Marineeinheiten vor Somalia werden verstärkt

Seit der Kaperung des Supertankers Sirius Star, eines der größten Schiffe überhaupt beherrscht die Seeräuberei im Golf von Aden vor der Küste Somalias, die Schlagzeilen. Der Wert der Ladung (etwa hundert Millionen Dollar) entspricht einem Viertel der saudi-arabischen Tagesförderung. Der Tanker wurde weit im Süden der somalischen Gewässer aufgebracht, etwa 450 Seemeilen vor der afrikanischen Küste.

Der Zwischenfall wurde zum Anlass genommen, weitere ausländische Marineverbände in die Region zu entsenden. Schon jetzt patrouillieren zahlreiche Kriegsschiffe im Golf von Aden. Die Europäische Union plant jetzt die Entsendung weiterer zehn Schiffe unter einem zentralisierten britischen Kommando.

Indien und Russland haben Schiffe in die Region geschickt, und Japan denkt über entsprechende Maßnahmen nach. Russland überlegt, seine Marinebasis aus den Zeiten des Kalten Kriegs in Aden wieder in Betrieb zu nehmen, und hat die Übergangsregierung Somalias (TFG) um Erlaubnis gebeten, im Land einen Stützpunkt aufzubauen.

Medien rufen nach Bewaffnung der Handelsschiffe, dem Einsatz von Söldnern und sogar einer Blockade der Wasserstraße. Söldnerunternehmen wie Blackwater Worldwide tauchen in der Region auf, weil sie einen lukrativen Markt für Sicherheitsfirmen wittern. Im Irak gibt es für sie mittlerweile weniger zu tun.

Die zunehmende Militarisierung der ölreichen Gegend ist eine große Gefahr für die Völker der Region und der ganzen Welt. Gegenwärtig operieren dort Kriegsschiffe aus Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Indien, Malaysia, Russland und den Vereinigten Staaten. Auch Ägypten hat seine Bereitschaft erklärt, sich an den Sicherheitsoperationen vor der somalischen Küste zu beteiligen. Ägypten leidet unter sinkenden Einnahmen aus den Suezkanalgebühren. Drei wichtige Reedereien sollen schon entschieden haben, die Route zu meiden.

Der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin fordert entschlossenere Maßnahmen. "Härtere Sanktionen, härtere Maßnahmen, stärkere Aufrufe an die internationale Gemeinschaft könnten verabschiedet werden", sagte er kürzlich. "Den vor Somalia operierenden Marinekräften aus verschiedenen Ländern, darunter Russland, könnten erweiterte Vollmachten für den Kampf gegen die Piraterie erteilt werden."

Die Gefahren, die sich aus diesem Kurs ergeben, wurden deutlich, als die indische Fregatte INS Tabar, die indische Handelsschiffe durch das Gebiet geleiten sollte, am 18. November ein angebliches somalisches "Piratenmutterschiff" versenkte. Die Tabar ist eine in Russland gebaute Raketenfregatte vom Typ Krivak III und ist mit dem israelischen Raketensystem Barak und den neuen russisch-indischen "BrahMos"-Raketen ausgestattet, dem derzeit tödlichsten Raketensystem zum Kampf gegen Schiffe.

Als fünf Tage später ein Besatzungsmitglied lebend geborgen wurde, erwies sich, dass das angebliche Piratenschiff ein thailändisches Fischereischiff war. Seinem Besitzer zufolge war es am selben Tag von Piraten gekapert worden. Nachdem er über Funk davon erfahren hatte, hatte er die Behörden informiert. Die indische Marine rechtfertigte ihr Vorgehen damit, dass sie von dem Schiff aus beschossen worden sei, als sie sich ihm näherte.

Indien versucht, mehr Schiffe vor Somalia zum Einsatz zu bringen, und hat mit Oman Liegerechte in seinen Häfen vereinbart.

Die Gefahr eines internationalen Zwischenfalls wurde am Freitag deutlich, als ein Tanker aus Singapur gekapert wurde. Ein irischer und zwei britische Sicherheitsleute die sich auf dem Schiff befanden, sprangen über Bord. Sie wurden später von deutschen Hubschraubern gerettet. 25 indische Seeleute und zwei aus Bangladesch wurden an Bord des Chemietankers als Geiseln genommen.

Die Operationen zahlreicher Marineverbände und Söldnergruppen in der Region erhöhen auch die Gefahr weiterer Konflikte und möglicher Zusammenstöße rivalisierender Gruppen in Somalia. Wenn ein Land von sich behaupten kann, es habe die Piraterie unter Kontrolle gebracht, dann kann dieses Land möglicherweise auch einen bedeutenden Teil des Welthandels kontrollieren.

Die Piraterie geriet erstmals Ende September in die Schlagzeilen, als die ukrainische MV Faina gekapert wurde, die 33 Panzer aus der Sowjet-Ära nach Kenia transportierte.

Bis zu dem Faina-Zwischenfall war die Überwachung der Schifffahrtswege in der Region hauptsächlich Aufgabe der Combined Task Force 150. Diese in Dschibuti stationierte Einheit ist eine Initiative zur "Bekämpfung des Terrorismus". Ihre treibenden Kräfte sind die USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Sie patrouilliert den Golf von Aden, den Golf von Oman, das Arabische Meer, das Rote Meer und den Indischen Ozean. Drei Kriegsschiffe umringten die Faina um sicherzustellen, dass ihre Fracht nicht in die Hände somalischer islamistischer Milizen fiel, die nach Ansicht Washingtons mit al-Qaida in Verbindung stehen und sich daher im Visier des amerikanischen "Kriegs gegen den Terror" befinden.

