraten ebenfalls auf 915 Stimmen einbrach - was nahe legt, dass deren Anhänger ebenso wie die traditionellen Labour-Wähler entweder zu Hause blieben oder direkt zur SNP wechselten, um die Regierung abzustrafen.

Der Führer der Konservativen Partei David Cameron reagierte auf das Wahlergebnis mit der Forderung nach Neuwahlen. Als Reaktion darauf erwiderte Brown kraftlos: "Meine Aufgabe ist es, den Job weiterzumachen. Das verlangen die Menschen von mir." Mit dem Gesichtsausdruck eines Todeskandidaten äußerte er sich zu dem Verlust des Wahlbezirks, der seit 1920 in den Händen von Labour war: "Wir müssen zuhören, die Probleme der Menschen wahrnehmen und genau das tun wir."

Die Scottish Socialist Party (SSP) und Solidarity hatten ebenfalls Kandidaten aufgestellt. Diese Parteien hatten sich 2006 gespalten, nachdem das Gründungsmitglied Tommy Sheridan die Partei wegen einer erfolgreichen Beleidigungsklage gegen Rupert Murdochs News of the World, die die SSP nicht unterstützte, verlassen hatte. Beide Parteien, die identische Programme vertreten, führten ihren Wahlkampf vor allem auf der Grundlage lokaler Probleme. SSP-Kandidat Francis Curran erhielt 555 Stimmen und Solidarity 512.

Mit knapp über vier Prozent liegt das gemeinsame Ergebnis der beiden Parteien knapp über den 3,5 Prozent, die die SSP 2005 in diesem Wahlkreis erreichte. Es liegt jedoch niedriger als das Ergebnis für die SSP von 2001, als sie 6,8 Prozent der Stimmen in den jetzt nicht mehr existierenden Wahlkreisen Glasgow Baillieston und Glasgow Shettleston erhielt.

Bei der Stimmauszählung am frühen Freitagmorgen verlangte die Kandidatin der Labour Party Margaret Curran eine Neuauszählung eines Teils der Stimmen, weil einige ihrer Stimmen eventuell fälschlicherweise ihrem Rivalen von der SSP, Francis Curran, zugesprochen worden seien. Nach der Neuauszählung hatte Labour aber sogar 11 Stimmen weniger.

Brown hat zwar Forderungen nach seinem Rücktritt zurückgewiesen, aber der Druck auf den Premierminister aus seiner eigenen Partei wächst. Der Abgeordnete für Manchester Blackley machte sich zum Sprachrohr der Sorgen vieler Labour-Abgeordneter, die fürchten, ihre Sitze bei den nächsten Wahlen zu verlieren, und erklärte: "Wir brauchen einen Neuanfang, und der kann nur durch eine Diskussion über die Führung erreicht werden. Ich hoffe, diese Diskussion wird stattfinden."

Ein nicht namentlich genannter Labour-Abgeordneter erklärte gegenüber der BBC, die Partei könne einen solche schlimme Niederlage "nicht einfach ignorieren" und prophezeite, ranghohe Persönlichkeiten könnten auf dem Parteitag im Herbst eine spontane Rebellion organisieren.

Das verwundert nicht. Die Labour-freundliche Zeitung Guardian fühlte sich gezwungen zu fragen: "Steht die Labour Party bei den nächsten Parlamentswahlen vor einer Niederlage - oder wird sie ausgelöscht? Die Ergebnisse von heute früh aus Glasgow East waren mehr als nur schrecklich für Gordon Brown: sie lassen das Schreckgespenst einer vernichtenden parlamentarischen Niederlage auftauchen, von der die Partei sich nur mit Mühe erholen könnte."

Sie fügte hinzu: "Die dem am nächsten kommende Parallele ist wahrscheinlich die Nachwahl von 1990 in Eastbourne, als es einen Wählerwechsel von 21 Prozent zu den Liberalen gab, was Margaret Thatchers Sturz einen Monat später einleitete. Einige spekulieren schon, dass Brown im Herbst dasselbe passieren könnte."

Die Labour Party liegt in den letzten Zügen. Die Mitgliederzahlen sind seit 1997 rapide zurückgegangen und auf weniger als 200.000 meist passive, ältere Mitglieder gefallen. 2007 gab die Labour Party ihre Mitgliedschaft in Schottland mit 17.000 an, ein Rückgang von fast 50 Prozent seit 1997. In vierzehn schottischen Wahlkreisen hat die Partei weniger als 200 Mitglieder, von denen sich nur ein Bruchteil an Versammlungen und Kampagnen beteiligt.

Bei Wahlen hat Labour die Unterstützung der Teile der Mittelschichten verloren, die in der Mitte der 1990er Jahre von den Tories zur Labour Party gewechselt waren und ihr 1997 und 2001 bei den Parlamentswahlen zum Sieg verhalfen. Im Mai verlor Labour einen bisher sicheren Sitz bei Nachwahlen in Crewe und Nantwich; dabei verwandelte sich ihre bisherige Mehrheit von 7.000 Stimmen in eine Führung für die Konservativen von 7.680 Stimmen.

Nachdem die Partei Millionen von Wählern aus der Arbeiterklasse mit ihrer rechten Politik, ihrem Militarismus und ihrer sklavischen Unterordnung unter die Wirtschaft verprellt hat, kann man inzwischen auch in den sichersten Labour-Wahlkreisen nicht mehr davon ausgehen, dass ein Labour-Kandidat gewählt wird.

Siehe auch:
Großbritannien: Die Bedeutung der Nachwahl in Haltemprice and Howden
(16. Juli 2008)
Konservativer Abgeordneter tritt gegen Anti-Terror-Gesetze der Labour-Regierung auf
(24. Juni 2008)
Großbritannien: Brown steht in der Europa- und Iranfrage an der Seite der USA
(28. November 2007)
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