Israel: Netanjahu lehnt Kompromiss mit Palästinensern ab

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu sagte, seine Regierung sei nicht an irgendeiner Übereinkunft mit den Palästinensern interessiert.

Netanjahus Rede war als Antwort auf US-Präsident Barack Obamas Rede vom 4. Juni in Kairo angekündigt worden. In jener Rede hatte Obama die Schaffung eines Palästinenserstaats und ein Ende neuer Siedlungen auf der West Bank angemahnt. Netanjahu sprach vor einem geladenen Publikum im Begin-Sadat-Zentrum für Strategische Studien an der Bar Ilan Universität, in der Nähe von Tel Aviv, einer akademischen Hochburg der religiösen Rechte.

Netanjahu erklärte unmissverständlich, die Schaffung eines palästinensischen "Staats" sei davon abhängig, dass die Palästinenser einer Reihe von israelischen Forderungen zustimmten. Diese Forderungen negieren aber in ihrer Gesamtheit alle normalen Eigenschaften eines Staats.

Sie wurden als israelische "Prinzipien" dargestellt. Das erste Prinzip und die "fundamentale Bedingung" besteht darin, dass die Palästinenser nicht nur den Staat Israel anerkennen, sondern seine Eigenschaft als "Staat des jüdischen Volks". Das bedeutet, dass den palästinensischen Flüchtlingen, die entweder 1948 aus ihrer Heimat vertrieben oder 1967 geflohen sind, nicht erlaubt wird, nach Israel zurückzukehren.

Die Palästinensische Befreiungsorganisation hat zwar Israel 1988 anerkannt, sie hat sich aber geweigert, die Idee von Israel als jüdischem Staat zu akzeptieren, weil das bedeuten würde, den palästinensischen Flüchtlingen das Recht auf ihre Rückkehr abzuerkennen.

Netanjahu erklärte, die Lösung des Problems der palästinensischen Flüchtlinge, die finanzielle Entschädigung, Heimat und Staatsbürgerschaft, liege in der Verantwortlichkeit der internationalen Gemeinschaft und von Israels arabischen Nachbarn. Er ließ den Status der palästinensischen Israelis im Unklaren, die zwanzig Prozent der israelischen Bevölkerung ausmachen und zurzeit israelische Staatsbürger sind. Viele von Netanjahus Kabinettskollegen haben gefordert, die Staatsbürgerschaft solle von einem Eid zur Loyalität gegenüber Israel und vom Dienst in der israelischen Armee abhängig gemacht werden.

Das zweite Prinzip ist die Demilitarisierung, worunter Netanjahu versteht, dass den Palästinensern nicht erlaubt wird, Waffen oder eine Armee zu besitzen, Militärabkommen zu unterzeichnen, Bündnisse mit anderen Staaten einzugehen oder ihren Luftraum zu kontrollieren. Sie müssten obendrein garantieren, dass keine Waffen ins Land gelangen. Dies ist im Wesentlichen die Forderung, dass die PLO und die Palästinensische Autonomiebehörde unter Leitung von Mahmoud Abbas einen uneingeschränkten Bürgerkrieg führen, um die Hamas und andere militante Gruppen ausmerzen.

Netanjahu forderte die imperialistischen Mächte im Allgemeinen und die USA im Besonderen auf, internationale Garantien für eine Demilitarisierung zur Verfügung zu stellen.

Drittens brauche Israel verteidigungsfähige Grenzen. "Jerusalem muss die geeinte Hauptstadt Israels bleiben"; was ausschließt, dass Ost-Jerusalem die Hauptstadt eines zukünftigen palästinensischen Staats wird, oder dass der Tempelberg oder Haram al-Sharif, der von allen drei großen Religionen als heilig angesehen wird, unter internationale Kontrolle gestellt wird.

