Irans oberster Führer sucht Konfrontation

Mit seiner kompromisslosen Rede zu den Freitagsgebeten beschwört der oberste Führer des Iran, Ajatollah Ali Khamenei, eine potentiell blutige Konfrontation mit den Oppositionsführern herauf. Diese fordern immer noch eine Wiederholung der Präsidentschaftswahl vom 12. Juni.

Zehntausende nehmen täglich an den Protesten der Opposition in Teheran und anderen Städten teil, seit Präsident Mahmoud Ahmadinedschad seinen wichtigsten Herausforderer, Mirhossein Mussawi, mit 63 zu 24 Prozent besiegte. Mussawi und der zweite so genannte "Reformkandidat", Karrubi, bezeichneten das Wahlergebnis als gefälscht und wiesen den Vorschlag des Wächterrates für eine teilweise Neuauszählung der Stimmen zurück.

Sofort und nahezu einstimmig übernahmen die amerikanischen und anderen westlichen Medien die Behauptung Mussawis über massive Wahlfälschung. Sie folgen immer noch dieser Linie, obwohl es nur schwache Belege gibt, die ihre Behauptung stützen.

Die amerikanischen Medien berichten in besonders provokativer Weise über die Ereignisse im Iran. Die Obama-Regierung versucht, die Proteste und die Spaltungen im geistlichen Establishment vor allem mittels der Medien auszunutzen. Sie will mit deren Hilfe Ahmadinedschad destabilisieren, ihn international weiter isolieren und die Bedingungen schaffen, ihn durch einen Führer zu ersetzen, der den amerikanischen Interessen gegenüber ein offeneres Ohr hat.

Der iranische Führer Ajatollah Khamenei, der nur selten Freitagsgebete leitet, nutzte die Gelegenheit, Mussawi und seinen wichtigsten Verbündeten - den beiden Ex-Präsidenten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani und Mohammad Khatami - den Fehdehandschuh hinzuwerfen. In der Teheraner Universität begrüßte er die Wahlbeteiligung als "historisch" und verteidigte das Wahlergebnis. Er wies den Vorwurf der Wahlfälschung zurück und sagte seiner zahlreichen Zuhörerschaft, die Oppositionskandidaten sollten akzeptieren, dass "die islamische Republik die Stimmen der Wähler nicht fälscht".

Khamenei forderte ein Ende der oppositionellen Kundgebungen und sagte, die Wahlen müssten an der Urne entschieden werden, und nicht auf der Straße. Er drohte Mussawi und seinem Lager direkt mit den Worten: "Unruhen nach einer Wahl sind eine Bedrohung für die Demokratie. Wenn sie nicht aufhören, müssen jene die Konsequenzen tragen. Wenn es zu Blutvergießen kommt, dann wird man die Führer der Proteste direkt dafür verantwortlich machen."

Gleichzeitig appellierte Khamenei an seine Gegner und sagte, alle Kandidaten kommen "aus dem System". Er fügte hinzu: "Dies ist kein Streit über die Frage: für oder gegen die Revolution." Khamenei bot Rafsandschani einen kleinen Ölzweig an, indem er Ahmadinedschad dafür zurechtwies, dass er den Ex-Präsidenten in einer Fernsehdebatte vor der Wahl als korrupt bezeichnet hatte.

Khamenei mahnte die Streithähne auch, zu bedenken, dass die politische Krise außer Kontrolle geraten könnte. Sie müssten aufpassen, nicht in Extremismus zu verfallen. Er warnte: "Der Extremismus wird ein Ausmaß erreichen, das sie nicht mehr kontrollieren können. Sie machen sich für das Blutvergießen, die Gewalt und das Chaos verantwortlich."

Gleichzeitig machte Khamenei klar, dass er Ahmadinedschad unterstütze. "Schon seit der letzten Präsidentschaftswahl hat es Meinungsunterschiede zwischen Ahmadinedschad und Rafsandschani gegeben", sagte er und fügte hinzu: "Natürlich stehen meine Ansichten in der Innen- und Außenpolitik Ahmadinedschad näher."

