Die LCR liefert Deckmantel für "linke" Anhänger des französischen Imperialismus in Afghanistan

Zeitgleich mit Kundgebungen in Deutschland und England fanden am 20. September in zehn französischen Städten Demonstrationen statt, die den Abzug der Nato-Truppen aus Afghanistan forderten. Aufgerufen hatte ein Bündnis von rund 50 Organisationen, dass sich im Mai unter dem Namen "Afghanistan-Nato - Weder Krieg noch Militärallianz - Friede, Freiheit, Demokratie" zusammengetan hatte.

Zu den bekannteren Organisationen in diesem Sammelbecken gehören neben der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR), der stalinistischen Kommunistischen Partei und den Grünen so amorphe Bewegungen wie die "Friedensbewegung" und die globalisierungskritische Organisation Attac, die Lehrergewerkschaft FSU, die Gewerkschaft SUD, Teile der Gewerkschaft CGT, der französische Ableger der katholischen Friedensorganisation Pax Christi und der Afghanische Nationalkongress, eine bürgerliche Bewegung, die eine "demokratische, säkulare" Regierung in Afghanistan anstrebt.

Wie in Deutschland und England erfüllten auch die Demonstrationen in Frankreich eine reine Alibi-Funktion. Sie spiegelten in keiner Weise die weit verbreitete Opposition gegen den Militäreinsatz in Afghanistan wieder, der von der überwiegenden Mehrheit der französischen Bevölkerung abgelehnt wird. Die Organisatoren hatten offensichtlich nichts unternommen, um Unterstützung zu mobilisieren. Zur größten Demonstration in Paris kamen gerade 3.000 Teilnehmer (2.000 nach Angaben der Polizei). In den anderen Städten lag die Zahl der Teilnehmer zwischen 500 (Marseille) und 30 (Mulhouse). Zum Teil war sie geringer als die der Organisationen, die zur Demonstration aufgerufen hatten.

Der eigentliche Zweck der Demonstrationen bestand offensichtlich auch gar nicht darin, Massenwiderstand gegen den Krieg in Afghanistan zu mobilisieren. Sie dienten vielmehr dazu, neue politische Allianzen auf der "Linken" zu schmieden. Angesichts der anhaltenden Unpopularität von Präsident Sarkozy und der tiefen Spaltung der Regierung in außenpolitischen Fragen könnte die herrschende Elite des Landes bald wieder auf eine linke Stütze angewiesen sein.

Sarkozy hat erst letzte Woche zwei Gesetze aufgrund von massivem öffentlichem Widerstand zurückziehen müssen - die Geheimdienstdatenbank "Edvige", in der persönliche Informationen über alle Franzosen ab 13 Jahren gesammelt werden sollten, und eine neue Steuer auf umweltschädliche Produkte. Die Umfragewerte des Präsidenten fielen auf einen neuen Tiefstand. Er reagierte, indem er die zuständigen Minister Michèle Alliot-Marie und Jean-Louis Borloo, zwei Schwergewichte der Regierungspartei UMP, öffentlich abkanzelte.

Die Eskalation des Kriegs in Afghanistan hat zudem die Opposition gegen die Außenpolitik Sarkozys gestärkt, der sich deutlich enger als seine Vorgänger den USA angeschlossen hat. Die Stimmen, die eine größere Distanz zu Washington fordern, werden nicht nur in Paris, sondern auch in vielen anderen europäischen Hauptstädten lauter. Die Krise in Georgien und vor allem die jüngste Finanzkrise an der Wall Street haben diesen Trend weiter verschärft.

Als vor einigen Wochen zehn in Afghanistan eingesetzte französische Soldaten in einem Hinterhalt getötet wurden, verschärften sich die außenpolitischen Differenzen innerhalb der französischen Elite.

Die Sarkozy-Regierung beantwortete den Aufschrei über den Tod der Soldaten mit der Ankündigung, das militärische Engagement Frankreichs zu verlängern und zu verstärken. Pierre Lellouche, ein Abgeordneter von Sarkozys UMP, kritisierte Verteidigungsminister Hervé Morin öffentlich, weil er nicht kriegerisch genug auftrete. Lellouche leitet einen Ausschuss der Nationalversammlung, der sich mit den militärischen Zielen Frankreichs in Afghanistan beschäftigt. Er sagte: "In Afghanistan findet ein Krieg statt und keine Polizeioperation."

