Indisch- pakistanische Spannungen nehmen nach den Anschlägen in Mumbai zu

In Indien und dem benachbarten Pakistan werden die politischen Auswirkungen der Terrororanschläge in Mumbai immer deutlicher. Die Spannungen zwischen den beiden Nuklearmächten steigen in dem Maße, wie die indische Regierung, die im eigenen Land stark unter Druck steht, versucht, die Verantwortung für die Anschläge Pakistan in die Schuhe zu schieben.

Indiens Außenministerium bestellte Anfang Dezember Pakistans Botschafter Shahid Malik ein und forderte Islamabad förmlich auf, "strenge Maßnahmen" gegen diejenigen zu ergreifen, die für das sechzig Stunden währende Wüten, das 172 Tote und 239 Verletzte zu Folge hatte, verantwortlich seien. In einem Malik übergebenem Brief wird Islamabad vorgeworfen, zuzulassen, dass "von pakistanischem Territorium terroristische Aktivitäten ausgehen."

Dem Wall Street Journal zufolge forderte Indien auch ein weiteres Mal die Auslieferung zweier Terrorverdächtiger, Dawood Ibrahim and Maulana Masood Azhar, und warnte Pakistan, dass die Beziehungen zwischen den beiden Ländern leiden würden, sollte nicht zügig gehandelt werden. Keiner der beiden Beschuldigten ist direkt in die Gewalttaten von Mumbai involviert. Bereits früher lehnte Pakistan es ab, die beiden Männer auszuliefern. Die neuerliche Forderung Indiens wird die Feindseligkeit Islamabads sicher anheizen.

Die pakistanische Regierung verurteilte wiederholt die Anschläge von Mumbai, leugnete jede Beteiligung und bot die uneingeschränkte Zusammenarbeit mit den indischen Behörden an. Allerdings entwickeln sich in wachsendem Maße Spannungen zwischen der pakistanischen Militärführung und der Regierung in Islamabad, die angesichts einer tiefen wirtschaftlichen und politischen Krise an Stabilität verliert. Die Tagezeitung Dawn berichtete von "deutlichen Differenzen" beim Treffen von Armeechef General Ashfaq Parvez Kayani und Ministerpräsident Yusuf Raza Gilani.

In der Woche zuvor bot Islamabad der indischen Regierung an, führende Mitarbeiter seines Militärgeheimdienstes (ISI) nach Indien zu entsenden, um bei den Untersuchungen zu helfen. Das darauf folgenden Veto der pakistanischen Militärführung hatte zu Folge, dass die pakistanische Regierung, ihr Angebot auf nachrangige ISI- Kräfte beschränkte. Inzwischen wird selbst dieser Vorschlag kritisiert. Routinemäßig beschuldigen die indischen Medien den pakistanischen Militärgeheimdienst für terroristische Anschläge in Indien verantwortlich zu sein, besonders in den umstrittenen Regionen Jammu und Kaschmir.

Bisher ist nicht geklärt, wer hinter dem Massaker in Mumbai steht. Die Medien berichteten im Verlauf der dreitägigen Belagerung unzuverlässig und widersprüchlich. Erst jetzt scheint sich zu bestätigen, dass nur zehn Bewaffnete den Anschlag auf das Café Leopold, den Bahnhof Chhatrapati Shivaji, ein Jüdisches Zentrum und zwei Luxushotels verübten. Alle Zehn waren jung, in hohem Maße organisiert, gut trainiert und bestens ausgerüstet.

Neben diesen skizzenhaften Details stammt die einzige zusätzliche Information von namentlich nicht genannten indischen Beamten, die an der Vernehmung des einzigen überlebenden Attentäters beteiligt waren. Den Polizeibeamten zufolge handelt es sich um den pakistanischen Staatsbürger Ajmal Amir Kamal, der angeblich aussagte, er gehöre der Separatistengruppe Lashkar-e-Taiba (Armee der Reinen) an, die für die Unabhängigkeit Kashmirs kämpft. Er sei in Pakistan ausgebildet worden und zusammen mit den Anderen in einem gekaperten indischen Fischerboot nach Indien gekommen.