Israel hat schon früher erklärt, "verteidigungsfähige Grenzen" bedeute, dass seine Truppen am Westufer des Jordans stationiert sein müssen. Das würde entweder bedeuten, Soldaten innerhalb eines Palästinenserstaats zu stationieren, oder eine weitere Ausdehnung auf palästinensisches Land auf der Westbank mit sich bringen.

Netanjahu wies erneut amerikanische Forderungen nach einem Stopp israelischer Siedlungen zurück. Schon vorhandene Siedlungen dürften weiter ausgebaut werden, erklärte er, obwohl er das Minimalzugeständnis machte, es werde keine neuen Siedlungen geben. Er verteidigte die Siedler und erklärte, sie seien "keine Feinde des Friedens". Seit Netanjahu im Februar an die Macht kam, hat es mehrere Zwischenfälle gegeben, bei denen israelisches Militär in der West Bank mit scharfer Munition auf Palästinenser geschossen hat, die gegen gewaltsame Provokationen der Siedler protestierten. Dutzende wurden dabei verletzt.

Netanjahu sagte über die zukünftigen Grenzen eines palästinensischen Staats nichts weiter aus. Nichts deutete darauf hin, dass sich Israel von irgendeiner Siedlung auf der West Bank zurückziehen werde.

Was er hier anbietet, ist ein zersplittertes Gebilde, Gaza und die Westbank (Westjordanland). Letztere besteht aus einer Reihe von nicht zusammenhängenden Enklaven, eher wie eine Kette aus Bantustans, die vollständig von Israel eingekreist und abhängig sind. Die palästinensische Bourgeoisie soll darin die Rolle des Polizisten für Israels Sicherheit übernehmen.

Würden die Palästinenser diese Bedingungen akzeptieren, dann könnten die Gespräche über einen zukünftigen Staat sofort beginnen, erklärte Netanjahu. Dabei ignorieren seine Vorbedingungen sämtliche vorausgegangenen Resolutionen der Vereinten Nationen, das Abkommen von Oslo von 1993 und den saudischen Plan von 2002 und gehen sogar hinter die Road Map von George W. Bush zurück. Daher muss er mit einer Ablehnung durch die Autonomiebehörde rechnen, was ihm dann ermöglicht, die Palästinenser dafür verantwortlich zu machen, dass sie keinen Staat bekommen.

Selbst Ägyptens Präsident Hosni Mubarak, Washingtons wichtigster arabischer Handlanger, erklärte, Netanjahus Rede "ruiniert die Chancen auf einen Frieden". In einer Rede vor ägyptischen Armeeangehörigen fügte Mubarak, Berichten zufolge, hinzu: "Es wird weder in Ägypten noch sonst wo irgendjemanden geben, der diesem Aufruf nachkommt."

Nabil Abu Rudeinah, ein Berater von Abbas, wies Netanjahus Forderungen zurück. "Netanjahus Ausführungen haben alle Initiativen sabotiert, alle bisherigen Bemühungen zum Erliegen gebracht und stellen die palästinensischen, arabischen und amerikanischen Positionen in Frage", erklärte er.

Saeb Erekat, der palästinensische Hauptunterhändler, verurteilte die Rede und erklärte, Netanjahu müsse "tausend Jahre warten, bevor er einen Palästinenser findet, der bei diesem schwachen Staat mitmachen würde".

"Benjamin Netanjahu sprach von Verhandlungen, aber er legte nichts vor, vorüber man verhandeln könnte, da er alle Fragen über den völkerrechtlichen Status des Jordanlands vom Tisch nahm", fügte er hinzu.

Netanjahu habe neue Forderungen aufgestellt und wolle einseitig eine Lösung erzwingen, statt eine Vereinbarung zu verhandeln, fuhr er fort. "Und genauso wenig hat er einen palästinensischen Staat akzeptiert. Stattdessen hat er eine Reihe von Bedingungen und Voraussetzungen verkündet, die einen lebensfähigen, unabhängigen und souveränen palästinensischen Staat unmöglich machen

Erekat forderte Obama auf, einzugreifen, um Israel zu zwingen, frühere Übereinkünfte einzuhalten. Darunter falle auch der Stopp von Siedlungen in Westjordanien. Die Alternative, erklärte er, sei Gewalt. Er würdigte Netanjahus Rede als das, was sie ist: eine vorsätzliche Provokation.