Ex-Premierminister Dominique de Villepin warnte auf der anderen Seite vor der "Gefahr, in einem Sumpf zu versinken", und schlug eine "Abzugsstrategie" vor. "Man kann militärisch keinen Krieg gegen eine Guerilla gewinnen, die immer mehr Unterstützung in der Bevölkerung gewinnt", schrieb er.

Die Demonstrationen für einen Truppenrückzug fanden zwei Tage vor der Parlamentsentscheidung über eine " Verlängerung der Intervention der bewaffneten Streitkräfte in Afghanistan" statt. Die Nationalversammlung gab grünes Licht für die Entsendung zusätzlicher Soldaten nach Afghanistan, die die Regierung bereits vorher, ohne auf die Zustimmung des Parlaments zu warten, losgeschickt hatte. Die Abgeordneten der Regierungsmehrheit stimmten dafür, die der Sozialistischen und der Kommunistischen Partei sowie der Grünen dagegen, obwohl die Sozialisten den Afghanistaneinsatz im Prinzip unterstützen.

Das "Kollektiv", das die Demonstrationen vorbereitete, diente als Forum für die Ausarbeitung einer gemeinsamen politischen Linie, die für jene Teile der herrschenden Elite akzeptierbar ist, die sich um größere Distanz zu Washington bemühen. Der offizielle, von allen 50 Organisationen unterzeichnete Demonstrationsaufruf beschränkt sich auf die Forderung nach dem Abzug der Nato-Truppen aus Afghanistan. Er enthält keine Analyse der Kriegsziele, die der französische und der internationale Imperialismus in Afghanistan verfolgen.

Der Aufruf befürwortet eine Einmischung Frankreichs in Afghanistan, solange diese unabhängig von den USA stattfindet und sich anstelle von militärischen auf politische und "humanitäre" Mittel stützt.

Seine Verfasser befürchten, dass eine Fortsetzung der militärischen Besatzung die Taliban und ihre Verbündeten stärkt, und dass diese bald wieder an die Macht kommen könnten: "Die Lage ist unsicher geworden. Daraus könnten die Taliban eine neue Legitimität beziehen", erklären sie. "Wir lehnen eine Anbindung Frankreichs an die amerikanische Strategie ab... Frankreichs Politik muss unabhängig sein und sich von Recht und Gesetz, den Erfordernissen kollektiver und präventiver Sicherheit und Abrüstung leiten lassen, und mit allen Ländern im Sinne von nachhaltiger Entwicklung und Menschenrechten zusammenarbeiten."

Diese Haltung ist mit jener der Kommunistischen Partei, der Grünen und der Sozialistischen Partei vereinbar, die alle in der Jospin-Regierung saßen, als diese die französischen Truppen 2001 nach Afghanistan schickte. Sie ist auch mit der von François Bayrous konservativem Mouvement Democrate (ex-UDF) und Teilen der regierenden UMP kompatibel, die der Meinung sind, dass Sarkozy die französische Außenpolitik zu stark ins Fahrwasser der Bush-Regierung und des US-Imperialismus manövriert hat.

Unterstützung durch die LCR

Es ist bezeichnend, dass die Ligue Communiste Révolutionnaire nicht nur aktiv an der Vorbereitung der Demonstrationen teilnahm, sondern sich dabei auch um eine enge Zusammenarbeit mit der Kommunistischen Partei und den Grünen bemühte. Auf der Pariser Demonstration marschierte LCR-Sprecher Olivier Besancenot in Gesellschaft des Senators Jean-Luc Mélenchon (Sozialistische Partei) und der grünen Abgeordneten Martine Billard.