Es ist durchaus möglich, dass Lashkar-e-Taiba oder andere islamistische, in Pakistan ansässige Milizen in den Anschlag verwickelt waren. Doch keines der dazu in den indischen und internationalen Medien verbreiteten Details wurde bisher von indischen Behörden bestätigt. Es ist auch vorstellbar, dass Kreise des pakistanischen Militärs oder des Geheimdienstes ISI die Anschläge in Mumbai unterstützten. Eine direkte Beteiligung der pakistanischen Regierung hingegen ist unwahrscheinlich. Zudem ist nicht auszuschließen, dass andere Gruppen - auch in Indien ansässige - verantwortlich sind.

Obwohl die Untersuchungen kaum angelaufen sind, wird Pakistan in zunehmend scharfem Ton von der indischen Regierung angegriffen. Der Zurechtweisung des pakistanischen Botschafters ging ein von Premierminister Manmohan Singh geleitetes Allparteientreffen in Neu Delhi voraus. Auf diesem Treffen wurden verschiedene Vorgehensweisen gegen Pakistan diskutiert. Alle beteiligten Parteien, einschließlich der stalinistischen "Kommunistischen Partei Indiens" und der "Kommunistischen Partei Indiens (Marxisten)", stimmten darin überein, dass Indien Vergeltung üben müsse.

Eine Reihe möglicher Schritte wurde erwogen. Die Vorschläge reichten vom Boykott der indisch-pakistanischen Cricket-Spiele über die Verringerung des Botschaftspersonals in Islamabad, der Aussetzung des so genannten "strukturierten Dialogs" zwischen den beiden Ländern bis hin zu weit schärferen Maßnahmen wie die Unterbrechung des fünfjährigen Waffenstillstands. Anand Sharma, Indiens Stellvertretender Außenminister, erklärte in einem Interview: "Unsere Nation ist zu Recht empört. Und solche Zwischenfälle sind stets ein schwerer Rückschlag für den Friedensprozess zwischen Indien und Pakistan. Dieses Mal wird unsere Antwort sehr ernst sein."

Die Regierung steht wegen ihrer unzulänglichen Reaktion auf die Krise unter starkem Druck der Medien, die bereits einige Rücktritte forderten. Nach einem - wie es heißt - "hitzigen" Treffen der herrschenden Kongresspartei trat Innenminister Shivraj Patil am letzten November-Wochenende zurück. Im Anschluss boten sowohl der Ministerpräsident des Bundesstaates Maharashtra, in dem die Stadt Mumbai liegt, als auch sein Stellvertreter ihren Rücktritt an.

Medienberichte darüber, dass Warnungen der indischen und US-amerikanischen Geheimdienste vor Anschlägen in Mumbai ignoriert worden seien, führten Anfang Dezember zu einer Protestkundgebung vor dem ausgebrannten Taj Mahal Hotel. Die Hindustan Times hatte ausgiebig über etliche vom indischen Geheimdienst abgehörte Telefongespräche berichtet. Diese lieferten bereits im September Hinweise auf mögliche, von der See aus erfolgende Anschläge auf Hotels in Mumbai.

Solche Berichte werfen nicht nur die Frage der "Inkompetenz" auf, sondern auch die, ob Teile des indischen Sicherheitsapparates die Anschläge stillschweigend billigten, um sie für ihre eigenen politischen Zwecke auszunutzen. Der indische Sicherheitsapparat ist erst kürzlich intensiv überprüft worden, nachdem bekannt geworden war, dass hinduistische Extremisten aus seinen Reihen für eine Serie terroristischer Bombenanschläge verantwortlich waren. Im Schatten der Gräueltaten in Mumbai wurde diese Angelegenheit unter den Teppich gekehrt.

Es besteht die ernste Gefahr, dass die Wut der Öffentlichkeit über die Mumbai-Anschläge in reaktionäre Kanäle gelenkt wird. Die hinduistisch - nationalistische Bharatiya Janata Party (Indische Volkspartei) hofft, mit Blick auf die Wahlen im kommenden Jahr Nutzen aus der Krise zu ziehen, indem sie "härteres Vorgehen" gegen den "Terrorismus" und gegen Pakistan Nutzen aus der Krise zu ziehen. Obwohl der Vorsitzende der BJP, L.K.Advani, zunächst eine einheitliche nationale Antwort Indiens auf die Anschläge unterstützte, fehlte er auf dem Treffen vom Sonntag.