Diese Bemerkungen weisen auf die Spaltung im iranischen Regime hin. Mussawi und sein Lager standen Ahmadinedschads aggressiver, Amerika feindlicher Rhetorik, die dem Land schärfere Sanktionen beschert hat, sehr kritisch gegenüber. Außerdem stören sie sich an seinen großzügigen Geschenken an die Armen. Sie sind dafür, die Obama-Regierung als Gelegenheit zu ergreifen, eine Annährung an die USA zu suchen, eine marktwirtschaftliche Wirtschaftspolitik zu betreiben und die iranische Wirtschaft für Auslandsinvestitionen zu öffnen. Diese taktischen Differenzen sind durch die Wirtschaftskrise noch verschärft worden

Beim Freitagsgebet waren die Fronten klar. Ahmadinedschad saß in der ersten Reihe, flankiert von Ajatollah Mahmoud Scharudi, dem Chef der Justiz, und Parlamentssprecher Ali Laridschani. Einige Reihen weiter hinten saß der ebenfalls konservative vierte Kandidat bei der Präsidentschaftswahl, Mohsen Resai. Es fehlten Mussawi und Karrubi, die beide eingeladen worden waren, sowie Rafsandschani und Khatami.

Khamenei nützte seine landesweit gesendete Rede natürlich, um Unterstützung für seine Position zu mobilisieren. Nach Angaben des iranischen Staatsfernsehens nahmen an dem Gebet eine Million Menschen teil. Das entspricht in etwa den Angaben der Opposition über die Größe ihrer größten Kundgebungen. Auch hier war der soziale Unterschied der Basis der Opposition zu der von Ahmadinedschad evident. Der Guardian bemerkte: "Die Zuhörerschaft bestand aus einfachen Männern, viele ärmlich gekleidet, dazwischen Geistliche, Militärs und Kriegsveteranen."

In Ermangelung einer sozialistischen Perspektive gelingt es Ahmadinedschad mit rechtem Populismus und geringfügigen Subventionen und Sozialprogrammen, eine gewisse Unterstützung bei den Armen in Stadt und Land zu gewinnen, im Unterschied zu den wohlhabenderen Mittelschichten, auf die sich Mussawi stützt.

Khamenei beschuldigte den Westen, das Wahlergebnis beeinflussen und Unruhe schüren zu wollen, nachdem Ahmadinedschad als Wahlsieger proklamiert worden war. Bezeichnender Weise richtete er seine schärfste Kritik aber nicht gegen die USA. Er sagte lediglich, Präsident Obama verhalte sich widersprüchlich: Erst biete er Gespräche an, und dann äußere er sich besorgt über die Wahlen. Khamenei griff Großbritannien als "das verräterischste" der westlichen Länder an. Das britische Außenministerium bestellte daraufhin den iranischen Botschafter in London ein.

Gestern verabschiedeten beide Häuser des US-Kongresses mit überwältigender Mehrheit eine Resolution, in der die iranische Regierung wegen der Gewaltanwendung gegen oppositionelle Demonstranten und wegen der Beschränkungen der Medien und des Internets verurteilt wird. In einer heuchlerischen Debatte erklärte der Republikaner Bob Inglis, einer der Autoren der Resolution, dass "gefälschte Wahlen nicht zu Ergebnissen führen, an die die Menschen glauben". Anscheinend hatte er die von Bush gestohlene Präsidentschaftswahl von 2000 schon vergessen.

Obamas Reaktion auf die Wahl fiel vorsichtiger aus. In einem Interview mit CBS News erklärte der amerikanische Präsident, er sei über den "Tenor" und die "Tonlage" einiger Erklärungen der iranischen Regierung sehr besorgt. Erfügte hinzu, sie solle sich darüber klar sein, dass "die Welt ein wachsames Auge hat".

Zwar unterstützt Obama die außerordentliche internationale Medienkampagne zur Unterstützung der iranischen Opposition, aber er ist sich bewusst, dass jede offene Intervention der USA die Spannungen nur noch weiter anheizen würde. Am Dienstag erklärte er, es wäre "angesichts der Geschichte der iranisch-amerikanischen Beziehungen nicht hilfreich, wenn der Eindruck entstünde, die USA mischten sich ein". Offensichtlich in einer Art Arbeitsteilung überlässt es Obama Großbritannien und anderen europäischen Verbündeten, das Regime zu beschimpfen.

