Scharfe Spannungen zwischen Indien und Pakistan

Die Bush-Regierung übt starken Druck auf Pakistan aus. Sie drängt das Land, gegen islamische Gruppen vorzugehen, die für den Terroranschlag auf Mumbai im vergangenen Monat verantwortlich sein sollen. Washingtons Unterstützung für Neu-Delhi trägt nicht dazu bei, die Spannungen zwischen Pakistan und Indien zu vermindern. Im Gegenteil wird Pakistan weiter destabilisiert, und die Konflikte zwischen den regionalen Rivalen verschärfen sich.

US-Außenministerin Condoleezza Rice, die letzte Woche zuerst nach Neu-Delhi und dann nach Islamabad geflogen war, sagte gestern auf ABC News, Pakistan müsse seiner Verpflichtung nachkommen und "den Terrorismus und die Terroristen ausrotten". Rice erklärte, sie habe das Argument "nicht akzeptiert", die Anschläge von Mumbai seien "von nicht-staatlichen Tätern begangen" worden. Sie habe den Vertretern Pakistans erklärt, dass sie trotzdem "in der Verantwortung" stünden.

Rice betonte: "Pakistan muss jetzt handeln. Es muss in Abstimmung mit Indien und den Vereinigten Staaten handeln." Auf die Frage, ob Indien das Recht zu militärischem Vorgehen habe, äußerte sie Verständnis für den Zorn und die Frustration Indiens und fügte hinzu: "Aber in diesem Fall könnte Indien die Sache mit einer bestimmten Art und Weise des Handelns verschlimmern. Wir brauchen keine Krise in Südasien."

In einem Artikel in der pakistanischen Zeitung Dawn vom Samstag stand, Rice habe Pakistan mit internationalen Strafmaßnahmen gedroht, wenn es jetzt nicht handle. Bei einem Treffen mit dem pakistanischen Premierminister, dem Präsidenten und dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte soll die US-Außenministerin "die pakistanischen Führer dringend ermahnt" haben, "gegen die Täter vorzugehen, andernfalls werden die USA handeln". Sie betonte: "Man muss endlich zur Sache zu kommen"; notwendig sei eine "effektive und gezielte" Reaktion.

Die Washington Post zitierte einen hochrangigen pakistanischen Vertreter mit den Worten, dass Pakistan einem Ultimatum Indiens und der USA zugestimmt habe, innerhalb von 48 Stunden einen Aktionsplan gegen die kaschmirische Separatistengruppe Lashkar-e-Taiba zu formulieren. Diese Gruppe wird für die Anschläge von Mumbai verantwortlich gemacht. Der pakistanische Sprecher habe gesagt, Rice verlange die Verhaftung von mindestens drei Pakistanern, die mit den Angriffen zu tun haben sollten. Der Bericht der Washington Post wurde später von amerikanischen und pakistanischen Sprechern dementiert.

Es ist klar, dass Washington die Drohung mit indischen Militäraktionen und mit nicht näher bezeichneten amerikanischen Strafmaßnahmen nutzt, um die pakistanische Regierung zu zwingen, sich den Forderungen der USA und Indiens zu beugen. Indien nutzt das Massaker von Mumbai, um Schritte gegen bewaffnete islamistische und kaschmirische Separatistengruppen einzufordern, die von Stützpunkten im pakistanischen Teil von Kaschmir aus operieren. In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben die indischen Streitkräfte einen rücksichtslosen und oftmals brutalen Krieg gegen kaschmirische Militante geführt, die sich gegen die Zugehörigkeit eines Teils von Kaschmir zu Indien wehren.

Die USA sind daran interessiert, eine "Krise" zwischen den beiden Nuklearmächten abzuwenden, denn dies würde den wirtschaftlichen und strategischen Interessen Amerikas in der Region zuwiderlaufen und besonders die Bemühungen unterlaufen, die Besetzung Afghanistans zu stabilisieren. So ließ Rice die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen und forderte von der pakistanischen Armee, ihre Operationen gegen die im Grenzgebiet zu Afghanistan operierenden, anti-amerikanischen Rebellen zu verstärken. Die USA wollen verhindern, dass pakistanische Truppen, die auf eine militärische Bedrohung seitens Indien reagieren, von der afghanischen an die indische Grenze verlegt werden.

Am Wochenende zeigte sich erneut, wie angespannt die Beziehungen zwischen Neu-Delhi und Islamabad sind. Berichten zufolge war die pakistanische Luftwaffe 24 Stunden lang in höchster Alarmbereitschaft, nachdem Präsident Asif Ali Zardari am 28. November einen Drohanruf erhalten hatte. Jemand habe unter dem Namen des indischen Außenministers, Pranab Mukherjee, angerufen, berichtete Dawn am Samstag. Daraufhin kam es in Islamabad zu Krisentreffen und der Drohung, Truppen an die indische Grenze zu verlegen.

Der Anruf, der inzwischen von beiden Seiten als schlechter Scherz betrachtet wird, hat eine Flut von gegenseitigen Beschuldigungen ausgelöst. Mukherjee streitet ab, selbst angerufen zu haben, und weist den pakistanischen Vorwurf zurück, der Anruf sei aus dem indischen Außenministerium gekommen. Indische Sprecher unterstellen dem pakistanischen Geheimdienst ISI, den Anruf getätigt zu haben, um die Aufmerksamkeit von den Anschlägen in Mumbai abzulenken. Es ist nicht klar, wer angerufen hat, aber es ist nicht auszuschließen, dass Hardliner im indischen oder pakistanischen Staatsapparat, die einen militärischen Konflikt herbeiführen wollen, dafür verantwortlich sind.