Wenn man die Erklärungen und Artikel der LCR zu Afghanistan liest, dann fällt zuerst auf, dass sie keine konkrete Analyse auch nur einer der wichtigen politischen Frage liefern - weder der tatsächlichen Politik des französischen und internationalen Imperialismus in Zentralasien, noch der Situation der Arbeiterklasse und der Gefahren, die ihr drohen. Noch erwähnt diese "antikapitalistische Partei" die Notwendigkeit einer sozialistischen Perspektive gegen Krieg und Kolonialismus. Ihr Standpunkt unterscheidet sich tatsächlich kaum von den Erklärungen anderer Parteien und Organisationen des "Kollektivs"

Man findet immer wieder den Vorwurf, dass Sarkozy die französische Außenpolitik zu sehr der Bush-Regierung und dem US-Imperialismus angenähert habe. Die LCR will, dass sich Frankreich auf "Wiederaufbau" und "humanitäre Hilfe" konzentriert, anstatt auf die militärische Komponente. Sie untersucht nicht den Klassencharakter einer derartigen "humanitären" Politik, die in aller Regel nur eine andere Form imperialistischer Einflussnahme ist.

Die LCR teilt ausdrücklich die Perspektive der Demonstration, die darin bestand, die Sarkozy-Regierung selbst aufzufordern, die verlangten Veränderungen zu machen. "Wir fordern von den Abgeordneten und vom Präsidenten der Republik, dass sie den Rückzug der französischen Truppen befehlen und sich für eine Lösung einsetzen, die sich auf den Wiederaufbau und die Wiederherstellung der afghanischen Souveränität konzentriert", heißt es im gemeinsamen Aufruf.

Zwar forderte die LCR nicht die Entsendung von UN-Truppen, aber sie kritisierte auch nicht die Organisationen wie die KP und die Grünen, die ausdrücklich eine solche "Lösung" fordern.

Die LCR wirbt intensiv um die Gunst der Kommunistischen Partei, die seit über siebzig Jahren eine der wichtigsten Stützen der bürgerlichen Herrschaft in Frankreich bildet. Anlässlich des jährlichen Fests der KPF-Zeitung Humanité schrieb Olivier Besancenot einen unterwürfigen Brief an die "Liebe Marie-George" und die "lieben Genossen" der KPF. Er erinnerte die KPF-Vorsitzende Marie-George Buffet daran, dass "wir uns regelmäßig in vielen sozialen und politischen Kämpfen zusammentun". "Unsere Bündnisse und Strategien" seien zwar nicht die selben, aber: "Es scheint uns, dass die Zeit gekommen ist, den Faden des Dialogs neu zu knüpfen, um der Lawine von bösen Schlägen entgegenzutreten, die der Kapitalismus der gesamten Bevölkerung zufügt."

Die alte diskreditierte stalinistische Partei hat zwar einige Kritik an Sarkozys Politik und hat den Demonstrationsaufruf unterschrieben, sie ist aber nicht gegen das französische Eingreifen in Afghanistan. Die Vorsitzende der Partei, Marie-George Buffet, wurde kürzlich mit den Worten zitiert: "Der Kampf gegen die Taliban muss geführt werden." Sie unterstützt uneingeschränkt das imperialistische Projekt des "Kriegs gegen den Terror". Die KP-Zeitung L’Humanité vom 6. September schrieb: "(Verteidigungsminister) Hervé Morin fordert die ‘Einheit des Landes im Kampf gegen den Terrorismus’. Wer könnte dem nicht zustimmen?"

Buffet war Mitglied einer parteiübergreifenden Delegation, die Sarkozy bei einem Besuch in Beirut begleitete, mit dem er sich vor dem Hintergrund der Krise des US-Imperialismus als Vermittler zwischen verschiedenen libanesischen Fraktionen versuchte und den französischen Imperialismus wieder auf die politische und ökonomische Landkarte des Nahen Ostens bringen wollte. Sarkozy nahm die KP und die SP ausdrücklich mit an Bord, um die "Einheit Frankreichs" und seine Unterstützung für den Libanon zu demonstrieren.

Eine Erklärung der KPF zu Afghanistan vom 22. August forderte zwar den Rückzug der französischen Truppen, betonte aber, dass Frankreich "in der UNO mit seinen europäischen Partnern dringend eine neue Sicht auf die Friedensoperationen fordern muss". Die Nato ist also das Problem, während Frankreich, der europäische Imperialismus und die UN sich in die inneren Angelegenheiten Afghanistans einmischen sollen!

Die politische Promiskuität der LCR endet nicht bei der KPF, sie hätte auch die Sozialistische Partei gern mit an Bord. In seinem offenen Brief an die KPF erklärt Besancenot: "Offen gesagt, die Führung der SP hat zu unseren Vorschlägen bisher geschwiegen."