Khameneis anti-amerikanische Rhetorik richtet sich auch gegen das Mussawi-Lager. Der Ajatollah gab seinen politischen Gegnern mit auf den Weg, sie sollten "ihre Augen öffnen", dann würden sie sehen, dass hinter den Demonstrationen "die Hände des Feindes am Werk sind und die hungrigen Wölfe im Dickicht lauern". Für die Toten und die Gewalt der vergangenen Woche machte er "übel Gesinnte, Söldner und Elemente verantwortlich, die für die Spionagemaschinerie des Zionismus und der Westmächte arbeiten".

Es ist eine klare Drohung, dass Oppositionsführer als Verräter gebrandmarkt und entsprechend behandelt werden.

Auf Khameneis Rede reagierte Karrubi schon wenige Stunden später mit einem Offenen Brief an den Wächterrat, in dem er einmal mehr Neuwahlen forderte. "Akzeptiert den Willen der iranischen Nation, erklärt die Wahl für ungültig und stellt sicher, dass das Establishment überlebt", erklärte er. Der Wächterrat sollte sich am Samstag mit allen vier Präsidentschaftskandidaten treffen, um Unregelmäßigkeiten bei der Wahl zu diskutieren, doch es war schon abzusehen, dass Mussawi und Karrubi der Sitzung fernbleiben würden.

Mussawi zeigte keine Neigung, die Großdemonstration vom Samstag in Teheran abzusagen. Der Gouverneur der Stadt, Morteza Tamadon, bekräftigte noch Khameneis Botschaft. Er erklärte, die Demonstration sei nicht genehmigt, und forderte auf, sie zu verbieten. Aber alle Fraktionen des Regimes waren sich darüber im Klaren, dass ein Zurückweichen Mussawis die Proteste in eine neue und gefährlichere Richtung treiben könnte.

Tiefe Spaltungen innerhalb des Regimes treiben die Krise voran. Khamenei und Ahmadinedschad haben starken Rückhalt im Militär und Sicherheitsapparat, einschließlich der Basij, der freiwilligen religiösen Milizen, während Mussawi von Kreisen der Geschäftsleute und des klerikalen Establishment unterstützt wird.

Rafsandschani, der in Mussawis Kampagne eine große Rolle spielt, hält sich in Qom auf, um führende Geistliche für sich einzunehmen. Er leitet den Expertenrat, das Gremium, das laut Verfassung das Recht hat, Khamenei zu rügen oder sogar abzusetzen. Rafsandschani gehört nicht nur zu den reichsten Männern Irans, sondern hat als prominenter Ayatollah sogar die Möglichkeit, Khameneis religiösen Ruf infrage zu stellen.

Mit solchen Schritten liefe er jedoch Gefahr, einen gewaltigen politischen Sturm auszulösen, und darauf mag es weder die Opposition noch die herrschende Elite ankommen lassen. Würde die Arbeiterklasse eingreifen, ihre eigenen Forderungen erheben und Schichten der armen Bauern mit einbeziehen, so würden die zwei bürgerlichen Gruppen ihre Differenzen schnell beiseite legen und eine gemeinsame Front bilden, um die soziale Unruhe einzudämmen und zu unterdrücken. Aller großen Worte über demokratische Rechte zum Trotz würden Mussawi und sein Lager dagegen nicht weniger skrupellos vorgehen als Khamenei, Ahmadinedschad und ihre Hintermänner.

Der einzige Weg, wie die Arbeiterklasse ihre unabhängigen Klasseninteressen verteidigen kann, besteht darin, gegen beide Fraktionen der iranischen Bourgeoisie gleichermaßen vorzugehen. Sie darf keiner von beiden Vertrauen schenken, weder der rechts-populistischen Demagogie von Ahmadinedschad, noch Mussawis leerem Gerede von demokratischen Grundrechten.

Die wahren Verbündeten der iranischen Arbeiter sind nicht in den Reihen der rivalisierenden Fraktionen des reaktionären Gottesstaats zu finden, sondern unter Arbeitern im ganzen Nahen Osten und weltweit, die unter der gleichen bankrotten, kapitalistischen Ordnung leiden. Der einzige Weg vorwärts besteht im Kampf um Arbeitermacht und für einen sozialistischen Iran, als Teil des globalen Kampfs für Sozialismus. Das ist die Perspektive des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

Siehe auch:
Für Arbeitermacht und einen sozialistischen Iran
(18. Juni 2009)
Fraktionskampf in der herrschenden Elite des Iran wird schärfer
( 20. Juni 2009)
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