Eine Woche seit der Wahl Obamas

Eine Woche ist seit dem entscheidenden Wahlsieg Barack Obamas vergangen. Die Bedeutung der Wahl ist in den USA und international ausführlich kommentiert worden. Mit nur wenigen Ausnahmen ist die Reaktion in den Medien von einer seltsamen Mischung geprägt. Einerseits klopft man sich gegenseitig auf die Schultern, weil der Ruf Amerikas in der Welt gerettet und die Bühne für eine neue Ära progressiver Veränderung bereitet sei, andererseits werden Mahnungen geäußert, die Obama-Regierung müsse bereit sein, ihre breite Basis in der Bevölkerung zu enttäuschen und eine konservative, überparteiliche Politik betreiben. Vielfach wird diese Linie von ein- und demselben Autor in einem einzigen Artikel vertreten.

Die Redaktion der World Socialist Web Site hatte zum Ausgang der Wahl geschrieben, dass der überwältigende Sieg Obamas und der Demokratischen Partei eine wichtige Veränderung im politischen Leben der Vereinigten Staaten bedeute. Er sei Ausdruck einer weit verbreiteten Ablehnung der Bush-Regierung, der Republikanischen Partei und von fast drei Jahrzehnten Vorherrschaft der Rechten in der amerikanischen Politik.

Der Wahlausgang war vor allem von dem Wunsch von Millionen Arbeitern und Jugendlichen bestimmt, angesichts einer zunehmenden Rezession und wachsender sozialer Probleme die Wirtschaftspolitik zu ändern, die auf die Bereicherung der Finanzelite ausgerichtet war, die Kriege in Irak und Afghanistan und die militaristische Außenpolitik zu beenden und den Angriffen auf demokratische Rechte Einhalt zu gebieten. Die gesamte Politik, die die Wähler ablehnen, wird aber im Wesentlichen von beiden Parteien getragen. Unter diesen Bedingungen der Vorherrschaft der beiden Wirtschaftsparteien konnte die arbeitende Bevölkerung ihre Interessen nur in Form eines Wahlsiegs der Demokraten ausdrücken.

Die Stimmung und die politischen Ansichten breiter Wählerschichten sind aber nur eine Seite der Medaille. In der Auswahl Obamas und seinem Wahlsieg zeigt sich auch die Reaktion besonders bewusster Teile der amerikanischen herrschenden Klasse auf die Krise des US-Imperialismus. Ein wachsender Teil des politischen Establishments empfand besonders seit dem 11. September die Außenpolitik der Bush-Regierung als unverantwortlich, planlos und zum Scheitern verurteilt.

Die Kriege im Irak und in Afghanistan und der globale Niedergang des amerikanischen Imperialismus unter Bush führte dazu, dass ein Teil der herrschenden Klasse immer stärker eine Neuausrichtung der US-Außenpolitik und einen Wechsel im Führungspersonal verlangten. Andere Vertreter der wirtschaftlichen und politischen Elite fürchteten besonders die Auswirkungen der Wirtschaftspolitik - ihr massives Haushalts- und Handelsbilanzdefizit, die Dollarschwäche und die wachsende Herausforderung durch die alten Wirtschaftsmächte Europa und Japan, sowie neue Wirtschaftsmächte wie China und Indien.

Um diesem anhaltenden und sichtbaren Niedergang des amerikanischen Kapitalismus zu entrinnen, dessen Finanz- und Industrie-Ikonen am Rande des Zusammenbruchs stehen, unterstützten und finanzierten diese Schichten Obamas Wahlkampf in der Hoffnung, einen populäreren und gleichzeitig vollkommen verlässlichen Vertreter ihrer Klasseninteressen und der globalen Ziele des amerikanischen Imperialismus ins Weiße Haus zu setzen.

Die amerikanische Industrie mag zwar praktisch bankrott sein, aber im Marketing bleibt Amerika führend. Eine gut geölte und finanziell großzügig ausgestattete Marketing-Kampagne wurde gestartet, um dem amerikanischen Imperialismus in der Person des jungen, afroamerikanischen Senators aus Illinois ein neues Markengesicht zu verpassen.

Schon die erste Woche von Obamas Übergangszeit bis zur Amtsübernahme hat Licht auf die sozialen Widersprüche in der so genannten Obama-Koalition geworfen. Es mag reichen, hier auf einige zentrale Punkte hinzuweisen. Erstens, die Ernennung von Rahm Emanuel zum Stabschef des Weißen Hauses. Dieser rechte Kongressabgeordnete, Millionär und Investmentbanker hat schon klar gemacht, dass er seine Hauptaufgabe darin sieht, die liberaleren Elemente der Demokratischen Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat unter Kontrolle zu halten. Vom Wall Street Journal rundheraus gefragt, ob die "liberalen Mehrheiten" im Kongress sich gegen Präsident Obama durchsetzen würden, antwortete Emanuel: "Barack Obama wird ihnen gewachsen sein."

Er sagte, das Land "lechzt nicht nach einer ideologischen Antwort", und Obama strebe nicht danach, "jede Gruppe und jeden ideologischen Flügel der Partei zufrieden zu stellen".

Die Redaktion des Journal und der führende Neokonservative William Kristol gratulierten Obama zur Wahl Emanuels.

Ähnliche Bemerkungen kamen von Vertretern des angeblich "ideologischen Flügels" der Demokratischen Partei. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, erklärte zum Beispiel einen Tag nach der Wahl, Obama müsse "aus der Mitte heraus regieren".

Dieses Thema hat die Pressekommentare in der vergangenen Woche beherrscht: die Notwendigkeit eines überparteilichen Kurses der "Mitte" und die Behauptung, Amerika bleibe trotz der massiven Ablehnung rechter Politik ein Land der "rechten Mitte".