Die Gefahr eines militärischen Konflikts zwischen Indien und Pakistan ist keinesfalls gebannt. Die indische Regierung, die nächstes Jahr Wahlen bestehen muss, steht unter dem Druck extremistischer Hindu-Parteien, die einen Vergeltungsschlag gegen Pakistan fordern. Indische Beamte gehen davon aus, dass Mitglieder von Lashkar-e-Taiba hinter den Anschlägen von Mumbai stecken, wobei sie behaupten, sie hätten Beweise, dass der ISI seine Hand im Spiel gehabt habe. Neu-Delhi hat die Beziehungen mit Islamabad eingefroren und schließt Militärschläge gegen "Ausbildungslager von Terroristen" nicht aus.

Die pakistanische Daily Times berichtete gestern von einer Bemerkung des US-Senators John McCain, der am Freitag als Mitglied einer Parlamentarierdelegation an einem Treffen mit führenden Politikern Pakistans teilnahm. McCain, der gerade aus Neu-Delhi kam, erklärte gegenüber der Zeitung, Indien werde Luftangriffe auf pakistanisches Terrain führen, falls Pakistan nicht handle - und zwar schnell. "Die demokratische Regierung Indiens steht unter starkem Druck. Wenn Islamabad jetzt, wo Indien den pakistanischen Behörden Beweise vorgelegt hat, nicht innerhalb von Tagen gegen die Terroristen vorgeht, dann kommt die Gewaltoption ins Spiel", sagte McCain.

Ein Artikel auf der Website der Asia Times vom Samstag zitierte einen hohen Vertreter des indischen Innenministeriums mit den Worten, es sei an höchster Stelle eine Entscheidung gefallen, dass Indien sich direkt an der "Vernichtung" der Terroristen und ihrer Infrastruktur in Pakistan beteiligen werde. Der indische Beamte erwähnte die Möglichkeit, dass Eliteeinheiten mit Unterstützung der Geheimdienste verdeckte Schläge führen könnten. Damit wolle man pakistanische Vergeltung und einen offenen Krieg vermeiden. Die Operationen sollten weit ausholen. Sie sollten nicht nur den pakistanischen Teil Kaschmirs treffen, sondern auch Grenzgebiete der Provinz Pundschab. Außerdem sei an eine Überwachung des pakistanischen Küstengürtels gedacht.

Es ist unklar, was als nächstes geschieht. Auf die Frage, was die USA zu tun gedächten, wenn Indien Schläge gegen Pakistan führen würde, sagte McCain der Daily Times, Washington könne wohl nicht viel tun. Er verwies auf die US-Invasion in Afghanistan nach den Anschlägen vom 11. September und erklärte: "Wir können Indien nicht sagen, es solle nichts unternehmen, wenn wir selbst was getan haben." McCain spricht zwar nicht direkt für die Bush-Regierung, aber zweifellos gibt er die Stimmung im Weißen Haus wider, die Indien zu einer kriegerischen Haltung ermutigt.

Schon im Jahr 2001 stand der Subkontinent am Rande eines neuen indo-pakistanischen Kriegs. Nach einem Angriff kaschmirischer Separatisten auf das indische Parlament im Dezember 2001 setzte Indien eine halbe Millionen schwer bewaffneter Soldaten in Richtung pakistanischer Grenze in Marsch. Käme es jetzt zum offenen Konflikt, wäre das bereits der vierte indo-pakistanische Konflikt seit 1947. Ein Artikel im Hindu von gestern merkte an, eine auffällige und teure Mobilisierung indischer Truppen sei gar nicht mehr nötig. Nach der Konfrontation von 2001-02 habe die indische Militärführung eine neue Doktrin des "Kaltstarts" entwickelt, um ohne Vorwarnung viel schneller reagieren zu können.

Amerikanischer Druck auf Pakistan könnte sich leicht gegen Amerika selbst richten. In Pakistan stößt die amerikanische Besetzung des Irak und Afghanistans schon jetzt auf weit verbreitete Opposition, und die amerikanischen Luftschläge auf pakistanisches Stammesgebiet haben in letzter Zeit die Wut noch angeheizt. Nach jahrzehntelangen Spannungen mit Indien sind viele Pakistaner äußerst misstrauisch, wenn Indien nun Vorwürfe wegen der Anschläge in Mumbai erhebt. Die Versuche, die pakistanische Regierung zu zwingen, sich den indischen und amerikanischen Forderungen zu unterwerfen, werden die Regierung nur noch weiter destabilisieren und eine politische Krise heraufbeschwören.

In den über sechzig Jahren seit der Unabhängigkeit haben die führenden Kreise in Indien und Pakistan immer wieder zu Kommunalismus und Militarismus Zuflucht genommen, wenn sie von ihrer Unfähigkeit ablenken wollten. Sie sind nicht in der Lage, die tiefen sozialen und wirtschaftlichen Probleme der großen Mehrheit der Bevölkerung zu lösen. In der aktuellen globalen Wirtschaftskrise und der angespannten Lage nach den Terroranschlägen von Mumbai greifen die Regierungen beider Länder zu den altbewährten Methoden. Washingtons Intervention dient nicht dem Abbau von Spannungen, sondern erhöht noch die Gefahr eines militärischen Konflikts.

Siehe auch:
Washington nutzt Anschlag in Mumbai zur Verschärfung des "Kriegs gegen den Terror"
(5. Dezember 2008)
Die blutigen Anschläge von Mumbai: Sackgasse des Kommunalismus
( 2. Dezember 2008)
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