Der französische Autokonzern Renault, sechstgrößter Autohersteller in Europa, kündigte einen drastischen Kostenreduzierungsplan mit Tausenden von Entlassungen an. Genaue Zahlen wurden nicht genannt. Es wurde den Medien und Gewerkschaften überlassen, die Zahl der Stellenstreichungen bekannt zu geben, die schätzungsweise zwischen 5.000 und 6.000 liegen werden. Die meisten Jobs werden in den europäischen Renault-Fabriken gestrichen.
Laut dem Unternehmen soll dieses Ziel über "freiwilligen Arbeitplatzabbau" und natürliche Fluktuation erreicht werden. (Das Unternehmen gab einen Einstellungsstopp für ganz Europa bekannt.) Außerdem sollen "nicht entscheidende Projekte" gestoppt und Investitionen gekürzt werden. Das Paket soll 2009 350 Mio. Euro und 2010 500 Mio. Euro einsparen. Das Renault Management bespricht zurzeit mit den Gewerkschaften einen Plan über den Arbeitsplatzabbau für Europa, durch den die Betriebskosten um zehn Prozent pro Jahr gesenkt werden sollen.
Renault wird im Werk Sandouville in der Nähe von Le Havre eine von zwei Schichten streichen, was die Kündigung für 1.000 Arbeiter bedeutet. Am 23. Juli gab das Management des Renault Technocenters in Guyancourt in der Nähe von Paris bekannt, es werde Ende 2008 die Verträge für 1.000 Mitarbeiter kündigen. Weitere Maßnahmen drohen, falls die Situation schlechter werden sollte.
Ein Fertigungsband der Flins-Fabrik, nordwestlich von Paris, könnte geschlossen werden, "falls die Konjunktur schlecht läuft". Diese Fabrik wird von September bis Oktober für zehn Tage schließen. "Falls die Situation sich verschlimmert, könnten weitere Maßnahmen ergriffen werden, besonders bei den Kleinwagen, und das Produktionsniveau der Flins-Fabrik beeinflussen", sagte der Finanzdirektor von Renault, Thierry Moulonguet, am 24. Juli zu Le Monde. Die Produktion zweier Modelle dieser Firma wurde kürzlich in Fabriken nach Slowenien und in die Türkei verlagert. In der Cléon-Fabrik nahe Rouen werden die Verträge von ungefähr 400 Zeitarbeitern nicht verlängert.
Schon jahrelang hatte es in verschiedenen Renault-Werken Kürzungen gegeben, einschließlich derer in Frankreich. Innerhalb der letzten zwei Jahre haben in den Werken Cléon und Sandouville ungefähr 3.000 Mitarbeiter ihren Job verloren.
Jahrzehntelang war Renault ein staatliches Unternehmen, nachdem die Eigentümerfamilie Renault 1945 enteignet worden war, weil sie im Zweiten Weltkrieg mit der Deutschen Wehrmacht kollaboriert hatte. Von 1990 bis 1996 wurde das Unternehmen nach und nach privatisiert. Der Staat als Hauptaktionär kontrollierte 46 Prozent der Aktien. 1999 wurde Renault Hauptanteilseigner des japanischen Autokonzerns Nissan und des rumänischen Autoherstellers Dacia.
In den 1970er und 1980er Jahren präsentierte Renault sich gern als Vorbild für ein sozial orientiertes Unternehmen. Seit vielen Jahren wurden Arbeitskämpfe der Renault-Arbeiter als symptomatisch für das soziale Klima in Frankreich betrachtet, und Renault-Arbeiter spielten in größeren sozialen Bewegungen häufig eine führende Rolle.
Renault ist nicht der einzige französische Autohersteller, der Arbeitsplätze streicht. Die PSA-Gruppe (Peugeot/Citroen), der zweite Autohersteller in Frankreich, schloss unlängst eine Kürzungsaktion einschließlich des Verlusts von 10.000 Jobs in West-Europa ab. In der letzten Juliwoche gab der Geschäftsführer Christian Streiff bekannt, dass PSA seinen Zeitarbeitern kündigen und praktisch keine Einstellungen mehr vornehmen werde.
Der Personalmanager Jean-Luc Vergne sagte: "Die Mitarbeiterzahlen werden weiter fallen." Laut einem Sprecher des Unternehmens möchte die Firma die "natürliche Fluktuation" nutzen. Davon sind in Westeuropa jährlich rund 4.000 Arbeiter betroffen.
Nach der Bekanntgabe des aktuellen Plans von Renault demonstrierten am 30. Juli Arbeiter der Renault-Fabrik in Sandouville vor dem Gebäude, um gegen die Entscheidung zu demonstrieren. Letztes Jahr wurde eine Flexibilisierungsvereinbarung zwischen Management und Gewerkschaften von Sandouville getroffen. Es enthielt Zugeständnisse der Arbeiter bei Arbeitszeit und Löhnen, weil dadurch angeblich die Arbeitsplätze sicherer würden.
Seit Anfang 2008 fielen die Renault-Aktien um 45 Prozent, weit mehr als die durchschnittlichen 27 Prozent bei den europäischen Autoherstellern. Die neueste Bekanntgabe wurde als Hinweis auf das Scheitern eines Aufschwungsplans gesehen, der vor zwei Jahren vom Renault-Konzernchef Carlos Ghosn vorgestellt worden war.