Die Europäische Union nimmt gerade ihre erste gemeinsame Marinemission auf. Sie löst die Nato ab, die bisher Hilfslieferungen des Welternährungsprogramms nach Somalia eskortiert hat. Für die EU bedeutet das eine deutliche Ausweitung ihrer militärischen Aktivitäten.

Die starke Zunahme von Piraterie im letzten Jahr kann nur mit den veränderten Bedingungen in Somalia selbst erklärt werden. Dem internationalen Seefahrtsbüro zufolge wurden in diesem Jahr vor der somalischen Küste schon 92 Schiffe angegriffen und 40 entführt.

Davon befinden sich noch zwölf Schiffe und fast 300 Matrosen in der Hand der Piraten. Im ganzen Jahr 2007 hatte es 60 Piratenangriffe gegeben.

Schiffe werden jetzt teilweise monatelang festgehalten und erst nach langwierigen Verhandlungen mit den Eignern über Lösegelder in Millionenhöhe wieder freigelassen. Die kriminellen Banden haben inzwischen in modernere Waffen und elektronische Ausrüstung investiert und arbeiten mit "Mutterschiffen", d.h. größeren Schiffen, die ihnen als Basis für ihre Angriffe dienen. Das ermöglicht ihnen, in einem wesentlich größeren Gebiet zu agieren.

Diese kriminellen Operationen in großem Maßstab stehen in enger Verbindung mit den Warlords und Clanführern in Somalia, von denen viele mit der Übergangsregierung (TFG) in Mogadischu zusammenarbeiten. Die TFG wurde Ende 2006 von äthiopischen Invasionstruppen in Zusammenarbeit mit den USA eingesetzt. Ihr Präsident Abdullahi Yusuf Ahmed stammt aus Puntland, einer autonomen Region im Norden Somalias. Er war bis 2004 Präsident Puntlands und unterhält immer noch enge Beziehungen zu der jetzigen Regierungsspitze. In diesem Gebiet konzentriert sich der größte Teil der Piratenaktivität.

Die Londoner Times berichtet aus dem Fischerdorf Eyl in Puntland, in dem nach Angaben ihres Korrespondenten mehr als 220 Geiseln festgehalten werden. Sie bezieht sich auf die Aussage des Akademikers Abdirahman Ibrahim aus Puntland, dass diese Aktivitäten einen wirtschaftlichen Aufschwung in der Region bewirkt haben. 35 Millionen Dollar seien dieses Jahr mit der Piraterie verdient worden. "Es kann nicht sein, dass soviel Geld reinkommt und wieder abfließt, ohne dass die Leute an den Spitzen der Clans daran beteiligt sind", sagt Ibrahim. Er meint damit den Majeerteen-Clan Abdullahi Yusufs.

Abdullahi Yusuf besuchte Puntland kürzlich unverhofft und traf seinen Verbündeten, den Präsidenten von Puntland, General Musa Nur Adde, zu Gesprächen über die Entführungen. Er wurde dabei von dem jemenitischen Botschafter in Kenia begleitet. Die beiden Männer drohten, mit militärischen Mitteln einzugreifen. Das scheint ein Versuch zu sein, die Piraterie einzudämmen, weil sie sonst ernste Vergeltungsmaßnahmen nach sich ziehen könnte.

Es ist nicht klar, welche internationalen kriminellen Kräfte hinter den Warlords und Piraten stehen, die in Somalia operieren. Aber angesichts des Umfangs der Aktivitäten muss es welche geben. Die Times berichtet, die Lösegelder würden auf Konten in den Vereinigten Arabischen Emiraten und selbst in Europa eingezahlt. Auch in Kenia sollen Mittelsmänner sitzen.

Die TFG übt im Land jenseits ihrer eigenen, von den Äthiopiern geschützten Enklaven nur wenig Kontrolle aus. Yusuf räumte kürzlich ein, die Regierung stehe kurz vor dem Zusammenbruch, weil Aufständische inzwischen fast das ganze Land kontrollierten und bis an den Stadtrand von Mogadischu vorgerückt seien.

Clanführer in Puntland haben sich immer mehr der Piraterie als Haupteinnahmequelle zugewandt. Ansonsten befindet sich die Wirtschaft Puntlands im Niedergang, Die Küstenwache, die früher die Schifffahrtswege überwacht hat, wird nicht mehr finanziert.

Letztlich sind die USA für die Lage in Somalia verantwortlich, die die Region im Kalten Krieg mit Waffen überschwemmten und 1992 unter dem Vorwand von Hungerhilfe Zehntausende Soldaten nach Somalia schickten. Diese wurden nach dem Abschuss eines Black Hawk Hubschraubers von der empörten Bevölkerung vertrieben. Seitdem haben sich die USA den Warlords angenähert, die sie früher verurteilt haben. Diese Warlords sind auch in der TFG-Regierung vertreten.

Somalia ist inzwischen das am meisten verwüstete Land Afrikas. Die Lage ist jetzt viel schlimmer als vor der äthiopischen Invasion. Mehr als 10.000 Menschen sind seit Januar 2007 getötet worden, und mehr als eine Million Menschen sind Flüchtlinge im eigenen Land. Die Vereinten Nationen berichten über verbreitete akute Mangelernährung und eine Sterblichkeitsrate von 145 Todesfällen auf tausend Kinder unter fünf Jahren. Fast die Hälfte der Bevölkerung muss von weniger als einem Dollar am Tag existieren.

Siehe auch:
Deutschland drängt nach Afrika
(20. Mai 2006)
Bundeskabinett beschließt Militäreinsatz im Kongo: Washington unterstützt die Invasion Äthiopiens in Somalia
( 30. Dezember 2006)
Loading