Um der BJP das Wasser abzugraben, versprach der indische Premierminister Singh bereits den Ausbau des indischen Sicherheitsapparates mit der Einrichtung einer neuen Bundesermittlungsbehörde und die Verstärkung jenes Armeekommandos, das die Belagerung in Mumbai beendete. Die BJP drängt die Regierung jedoch zu weitergehenden Maßnahmen. Sie fordert die Wiedereinführung des POTA- Gesetzes (Gesetz zur Terrorismusprävention). Mit diesem Gesetz wurden in der Vergangenheit hunderte "Verdächtige" vorbeugend, ohne Gerichtsverfahren und auf unbestimmte Zeit gefangen gehalten.

Die BJP fordert von der indischen Regierung, Maßnahmen gegen "terroristische Ausbildungslager" in Pakistan zu ergreifen. Der BJP-Vorsitzende, Yashwant Sinha, äußerte gegenüber den Medien: "Es ist Zeit für einseitiges Vorgehen gegen Ausbildungslager in Pakistan. Wenn die USA in Afghanistan Osama bin Laden jagen und die Taliban bestrafen können, warum sollte Indien dann zögern?"

Ein solcher Schritt bringt die ernste Gefahr einer raschen Eskalation zum Krieg mit sich. Seit der Unabhängigkeit 1947 führten die beiden Länder bereits drei Kriege gegeneinander. Nachdem Kaschmir- Separatisten im Jahr 2001 einen Anschlag auf das indische Parlamentsgebäude verübten, zog Indien hunderttausende Soldaten, unterstützt von Panzern, Artillerie und Kriegsflugzeugen an der Grenze zu Pakistan zusammen. Monatelang stand Südasien am Rande eines Krieges, bis sich Indien sich unter internationalem Druck zurückzog.

Die Bush-Regierung sandte Außenministerin Condoleezza Rice nach Indien, in dem Bemühen, die zunehmenden Spannungen einzudämmen. Washington ist strategisch eng mit Indien verbunden. Zugleich brauchen die USA jedoch Pakistan, sowohl zur Bekämpfung US- feindlicher Aufständischer in den grenznahen Stammesregionen Pakistans und zum Andern als wichtigste Nachschubroute für die militärische Besetzung Afghanistans durch die US-Armee. Pakistanische Behörden drohen, für den Fall einer Konfrontation mit Indien, ihr Militär aus dem Gebiet der pakistanisch-afghanischen Grenze abzuziehen.

Rice machte klar, dass Washington Druck auf Pakistan ausüben wolle, Indiens Forderungen nachzukommen. In London erklärte sie, die USA erwarteten "vollständige, absolute und totale Offenheit und Kooperation" von Pakistan. Während sie Indien von militärischen Aktionen gegen Pakistan abhalten, werden die USA die Mumbai-Anschläge zweifellos benutzen, um von Pakistan mehr Unterstützung für ihren angeblichen "Krieg gegen den Terror" in Afghanistan einzufordern.

Die Spannungen zwischen Pakistan und Indien können trotz des Eingreifens der USA leicht außer Kontrolle geraten. Seit der Teilung des Subkontinents 1947 in das muslimisch dominierte Pakistan und das überwiegend hinduistische Indien antworteten die politischen Eliten beider Staaten wiederholt auf politische Krisen mit dem Anheizen des politischen Klimas im eigenen Land sowie militärischer Konfrontation gegeneinander. Die globale Wirtschaftskrise und die damit einhergehenden, zunehmenden sozialen Spannungen setzen die Herrschenden beider Länder zusätzlich unter enormen Druck.

Kamran Bokhari, Leiter des Bereichs Analysen für den Mittleren Osten bei Stratfor, warnte in der Washington Post, dass die Politik Indiens, Pakistans und der USA unvermeidlich zum Aufflackern von Kämpfen an der indisch-pakistanischen Grenze führt. In Situationen wie dieser spielen "die Wünsche der Politiker nur eine geringe Rolle. Jedes Land verharrt in seinen Positionen und die Logik dieser Entwicklung führt in die Krise."

Siehe auch:
Die USA, Pakistan und der "Terrorist" Hamid Gul
(12. Dezember 2008)
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