Die Aufgaben der iranischen Arbeiterklasse

Seit den Präsidentschaftswahlen im Iran hat sich in der herrschenden Elite eine tiefe Spaltung aufgetan. Der unterlegene Kandidat Mirhossein Mussawi, der die Unterstützung der amerikanischen und europäischen Mächte genießt, steht an der Spitze einer Bewegung, die überwiegend aus Mittelschichten besteht und das gegnerische Lager von Präsident Mahmoud Ahmadinedschad im Namen der "Demokratie" von der Regierung verdrängen will.

Keine der beiden rivalisierenden Fraktionen repräsentiert die Interessen der Arbeiterklasse. Beide verteidigen den bestehenden Gottesstaat und weisen eine lange Bilanz blutiger Repression gegen die arbeitende Bevölkerung auf. Würde sich Mussawi durchsetzen, würde er genau wie Ahmadinedschad demokratische Rechte mit Füßen treten und zwangsläufig den Lebensstandard der Arbeiter bedrohen.

Selbstverständlich muss die Arbeiterklasse die Krise nutzen, um für ihre eigenen Klasseninteressen zu kämpfen. Aber das ist nur möglich, wenn sie politisch gegen alle Fraktionen der herrschenden Elite in die Offensive geht. Sie muss sich der Methoden des Klassenkampfs bedienen und Streiks und Fabrikbesetzungen durchführen, die von gewählten Betriebskomitees geleitet werden. Eine solche Bewegung muss sich auf den Kampf für Arbeitermacht und für einen sozialistischen Iran ausrichten.

Ein solches Programm ist genau das Gegenteil dessen, was die verschiedenen kleinbürgerlichen linken Tendenzen in Europa und in den Vereinigten Staaten vorbringen. Sie reagieren auf die Krise im Iran, indem sie sich hinter ihre jeweilige Regierung stellen und das Mussawi-Lager unterstützen.

Zwei Statements, eins von der ehemaligen pablistischen NPA (Neue Antikapitalistische Partei) in Frankreich und das andere von der britischen SWP (Socialist Workers Party), sind dafür bezeichnend. Sie unterscheiden sich kaum von den Erklärungen der bürgerlichen Medien. Kritiklos akzeptieren sie die Behauptung, die Präsidentschaftswahlen seien gefälscht worden, stellen die oppositionellen Proteste in leuchtend demokratischen Farben dar und erklären sich solidarisch mit der "Bewegung der Millionen auf den Straßen".

Ihrer Berichterstattung über die iranische Krise fehlt jede Klassenanalyse der handelnden Kräfte. Wo sie sich auf "die Arbeiter" beziehen, tun sie es nicht, um die Arbeiterklasse für einen unabhängigen Kampf gegen das Regime zu mobilisieren, sondern nur, um der Bewegung der städtischen Mittelschichten, die sich um Mussawis Banner scharen, einen linken Anstrich zu verpassen.

In ihrer Erklärung vom Montag unter dem Titel, "Mit der Bevölkerung und mit den Arbeitern des Iran!", bauscht die NPA die begrenzten Aktionen der Busfahrergewerkschaft und der Autogewerkschaft im Werk Khodro Iran zu einer Art Generalstreik auf. Darin zeige sich "das Gespenst einer neuen Revolution", heißt es da: Inmitten "der Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Regime-Clans werfen sich Arbeiter und das einfache Volk in die Bresche".

Nur wenige Belege werden für die Behauptung geliefert, dass wir Zeuge des Beginns einer breiten Bewegung der iranischen Arbeiterklasse seien. Aber selbst wenn das der Fall wäre, dann wäre die Linie der NPA, die Proteste der Opposition unkritisch zu unterstützen, umso krimineller.

Die SWP schreibt in ihrer Erklärung "Kampf der Arbeiter ist Schlüssel für den Erfolg der Bewegung im Iran", dass "die Massen auf der Straße gegen Armut, Entfremdung und ums tägliche Überleben kämpfen". Dann heißt es, die kollektive Stärke der Arbeiterklasse sei noch nicht wirklich zum Tragen gekommen. Es folgt aber keine unabhängige Perspektive und kein Programm. Das Dokument schließt einfach mit der Feststellung, das Ergebnis des Kräftemessens zwischen dem Regime und der Oppositionsbewegung sei noch offen.

Die unkritische Lobhudelei für die Protestbewegung im Iran dient einem klaren politischen Ziel: Damit soll eine ernsthafte Untersuchung des Programms der iranischen Oppositionsführer, ihrer Geschichte und der Klasseninteressen, die sie vertreten, verhindert werden.