Dieser Plan sollte Renault zum profitabelsten Autohersteller Europas machen. Ghosn ist gleichzeitig Geschäftsführer von Nissan. Vor ein paar Jahren stand Nissan vor dem Konkurs, bis Ghosn das Ruder ergriff und 20.000 Arbeitern kündigte.
Vor zwei Jahren hatte Renault seinen Arbeitern erklärt, es werde keine Entlassungen geben, und der neue Strategieplan solle auf der Basis der vorhandenen Belegschaft verwirklicht werden.
Die jüngsten Stellenstreichungen erklärte das Unternehmen damit, dass die wirtschaftliche Situation zwischenzeitlich "die schlimmsten Befürchtungen weit übertroffen hat".
Trotzdem kann das Unternehmen Gewinne verzeichnen. Es gab einen Anstieg der weltweiten Verkäufe für die erste Hälfte des Jahres um 2,3 Prozent bekannt. Außerdem stieg der Nettogewinn von 1,07 Mrd. Euro auf 1,5 Mrd. Euro. Renault ist einer der zahlreichen europäischen Multis, die drastische Kürzungen und Entlassungen vornehmen, obwohl sie beträchtliche Gewinne machen.
Wachsende Krise für europäische Autohersteller
Um diese Entscheidung zu rechtfertigen, nannte Renault eine Reihe unmittelbarer Gründe, wie zum Beispiel der starke Abschwung von Autoverkäufen in Spanien, Italien und Großbritannien im ersten Halbjahr 2008, erfolglose Operationen im Iran, sowie die "makroökonomische Entwicklung". Ghosn warnte: "Wir führen einen Kampf in Europa", und er fügte hinzu: "Sollten sich die Märkte nach Süden hin orientieren, müssten wir unsere Produktionskapazitäten in Europa neu bestimmen."
Der europäische Automarkt schrumpft aus verschiedenen Gründen. Im ersten Halbjahr 2008 gingen die Verkäufe in Spanien um 22 Prozent zurück, in Italien um 12 Prozent und um 12,9 Prozent in Großbritannien. In Deutschland und Frankreich stiegen die Verkäufe dagegen um 14,8 bzw. 5,7 Prozent. 2007 startete Renault die Produktion seines Billigmodells Logan im Iran. Man erwartet, im Jahr 2009 300.000 Wagen zu verkaufen. Laut Le Monde (24. Juli) wurden aber im ersten Halbjahr 2008 nur 24.000 Wagen ausgeliefert. Außerdem ist die Errichtung eines neuen Werks in Tanger in Marokko geplant.
Der Konkurrenzkampf am europäischen Markt ist härter geworden, und der Konkurrenzdruck zwischen den vielen Autoherstellern nimmt zu. Zu Beginn des Jahres wurde erwartet, dass die europäischen Autoverkäufe um vier Prozent sinken, diese Zahl wurde jedoch kürzlich auf zehn Prozent korrigiert. In Westeuropa (ohne Frankreich) sind die Verkäufe in diesem Jahr bis zu 4,6 Prozent zurückgegangen.
Der starke Euro im Vergleich zum Dollar macht Exporte sehr schwierig und ist seit einiger Zeit eine Belastung, besonders für französische Hersteller. "Wir können nicht, wie die Amerikaner und japanischen Hersteller, den Export als Ausweg nutzen. Jene haben einen schwachen Dollar und einen schwachen Yen, wir nicht", beschwerte sich Ghosn.
Die Gewerkschaften bei Renault haben die Entscheidung des Autoherstellers als falsch oder als Folge von schlechtem Management dargestellt. Sie erklärten, ein Unternehmen, das im Gesamtergebnis Gewinne macht, könne nicht Tausende von Arbeitern entlassen. Seit Jahren musste die Gewerkschaft ein Paket von Kürzungen nach dem anderen akzeptieren, nur damit die Fabriken in Frankreich mit verringerter Belegschaft erhalten blieben.
Nun sind sie mit dem Bankrott ihrer Perspektive konfrontiert. Alle Zugeständnisse der Vergangenheit an die Autohersteller und auch die bisherigen Opfer, die den Arbeitern abverlangt wurden, haben keine Arbeitsplatzsicherheit gebracht, ganz im Gegenteil.
Der CGT-Vertreter bei Renault, Vincent Neveu, betonte, dass eine Akzeptanz der jüngsten Jobkürzungen bei Renault die Gewerkschaften vor größte Schwierigkeiten stellen werde: "Im Vertrag für 2009’ versprach Carlos Ghosn, keine Werke zu schließen oder Arbeitsplätze zu streichen." Er fuhr fort: "Normalerweise werden die Gewerkschaften bei Verlusten informiert, dass es Schwierigkeiten gibt und man große Probleme erwartetet. Im Moment machen sie aber große Gewinne, und genau das macht es uns sehr, sehr schwierig."
Anstatt die Arbeiter zu unabhängigen Aktionen zur Verteidigung ihrer Arbeitsplätze aufzurufen, rät ein wichtiger CFDT-Vertreter bei Renault, Emmanuel Couvreur, dem Renault-Management, eine andere kommerzielle Strategie einzuschlagen. Er sagte: "Anstatt unsere kommerzielle und offensive Kapazität zu stärken, um Teile des Marktes in Europa zurückzuerobern, sind wir dabei, uns zu isolieren."