"Präsident Obama, jetzt sind Sie dran", eklärte Erekat. "Sie haben heute Nacht die Wahl. Sie können Netanjahu als Premierminister so behandeln, als stünde er über dem Gesetz, und... heute Nacht das Tor zum Frieden zuschlagen und die gesamte Region auf den Weg der Gewalt, des Chaos, des Extremismus und des Blutvergießens lenken."

"Die Alternative ist. Netanjahu dazu zu bringen, sich an die Road Map zu halten."

Obama tat natürlich nichts dergleichen. Stattdessen begrüßte er die Rede als einen "wichtigen Schritt vorwärts" zu einem palästinensischen Staat, einem Ziel, das Premierminister Netanjahu unterstütze.

Trotz Obamas Behauptung, er vertrete im israelisch-palästinensichen Konflikt einen neuen Standpunkt, zeigt seine Reaktion, dass die Unterschiede zwischen seiner Regierung und der von Bush höchstens taktischer Natur sind.

Die USA sind, genau wie Israel, nur daran interessiert, ein palästinensisches Ghetto zu schaffen. Nur könnte das Weiße Haus seine Politik seinen arabischen Vasallen in der Region besser verkaufen, wenn Israels Erklärungen etwas diplomatischer wären.

Obamas Deklaration eines "untrennbaren Bands zwischen Israel und den USA" bedeutet, dass Washington auch Israel weiterhin unterstützen wird. Es hat nicht die Absicht, Israel einzuschränken.

Netanjahu fühlte sich stark genug, Obama in der Frage der Siedlungen öffentlich die Stirn zu bieten. Der Grund ist, dass Washington das Stillhalten Israels in Bezug auf eine mögliche Annäherung an den Iran dringend benötigt. Der Preis für die Unterstützung Israels für diesen Politikwechsel der USA ist die Fortsetzung von Bushs Israel-Politik. Diese bestand in einem stillschweigenden Einverständnis mit der Ausweitung bestehender Siedlungen durch "natürliches Wachstum".

Die Europäische Union folgte dem Beispiel Obamas und nannte die Rede "einen Schritt in die richtige Richtung". Der tschechische Außenminister Jan Kohut, dessen Land den Vorsitz in der EU innehat, erklärte: "Das ist die Anerkennung eines palästinensischen Staats."

Der schwedische Außenminister Carl Bildt nannte die Rede "einen kleinen Schritt vorwärts", während der spanische Außenminister Miguel Angel Moratinos betonte: "Die internationale Gemeinschaft und die Europäische Union sollte diese neue Dynamik", die Netanjahu in Bewegung gesetzt hat, "unterstützen, ermutigen und fördern".

Dennoch war die EU nicht bereit, Natanjahu einen Blankoscheck auszustellen, aus Furcht, sein harter Kurs könnte ein Wiederaufleben des Konflikts in der Region provozieren.

Bildt beanstandete Netanjahus Definition eines Palästinenserstaats, während der italienische Außenminister Franco Frattini erklärte, es sei "beunruhigend", dass Netanjahu Gespräche über den zukünftigen Status Jerusalems ausgeschlossen habe. Der britische Außenminister David Miliband äußerte, "ein vollständiger Stopp" aller jüdischen Siedlungen sei Israels Pflicht. Als er gefragt wurde, ob Netanjahus Erklärung für die EU ausreichend sei, um ihre Beziehungen zu Israel zu verbessern, erklärte der finnische Außenminister Alexander Stubb schlicht: "Nein".

Siehe auch:
Israel weitet seine Siedlungen aus
(17. Juni 2009)
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