In keiner der beiden Erklärungen wird erwähnt, dass die USA und Europa einen ungewöhnlichen Feldzug für das Mussawi-Lager führen. Dabei gibt es in den Medien und Think Tanks keinen Mangel an Diskussion über die Frage, wie die Fraktionskämpfe im iranischen Regime für den strategischen und wirtschaftlichen Vorteil der imperialistischen Mächte genutzt werden können.

Der amerikanische Think Tank Stratfor, der für politisch bewusste Teile der amerikanischen herrschenden Klasse spricht, widmete diese Woche erneut einen Artikel der Untersuchung von "Ahmadinedschads zweiter Amtszeit". Er begrüßt die Spaltungen in der herrschenden Klasse als Schwächung Ahmadinedschads. Sie "machen es [dem Iran] schwerer, die innere Einheit zu erreichen, die notwendig wäre, um der amerikanischen Politik Steine in den Weg zu legen". Bezeichnenderweise hat Stratfor keine Bedenken gegen Arbeitsniederlegungen, solange sie die Opposition stärken und solange die Arbeiter politisch unter der Kontrolle der Mussawi-Führung bleiben.

Was an den Erklärungen der SWP und der NPA besonders beunruhigt, ist, dass sie die Aktivitäten der westlichen Geheimdienste und Frontorganisationen, die im Iran nach dem Muster der Farbenrevolutionen in Osteuropa und den ehemaligen Sowjetrepubliken arbeiten, nicht einmal erwähnen. Eine Artikelserie von Seymor Hersh im New Yorker zeigt detailliert die umfangreichen Desinformationskampagnen und Destabilisierungsbemühungen der CIA und der US Special Forces im Iran mindestens seit 2005 auf.

Diese Aktivitäten sind unter der Obama-Regierung mit Sicherheit weitergegangen. Für die USA und die europäischen Mächte steht im Iran viel auf dem Spiel. Das Land hat nicht nur selbst enorme Energievorkommen, sondern es liegt auch an der Schnittstelle zweier Regionen - des Nahen Ostens und Zentralasiens -, die für die strategischen und ökonomischen Ambitionen des Imperialismus im Zentrum stehen. Die gegenwärtige internationale Kampagne zur Unterstützung der Mussawi-Fraktion soll diese Interessen befördern.

Die kleinbürgerlichen linken Gruppen tragen ihren Teil zu diesen Bemühungen bei, indem sie die Arbeiterklasse einer Fraktion der iranischen Bourgeoisie unterzuordnen versuchen. SWP und NPA bestärken beide die tödliche Illusion, eine solche Bewegung sei in der Lage die demokratischen Bestrebungen der breiten Massen spontan zu befriedigen. Beide verzichten darauf, die Arbeiter aufzurufen, einen revolutionären Kampf für ihre unabhängigen Klasseninteressen zu führen, die Macht zu ergreifen und ein sozialistisches Programm umzusetzen.

Was wären die Folgen eines Siegs der Mussawi-Fraktion, für die sie eintreten? Man muss nur an die Erfahrungen der Arbeiter in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion in den späten 1980er Jahren erinnern. In Ermangelung einer revolutionären sozialistischen Alternative wurde die jahrzehntelang aufgestaute Frustration hinter oppositionelle Fraktionen der stalinistischen Bürokratien gelenkt, die die Restauration des Kapitalismus anstrebten. Dann folgten mehrere von den USA gelenkte "Farbenrevolutionen", die pro-westliche Regimes an die Regierung brachten und die Einführung der Marktwirtschaft beschleunigten. In allen Fällen war eine soziale Katastrophe für die Arbeiterklasse die Folge.

Die gegenwärtige Situation muss nüchtern eingeschätzt werden. Im Iran hat eine längere Periode politischer Kämpfe begonnen, die von der globalen Wirtschaftkrise vorangetrieben werden. Arbeiter, Studenten und sozialistische Intellektuelle müssen sich auf die Arbeiterklasse orientieren und einer sozialistischen und internationalistischen Perspektive folgen. Dazu ist es notwendig, die Lehren aus den zentralen strategischen Erfahrungen der Arbeiterklasse des letzten Jahrhunderts im Iran und international zu ziehen und eine Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale im Iran aufzubauen.

Siehe auch:
Krise im Iran: Besancenots NPA im Fahrwasser von Sarkozys Außenpolitik
(20. Juni 2009)
Irans oberster Führer sucht Konfrontation
( 23. Juni 2009)
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