Die SP hat taktische Differenzen mit der Sarkozy-Regierung, vor allem was ihre offensichtliche Anpassung an die Außenpolitik der USA betrifft, unterstützt aber vorbehaltlos den neokolonialen "Krieg gegen den Terror". Als der Tod der französischen Soldaten im vergangenen Monat Unruhe und Kritik an der französischen Präsenz in Afghanistan auslöste, beeilte sich die SP, das militärische Engagement Frankreichs zu unterstützen.

Auch um die Grünen bemüht sich die LCR. Die Grünen reagierten empört, als Sarkozy sie zuerst nicht mit auf seinen diplomatischen Ausflug nach Beirut mitnehmen wollte. In Afghanistan sind sie für eine entscheidende Rolle der UN. Die Demonstration wurde auf der Website der Grünen nicht angekündigt und sie haben seit dem 2. April keinen Artikel zu Afghanistan veröffentlicht.

Damals hatten sie geschrieben: "Nur eine von der UNO mandatierte vermittelnde Polizeitruppe könnte einen Waffenstillstand und die Eröffnung von Verhandlungen der kriegführenden afghanischen Fraktionen, die Anerkennung der demokratischen Kräfte in Afghanistan und eine Regierung der Versöhnung erreichen." Und weiter: "Sarkozy verlässt die traditionelle gaullistische Politik der Unabhängigkeit Frankreichs, wenn er den Zurufen der Bush-Regierung folgt. Dagegen müssen sich die Grünen wehren und dieses Abdriften verurteilen."

Die "Friedensbewegung" (eine breite Dachorganisation für alle möglichen kleinbürgerlichen und bürgerlichen politischen, sozialen und religiösen Gruppen) befürwortet ebenfalls ein Eingreifen Frankreichs in Afghanistan, um den Staatsapparat zu stärken: "Die französische Regierung hat beschlossen, mehr Kampftruppen nach Afghanistan zu schicken, statt Ausbilder für Polizei und Militär." Diese Organisation unterstützt wie die Grünen ausdrücklich die Vereinten Nationen.

Die LCR ist wie die KP und die anderen Organisationen nicht grundsätzlich gegen die Ausplünderung der Reichtümer anderer Länder und gegen das Opfern von Arbeiterjugendlichen für dieses Ziel, sondern sie will es, wie ein Teil der Bourgeoisie, mit anderen politischen Mitteln erreichen. Sie wäre ohne weiteres bereit, die gleichen "imperialistischen" Truppen unter dem Deckmantel der UN oder der EU zu schicken, weil Frankreich dann bessere Einflussmöglichkeiten gegenüber den USA hätte. Die aktuelle Rolle Frankreichs im ehemaligen Jugoslawien oder die jüngste Entsendung von Truppen in den Tschad war in ihren Augen kein Grund für einen "gemeinsamen Widerstand" gegen die Sarkozy-Regierung.

Die Forderung der LCR nach dem Abzug der Truppen erweist sich als Mittel, Organisationen eine gewisse Glaubwürdigkeit zu verleihen, die entschiedene Verteidiger des französischen Imperialismus sind. Die ständige Forderung der LCR nach Einheit in Einzelfragen dient ihr als Mechanismus, um die Klärung politischer Fragen zu verhindern, die Glaubwürdigkeit ihrer "Freunde" zu verteidigen und die Arbeiterklasse und die Jugend an die alten Bürokratien zu fesseln. Sie enthebt sie zudem der Aufgabe, Kritik an diesen Organisationen zu üben. Ihr Fußfall vor den Stalinisten und ihr ständiges Gerede, die SP sei Teil der "Linken", beweist dass die LCR die linke Flanke der Bourgeoisie abdeckt.

Der Kampf gegen Krieg und Kolonialismus kann nur mit einem sozialistischen Programm geführt werden. Die Arbeiterklasse muss politisch unabhängig mobilisiert werden und gegen alle kämpfen, die sie an die imperialistische Bourgeoisie zu fesseln versuchen.

Siehe auch:
Französische LCR im Windschatten von Sarkozys Außenpolitik
(11. September 2008)
Frankreich: Stalinistische Zeitung l’Humanité dem Bankrott nahe
( 5. September 2008)
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