Am Freitag gab Obama eine Pressekonferenz, wo er Fragen beantwortete. Sein Team von Wirtschaftsberatern stand aufgereiht hinter ihm. Der prominenteste in dieser Versammlung von Bankern, Vorstandchefs und Ex-Regierungsmitgliedern war Paul Volcker, der Ex-Vorsitzende des Federal Reserve Board, der Anfang der 1980er Jahre bewusst eine Rezession herbeigeführt hatte, um den militanten Widerstand der Arbeiterklasse gegen Betriebsschließungen und Lohnkürzungen zu unterlaufen und die Macht der Gewerkschaften zu brechen.

Am Montag machte Obama seinen traditionellen Besuch im Weißen Haus bei Bush, dem scheidenden Präsidenten. Dieses Ritual wurde vorgezogen, um den Finanzmärkten zu garantieren, dass die Rettung der Banken und Finanzinstitute mit Steuergeldern trotz des Regierungswechsels wie geplant und ohne Unterbrechung weitergehen werde.

Darüber gingen alle liberalen Kommentatoren und "linken" politischen Tendenzen hinweg. Sie ignorierten oder verharmlosten dieses klare Anzeichen für Obamas Absicht, einen konservativen Kurs zu fahren und alles zu vermeiden, was den amerikanischen Kapitalismus demokratischer und egalitärer machen könnte. Aus dem gleichen Grund interpretierten sie alle den Wahlsieg praktisch völlig unter dem Gesichtspunkt der Hautfarbe. Diese systematische Konzentration auf die Rassenfrage, seit 40 Jahren die Haupttendenz in liberalen Kreisen Amerikas, ist seit der Wahl noch aufdringlicher geworden.

Und das, obwohl die Wahl eine machtvolle Widerlegung des Mythos war, dass die amerikanische Arbeiterklasse rassistisch und rückständig sei und im Banne der Religion und konservativer "Werte" stehe. Dieser Mythos hatte nach der Wiederwahl Bushs von 2004 den Status einer Ersatzreligion angenommen.

Typisch dafür ist die Kolumne von Frank Rich in der New York Times vom Sonntag, die so beginnt: "Am Morgen, nachdem ein Schwarzer ins Weiße Haus gewählt worden ist, haben Amerikas Tränen der Reinigung ungehemmter Freude Platz gemacht." Rich stellte erfreut fest, die Wahl habe widerlegt, "was uns von den Mächtigen erzählt wurde, .... dass wir klein, bigott und dumm sind und uns leicht spalten und erschrecken lassen". Dann kam sein bezeichnendes Eingeständnis: "Wir haben diese Verleumdung Amerikas so oft gehört, dass wir sie alle zu glauben begannen, mit Sicherheit auch wir Liberalen."

Es ist klar, dass Rich, der für die Liberalen im Allgemeinen spricht, seinen oberflächlichen Impressionismus und seine Obsession mit der Hautfarbe nicht abgelegt hat. Früher glaubte er an die alten Illusionen, und heute übernimmt er einfach die neue, die darin besteht, dass Obama eine neue Morgenröte der Demokratie und des Fortschritts darstelle.

Die Feststellung ist berechtigt, dass die Wahl Obamas nicht möglich gewesen wäre, hätten sich seit den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts die gesellschaftlichen Einstellungen nicht grundlegend verändert. Das haben Rich und seine liberalen Kollegen bisher glatt bestritten. Zweifellos hat die Linksbewegung breiter Schichten der Arbeiterklasse dazu beigetragen die letzten Überreste rassistischer Reflexe zu überwinden.

Aber die Reaktion von Rich und anderen Liberalen und "linken" Kommentatoren auf die Wahl hat einen beunruhigenden Unterton. Für sie dreht sich alles um die Hautfarbe, und nicht um die soziale Stimmung und Klassenfragen, die tatsächlich die Wahl entschieden haben. Sie definieren die Wahl als Sieg eines Schwarzen und nicht als das Ergebnis einer Oppositionswelle gegen Bush und die Republikanische Regierung, die einen Kandidaten ins Weiße Haus spülte, der nun einmal schwarz ist.

Das lässt erwarten, dass Rich und seinesgleichen bereit sein werden, eine Politik, die sie unter Bush nicht zu akzeptieren bereit waren, bei Obama zu tolerieren. Genau aus diesem Grund haben seine Freunde aus dem Establishment Obama unterstützt. Obamas Regierung wird für die Arbeiterklasse umso gefährlicher sein, je mehr es ihm gelingt, Arbeiter politisch zu entwaffnen, indem er den Eindruck erweckt, ein schwarzer Präsident stehe den Massen näher.

Was passiert, wenn die Arbeiterklasse für ihre sozialen Interessen zu kämpfen beginnt und mit der Obama-Regierung in Konflikt gerät? Wenn der Klassencharakter der Obama-Regierung klar wird und sich die Arbeiter dagegen auflehnen? Dann werden der Klassenstandpunkt des Liberalismus und der politische Standpunkt von Teilen der Bourgeoisie und des Kleinbürgertums deutlich, und ihr grundlegend reaktionärer Charakter tritt offen zutage.

Unabhängig von der anfänglichen Begeisterung über Obamas Sieg wird sich die zunehmende Wirtschaftskrise eher früher als später im täglichen Leben von Dutzenden Millionen amerikanischer Arbeiter bemerkbar machen, und die tieferen Klasseninteressen der neuen Regierung werden hervortreten. Das wird die Grundlage für eine neue Periode von Klassenkämpfen in den Vereinigten Staaten sein.

Siehe auch:
Obama beruhigt das Großkapital
(11. November 2008)
Ein historischer Meilenstein? Gedanken zu Klasse und Hautfarbe in Amerika
( 8. November 2008)
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